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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts

der Küste und auf den kleinen Inseln der Vogelfang, und wo sich die Eider¬
gans aufhält, bringt das Sammeln ihrer Daumen reichen Gewinn. Nicht
umsonst lockt man sie in die Nähe der menschlichen Wohnungen.

Von einer isländischen Industrie kann man eigentlich nicht reden; ja die
einst in allen Häusern betriebne Wollspinnerei ist sogar verringert worden.
Während früher die gesponnene Wolle den eignen Bedarf überstieg und in
großen Mengen ausgeführt wurde, beschränkt man sich jetzt auf die Ausfuhr
der Rohwolle, die dann in den norwegischen Fabriken verarbeitet wird und in
Gestalt von fertigen Wollwaren nach Island zurückkehrt. Dem zu begeguen
hat man neuerdings Wollspinnereien mit Fabrikbetrieb angelegt. Zu Fabrik¬
anlagen fordert überhaupt die Natur des Landes gleichsam mit lauter Stimme
heraus; rauschen und brausen doch in den Flüssen und den Wasserfällen der Insel
unermeßliche Kräfte, deren Ausnutzung der Zukunft angehört. Vorläufig hat
eine englische Gesellschaft damit den Anfang gemacht. Sie hat einige Wasser¬
fülle auf eine Reihe von Jahren gepachtet, um in deren Nähe eine Fabrik zur
Herstellung von Calciumkarbid anzulegen. Der Bergbau im Lande ist gering.
Im Osten gewinnt man etwas Doppelspat, aber die reichen Schwefelgrubeu
sind nicht mehr in Betrieb. Kohlenlager sind vor einigen Jahren entdeckt
worden, aber noch nicht auf ihre Ergiebigkeit untersucht. Auf jeden Fall
stecken anch unter der Erde noch Schätze, deren Wert man künftig er¬
kennen wird.

Der isländische Handel hat lange Zeit gänzlich danieder gelegen. Erst
als im Jahre 1854 das drückende dänische Handelsmonopol gefallen war, trat
eine Wendung zum bessern ein, mit Entschiedenheit freilich erst dann, als das
Land durch die Einführung der Verfassung in den Stand gesetzt war, seine
Interessen selbständig wahrzunehmen. So hat sich denn seit den letzten fünfzig
Jahren, wie Gudhmundson angibt, der Umsatz nahezu versechsfacht. Gegen die
Landesprodukte werden vorzugsweise Getreide und andre Eßwaren, außerdem
die Erzeugnisse der Industrie eingetauscht, und wie sehr die Kaufkraft der Be¬
völkerung in der letzten Zeit gestiegen ist, beweist die stetige Zunahme der
Einfuhr. So ist zum Beispiel im neunzehnten Jahrhundert der Import des
Zuckers um das Hundertachtzigfache gestiegen. Dabei kommt es den Jsländern
freilich zugute, daß die von ihnen ausgeführten Produkte im Preise beständig
gestiegen sind, ja noch steigen, während der Preis der eingeführten Waren ge¬
fallen ist. Überaus primitiv ist noch die Weise des Jnlandhandels. Der Aus¬
gleich zwischen Abnahme und Angebot erfolgt hier noch auf dem uralten Wege
des Warentauschs. Der Kaufmann zahlt nicht in barem Gelde, sondern in
Waren, und wenn der Landmann mehr bringt, als er entnimmt, so wird ihm
der Überschuß gutgeschrieben. So entnimmt er oft mehr, als er gerade braucht,
wird dadurch zum Luxus verleitet und verliert allen Sinn für Sparsamkeit
und die Schaffung dauernder Werte. Es fehlt hüben und drüben an barem
Gelde. Um hier Wandel zu schaffen, hat der Staat, da sich die 1885 ge¬
gründete Landesbank als unzulänglich erwiesen hat, noch ein zweites Bank¬
institut ins Leben gerufen, das unter dem Namen "Bank von Island" im
Frühling 1904 eröffnet worden ist.


Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts

der Küste und auf den kleinen Inseln der Vogelfang, und wo sich die Eider¬
gans aufhält, bringt das Sammeln ihrer Daumen reichen Gewinn. Nicht
umsonst lockt man sie in die Nähe der menschlichen Wohnungen.

Von einer isländischen Industrie kann man eigentlich nicht reden; ja die
einst in allen Häusern betriebne Wollspinnerei ist sogar verringert worden.
Während früher die gesponnene Wolle den eignen Bedarf überstieg und in
großen Mengen ausgeführt wurde, beschränkt man sich jetzt auf die Ausfuhr
der Rohwolle, die dann in den norwegischen Fabriken verarbeitet wird und in
Gestalt von fertigen Wollwaren nach Island zurückkehrt. Dem zu begeguen
hat man neuerdings Wollspinnereien mit Fabrikbetrieb angelegt. Zu Fabrik¬
anlagen fordert überhaupt die Natur des Landes gleichsam mit lauter Stimme
heraus; rauschen und brausen doch in den Flüssen und den Wasserfällen der Insel
unermeßliche Kräfte, deren Ausnutzung der Zukunft angehört. Vorläufig hat
eine englische Gesellschaft damit den Anfang gemacht. Sie hat einige Wasser¬
fülle auf eine Reihe von Jahren gepachtet, um in deren Nähe eine Fabrik zur
Herstellung von Calciumkarbid anzulegen. Der Bergbau im Lande ist gering.
Im Osten gewinnt man etwas Doppelspat, aber die reichen Schwefelgrubeu
sind nicht mehr in Betrieb. Kohlenlager sind vor einigen Jahren entdeckt
worden, aber noch nicht auf ihre Ergiebigkeit untersucht. Auf jeden Fall
stecken anch unter der Erde noch Schätze, deren Wert man künftig er¬
kennen wird.

Der isländische Handel hat lange Zeit gänzlich danieder gelegen. Erst
als im Jahre 1854 das drückende dänische Handelsmonopol gefallen war, trat
eine Wendung zum bessern ein, mit Entschiedenheit freilich erst dann, als das
Land durch die Einführung der Verfassung in den Stand gesetzt war, seine
Interessen selbständig wahrzunehmen. So hat sich denn seit den letzten fünfzig
Jahren, wie Gudhmundson angibt, der Umsatz nahezu versechsfacht. Gegen die
Landesprodukte werden vorzugsweise Getreide und andre Eßwaren, außerdem
die Erzeugnisse der Industrie eingetauscht, und wie sehr die Kaufkraft der Be¬
völkerung in der letzten Zeit gestiegen ist, beweist die stetige Zunahme der
Einfuhr. So ist zum Beispiel im neunzehnten Jahrhundert der Import des
Zuckers um das Hundertachtzigfache gestiegen. Dabei kommt es den Jsländern
freilich zugute, daß die von ihnen ausgeführten Produkte im Preise beständig
gestiegen sind, ja noch steigen, während der Preis der eingeführten Waren ge¬
fallen ist. Überaus primitiv ist noch die Weise des Jnlandhandels. Der Aus¬
gleich zwischen Abnahme und Angebot erfolgt hier noch auf dem uralten Wege
des Warentauschs. Der Kaufmann zahlt nicht in barem Gelde, sondern in
Waren, und wenn der Landmann mehr bringt, als er entnimmt, so wird ihm
der Überschuß gutgeschrieben. So entnimmt er oft mehr, als er gerade braucht,
wird dadurch zum Luxus verleitet und verliert allen Sinn für Sparsamkeit
und die Schaffung dauernder Werte. Es fehlt hüben und drüben an barem
Gelde. Um hier Wandel zu schaffen, hat der Staat, da sich die 1885 ge¬
gründete Landesbank als unzulänglich erwiesen hat, noch ein zweites Bank¬
institut ins Leben gerufen, das unter dem Namen „Bank von Island" im
Frühling 1904 eröffnet worden ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/338>, abgerufen am 23.12.2024.