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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege

Das Abgerissene seiner Reden, so viel Wahres und Geistreiches sie enthalten
mochten, und mehr noch die Art, wie er dem Kriege den Rücken gewandt hatte,
gerade als daraus der Krieg des Volks geworden war, erfüllten mich mit Argwohn.
Ich hielt ihn nicht gerade für einen Feigling und Fahnenflüchtigen, aber doch für
einen von den Schwärmern, die es leicht mit großen Pflichten nehmen, wenn deren
Erfüllung nicht in ihre Pläne paßt.

Den andern Nachmittag kam der Befehl, uns am frühen Morgen des 25. in
Etalans der Bedeckung des Fuhrparks anzuschließen, der seinen Marsch nach Dole
fortsetzen werde. Unser Aufbruch war rasch vorbereitet. Wir wollten zuerst die
Nacht reiten, zogen aber den Frühmorgen vor. Den Abend nahm ich mit Dank
das Anerbieten des Geistlichen an, mich zu dem Holzschnitzer zu führe". Er wohnte
etwas abseits vom Dorf an dem Hange, der es nach Norden überragt und schirmt.
Äußerlich war das Häuschen nicht von einem gewöhnlichen französischen Bauern¬
haus kleinern Formats zu unterscheiden, sein Dach war flacher als draußen in der
Ebne, wie überall in den Gebirgsdörfchen des Jura, und seine Fenster waren
schmal und steckten tief in den dicken Mauern, die übrigens sauber verkalkt waren;
auf der einen Seite zog sich ein Gemüsegarten die leichte Anhöhe hinauf, vor der
das Häuschen stand, auf der andern war ein Stall angebaut, dessen schwärzliches
Holzwerk ein reifes Alter verriet. Als aber mein Begleiter die obere Hälfte der
Haustür zurückdrückte und von innen mit sichern? Griff aufklinkte, trat man nicht
in den üblichen Vorraum, der zugleich Küche und Aufenthalt der Familie ist,
sondern ging auf einem mit unregelmäßigen Steinplatten gepflasterten Gang
geradeaus auf eine Glastür, die ein Dämmerlicht in das Dunkel sandte. Offenbar
war gerade die Stelle des Vorraums durchgebrochen, wo sonst über dem langsam
qualmenden Feuer der immer brodelnde schwarzbernßte Kessel an schwarzer Kette
hängt. Dadurch hatte dieses Innere einen so ganz andern Charakter als das
französische Bauernhaus sonst, es erinnerte eher an die Hütte eines deutschen Dorf-
Handwerkers. Aber nun öffnete sich die Tür am Ende des Ganges, und ein Heller
Raum strömte reichliches Licht in das Dunkel. Man sah eine schräge Decke, in die
zwei Oberlichter eingesetzt waren, durch die das vom Schnee blau zurückgeworfne
Tageslicht eindrang.

Da hingen die Schnitzereien in allen Stufen der Vollendung und daneben
die Schablonen, nach denen die Grundlinien auf die Holzblöcke gezeichnet werden.
Es waren auch in den Fensterecken Holzstücke von verschiednen Formen aufgeschichtet,
denen man die Größe und die Gestalt der Figuren, die sich aus ihnen entwickeln
sollten, schon ansehen konnte. Ganz fertig schienen aber nur einige Tafeln zu sein,
die in hohem Relief Ornamente, meist Blumen und Ranken und schöngeschnittne
Blätter, trugen. Die waren im besten Lichte aufgehängt, und gerade jetzt spann
die Spätuachmittagsonne goldne und rote Fäden darum.

Joseph stand am Schnitztische, eine Christusfigur, die die Hände segnend erhob,
lag vor ihm. Er arbeitete daran mit einem seinen Messer weiter, ohne sich durch
unser Kommen viel stören zu lassen. Den Pfarrer begrüßte er mit der Ehrfurcht,
die dem Seelenhirten gebührt, an meiner Uniform haftete einen Moment sein Blick,
dann wandte er sich mit einer gewissen Geflissentlichkeit wieder der Arbeit zu.
Seine Haltung hatte das Freie, das dem Manne eigen ist, der sich mit seiner
Arbeit eins und durch sie gehoben fühlt. Mit raschem Schnitte nahm er ein
Spänchen weg und änderte dadurch den Ausdruck der werdenden Gestalt in
wunderbarer Weise. Das war nicht bloß Übung, in dieser Sicherheit des Blicks
und der Hand sprach sich die rasche Auffassung aus, die der ruhige, fast schwer
ans den Dingen ruhende Blick seiner hellen Angen bestätigte. Die Beweglichkeit
feines geistlichen Freundes hob sich auffallend von dieser tiefen Ruhe und Sicher¬
heit ab, die im blauen Arbeitskittel doppelt imponierte. Der Mann nahm die
etwas stark aufgetragne Patronage gleichmütig hin, ließ sich aber offenbar nicht in
seiner Arbeit dadurch stören oder gar beeinflussen.


