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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

die Sozialdemokraten würden einen vertraglosen Zustand herbeiführen wollen, und
ändern läßt sich durch kein Votum etwas.

Nun wäre noch auf einen Punkt in der Rede des Abgeordneten Gothein
vom 10. dieses Monats zurückzukommen. Er sagte darin: Bismarck sei am Ende
seiner Amtstätigkeit bereit gewesen, den Fünfmarkzvll Österreich gegenüber bis auf
eine Mark zu ermäßigen. Es ist dies eine der unrichtigsten Behauptungen, die
jemals in bezug auf den Fürsten Bismarck ausgesprochen worden sind. Der Alt¬
reichskanzler hat bekanntlich gerade die Herabsetzung der Getreidezölle auf 3,50 im
Jahre 1891/92 auf das entschiedenste und hartnäckigste bekämpft. Hätte er wirklich
wenig Jahre zuvor die Absicht gehabt, selbst bis auf eine Mark hinunterzugehn, so
würde ihm das von seinem Nachfolger sicherlich -- und nicht ohne Erfolg -- vor¬
gehalten worden sein. Aber Bismarck war bekanntlich gerade zu wirtschaftspolitischen
Konzessionen an Österreich-Ungarn sehr schwer zu haben. Zu der Zeit, als der
Fürst den Handelsvertrag mit Österreich-Ungarn sehr scharf kritisierte, äußerte ein
süddeutscher Minister zu dem Verfasser dieser Zeilen, der Handelsvertrag sei in
vieler Hinsicht vorteilhafter, zum Beispiel in den Papierzöllen, als der, den Bismarck
habe Österreich geben wollen, und der 1883 fertig auf seinem Schreibtisch gelegen
habe. Hierüber befragt, äußerte der Fürst: "Auf meinem Schreibtisch hat viel
gelegen, vielleicht auch der Entwurf eines solchen Vertrages. Aber ich habe nie
daran gedacht, den Österreichern einen Handelsvertrag zu geben." Woher Herr
Gothein das Märchen von dem Markzoll hat, ist von ihm leider nicht mitgeteilt
worden. Graf Posadowsky ist in seiner vortrefflichen, sachlichen Widerlegung der
Gotheinschen Rede auf diesen Punkt nicht eingegangen, aber da Gothein den Reichs¬
kanzler direkt aufgefordert hat, die Sache zu studieren, so dürfte es dem Grafen
Bülow ein leichtes sei", Herrn Gothein aus den Akten nachzuweisen, daß er sich
ein Märchen hat aufbinden lassen. Würde Fürst Herbert Bismarck noch leben, so
würde er Herrn Gothein wahrscheinlich sofort berichtigt haben.

In den nachrufen, die die österreichische Presse dem Altreichskanzler bei seinem
Rücktritt im Jahre 1890 widmete, wurde gerade der Punkt, dnß das verbündete
Österreich von ihm wirtschaftlich nichts habe erreichen können, mit besonderm Nach¬
druck hervorgehoben. Bismarck hat bekanntlich im Jahre 1879 den Wunsch ge¬
habt, daß das Bündnis mit Österreich-Ungarn in die Verfassuugsurkunden beider
Mächte aufgenommen würde, er wollte ihm damit gewissermaßen eine "ewige,"
von dem Wechsel in den leitenden Strömungen der Habsburgischen Monarchie un¬
abhängige Dauer verleihen. Ob Kaiser Wilhelm der Erste darauf eingegangen
wäre, kann heute nicht diskutiert werden. Bismarcks Wunsch scheiterte an der
energischen Weigerung des Grafen Andrassy, der vielleicht Schwierigkeiten bei seinem
Souverän oder bei den Parlamenten der beiden Reichshälften befürchtete, oder --
es seinem Nachfolger überlassen wollte, sich mit der Gewährung dieses Wunsches
wirtschaftliche Konzessionen bei Deutschland zu erkaufen. Ob die Frage auf den
"sechzig Bogenfelder" berührt ist, die Bismarck seinem Sohne Herbert in Gastein
als Denkschrift für den Kaiser diktiert hat, wird wohl erst eine spätere Zeit er¬
fahren. Eine letzte Spur der Idee findet sich im zweiten Satze der Einleitung
des Bündnisvertrags, worin von einem festen Zusammenhalten, "ähnlich wie in dem
früher bestandnen Bundesverhältnis," die Rede ist.

