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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Deutschösterreichische Parteien

einer rücksichtslosen Presse, ohne das Hilfsmittel der Zeitungen und bloß auf
die Werbekraft seiner Reden angewiesen, streckte er dennoch seine Gegnerin,
die bis dahin allmächtige liberale Partei in Wien und Niederösterreich, in
den Sand. Unter dem Kvalitionsministerium Windischgrätz-Pierer erfocht er
1895 seinen ersten großen Erfolg, indem seine Partei die Mehrheit in der
Wiener Gemeindevertretung errang. Das Entsetzen darüber in der liberalen
Partei war groß, Lueger wurde in allen nur zugänglichen Blättern der Welt
als der wahre Gottseibeiuns geschildert, und es wurde alles daran gesetzt,
seine Bestätigung als Bürgermeister von Wien zu verhindern. Dies gelang
auch unter dem Koalitionsministerium und in der ersten Zeit des Ministeriums
Baden, der den wiederholt zum Bürgermeister gewählten Dr. Lueger nicht
bestätigte und den Wiener Gemeinderat auflöste. Aber die Ende Februar 1896
vollzognen Neuwahlen ergaben für ihn in Wien noch größere Mehrheiten,
die Widerstandsfähigkeit der Liberalen war vollkommen gebrochen, und am
18. April wurde Dr. Lueger wiederum zum Bürgermeister gewählt. Die Be¬
stätigung erfolgte zwar auch diesesmal noch nicht, aber Graf Baden ver¬
mittelte eine Audienz Luegers beim Kaiser Franz Joseph, infolge deren er
zurücktrat und einstweilen ein andrer antisemitischer Bürgermeister im Wiener
Rathaus die Geschäfte führte. Die deutschliberale Partei fühlte sich dadurch
tief verletzt, ließ sich aber doch bald beruhigen, nur die deutschliberale Presse,
die bisher den Minister "mit der eisernen Hand" ungemein sympathisch auf¬
genommen und in nationaler Beziehung noch nie einen Einwand gegen ihn
erhoben hatte, ließ mehr und mehr durchblicken, daß das Ministerium Baden
eine Gefahr für das Deutschtum sei, und die vereinigte Linke ihm nicht länger
Gefolgschaft leisten könne.

Hätte Baden, der ja sein Galizien recht gut kannte und auch besser ver¬
waltet hatte als seine Vorgänger und Nachfolger, eine Ahnung von den west¬
österreichischen Verhältnissen gehabt, so hätte er seine Sprachenverordnungen
für Böhmen und Mähren früher erlassen, schon während er die Wiener Anti¬
semiten drangsalierte. Auf deutscher und auf tschechischer Seite war man damals
sehr zum Nachgeben geneigt, und es hätte sich leicht ein Ausgleich finden
lassen, solange die Wiener Blätter dafür tätig gewesen wären. Denn bei allem
Antisemitismus und Mißtrauen gegen diese Zeitungen haben die Deutschöster¬
reicher schließlich doch immer getan, was ihnen diese einredeten. Wenn die Sprachen¬
frage für die Sudetenländer geordnet war, konnte Baden dann in der Wiener
Bürgermeisterangelegenheit immer noch entscheiden, wie er wollte, und der Zorn
der hauptstädtischen Presse wäre gegenstandlos gewesen. Denn für diese wäre
es wohl ein vernichtender Schlag gewesen, wenn zwischen Deutschen und
Tschechen der Kampf zum Stillstand gekommen wäre, aber die Herrschaft in
Wien lag ihnen näher. Früher hatte sie gegen Pfaffen, später gegen Pan-
slawismus im allgemeinen und gegen die Tschechen im besondern gehetzt. Die
Hetze hatte zum Antisemitismus geführt, gegen dessen endlichen Sieg in Wien
nur noch die Gewalt der Regierung helfen konnte. Diese zeigte sich nun nicht
willig, und so konnte man sie nicht brauchen. Es wurde darum dafür gesorgt,
daß es über Böhmen zu keiner Verständigung kam. Nur noch durch die


