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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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lassen, daß er sich bei seinem Kampfe mit seiner eignen Vergangenheit in
Widerspruch setze. Warf der Liberalismus der Sozialdemokratie ihren Haß
gegen die Monarchie vor, so wurde ihm seine eigne frühere Hinneigung zur
republikanischen Staatsform vorgehalten, vertrat er eine Beschränkung des von
der Sozialdemokratie gemißbrauchten allgemeinen Wahlrechts, so mußte er sich
sagen lassen, daß er selbst hierin seinerzeit ein erklärter Gegner der Regierungen
und der konservativen Parteien gewesen sei, und dergleichen mehr. Nun treffen
diese Vorwürfe zwar auf alles weniger als auf die Gesinnungen und An¬
schauungen der heutigen nationalliberalen Partei zu, die damals ja noch gar
nicht bestanden hat. Immerhin aber war ein gewisser Eindruck, den solche Aus¬
fälle auf den Liberalismus machten, nicht zu verkennen. Die konservative Partei
ihrerseits war durch ihre ganze Vergangenheit vor solchen Anwürfen gesichert.
Gegen sie wurden sie nicht einmal versucht. Sie vermochte hierin der Sozial¬
demokratie ihre in diesen Punkten von jeher feststehenden Grundsätze entgegen¬
zustellen, und sie hat das auch immer mit dem größten Nachdruck getan. Des
weitern war die Stellung der Mitglieder der liberalen Parteien auch häufig
durch den schonungsloser Terrorismus erschwert, den die Sozialdemokratie, wenn
es ihr gelegen ist, auf wirtschaftlichem Gebiete wider ihre Gegner ausübt. Die
konservative Partei dagegen, die neben der Industrie angehörigen Mitgliedern
auch zahlreiche Angehörige der Landwirtschaft aufweist, war auch hierin günstiger
gestellt. Infolge dieser Stellung hat sie gegenüber den Umsturzbestrebungen eine
schützende Tätigkeit entfalten können, die zwar an sich dem Ganzen galt, deren
Wirkungen aber doch zunächst und am meisten der Industrie zugute kamen. Für
diese ja an sich sehr einfach liegenden Verhältnisse hatte das sächsische Volk auch
das vollste Verständnis. Ihnen vor allem ist auch eine Erscheinung zuzuschreiben,
die den Fernerstehenden vielleicht sonst nicht ohne weiteres erklärlich wäre,
nämlich der Umstand, daß das sächsische Volk bei all seiner industriellen Ent¬
wicklung doch schon seit mehr als dreißig Jahren und zwar in immer steigendem
Maße seine Vertreter im Landtag aus der konservativen Partei entnommen
hat. Die Industrie selbst erkannte eben auch ihrerseits, welchen besondern Wert
für sie der Konservatismus namentlich unter den gegenwärtigen Verhältnissen hat.
Und auch die nationalliberale Partei sah, wie aus dem jahrzehntelang aufrecht
erhaltnen Kartell hervorging, in diesem Zustande, bei dem sie ihre volle Bedeu¬
tung beibehielt, nichts, was ihr Ansehen und ihre Bedeutung zu beeinträchtigen
geeignet gewesen wäre. In so geschlossener Weise und mit solchen durchaus in
den Verhältnissen wurzelnden Anschauungen traten beide Parteien in Sachsen
in den Kampf mit der Umsturzpartei, und es dürfte der Mühe lohnen,
wenigstens mit einigen Strichen zu kennzeichnen, mit welchen Mitteln und mit
Welchem Erfolg dieser Kampf von beiden Seiten geführt worden ist.