Den jetzt ablaufenden Verträgen hat man die Hauptschuld am Niedergang der
Landwirtschaft zugemessen. Es gibt tüchtige Landwirte, die der Meinung sind, daß
nicht die Zölle, sondern wesentlich andre Umstände das Gedeihen der Landwirtschaft
beeinflussen. Die kommende Handelsvertragsperiode mit ihren hohen Zöllen wird
berufen sein, die Probe auf das Exempel zu machen. Bei einem ungestörten
Frieden werden wir ja ohne Zweifel zu einem Aufschwung des landwirtschaftlichen
Gewerbes gelangen, namentlich wenn die Gesetzgebung in all den Punkten fest
einsetzt, die der Reichskanzler in seiner Programmrede vor dem Landwirtschafts¬
rat, denn eine solche war es, so scharf und bestimmt bezeichnet hat. Diese Punkte


Maßgebliches und Unmaßgebliches

die Sozialdemokraten würden einen vertraglosen Zustand herbeiführen wollen, und
ändern läßt sich durch kein Votum etwas.

Nun wäre noch auf einen Punkt in der Rede des Abgeordneten Gothein
vom 10. dieses Monats zurückzukommen. Er sagte darin: Bismarck sei am Ende
seiner Amtstätigkeit bereit gewesen, den Fünfmarkzvll Österreich gegenüber bis auf
eine Mark zu ermäßigen. Es ist dies eine der unrichtigsten Behauptungen, die
jemals in bezug auf den Fürsten Bismarck ausgesprochen worden sind. Der Alt¬
reichskanzler hat bekanntlich gerade die Herabsetzung der Getreidezölle auf 3,50 im
Jahre 1891/92 auf das entschiedenste und hartnäckigste bekämpft. Hätte er wirklich
wenig Jahre zuvor die Absicht gehabt, selbst bis auf eine Mark hinunterzugehn, so
würde ihm das von seinem Nachfolger sicherlich — und nicht ohne Erfolg — vor¬
gehalten worden sein. Aber Bismarck war bekanntlich gerade zu wirtschaftspolitischen
Konzessionen an Österreich-Ungarn sehr schwer zu haben. Zu der Zeit, als der
Fürst den Handelsvertrag mit Österreich-Ungarn sehr scharf kritisierte, äußerte ein
süddeutscher Minister zu dem Verfasser dieser Zeilen, der Handelsvertrag sei in
vieler Hinsicht vorteilhafter, zum Beispiel in den Papierzöllen, als der, den Bismarck
habe Österreich geben wollen, und der 1883 fertig auf seinem Schreibtisch gelegen
habe. Hierüber befragt, äußerte der Fürst: „Auf meinem Schreibtisch hat viel
gelegen, vielleicht auch der Entwurf eines solchen Vertrages. Aber ich habe nie
daran gedacht, den Österreichern einen Handelsvertrag zu geben." Woher Herr
Gothein das Märchen von dem Markzoll hat, ist von ihm leider nicht mitgeteilt
worden. Graf Posadowsky ist in seiner vortrefflichen, sachlichen Widerlegung der
Gotheinschen Rede auf diesen Punkt nicht eingegangen, aber da Gothein den Reichs¬
kanzler direkt aufgefordert hat, die Sache zu studieren, so dürfte es dem Grafen
Bülow ein leichtes sei», Herrn Gothein aus den Akten nachzuweisen, daß er sich
ein Märchen hat aufbinden lassen. Würde Fürst Herbert Bismarck noch leben, so
würde er Herrn Gothein wahrscheinlich sofort berichtigt haben.

