Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Im alten Brüssel und ein harter Ton von Spaten, die den gefrornen Boden zu zerteilen suchten, Im alten Brüssel Clara Höhrath von(Fortsetzung) 14 eberall zeigte er sie, der eitle Rene, in den Cafes, dem Zirkus, den Heute gingen sie ins "Palais dEte," der liebliche Name hatte Ja, da hatte sich der grüne, blühende Sommer in einen Saul In der großen Pause stand Fintje auf. Alles wollte sie scheu. Sie wollte An seinem Arm durchschritt sie die Gänge, wo die Damen an den Wänden Im alten Brüssel und ein harter Ton von Spaten, die den gefrornen Boden zu zerteilen suchten, Im alten Brüssel Clara Höhrath von(Fortsetzung) 14 eberall zeigte er sie, der eitle Rene, in den Cafes, dem Zirkus, den Heute gingen sie ins „Palais dEte," der liebliche Name hatte Ja, da hatte sich der grüne, blühende Sommer in einen Saul In der großen Pause stand Fintje auf. Alles wollte sie scheu. Sie wollte An seinem Arm durchschritt sie die Gänge, wo die Damen an den Wänden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87830"/> <fw type="header" place="top"> Im alten Brüssel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1475" prev="#ID_1474"> und ein harter Ton von Spaten, die den gefrornen Boden zu zerteilen suchten,<lb/> klang von nahe her. Hart am Straßenrand waren graue Gestalten an der Arbeit,<lb/> eine dunklere schien sie anzuweisen. Es ist nur ein Häufchen Knochen, hörte ich<lb/> sie sagen, alles andre ist verbrannt, man könnte sie in diesem Loche unterbringen,<lb/> darauf die Stimme des Geistlichen, die fest, fast geschäftsmäßig klang: Man lege<lb/> sie auseinander, dieser ist Joseph, jener der Knabe, jedes Häufchen in einen<lb/> Sarg für sich. Indem hatte er den Hufschlag unsrer Pferde gehört und tat einige<lb/> Schritte auf die Hecke zu. Was ist Schreckliches vorgegangen? Joseph und sein<lb/> Knabe sind tot, aus Irrtum von schweifenden Franktireurs erschossen, zusammen mit<lb/> seinem Landsmann, dem Metzger, in dem sie einen Spion suchten; sein Haus ver¬<lb/> brannt mit allem, was es an Werken und Hoffnungen barg. Maria lebt, aber ich<lb/> fürchte für ihren Verstand. Mein Metz! rief er, indem er die Hände zum Himmel<lb/> hob, mit erstickter Stimme.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Im alten Brüssel<lb/><note type="byline"> Clara Höhrath</note> von(Fortsetzung)</head><lb/> <div n="2"> <head> 14</head><lb/> <p xml:id="ID_1476"> eberall zeigte er sie, der eitle Rene, in den Cafes, dem Zirkus, den<lb/> Theatern. Fintje hatte gar nicht geahnt, was für eine Unmenge von<lb/> Vergnügungslokalen das schöne Brüssel aufzuweisen hatte.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_1477"> Heute gingen sie ins „Palais dEte," der liebliche Name hatte<lb/> Fintje in die Augen gestochen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1478"> Ja, da hatte sich der grüne, blühende Sommer in einen Saul<lb/> mitten in den steinernen Straßen eingeschlichen. Da saßen sie zwischen Pflanzen¬<lb/> gruppen und plätschernden Springbrunnen, und der Boden war mit Kies bestreut<lb/> wie in eineni richtigen Garten. Sie saßen an einem kleinen Tisch und tranken<lb/> deutsches bitteres Bier, das viel schlechter schmeckte und viel kostbarer war als<lb/> Färö. Vor ihnen auf der Bühne, nach der nicht viel gesehen wurde, trieben<lb/> die Akrobaten ihre Künste, der Taschenspieler schüttelte eine Flut roter Rosen aus<lb/> seinein Zylinderhut, ein geschminktes Kinderpaar sang endlose Couplets, und lang-<lb/> zöpfige Chinesen führten närrische Tänze auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1479"> In der großen Pause stand Fintje auf. Alles wollte sie scheu. Sie wollte<lb/> auch auf dem roten Teppich unter der roten Lichterkette der Seitengänge wandeln,<lb/> vorbei an den lauschigen Laubenplätzchen. Komm, Rene'!</p><lb/> <p xml:id="ID_1480" next="#ID_1481"> An seinem Arm durchschritt sie die Gänge, wo die Damen an den Wänden<lb/> herumsaßen und mit unruhigen Augen um sich starrten, als erwarteten sie jemand.<lb/> Diese hier waren nicht so schön und blühend und von so vornehm ruhigem Wesen<lb/> wie die Damen der Laiterieterrasse. Sie sahen zugleich frech und mißmutig aus,<lb/> so als empfänden sie ihr Leben als eine drückende Last und hätten doch den Mut<lb/> nicht, mit ihm zu brechen. Auffallende, farbenreiche Toiletten aber trugen auch sie.