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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts

in Gang. Nicht erst seit gestern fühlten sich die jungen Männer durch ihre
Lehrer aus dem Görresschen Kreise sittlich gehoben; Beispiel und Lehrvortrag
hatten auf Charakterbildung hingewirkt." Lciscmlx war eine Zeit lang der ge¬
feiertste Mann in München, aber in übler Lage, da er kein Einkommen hatte.
Das Volk stattete ein Jahr darauf seinen Dank dadurch ab, daß es ihn nebst
Sepp, Phillips und Döllinger ins Frankfurter Parlament schickte. Lasaulx war
Abgeordneter für Abensberg.

(Schluß folgt)




Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts
F. Auntze vonin Weimar
(Schluß)

esonders rege ist der Sinn des Jsländers für Poesie. Freilich
die alte Skaldendichtung ist mit dem Untergang der politischen
Freiheit und dem darauffolgenden Eintritt materieller Not in
Verfall geraten und erstarrt. Außer den alten Volksweisen und
Tanzliedern, den sogenannten vikivakar -- vikivaki heißt eigent¬
lich das Pendel --, übte man nur noch die Dichtung der sogenannten rimur,
M denen die alten Sagen- und Märchenstoffe immer wieder von neuem in
handwerksmäßiger Manier nach feststehender Schablone behandelt wurden. Mit
dem Geschmack verfiel auch die Sprache. Wie in Deutschland trat auch in
Island eine Periode der Sprachmengerei ein, nur daß der fremde Einschlag
nicht ans Frankreich, sondern aus Dänemark kam. Und wie in Deutschland
erstand auch auf Island im Verlaufe des siebzehnten Jahrhunderts eine
beachtenswerte geistliche Dichtung, als deren Hauptvertreter der Pfarrer Hall-
grimur Petursson (1614 bis 1674) angesehen wird. Aber die eigentliche
Wiedergeburt der Poesie erfolgt erst im neunzehnten Jahrhundert zugleich
"ut der schon skizzierten Erneuerung des politischen Lebens. Nun entwickelte
sich eine neue von modernen Ideen befruchtete Dichtung, die sich vorerst freilich
nur in lyrischen Stimmungsbildern äußerte, bei denen ein entschiedner Zug zu
Natur- und Landschaftsschilderungen bemerkbar ist. Als die bedeutendsten
Lyriker gelten Bjarni Thorarensen und Jonas Hallgrimson, beide gleich be¬
geistert für ihre Heimat und deren große Natur, der erste nach dem Urteil
unsers Autors tiefer und reicher an Gedanken und poetischer Kraft, der andre
w jeder Beziehung ein Meister der Form. Epische Dichtungen großen Stils
hat das junge Island nicht hervorgebracht, auch im Drama ist man nicht über
mäßige Anfänge hinausgekommen; dagegen hat die poetische Erzählung, die
Novellendichtung einen glänzenden Aufschwung genommen. Hier steht Jon
Thorvddsen (1819 bis 1868) obenan, dessen Erzählung xilwr hotta
(Knabe und Mädchen) in der Übersetzung von Poestion zuerst in Deutschland
bekannt geworden ist; eine andre größere Erzählung desselben Dichters maSlmr


Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts

in Gang. Nicht erst seit gestern fühlten sich die jungen Männer durch ihre
Lehrer aus dem Görresschen Kreise sittlich gehoben; Beispiel und Lehrvortrag
hatten auf Charakterbildung hingewirkt." Lciscmlx war eine Zeit lang der ge¬
feiertste Mann in München, aber in übler Lage, da er kein Einkommen hatte.
Das Volk stattete ein Jahr darauf seinen Dank dadurch ab, daß es ihn nebst
Sepp, Phillips und Döllinger ins Frankfurter Parlament schickte. Lasaulx war
Abgeordneter für Abensberg.

(Schluß folgt)




Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts
F. Auntze vonin Weimar
(Schluß)