Grenzboten I 1903 46
Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege

Das Abgerissene seiner Reden, so viel Wahres und Geistreiches sie enthalten
mochten, und mehr noch die Art, wie er dem Kriege den Rücken gewandt hatte,
gerade als daraus der Krieg des Volks geworden war, erfüllten mich mit Argwohn.
Ich hielt ihn nicht gerade für einen Feigling und Fahnenflüchtigen, aber doch für
einen von den Schwärmern, die es leicht mit großen Pflichten nehmen, wenn deren
Erfüllung nicht in ihre Pläne paßt.

Den andern Nachmittag kam der Befehl, uns am frühen Morgen des 25. in
Etalans der Bedeckung des Fuhrparks anzuschließen, der seinen Marsch nach Dole
fortsetzen werde. Unser Aufbruch war rasch vorbereitet. Wir wollten zuerst die
Nacht reiten, zogen aber den Frühmorgen vor. Den Abend nahm ich mit Dank
das Anerbieten des Geistlichen an, mich zu dem Holzschnitzer zu führe». Er wohnte
etwas abseits vom Dorf an dem Hange, der es nach Norden überragt und schirmt.
Äußerlich war das Häuschen nicht von einem gewöhnlichen französischen Bauern¬
haus kleinern Formats zu unterscheiden, sein Dach war flacher als draußen in der
Ebne, wie überall in den Gebirgsdörfchen des Jura, und seine Fenster waren
schmal und steckten tief in den dicken Mauern, die übrigens sauber verkalkt waren;
auf der einen Seite zog sich ein Gemüsegarten die leichte Anhöhe hinauf, vor der
das Häuschen stand, auf der andern war ein Stall angebaut, dessen schwärzliches
Holzwerk ein reifes Alter verriet. Als aber mein Begleiter die obere Hälfte der
Haustür zurückdrückte und von innen mit sichern? Griff aufklinkte, trat man nicht
in den üblichen Vorraum, der zugleich Küche und Aufenthalt der Familie ist,
sondern ging auf einem mit unregelmäßigen Steinplatten gepflasterten Gang
geradeaus auf eine Glastür, die ein Dämmerlicht in das Dunkel sandte. Offenbar
war gerade die Stelle des Vorraums durchgebrochen, wo sonst über dem langsam
qualmenden Feuer der immer brodelnde schwarzbernßte Kessel an schwarzer Kette
hängt. Dadurch hatte dieses Innere einen so ganz andern Charakter als das
französische Bauernhaus sonst, es erinnerte eher an die Hütte eines deutschen Dorf-
Handwerkers. Aber nun öffnete sich die Tür am Ende des Ganges, und ein Heller
Raum strömte reichliches Licht in das Dunkel. Man sah eine schräge Decke, in die
zwei Oberlichter eingesetzt waren, durch die das vom Schnee blau zurückgeworfne
Tageslicht eindrang.

Da hingen die Schnitzereien in allen Stufen der Vollendung und daneben
die Schablonen, nach denen die Grundlinien auf die Holzblöcke gezeichnet werden.
Es waren auch in den Fensterecken Holzstücke von verschiednen Formen aufgeschichtet,
denen man die Größe und die Gestalt der Figuren, die sich aus ihnen entwickeln
sollten, schon ansehen konnte. Ganz fertig schienen aber nur einige Tafeln zu sein,
die in hohem Relief Ornamente, meist Blumen und Ranken und schöngeschnittne
Blätter, trugen. Die waren im besten Lichte aufgehängt, und gerade jetzt spann
die Spätuachmittagsonne goldne und rote Fäden darum.

Joseph stand am Schnitztische, eine Christusfigur, die die Hände segnend erhob,
lag vor ihm. Er arbeitete daran mit einem seinen Messer weiter, ohne sich durch
unser Kommen viel stören zu lassen. Den Pfarrer begrüßte er mit der Ehrfurcht,
die dem Seelenhirten gebührt, an meiner Uniform haftete einen Moment sein Blick,
dann wandte er sich mit einer gewissen Geflissentlichkeit wieder der Arbeit zu.
Seine Haltung hatte das Freie, das dem Manne eigen ist, der sich mit seiner
Arbeit eins und durch sie gehoben fühlt. Mit raschem Schnitte nahm er ein
Spänchen weg und änderte dadurch den Ausdruck der werdenden Gestalt in
wunderbarer Weise. Das war nicht bloß Übung, in dieser Sicherheit des Blicks
und der Hand sprach sich die rasche Auffassung aus, die der ruhige, fast schwer
ans den Dingen ruhende Blick seiner hellen Angen bestätigte. Die Beweglichkeit
feines geistlichen Freundes hob sich auffallend von dieser tiefen Ruhe und Sicher¬
heit ab, die im blauen Arbeitskittel doppelt imponierte. Der Mann nahm die
etwas stark aufgetragne Patronage gleichmütig hin, ließ sich aber offenbar nicht in
seiner Arbeit dadurch stören oder gar beeinflussen.


