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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

und geleitet würde, aber von wem? Von den Nihilisten nicht, die würden Bomben
werfen, auch von den Juden nicht, die der neue Generalgouvemeur von Petersburg,
Trepow, aus einem nur zu klaren Motiv dafür verantwortlich machen möchte, noch
weniger von den bösen Japanern, wie ein amtliches Blatt mit erschreckender Naivität
zu behaupten sich nicht schämte. Die richtige Antwort gibt eine Proklamation der
russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die uns durch einen Zufall in die
Hände gekommen ist. Ein merkwürdiges Aktenstück, nicht etwa ein Erzeugnis des
blutigen 22. Januar -- dann würde der Ton ganz anders sein --, sondern eine
Vorbereitung für die geplante Demonstration. Nach einer scharfen, wohl nicht ganz
gerechten Kritik des Fürsten Swjatopolk-Mirskij folgt eine Verurteilung des ost¬
asiatischen Krieges und der russischen Kriegführung, die u. a. bitter bemerkt: "Wir
wissen jetzt, daß unsre Soldaten schlecht gekleidet und beschuht sind, daß man sie
schlecht nährt, daß die Verwundeten ohne Hilfe gelassen werden, weil im Roten
Kreuz unglaublich gestohlen wird," und dann fortfährt: "Niemand glaubt mehr an
einen Erfolg, überall sieht die Regierung finstere und erbitterte Gesichter, überall
hört sie schwere Seufzer und Flüche; schon ertönt hier und dort der alte Ruf:
"Weg mit der absoluten Monarchie." Auch die gebildete Gesellschaft, die in den
Semstwa und den Dumas (Stadträte) zu Worte kommt, wünscht eine Beschränkung
der kaiserlichen Autokratie, weil auch sie unter dem Polizeidruck und dem Kriege
leidet, aber sie denkt dabei nur an ihre Privilegien, sie kann die allgemeinen
Volksinteressen nicht vertreten, sie ist zu ängstlich und unfähig zu entschlossenem
Kampfe; "sie wird lange verhandeln, um endlich ihr Vertrauen für den Preis zu
verkaufen, den die Regierung ihr vorschlagen wird." Die Studenten, die zum
Teil zu ihr gehören, haben sich allerdings für eine Verfassung ausgesprochen,
"aber ihre Stimme ist viel zu schwach, sie wird die Regierung nicht erschrecken,
wird die Partei der "Gesellschaft", die jetzt mit Swjatopolk-Mirskij verhandelt,
keine besondre Kühnheit verleihen, wird nicht in die Masse des Volkes eindringen."
Endlich wendet sich demnach die Proklamation an die Kameraden von der Arbeiter¬
schaft. "Die Gebildeten sind nicht gewöhnt, ihre Brust den Kugeln der Soldaten
preiszugeben. Dafür ist eure Brust nötig und eure Hände, Kameraden! In
der ganzen Zeit der Regierung Nikolaus des Zweiten hatten allein die Arbeiter
den Mut, sich entschlossen gegen die Regierung aufzulehnen. Diese ist bereit,
der Bourgeoisie (russisch bursbnÄsi^) Zugeständnisse zu machen, weil sie sehr gut
weiß, daß sie unsre schwere Lage nicht ändern kann, bevor sie nicht aufhört, das
Blut des Volkes auszusaugen. Darum mußte sie sich mit allen Kräften die bürger¬
liche Gesellschaft auf ihre Seite ziehn, damit sie dann, sobald sich aus unsrer
Mitte die Stimme des Protestes erhebt, mit einer Salve antworten kann." Jetzt
ist der Augenblick, wo wir einen entschlossenen Sturm wagen müssen. Unser Er¬
scheinen auf der politischen Arena entscheidet die Sache, es wird der Regierung
den letzten Schlag versetzen, wird den Unzufriednen Mut verleihen, wird sie ver¬
eint in den Kampf treiben. Die Regierung schwankt, und wir müssen das be¬
nützen. Land müssen wir unsre Forderungen verkündigen, vor allem unsre poli¬
tischen Forderungen. Wir müssen eine konstitutionelle Verfassung fordern zur
radikalen Umwandlung unsers Kaiserreichs, Behörden, die sich aus Führern des
Volkes zusammensetzen, die frei gewählt werden durch allgemeine, geheime Ab¬
stimmung. Dann wird uns ein großer Teil der Bourgeoisie unterstützen, und die
Regierung wird einer offnen Auflehnung gegenüber nicht standhalten und auf
Zugeständnisse eingehn."

