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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen einer Lehrerin

Die Akademie hat ihre Arbeit noch lange nicht beendet. Man übersieht
heute aber schon: viel wird nicht für die Reformer herauskommen, und das ist
auch durchaus richtig. Schwierig ist die Frage der Doppelkonsonanten. Hier
läßt sich manches ändern. Wenn man schon engriot schreibt, kann man das
zweite r auch in eiiÄrrstisr, odg-rroi und c-darron weglassen. Aber soll man
deshalb pörsisvs, <M<zns, oans, veins schreiben? Doch sicher nicht. Schließlich
werden sich auch die Anhänger des Herrn Meyer mit der Beute begnügen
müssen, die ihnen die Akademie gelassen hat: vielleicht fällt auch die unregel¬
mäßige Pluralform mit x von eben, Asuou, caillou, eng,xe".v. usw. Gegen
diese Reform wird sich kaum etwas sagen lassen. Sonst haben aber die feinen
Sprachkünstler in der Akademie, die Claretie, Hervien und Heredici Recht, die
sich ablehnend verhalten. Eine Sprache entwickelt sich organisch und darf nicht
vergewaltigt werden, um einigen Abcschützcn die Extemporale oder einigen
Ausländern das Vokabellernen zu erleichtern. Nur die Übung von Jahrzehnten
kann etwas ändern, nicht die Experimentierlust einiger Neuerer. Die viel
geschmähte Akademie tut hier ein wohltatiges Werk. Wir stimmen Claretie zu,
wenn er uach dem Bericht des 1omx>8 sagt: "Was tut denn die Akademie
anders als reformieren, langsam, mit Überlegung und ohne Lärm? Seit Jahr¬
hunderten setzt sie ihr Werk einer Revision des DictionnÄrs fort und versöhnt
die überlieferten Schönheiten der französischen Sprache mit den Anforderungen
einer Entwicklung, die nicht aufhört. Aber "auf einen Schlag" solche Um¬
wälzungen beschließen, das hieße die Menschen von heute kopfscheu, das hieße
die Fremden, die sich mit Mühe und Not mit unsrer Grammatik vertraut
gemacht haben, verwirrt machen, das würde eine neue Beunruhigung in die
Geister bringen, die gar kein Bedürfnis danach haben." Die französische Recht¬
schreibungsreform im Sinne der "Neographen" darf deshalb heute schon im
großen und ganzen als erledigt angesehen werden -- und das ist gut so.


Franz Mugk


Erinnerungen einer Mehrerin
(Fortsetzung)

las ich unter "praktischem" Religionsunterrichte verstehe, kann ich
vielleicht am besten durch einige Antworten der Kinder illustrieren,
die mir bei der Behandlung des vierten Gebots gegeben sind.
Ich bringe nur die charakteristischen, dafür aber auch in ihrer
! ursprünglichen, von mir sofort nachgeschriebnen Form.ZW
V" W.>
M

Ich stellte folgende Frage in bezug auf die Worte der Erklärung des Ge¬
bots, daß wir unsre Eltern und Herren nicht verachten, noch erzürnen, sondern
ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben. (Ich habe es mir zur Auf¬
gabe gemacht, die Mädchen der Volksschule den Geschäften und Fabriken zu
entziehn und sie den Häusern als Dienstmädchen zu gewinnen. Darum betone
ich so oft wie möglich die Stellung eines Dienstmädchens.)


Erinnerungen einer Lehrerin

Die Akademie hat ihre Arbeit noch lange nicht beendet. Man übersieht
heute aber schon: viel wird nicht für die Reformer herauskommen, und das ist
auch durchaus richtig. Schwierig ist die Frage der Doppelkonsonanten. Hier
läßt sich manches ändern. Wenn man schon engriot schreibt, kann man das
zweite r auch in eiiÄrrstisr, odg-rroi und c-darron weglassen. Aber soll man
deshalb pörsisvs, <M<zns, oans, veins schreiben? Doch sicher nicht. Schließlich
werden sich auch die Anhänger des Herrn Meyer mit der Beute begnügen
müssen, die ihnen die Akademie gelassen hat: vielleicht fällt auch die unregel¬
mäßige Pluralform mit x von eben, Asuou, caillou, eng,xe».v. usw. Gegen
diese Reform wird sich kaum etwas sagen lassen. Sonst haben aber die feinen
Sprachkünstler in der Akademie, die Claretie, Hervien und Heredici Recht, die
sich ablehnend verhalten. Eine Sprache entwickelt sich organisch und darf nicht
vergewaltigt werden, um einigen Abcschützcn die Extemporale oder einigen
Ausländern das Vokabellernen zu erleichtern. Nur die Übung von Jahrzehnten
kann etwas ändern, nicht die Experimentierlust einiger Neuerer. Die viel
geschmähte Akademie tut hier ein wohltatiges Werk. Wir stimmen Claretie zu,
wenn er uach dem Bericht des 1omx>8 sagt: „Was tut denn die Akademie
anders als reformieren, langsam, mit Überlegung und ohne Lärm? Seit Jahr¬
hunderten setzt sie ihr Werk einer Revision des DictionnÄrs fort und versöhnt
die überlieferten Schönheiten der französischen Sprache mit den Anforderungen
einer Entwicklung, die nicht aufhört. Aber »auf einen Schlag« solche Um¬
wälzungen beschließen, das hieße die Menschen von heute kopfscheu, das hieße
die Fremden, die sich mit Mühe und Not mit unsrer Grammatik vertraut
gemacht haben, verwirrt machen, das würde eine neue Beunruhigung in die
Geister bringen, die gar kein Bedürfnis danach haben." Die französische Recht¬
schreibungsreform im Sinne der „Neographen" darf deshalb heute schon im
großen und ganzen als erledigt angesehen werden — und das ist gut so.


