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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Wie liest man die Lilcinz einer Lebensversicherungsanstalt?

kapitals kann zweifellos nicht mit dem übrigen bar vorhandnen Vermögen auf
eine Stufe gestellt werden und ist deshalb bei Berechnung der Barmittel einer
Anstalt außer acht zu lassen. Dies ist um so gerechtfertigter, als die meisten
Aktiengesellschaften schon nach Verlust eines Teiles des Aktienkapitals liqui¬
dieren. Bei Gegenseitigkeitsanstalten, bei denen an die Stelle des Aktien¬
kapitals eine entsprechend hohe Barreserve tritt, braucht diese Trennung natür¬
lich nicht vorgenommen zu werden.

Nachdem man so festgestellt hat, welcher Prozentsatz überschüssiger Deckungs¬
mittel (dieser allein ist für den "Reichtum" einer Anstalt ausschlaggebend!)
vorhanden ist, bleibt die Aktivseite der Bilanz zu untersuchen. Bekanntlich
geben die Aktivposten einer Bilanz an, durch welche Wertstücke das auf der
Passivseite ausgewiesne Gesamtvermögen repräsentiert wird. Bei den deutschen
Lebensversicherungsanstalten besteht der weitaus größte Teil (durchschnittlich
etwa vier Fünftel) des Vermögens in erststelligen Hypotheken. Geringe Bruch¬
teile bestehn in Wertpapieren, Darlehn auf solche, Grundbesitz und Wechseln.
Die Qualität dieser Vermögensbestandteile zu prüfen, ist nur in sehr be¬
schränktem Umfang möglich. Was die Hypothekenanlage anlangt, so sind neuer¬
dings durch eingehende Kontrollmaßregeln des Aufsichtsamts und durch die
scharfen Bestimmungen des Privatversichernngsgesetzes ausreichende Garantien
gegeben, daß man Besorgnisse über deren Qualität nicht zu hegen braucht.
Ob die Bestände in Grundbesitz und Wertpapieren, die ja gewöhnlich sehr
geringfügig sind, keine Ursache zu Bedenken geben, kann man am besten daraus
ermessen, ob und in welcher Höhe Amortisationen am Grundbesitz vorgenommen
werden (oder ob Fonds zu diesem Zwecke angesammelt werden), und wie hoch
sich die Kursreserve im Verhältnis zu den nicht mündelsichern Papieren be¬
läuft. Einen ständigen Posten liefern die Darlehen auf eigne Policen der
Gesellschaft, die absolut sicher sind, da die Gesellschaft den Gegenwert in
Händen hat. Unter "gestundeten" Prämien sind solche Teile von Jcchres-
Prümien zu versteh", die in "unterjährigen Raten" gezahlt werden und auf
das nächste Bilanzjahr übergreifen. Diese Forderungen können ebenfalls keinen
Verlust bringen, da sie bei der Nichtzahlung vou der etwa fällig werdenden
Versicherungssumme abgezogen werden. Zu unterscheiden von diesem technischen
Posten sind die "rückständigen" Prämien, bei deren Nichtzahlung die Ver¬
sicherung erlischt. Stückzinsen nennt man Zinsforderungen, die erst im Laufe
des folgenden Jahres fällig werden, deren Teilwert aber für den 31. Dezember
in die Bilanz eingestellt wird.*) An effektiven Rückstünden der Zinszahler
sowie an den aus frühern Jahren stammenden Aufständen bei Agenturen
können Verluste eintreten; diese Posten dürfen also keine große Rolle in der
Bilanz spielen. Man mißt ihren Betrag am besten an der Höhe des Jcchres-
"berschusses; eine Gesellschaft, die jährlich Millionenüberschüsse abwirft, kann
einen Posten zweifelhafter Aufstände von einigen hunderttausend Mark leicht



*) In den Bilanzen der deutschen Gesellschaften erscheinen diese Stückzinsen nach Vor¬
schrift des Aufsichtsamts als "rückständige Zinsen" mit wirklichen Zinsausständen zusammen,
obwohl diese Bezeichnung irreführt. Wieviel wirkliche Zinsrückstände sich unter den Posten
finden, kann man aus den Erläuterungen zur Bilanz entnehmen.
Wie liest man die Lilcinz einer Lebensversicherungsanstalt?