In den nachrufen, die die österreichische Presse dem Altreichskanzler bei seinem
Rücktritt im Jahre 1890 widmete, wurde gerade der Punkt, dnß das verbündete
Österreich von ihm wirtschaftlich nichts habe erreichen können, mit besonderm Nach¬
druck hervorgehoben. Bismarck hat bekanntlich im Jahre 1879 den Wunsch ge¬
habt, daß das Bündnis mit Österreich-Ungarn in die Verfassuugsurkunden beider
Mächte aufgenommen würde, er wollte ihm damit gewissermaßen eine „ewige,"
von dem Wechsel in den leitenden Strömungen der Habsburgischen Monarchie un¬
abhängige Dauer verleihen. Ob Kaiser Wilhelm der Erste darauf eingegangen
wäre, kann heute nicht diskutiert werden. Bismarcks Wunsch scheiterte an der
energischen Weigerung des Grafen Andrassy, der vielleicht Schwierigkeiten bei seinem
Souverän oder bei den Parlamenten der beiden Reichshälften befürchtete, oder —
es seinem Nachfolger überlassen wollte, sich mit der Gewährung dieses Wunsches
wirtschaftliche Konzessionen bei Deutschland zu erkaufen. Ob die Frage auf den
„sechzig Bogenfelder" berührt ist, die Bismarck seinem Sohne Herbert in Gastein
als Denkschrift für den Kaiser diktiert hat, wird wohl erst eine spätere Zeit er¬
fahren. Eine letzte Spur der Idee findet sich im zweiten Satze der Einleitung
des Bündnisvertrags, worin von einem festen Zusammenhalten, „ähnlich wie in dem
früher bestandnen Bundesverhältnis," die Rede ist.

Den jetzt ablaufenden Verträgen hat man die Hauptschuld am Niedergang der
Landwirtschaft zugemessen. Es gibt tüchtige Landwirte, die der Meinung sind, daß
nicht die Zölle, sondern wesentlich andre Umstände das Gedeihen der Landwirtschaft
beeinflussen. Die kommende Handelsvertragsperiode mit ihren hohen Zöllen wird
berufen sein, die Probe auf das Exempel zu machen. Bei einem ungestörten
Frieden werden wir ja ohne Zweifel zu einem Aufschwung des landwirtschaftlichen
Gewerbes gelangen, namentlich wenn die Gesetzgebung in all den Punkten fest
einsetzt, die der Reichskanzler in seiner Programmrede vor dem Landwirtschafts¬
rat, denn eine solche war es, so scharf und bestimmt bezeichnet hat. Diese Punkte