Franz Mugk


Erinnerungen einer Mehrerin
(Fortsetzung)

las ich unter „praktischem" Religionsunterrichte verstehe, kann ich
vielleicht am besten durch einige Antworten der Kinder illustrieren,
die mir bei der Behandlung des vierten Gebots gegeben sind.
Ich bringe nur die charakteristischen, dafür aber auch in ihrer
! ursprünglichen, von mir sofort nachgeschriebnen Form.ZW
V« W.>
M

Ich stellte folgende Frage in bezug auf die Worte der Erklärung des Ge¬
bots, daß wir unsre Eltern und Herren nicht verachten, noch erzürnen, sondern
ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben. (Ich habe es mir zur Auf¬
gabe gemacht, die Mädchen der Volksschule den Geschäften und Fabriken zu
entziehn und sie den Häusern als Dienstmädchen zu gewinnen. Darum betone
ich so oft wie möglich die Stellung eines Dienstmädchens.)


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[0392] Erinnerungen einer Lehrerin Die Akademie hat ihre Arbeit noch lange nicht beendet. Man übersieht heute aber schon: viel wird nicht für die Reformer herauskommen, und das ist auch durchaus richtig. Schwierig ist die Frage der Doppelkonsonanten. Hier läßt sich manches ändern. Wenn man schon engriot schreibt, kann man das zweite r auch in eiiÄrrstisr, odg-rroi und c-darron weglassen. Aber soll man deshalb pörsisvs, <M<zns, oans, veins schreiben? Doch sicher nicht. Schließlich werden sich auch die Anhänger des Herrn Meyer mit der Beute begnügen müssen, die ihnen die Akademie gelassen hat: vielleicht fällt auch die unregel¬ mäßige Pluralform mit x von eben, Asuou, caillou, eng,xe».v. usw. Gegen diese Reform wird sich kaum etwas sagen lassen. Sonst haben aber die feinen Sprachkünstler in der Akademie, die Claretie, Hervien und Heredici Recht, die sich ablehnend verhalten. Eine Sprache entwickelt sich organisch und darf nicht vergewaltigt werden, um einigen Abcschützcn die Extemporale oder einigen Ausländern das Vokabellernen zu erleichtern. Nur die Übung von Jahrzehnten kann etwas ändern, nicht die Experimentierlust einiger Neuerer. Die viel geschmähte Akademie tut hier ein wohltatiges Werk. Wir stimmen Claretie zu, wenn er uach dem Bericht des 1omx>8 sagt: „Was tut denn die Akademie anders als reformieren, langsam, mit Überlegung und ohne Lärm? Seit Jahr¬ hunderten setzt sie ihr Werk einer Revision des DictionnÄrs fort und versöhnt die überlieferten Schönheiten der französischen Sprache mit den Anforderungen einer Entwicklung, die nicht aufhört. Aber »auf einen Schlag« solche Um¬ wälzungen beschließen, das hieße die Menschen von heute kopfscheu, das hieße die Fremden, die sich mit Mühe und Not mit unsrer Grammatik vertraut gemacht haben, verwirrt machen, das würde eine neue Beunruhigung in die Geister bringen, die gar kein Bedürfnis danach haben." Die französische Recht¬ schreibungsreform im Sinne der „Neographen" darf deshalb heute schon im großen und ganzen als erledigt angesehen werden — und das ist gut so. Franz Mugk Erinnerungen einer Mehrerin (Fortsetzung) las ich unter „praktischem" Religionsunterrichte verstehe, kann ich vielleicht am besten durch einige Antworten der Kinder illustrieren, die mir bei der Behandlung des vierten Gebots gegeben sind. Ich bringe nur die charakteristischen, dafür aber auch in ihrer ! ursprünglichen, von mir sofort nachgeschriebnen Form.ZW V« W.> M Ich stellte folgende Frage in bezug auf die Worte der Erklärung des Ge¬ bots, daß wir unsre Eltern und Herren nicht verachten, noch erzürnen, sondern ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben. (Ich habe es mir zur Auf¬ gabe gemacht, die Mädchen der Volksschule den Geschäften und Fabriken zu entziehn und sie den Häusern als Dienstmädchen zu gewinnen. Darum betone ich so oft wie möglich die Stellung eines Dienstmädchens.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/392>, abgerufen am 23.07.2024.