kapitals kann zweifellos nicht mit dem übrigen bar vorhandnen Vermögen auf
eine Stufe gestellt werden und ist deshalb bei Berechnung der Barmittel einer
Anstalt außer acht zu lassen. Dies ist um so gerechtfertigter, als die meisten
Aktiengesellschaften schon nach Verlust eines Teiles des Aktienkapitals liqui¬
dieren. Bei Gegenseitigkeitsanstalten, bei denen an die Stelle des Aktien¬
kapitals eine entsprechend hohe Barreserve tritt, braucht diese Trennung natür¬
lich nicht vorgenommen zu werden.

Nachdem man so festgestellt hat, welcher Prozentsatz überschüssiger Deckungs¬
mittel (dieser allein ist für den „Reichtum" einer Anstalt ausschlaggebend!)
vorhanden ist, bleibt die Aktivseite der Bilanz zu untersuchen. Bekanntlich
geben die Aktivposten einer Bilanz an, durch welche Wertstücke das auf der
Passivseite ausgewiesne Gesamtvermögen repräsentiert wird. Bei den deutschen
Lebensversicherungsanstalten besteht der weitaus größte Teil (durchschnittlich
etwa vier Fünftel) des Vermögens in erststelligen Hypotheken. Geringe Bruch¬
teile bestehn in Wertpapieren, Darlehn auf solche, Grundbesitz und Wechseln.
Die Qualität dieser Vermögensbestandteile zu prüfen, ist nur in sehr be¬
schränktem Umfang möglich. Was die Hypothekenanlage anlangt, so sind neuer¬
dings durch eingehende Kontrollmaßregeln des Aufsichtsamts und durch die
scharfen Bestimmungen des Privatversichernngsgesetzes ausreichende Garantien
gegeben, daß man Besorgnisse über deren Qualität nicht zu hegen braucht.
Ob die Bestände in Grundbesitz und Wertpapieren, die ja gewöhnlich sehr
geringfügig sind, keine Ursache zu Bedenken geben, kann man am besten daraus
ermessen, ob und in welcher Höhe Amortisationen am Grundbesitz vorgenommen
werden (oder ob Fonds zu diesem Zwecke angesammelt werden), und wie hoch
sich die Kursreserve im Verhältnis zu den nicht mündelsichern Papieren be¬
läuft. Einen ständigen Posten liefern die Darlehen auf eigne Policen der
Gesellschaft, die absolut sicher sind, da die Gesellschaft den Gegenwert in
Händen hat. Unter „gestundeten" Prämien sind solche Teile von Jcchres-
Prümien zu versteh», die in „unterjährigen Raten" gezahlt werden und auf
das nächste Bilanzjahr übergreifen. Diese Forderungen können ebenfalls keinen
Verlust bringen, da sie bei der Nichtzahlung vou der etwa fällig werdenden
Versicherungssumme abgezogen werden. Zu unterscheiden von diesem technischen
Posten sind die „rückständigen" Prämien, bei deren Nichtzahlung die Ver¬
sicherung erlischt. Stückzinsen nennt man Zinsforderungen, die erst im Laufe
des folgenden Jahres fällig werden, deren Teilwert aber für den 31. Dezember
in die Bilanz eingestellt wird.*) An effektiven Rückstünden der Zinszahler
sowie an den aus frühern Jahren stammenden Aufständen bei Agenturen
können Verluste eintreten; diese Posten dürfen also keine große Rolle in der
Bilanz spielen. Man mißt ihren Betrag am besten an der Höhe des Jcchres-
»berschusses; eine Gesellschaft, die jährlich Millionenüberschüsse abwirft, kann
einen Posten zweifelhafter Aufstände von einigen hunderttausend Mark leicht