Grenzboten I 190548
Saxnnica

lassen, daß er sich bei seinem Kampfe mit seiner eignen Vergangenheit in
Widerspruch setze. Warf der Liberalismus der Sozialdemokratie ihren Haß
gegen die Monarchie vor, so wurde ihm seine eigne frühere Hinneigung zur
republikanischen Staatsform vorgehalten, vertrat er eine Beschränkung des von
der Sozialdemokratie gemißbrauchten allgemeinen Wahlrechts, so mußte er sich
sagen lassen, daß er selbst hierin seinerzeit ein erklärter Gegner der Regierungen
und der konservativen Parteien gewesen sei, und dergleichen mehr. Nun treffen
diese Vorwürfe zwar auf alles weniger als auf die Gesinnungen und An¬
schauungen der heutigen nationalliberalen Partei zu, die damals ja noch gar
nicht bestanden hat. Immerhin aber war ein gewisser Eindruck, den solche Aus¬
fälle auf den Liberalismus machten, nicht zu verkennen. Die konservative Partei
ihrerseits war durch ihre ganze Vergangenheit vor solchen Anwürfen gesichert.
Gegen sie wurden sie nicht einmal versucht. Sie vermochte hierin der Sozial¬
demokratie ihre in diesen Punkten von jeher feststehenden Grundsätze entgegen¬
zustellen, und sie hat das auch immer mit dem größten Nachdruck getan. Des
weitern war die Stellung der Mitglieder der liberalen Parteien auch häufig
durch den schonungsloser Terrorismus erschwert, den die Sozialdemokratie, wenn
es ihr gelegen ist, auf wirtschaftlichem Gebiete wider ihre Gegner ausübt. Die
konservative Partei dagegen, die neben der Industrie angehörigen Mitgliedern
auch zahlreiche Angehörige der Landwirtschaft aufweist, war auch hierin günstiger
gestellt. Infolge dieser Stellung hat sie gegenüber den Umsturzbestrebungen eine
schützende Tätigkeit entfalten können, die zwar an sich dem Ganzen galt, deren
Wirkungen aber doch zunächst und am meisten der Industrie zugute kamen. Für
diese ja an sich sehr einfach liegenden Verhältnisse hatte das sächsische Volk auch
das vollste Verständnis. Ihnen vor allem ist auch eine Erscheinung zuzuschreiben,
die den Fernerstehenden vielleicht sonst nicht ohne weiteres erklärlich wäre,
nämlich der Umstand, daß das sächsische Volk bei all seiner industriellen Ent¬
wicklung doch schon seit mehr als dreißig Jahren und zwar in immer steigendem
Maße seine Vertreter im Landtag aus der konservativen Partei entnommen
hat. Die Industrie selbst erkannte eben auch ihrerseits, welchen besondern Wert
für sie der Konservatismus namentlich unter den gegenwärtigen Verhältnissen hat.
Und auch die nationalliberale Partei sah, wie aus dem jahrzehntelang aufrecht
erhaltnen Kartell hervorging, in diesem Zustande, bei dem sie ihre volle Bedeu¬
tung beibehielt, nichts, was ihr Ansehen und ihre Bedeutung zu beeinträchtigen
geeignet gewesen wäre. In so geschlossener Weise und mit solchen durchaus in
den Verhältnissen wurzelnden Anschauungen traten beide Parteien in Sachsen
in den Kampf mit der Umsturzpartei, und es dürfte der Mühe lohnen,
wenigstens mit einigen Strichen zu kennzeichnen, mit welchen Mitteln und mit
Welchem Erfolg dieser Kampf von beiden Seiten geführt worden ist.




Grenzboten I 190548
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[0373] Saxnnica lassen, daß er sich bei seinem Kampfe mit seiner eignen Vergangenheit in Widerspruch setze. Warf der Liberalismus der Sozialdemokratie ihren Haß gegen die Monarchie vor, so wurde ihm seine eigne frühere Hinneigung zur republikanischen Staatsform vorgehalten, vertrat er eine Beschränkung des von der Sozialdemokratie gemißbrauchten allgemeinen Wahlrechts, so mußte er sich sagen lassen, daß er selbst hierin seinerzeit ein erklärter Gegner der Regierungen und der konservativen Parteien gewesen sei, und dergleichen mehr. Nun treffen diese Vorwürfe zwar auf alles weniger als auf die Gesinnungen und An¬ schauungen der heutigen nationalliberalen Partei zu, die damals ja noch gar nicht bestanden hat. Immerhin aber war ein gewisser Eindruck, den solche Aus¬ fälle auf den Liberalismus machten, nicht zu verkennen. Die konservative Partei ihrerseits war durch ihre ganze Vergangenheit vor solchen Anwürfen gesichert. Gegen sie wurden sie nicht einmal versucht. Sie vermochte hierin der Sozial¬ demokratie ihre in diesen Punkten von jeher feststehenden Grundsätze entgegen¬ zustellen, und sie hat das auch immer mit dem größten Nachdruck getan. Des weitern war die Stellung der Mitglieder der liberalen Parteien auch häufig durch den schonungsloser Terrorismus erschwert, den die Sozialdemokratie, wenn es ihr gelegen ist, auf wirtschaftlichem Gebiete wider ihre Gegner ausübt. Die konservative Partei dagegen, die neben der Industrie angehörigen Mitgliedern auch zahlreiche Angehörige der Landwirtschaft aufweist, war auch hierin günstiger gestellt. Infolge dieser Stellung hat sie gegenüber den Umsturzbestrebungen eine schützende Tätigkeit entfalten können, die zwar an sich dem Ganzen galt, deren Wirkungen aber doch zunächst und am meisten der Industrie zugute kamen. Für diese ja an sich sehr einfach liegenden Verhältnisse hatte das sächsische Volk auch das vollste Verständnis. Ihnen vor allem ist auch eine Erscheinung zuzuschreiben, die den Fernerstehenden vielleicht sonst nicht ohne weiteres erklärlich wäre, nämlich der Umstand, daß das sächsische Volk bei all seiner industriellen Ent¬ wicklung doch schon seit mehr als dreißig Jahren und zwar in immer steigendem Maße seine Vertreter im Landtag aus der konservativen Partei entnommen hat. Die Industrie selbst erkannte eben auch ihrerseits, welchen besondern Wert für sie der Konservatismus namentlich unter den gegenwärtigen Verhältnissen hat. Und auch die nationalliberale Partei sah, wie aus dem jahrzehntelang aufrecht erhaltnen Kartell hervorging, in diesem Zustande, bei dem sie ihre volle Bedeu¬ tung beibehielt, nichts, was ihr Ansehen und ihre Bedeutung zu beeinträchtigen geeignet gewesen wäre. In so geschlossener Weise und mit solchen durchaus in den Verhältnissen wurzelnden Anschauungen traten beide Parteien in Sachsen in den Kampf mit der Umsturzpartei, und es dürfte der Mühe lohnen, wenigstens mit einigen Strichen zu kennzeichnen, mit welchen Mitteln und mit Welchem Erfolg dieser Kampf von beiden Seiten geführt worden ist. Grenzboten I 190548

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/373>, abgerufen am 23.07.2024.