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[0416] Maßgebliches und Unmaßgebliches die Sozialdemokraten würden einen vertraglosen Zustand herbeiführen wollen, und ändern läßt sich durch kein Votum etwas. Nun wäre noch auf einen Punkt in der Rede des Abgeordneten Gothein vom 10. dieses Monats zurückzukommen. Er sagte darin: Bismarck sei am Ende seiner Amtstätigkeit bereit gewesen, den Fünfmarkzvll Österreich gegenüber bis auf eine Mark zu ermäßigen. Es ist dies eine der unrichtigsten Behauptungen, die jemals in bezug auf den Fürsten Bismarck ausgesprochen worden sind. Der Alt¬ reichskanzler hat bekanntlich gerade die Herabsetzung der Getreidezölle auf 3,50 im Jahre 1891/92 auf das entschiedenste und hartnäckigste bekämpft. Hätte er wirklich wenig Jahre zuvor die Absicht gehabt, selbst bis auf eine Mark hinunterzugehn, so würde ihm das von seinem Nachfolger sicherlich — und nicht ohne Erfolg — vor¬ gehalten worden sein. Aber Bismarck war bekanntlich gerade zu wirtschaftspolitischen Konzessionen an Österreich-Ungarn sehr schwer zu haben. Zu der Zeit, als der Fürst den Handelsvertrag mit Österreich-Ungarn sehr scharf kritisierte, äußerte ein süddeutscher Minister zu dem Verfasser dieser Zeilen, der Handelsvertrag sei in vieler Hinsicht vorteilhafter, zum Beispiel in den Papierzöllen, als der, den Bismarck habe Österreich geben wollen, und der 1883 fertig auf seinem Schreibtisch gelegen habe. Hierüber befragt, äußerte der Fürst: „Auf meinem Schreibtisch hat viel gelegen, vielleicht auch der Entwurf eines solchen Vertrages. Aber ich habe nie daran gedacht, den Österreichern einen Handelsvertrag zu geben." Woher Herr Gothein das Märchen von dem Markzoll hat, ist von ihm leider nicht mitgeteilt worden. Graf Posadowsky ist in seiner vortrefflichen, sachlichen Widerlegung der Gotheinschen Rede auf diesen Punkt nicht eingegangen, aber da Gothein den Reichs¬ kanzler direkt aufgefordert hat, die Sache zu studieren, so dürfte es dem Grafen Bülow ein leichtes sei», Herrn Gothein aus den Akten nachzuweisen, daß er sich ein Märchen hat aufbinden lassen. Würde Fürst Herbert Bismarck noch leben, so würde er Herrn Gothein wahrscheinlich sofort berichtigt haben. In den nachrufen, die die österreichische Presse dem Altreichskanzler bei seinem Rücktritt im Jahre 1890 widmete, wurde gerade der Punkt, dnß das verbündete Österreich von ihm wirtschaftlich nichts habe erreichen können, mit besonderm Nach¬ druck hervorgehoben. Bismarck hat bekanntlich im Jahre 1879 den Wunsch ge¬ habt, daß das Bündnis mit Österreich-Ungarn in die Verfassuugsurkunden beider Mächte aufgenommen würde, er wollte ihm damit gewissermaßen eine „ewige," von dem Wechsel in den leitenden Strömungen der Habsburgischen Monarchie un¬ abhängige Dauer verleihen. Ob Kaiser Wilhelm der Erste darauf eingegangen wäre, kann heute nicht diskutiert werden. Bismarcks Wunsch scheiterte an der energischen Weigerung des Grafen Andrassy, der vielleicht Schwierigkeiten bei seinem Souverän oder bei den Parlamenten der beiden Reichshälften befürchtete, oder — es seinem Nachfolger überlassen wollte, sich mit der Gewährung dieses Wunsches wirtschaftliche Konzessionen bei Deutschland zu erkaufen. Ob die Frage auf den „sechzig Bogenfelder" berührt ist, die Bismarck seinem Sohne Herbert in Gastein als Denkschrift für den Kaiser diktiert hat, wird wohl erst eine spätere Zeit er¬ fahren. Eine letzte Spur der Idee findet sich im zweiten Satze der Einleitung des Bündnisvertrags, worin von einem festen Zusammenhalten, „ähnlich wie in dem früher bestandnen Bundesverhältnis," die Rede ist. Den jetzt ablaufenden Verträgen hat man die Hauptschuld am Niedergang der Landwirtschaft zugemessen. Es gibt tüchtige Landwirte, die der Meinung sind, daß nicht die Zölle, sondern wesentlich andre Umstände das Gedeihen der Landwirtschaft beeinflussen. Die kommende Handelsvertragsperiode mit ihren hohen Zöllen wird berufen sein, die Probe auf das Exempel zu machen. Bei einem ungestörten Frieden werden wir ja ohne Zweifel zu einem Aufschwung des landwirtschaftlichen Gewerbes gelangen, namentlich wenn die Gesetzgebung in all den Punkten fest einsetzt, die der Reichskanzler in seiner Programmrede vor dem Landwirtschafts¬ rat, denn eine solche war es, so scharf und bestimmt bezeichnet hat. Diese Punkte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/416>, abgerufen am 23.07.2024.