*) In den Bilanzen der deutschen Gesellschaften erscheinen diese Stückzinsen nach Vor¬
schrift des Aufsichtsamts als „rückständige Zinsen" mit wirklichen Zinsausständen zusammen,
obwohl diese Bezeichnung irreführt. Wieviel wirkliche Zinsrückstände sich unter den Posten
finden, kann man aus den Erläuterungen zur Bilanz entnehmen.
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[0377] Wie liest man die Lilcinz einer Lebensversicherungsanstalt? kapitals kann zweifellos nicht mit dem übrigen bar vorhandnen Vermögen auf eine Stufe gestellt werden und ist deshalb bei Berechnung der Barmittel einer Anstalt außer acht zu lassen. Dies ist um so gerechtfertigter, als die meisten Aktiengesellschaften schon nach Verlust eines Teiles des Aktienkapitals liqui¬ dieren. Bei Gegenseitigkeitsanstalten, bei denen an die Stelle des Aktien¬ kapitals eine entsprechend hohe Barreserve tritt, braucht diese Trennung natür¬ lich nicht vorgenommen zu werden. Nachdem man so festgestellt hat, welcher Prozentsatz überschüssiger Deckungs¬ mittel (dieser allein ist für den „Reichtum" einer Anstalt ausschlaggebend!) vorhanden ist, bleibt die Aktivseite der Bilanz zu untersuchen. Bekanntlich geben die Aktivposten einer Bilanz an, durch welche Wertstücke das auf der Passivseite ausgewiesne Gesamtvermögen repräsentiert wird. Bei den deutschen Lebensversicherungsanstalten besteht der weitaus größte Teil (durchschnittlich etwa vier Fünftel) des Vermögens in erststelligen Hypotheken. Geringe Bruch¬ teile bestehn in Wertpapieren, Darlehn auf solche, Grundbesitz und Wechseln. Die Qualität dieser Vermögensbestandteile zu prüfen, ist nur in sehr be¬ schränktem Umfang möglich. Was die Hypothekenanlage anlangt, so sind neuer¬ dings durch eingehende Kontrollmaßregeln des Aufsichtsamts und durch die scharfen Bestimmungen des Privatversichernngsgesetzes ausreichende Garantien gegeben, daß man Besorgnisse über deren Qualität nicht zu hegen braucht. Ob die Bestände in Grundbesitz und Wertpapieren, die ja gewöhnlich sehr geringfügig sind, keine Ursache zu Bedenken geben, kann man am besten daraus ermessen, ob und in welcher Höhe Amortisationen am Grundbesitz vorgenommen werden (oder ob Fonds zu diesem Zwecke angesammelt werden), und wie hoch sich die Kursreserve im Verhältnis zu den nicht mündelsichern Papieren be¬ läuft. Einen ständigen Posten liefern die Darlehen auf eigne Policen der Gesellschaft, die absolut sicher sind, da die Gesellschaft den Gegenwert in Händen hat. Unter „gestundeten" Prämien sind solche Teile von Jcchres- Prümien zu versteh», die in „unterjährigen Raten" gezahlt werden und auf das nächste Bilanzjahr übergreifen. Diese Forderungen können ebenfalls keinen Verlust bringen, da sie bei der Nichtzahlung vou der etwa fällig werdenden Versicherungssumme abgezogen werden. Zu unterscheiden von diesem technischen Posten sind die „rückständigen" Prämien, bei deren Nichtzahlung die Ver¬ sicherung erlischt. Stückzinsen nennt man Zinsforderungen, die erst im Laufe des folgenden Jahres fällig werden, deren Teilwert aber für den 31. Dezember in die Bilanz eingestellt wird.*) An effektiven Rückstünden der Zinszahler sowie an den aus frühern Jahren stammenden Aufständen bei Agenturen können Verluste eintreten; diese Posten dürfen also keine große Rolle in der Bilanz spielen. Man mißt ihren Betrag am besten an der Höhe des Jcchres- »berschusses; eine Gesellschaft, die jährlich Millionenüberschüsse abwirft, kann einen Posten zweifelhafter Aufstände von einigen hunderttausend Mark leicht *) In den Bilanzen der deutschen Gesellschaften erscheinen diese Stückzinsen nach Vor¬ schrift des Aufsichtsamts als „rückständige Zinsen" mit wirklichen Zinsausständen zusammen, obwohl diese Bezeichnung irreführt. Wieviel wirkliche Zinsrückstände sich unter den Posten finden, kann man aus den Erläuterungen zur Bilanz entnehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/377>, abgerufen am 23.12.2024.