<lb/> Und die Herren, die durch die roten Gänge des Palais d'Ete schlenderten, fragten<lb/> wenig nach der seelischen Verfassung dieser Schönen, die sie nur anschauten mit<lb/> dem lüsternen Blick der Bestie. Familienväter waren unter der Schar der Palciis-<lb/> d'Ete-Besucher und junge halbreife Burschen. Denn wenn der Brüßler Knabe aus¬<lb/> gewachsen ist, empfindet er es als Schmach, seine Abende weiter im Familienkreise<lb/> zuhause zu verbringen, er beginnt das Leben des Mannes zu führen, das Brüßler<lb/> Wtrtshausleben. Brüssel öffnet ihm gastlich seine weiten Arme und nimmt den<lb/> unschuldigen Jungen in seine Schule. Auch die Pforten des Palais d'Ete stehn</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0352]
Im alten Brüssel
und ein harter Ton von Spaten, die den gefrornen Boden zu zerteilen suchten,
klang von nahe her. Hart am Straßenrand waren graue Gestalten an der Arbeit,
eine dunklere schien sie anzuweisen. Es ist nur ein Häufchen Knochen, hörte ich
sie sagen, alles andre ist verbrannt, man könnte sie in diesem Loche unterbringen,
darauf die Stimme des Geistlichen, die fest, fast geschäftsmäßig klang: Man lege
sie auseinander, dieser ist Joseph, jener der Knabe, jedes Häufchen in einen
Sarg für sich. Indem hatte er den Hufschlag unsrer Pferde gehört und tat einige
Schritte auf die Hecke zu. Was ist Schreckliches vorgegangen? Joseph und sein
Knabe sind tot, aus Irrtum von schweifenden Franktireurs erschossen, zusammen mit
seinem Landsmann, dem Metzger, in dem sie einen Spion suchten; sein Haus ver¬
brannt mit allem, was es an Werken und Hoffnungen barg. Maria lebt, aber ich
fürchte für ihren Verstand. Mein Metz! rief er, indem er die Hände zum Himmel
hob, mit erstickter Stimme.
Im alten Brüssel
Clara Höhrath von(Fortsetzung)
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eberall zeigte er sie, der eitle Rene, in den Cafes, dem Zirkus, den
Theatern. Fintje hatte gar nicht geahnt, was für eine Unmenge von
Vergnügungslokalen das schöne Brüssel aufzuweisen hatte.
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Heute gingen sie ins „Palais dEte," der liebliche Name hatte
Fintje in die Augen gestochen.
Ja, da hatte sich der grüne, blühende Sommer in einen Saul
mitten in den steinernen Straßen eingeschlichen. Da saßen sie zwischen Pflanzen¬
gruppen und plätschernden Springbrunnen, und der Boden war mit Kies bestreut
wie in eineni richtigen Garten. Sie saßen an einem kleinen Tisch und tranken
deutsches bitteres Bier, das viel schlechter schmeckte und viel kostbarer war als
Färö. Vor ihnen auf der Bühne, nach der nicht viel gesehen wurde, trieben
die Akrobaten ihre Künste, der Taschenspieler schüttelte eine Flut roter Rosen aus
seinein Zylinderhut, ein geschminktes Kinderpaar sang endlose Couplets, und lang-
zöpfige Chinesen führten närrische Tänze auf.
In der großen Pause stand Fintje auf. Alles wollte sie scheu. Sie wollte
auch auf dem roten Teppich unter der roten Lichterkette der Seitengänge wandeln,
vorbei an den lauschigen Laubenplätzchen. Komm, Rene'!
An seinem Arm durchschritt sie die Gänge, wo die Damen an den Wänden
herumsaßen und mit unruhigen Augen um sich starrten, als erwarteten sie jemand.
Diese hier waren nicht so schön und blühend und von so vornehm ruhigem Wesen
wie die Damen der Laiterieterrasse. Sie sahen zugleich frech und mißmutig aus,
so als empfänden sie ihr Leben als eine drückende Last und hätten doch den Mut
nicht, mit ihm zu brechen. Auffallende, farbenreiche Toiletten aber trugen auch sie.
Und die Herren, die durch die roten Gänge des Palais d'Ete schlenderten, fragten
wenig nach der seelischen Verfassung dieser Schönen, die sie nur anschauten mit
dem lüsternen Blick der Bestie. Familienväter waren unter der Schar der Palciis-
d'Ete-Besucher und junge halbreife Burschen. Denn wenn der Brüßler Knabe aus¬
gewachsen ist, empfindet er es als Schmach, seine Abende weiter im Familienkreise
zuhause zu verbringen, er beginnt das Leben des Mannes zu führen, das Brüßler
Wtrtshausleben. Brüssel öffnet ihm gastlich seine weiten Arme und nimmt den
unschuldigen Jungen in seine Schule. Auch die Pforten des Palais d'Ete stehn
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