Grenzboten I 1903 46
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[0349] Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege Das Abgerissene seiner Reden, so viel Wahres und Geistreiches sie enthalten mochten, und mehr noch die Art, wie er dem Kriege den Rücken gewandt hatte, gerade als daraus der Krieg des Volks geworden war, erfüllten mich mit Argwohn. Ich hielt ihn nicht gerade für einen Feigling und Fahnenflüchtigen, aber doch für einen von den Schwärmern, die es leicht mit großen Pflichten nehmen, wenn deren Erfüllung nicht in ihre Pläne paßt. Den andern Nachmittag kam der Befehl, uns am frühen Morgen des 25. in Etalans der Bedeckung des Fuhrparks anzuschließen, der seinen Marsch nach Dole fortsetzen werde. Unser Aufbruch war rasch vorbereitet. Wir wollten zuerst die Nacht reiten, zogen aber den Frühmorgen vor. Den Abend nahm ich mit Dank das Anerbieten des Geistlichen an, mich zu dem Holzschnitzer zu führe». Er wohnte etwas abseits vom Dorf an dem Hange, der es nach Norden überragt und schirmt. Äußerlich war das Häuschen nicht von einem gewöhnlichen französischen Bauern¬ haus kleinern Formats zu unterscheiden, sein Dach war flacher als draußen in der Ebne, wie überall in den Gebirgsdörfchen des Jura, und seine Fenster waren schmal und steckten tief in den dicken Mauern, die übrigens sauber verkalkt waren; auf der einen Seite zog sich ein Gemüsegarten die leichte Anhöhe hinauf, vor der das Häuschen stand, auf der andern war ein Stall angebaut, dessen schwärzliches Holzwerk ein reifes Alter verriet. Als aber mein Begleiter die obere Hälfte der Haustür zurückdrückte und von innen mit sichern? Griff aufklinkte, trat man nicht in den üblichen Vorraum, der zugleich Küche und Aufenthalt der Familie ist, sondern ging auf einem mit unregelmäßigen Steinplatten gepflasterten Gang geradeaus auf eine Glastür, die ein Dämmerlicht in das Dunkel sandte. Offenbar war gerade die Stelle des Vorraums durchgebrochen, wo sonst über dem langsam qualmenden Feuer der immer brodelnde schwarzbernßte Kessel an schwarzer Kette hängt. Dadurch hatte dieses Innere einen so ganz andern Charakter als das französische Bauernhaus sonst, es erinnerte eher an die Hütte eines deutschen Dorf- Handwerkers. Aber nun öffnete sich die Tür am Ende des Ganges, und ein Heller Raum strömte reichliches Licht in das Dunkel. Man sah eine schräge Decke, in die zwei Oberlichter eingesetzt waren, durch die das vom Schnee blau zurückgeworfne Tageslicht eindrang. Da hingen die Schnitzereien in allen Stufen der Vollendung und daneben die Schablonen, nach denen die Grundlinien auf die Holzblöcke gezeichnet werden. Es waren auch in den Fensterecken Holzstücke von verschiednen Formen aufgeschichtet, denen man die Größe und die Gestalt der Figuren, die sich aus ihnen entwickeln sollten, schon ansehen konnte. Ganz fertig schienen aber nur einige Tafeln zu sein, die in hohem Relief Ornamente, meist Blumen und Ranken und schöngeschnittne Blätter, trugen. Die waren im besten Lichte aufgehängt, und gerade jetzt spann die Spätuachmittagsonne goldne und rote Fäden darum. Joseph stand am Schnitztische, eine Christusfigur, die die Hände segnend erhob, lag vor ihm. Er arbeitete daran mit einem seinen Messer weiter, ohne sich durch unser Kommen viel stören zu lassen. Den Pfarrer begrüßte er mit der Ehrfurcht, die dem Seelenhirten gebührt, an meiner Uniform haftete einen Moment sein Blick, dann wandte er sich mit einer gewissen Geflissentlichkeit wieder der Arbeit zu. Seine Haltung hatte das Freie, das dem Manne eigen ist, der sich mit seiner Arbeit eins und durch sie gehoben fühlt. Mit raschem Schnitte nahm er ein Spänchen weg und änderte dadurch den Ausdruck der werdenden Gestalt in wunderbarer Weise. Das war nicht bloß Übung, in dieser Sicherheit des Blicks und der Hand sprach sich die rasche Auffassung aus, die der ruhige, fast schwer ans den Dingen ruhende Blick seiner hellen Angen bestätigte. Die Beweglichkeit feines geistlichen Freundes hob sich auffallend von dieser tiefen Ruhe und Sicher¬ heit ab, die im blauen Arbeitskittel doppelt imponierte. Der Mann nahm die etwas stark aufgetragne Patronage gleichmütig hin, ließ sich aber offenbar nicht in seiner Arbeit dadurch stören oder gar beeinflussen. Grenzboten I 1903 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/349>, abgerufen am 23.12.2024.