Grenzboten I 1905 42
Deutschösterreichische Parteien

einer rücksichtslosen Presse, ohne das Hilfsmittel der Zeitungen und bloß auf
die Werbekraft seiner Reden angewiesen, streckte er dennoch seine Gegnerin,
die bis dahin allmächtige liberale Partei in Wien und Niederösterreich, in
den Sand. Unter dem Kvalitionsministerium Windischgrätz-Pierer erfocht er
1895 seinen ersten großen Erfolg, indem seine Partei die Mehrheit in der
Wiener Gemeindevertretung errang. Das Entsetzen darüber in der liberalen
Partei war groß, Lueger wurde in allen nur zugänglichen Blättern der Welt
als der wahre Gottseibeiuns geschildert, und es wurde alles daran gesetzt,
seine Bestätigung als Bürgermeister von Wien zu verhindern. Dies gelang
auch unter dem Koalitionsministerium und in der ersten Zeit des Ministeriums
Baden, der den wiederholt zum Bürgermeister gewählten Dr. Lueger nicht
bestätigte und den Wiener Gemeinderat auflöste. Aber die Ende Februar 1896
vollzognen Neuwahlen ergaben für ihn in Wien noch größere Mehrheiten,
die Widerstandsfähigkeit der Liberalen war vollkommen gebrochen, und am
18. April wurde Dr. Lueger wiederum zum Bürgermeister gewählt. Die Be¬
stätigung erfolgte zwar auch diesesmal noch nicht, aber Graf Baden ver¬
mittelte eine Audienz Luegers beim Kaiser Franz Joseph, infolge deren er
zurücktrat und einstweilen ein andrer antisemitischer Bürgermeister im Wiener
Rathaus die Geschäfte führte. Die deutschliberale Partei fühlte sich dadurch
tief verletzt, ließ sich aber doch bald beruhigen, nur die deutschliberale Presse,
die bisher den Minister „mit der eisernen Hand" ungemein sympathisch auf¬
genommen und in nationaler Beziehung noch nie einen Einwand gegen ihn
erhoben hatte, ließ mehr und mehr durchblicken, daß das Ministerium Baden
eine Gefahr für das Deutschtum sei, und die vereinigte Linke ihm nicht länger
Gefolgschaft leisten könne.

Hätte Baden, der ja sein Galizien recht gut kannte und auch besser ver¬
waltet hatte als seine Vorgänger und Nachfolger, eine Ahnung von den west¬
österreichischen Verhältnissen gehabt, so hätte er seine Sprachenverordnungen
für Böhmen und Mähren früher erlassen, schon während er die Wiener Anti¬
semiten drangsalierte. Auf deutscher und auf tschechischer Seite war man damals
sehr zum Nachgeben geneigt, und es hätte sich leicht ein Ausgleich finden
lassen, solange die Wiener Blätter dafür tätig gewesen wären. Denn bei allem
Antisemitismus und Mißtrauen gegen diese Zeitungen haben die Deutschöster¬
reicher schließlich doch immer getan, was ihnen diese einredeten. Wenn die Sprachen¬
frage für die Sudetenländer geordnet war, konnte Baden dann in der Wiener
Bürgermeisterangelegenheit immer noch entscheiden, wie er wollte, und der Zorn
der hauptstädtischen Presse wäre gegenstandlos gewesen. Denn für diese wäre
es wohl ein vernichtender Schlag gewesen, wenn zwischen Deutschen und
Tschechen der Kampf zum Stillstand gekommen wäre, aber die Herrschaft in
Wien lag ihnen näher. Früher hatte sie gegen Pfaffen, später gegen Pan-
slawismus im allgemeinen und gegen die Tschechen im besondern gehetzt. Die
Hetze hatte zum Antisemitismus geführt, gegen dessen endlichen Sieg in Wien
nur noch die Gewalt der Regierung helfen konnte. Diese zeigte sich nun nicht
willig, und so konnte man sie nicht brauchen. Es wurde darum dafür gesorgt,
daß es über Böhmen zu keiner Verständigung kam. Nur noch durch die