esonders rege ist der Sinn des Jsländers für Poesie. Freilich
die alte Skaldendichtung ist mit dem Untergang der politischen
Freiheit und dem darauffolgenden Eintritt materieller Not in
Verfall geraten und erstarrt. Außer den alten Volksweisen und
Tanzliedern, den sogenannten vikivakar — vikivaki heißt eigent¬
lich das Pendel —, übte man nur noch die Dichtung der sogenannten rimur,
M denen die alten Sagen- und Märchenstoffe immer wieder von neuem in
handwerksmäßiger Manier nach feststehender Schablone behandelt wurden. Mit
dem Geschmack verfiel auch die Sprache. Wie in Deutschland trat auch in
Island eine Periode der Sprachmengerei ein, nur daß der fremde Einschlag
nicht ans Frankreich, sondern aus Dänemark kam. Und wie in Deutschland
erstand auch auf Island im Verlaufe des siebzehnten Jahrhunderts eine
beachtenswerte geistliche Dichtung, als deren Hauptvertreter der Pfarrer Hall-
grimur Petursson (1614 bis 1674) angesehen wird. Aber die eigentliche
Wiedergeburt der Poesie erfolgt erst im neunzehnten Jahrhundert zugleich
"ut der schon skizzierten Erneuerung des politischen Lebens. Nun entwickelte
sich eine neue von modernen Ideen befruchtete Dichtung, die sich vorerst freilich
nur in lyrischen Stimmungsbildern äußerte, bei denen ein entschiedner Zug zu
Natur- und Landschaftsschilderungen bemerkbar ist. Als die bedeutendsten
Lyriker gelten Bjarni Thorarensen und Jonas Hallgrimson, beide gleich be¬
geistert für ihre Heimat und deren große Natur, der erste nach dem Urteil
unsers Autors tiefer und reicher an Gedanken und poetischer Kraft, der andre
w jeder Beziehung ein Meister der Form. Epische Dichtungen großen Stils
hat das junge Island nicht hervorgebracht, auch im Drama ist man nicht über
mäßige Anfänge hinausgekommen; dagegen hat die poetische Erzählung, die
Novellendichtung einen glänzenden Aufschwung genommen. Hier steht Jon
Thorvddsen (1819 bis 1868) obenan, dessen Erzählung xilwr hotta
(Knabe und Mädchen) in der Übersetzung von Poestion zuerst in Deutschland
bekannt geworden ist; eine andre größere Erzählung desselben Dichters maSlmr


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[0335] Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Gang. Nicht erst seit gestern fühlten sich die jungen Männer durch ihre Lehrer aus dem Görresschen Kreise sittlich gehoben; Beispiel und Lehrvortrag hatten auf Charakterbildung hingewirkt." Lciscmlx war eine Zeit lang der ge¬ feiertste Mann in München, aber in übler Lage, da er kein Einkommen hatte. Das Volk stattete ein Jahr darauf seinen Dank dadurch ab, daß es ihn nebst Sepp, Phillips und Döllinger ins Frankfurter Parlament schickte. Lasaulx war Abgeordneter für Abensberg. (Schluß folgt) Island am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts F. Auntze vonin Weimar (Schluß) esonders rege ist der Sinn des Jsländers für Poesie. Freilich die alte Skaldendichtung ist mit dem Untergang der politischen Freiheit und dem darauffolgenden Eintritt materieller Not in Verfall geraten und erstarrt. Außer den alten Volksweisen und Tanzliedern, den sogenannten vikivakar — vikivaki heißt eigent¬ lich das Pendel —, übte man nur noch die Dichtung der sogenannten rimur, M denen die alten Sagen- und Märchenstoffe immer wieder von neuem in handwerksmäßiger Manier nach feststehender Schablone behandelt wurden. Mit dem Geschmack verfiel auch die Sprache. Wie in Deutschland trat auch in Island eine Periode der Sprachmengerei ein, nur daß der fremde Einschlag nicht ans Frankreich, sondern aus Dänemark kam. Und wie in Deutschland erstand auch auf Island im Verlaufe des siebzehnten Jahrhunderts eine beachtenswerte geistliche Dichtung, als deren Hauptvertreter der Pfarrer Hall- grimur Petursson (1614 bis 1674) angesehen wird. Aber die eigentliche Wiedergeburt der Poesie erfolgt erst im neunzehnten Jahrhundert zugleich "ut der schon skizzierten Erneuerung des politischen Lebens. Nun entwickelte sich eine neue von modernen Ideen befruchtete Dichtung, die sich vorerst freilich nur in lyrischen Stimmungsbildern äußerte, bei denen ein entschiedner Zug zu Natur- und Landschaftsschilderungen bemerkbar ist. Als die bedeutendsten Lyriker gelten Bjarni Thorarensen und Jonas Hallgrimson, beide gleich be¬ geistert für ihre Heimat und deren große Natur, der erste nach dem Urteil unsers Autors tiefer und reicher an Gedanken und poetischer Kraft, der andre w jeder Beziehung ein Meister der Form. Epische Dichtungen großen Stils hat das junge Island nicht hervorgebracht, auch im Drama ist man nicht über mäßige Anfänge hinausgekommen; dagegen hat die poetische Erzählung, die Novellendichtung einen glänzenden Aufschwung genommen. Hier steht Jon Thorvddsen (1819 bis 1868) obenan, dessen Erzählung xilwr hotta (Knabe und Mädchen) in der Übersetzung von Poestion zuerst in Deutschland bekannt geworden ist; eine andre größere Erzählung desselben Dichters maSlmr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/335>, abgerufen am 23.07.2024.