Grenzboten I 1905 42
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[0317] Deutschösterreichische Parteien einer rücksichtslosen Presse, ohne das Hilfsmittel der Zeitungen und bloß auf die Werbekraft seiner Reden angewiesen, streckte er dennoch seine Gegnerin, die bis dahin allmächtige liberale Partei in Wien und Niederösterreich, in den Sand. Unter dem Kvalitionsministerium Windischgrätz-Pierer erfocht er 1895 seinen ersten großen Erfolg, indem seine Partei die Mehrheit in der Wiener Gemeindevertretung errang. Das Entsetzen darüber in der liberalen Partei war groß, Lueger wurde in allen nur zugänglichen Blättern der Welt als der wahre Gottseibeiuns geschildert, und es wurde alles daran gesetzt, seine Bestätigung als Bürgermeister von Wien zu verhindern. Dies gelang auch unter dem Koalitionsministerium und in der ersten Zeit des Ministeriums Baden, der den wiederholt zum Bürgermeister gewählten Dr. Lueger nicht bestätigte und den Wiener Gemeinderat auflöste. Aber die Ende Februar 1896 vollzognen Neuwahlen ergaben für ihn in Wien noch größere Mehrheiten, die Widerstandsfähigkeit der Liberalen war vollkommen gebrochen, und am 18. April wurde Dr. Lueger wiederum zum Bürgermeister gewählt. Die Be¬ stätigung erfolgte zwar auch diesesmal noch nicht, aber Graf Baden ver¬ mittelte eine Audienz Luegers beim Kaiser Franz Joseph, infolge deren er zurücktrat und einstweilen ein andrer antisemitischer Bürgermeister im Wiener Rathaus die Geschäfte führte. Die deutschliberale Partei fühlte sich dadurch tief verletzt, ließ sich aber doch bald beruhigen, nur die deutschliberale Presse, die bisher den Minister „mit der eisernen Hand" ungemein sympathisch auf¬ genommen und in nationaler Beziehung noch nie einen Einwand gegen ihn erhoben hatte, ließ mehr und mehr durchblicken, daß das Ministerium Baden eine Gefahr für das Deutschtum sei, und die vereinigte Linke ihm nicht länger Gefolgschaft leisten könne. Hätte Baden, der ja sein Galizien recht gut kannte und auch besser ver¬ waltet hatte als seine Vorgänger und Nachfolger, eine Ahnung von den west¬ österreichischen Verhältnissen gehabt, so hätte er seine Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren früher erlassen, schon während er die Wiener Anti¬ semiten drangsalierte. Auf deutscher und auf tschechischer Seite war man damals sehr zum Nachgeben geneigt, und es hätte sich leicht ein Ausgleich finden lassen, solange die Wiener Blätter dafür tätig gewesen wären. Denn bei allem Antisemitismus und Mißtrauen gegen diese Zeitungen haben die Deutschöster¬ reicher schließlich doch immer getan, was ihnen diese einredeten. Wenn die Sprachen¬ frage für die Sudetenländer geordnet war, konnte Baden dann in der Wiener Bürgermeisterangelegenheit immer noch entscheiden, wie er wollte, und der Zorn der hauptstädtischen Presse wäre gegenstandlos gewesen. Denn für diese wäre es wohl ein vernichtender Schlag gewesen, wenn zwischen Deutschen und Tschechen der Kampf zum Stillstand gekommen wäre, aber die Herrschaft in Wien lag ihnen näher. Früher hatte sie gegen Pfaffen, später gegen Pan- slawismus im allgemeinen und gegen die Tschechen im besondern gehetzt. Die Hetze hatte zum Antisemitismus geführt, gegen dessen endlichen Sieg in Wien nur noch die Gewalt der Regierung helfen konnte. Diese zeigte sich nun nicht willig, und so konnte man sie nicht brauchen. Es wurde darum dafür gesorgt, daß es über Böhmen zu keiner Verständigung kam. Nur noch durch die Grenzboten I 1905 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/317>, abgerufen am 23.12.2024.