Dreierlei ergibt sich aus diesem Manifest, so vag die positiven politischen
Forderungen uoch sind. Erstens, die gegenwärtige Massenbewegung wird von
der sozialdemokratischen Arbeiterpartei einheitlich organisiert und geleitet. Zweitens,
sie erstrebt nicht etwa die sozialistische Republik oder irgendwelche andre Utopie, sie
steht vielmehr auf nationalrussischem und monarchischen Boden, und sie will vor
allem eine volkstümliche Verfassung. Drittens, sie hofft diese gemeinsam mit der


Maßgebliches und Unmaßgebliches

und geleitet würde, aber von wem? Von den Nihilisten nicht, die würden Bomben
werfen, auch von den Juden nicht, die der neue Generalgouvemeur von Petersburg,
Trepow, aus einem nur zu klaren Motiv dafür verantwortlich machen möchte, noch
weniger von den bösen Japanern, wie ein amtliches Blatt mit erschreckender Naivität
zu behaupten sich nicht schämte. Die richtige Antwort gibt eine Proklamation der
russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die uns durch einen Zufall in die
Hände gekommen ist. Ein merkwürdiges Aktenstück, nicht etwa ein Erzeugnis des
blutigen 22. Januar — dann würde der Ton ganz anders sein —, sondern eine
Vorbereitung für die geplante Demonstration. Nach einer scharfen, wohl nicht ganz
gerechten Kritik des Fürsten Swjatopolk-Mirskij folgt eine Verurteilung des ost¬
asiatischen Krieges und der russischen Kriegführung, die u. a. bitter bemerkt: „Wir
wissen jetzt, daß unsre Soldaten schlecht gekleidet und beschuht sind, daß man sie
schlecht nährt, daß die Verwundeten ohne Hilfe gelassen werden, weil im Roten
Kreuz unglaublich gestohlen wird," und dann fortfährt: „Niemand glaubt mehr an
einen Erfolg, überall sieht die Regierung finstere und erbitterte Gesichter, überall
hört sie schwere Seufzer und Flüche; schon ertönt hier und dort der alte Ruf:
»Weg mit der absoluten Monarchie.« Auch die gebildete Gesellschaft, die in den
Semstwa und den Dumas (Stadträte) zu Worte kommt, wünscht eine Beschränkung
der kaiserlichen Autokratie, weil auch sie unter dem Polizeidruck und dem Kriege
leidet, aber sie denkt dabei nur an ihre Privilegien, sie kann die allgemeinen
Volksinteressen nicht vertreten, sie ist zu ängstlich und unfähig zu entschlossenem
Kampfe; »sie wird lange verhandeln, um endlich ihr Vertrauen für den Preis zu
verkaufen, den die Regierung ihr vorschlagen wird.« Die Studenten, die zum
Teil zu ihr gehören, haben sich allerdings für eine Verfassung ausgesprochen,
»aber ihre Stimme ist viel zu schwach, sie wird die Regierung nicht erschrecken,
wird die Partei der »Gesellschaft«, die jetzt mit Swjatopolk-Mirskij verhandelt,
keine besondre Kühnheit verleihen, wird nicht in die Masse des Volkes eindringen.«
Endlich wendet sich demnach die Proklamation an die Kameraden von der Arbeiter¬
schaft. »Die Gebildeten sind nicht gewöhnt, ihre Brust den Kugeln der Soldaten
preiszugeben. Dafür ist eure Brust nötig und eure Hände, Kameraden! In
der ganzen Zeit der Regierung Nikolaus des Zweiten hatten allein die Arbeiter
den Mut, sich entschlossen gegen die Regierung aufzulehnen. Diese ist bereit,
der Bourgeoisie (russisch bursbnÄsi^) Zugeständnisse zu machen, weil sie sehr gut
weiß, daß sie unsre schwere Lage nicht ändern kann, bevor sie nicht aufhört, das
Blut des Volkes auszusaugen. Darum mußte sie sich mit allen Kräften die bürger¬
liche Gesellschaft auf ihre Seite ziehn, damit sie dann, sobald sich aus unsrer
Mitte die Stimme des Protestes erhebt, mit einer Salve antworten kann.« Jetzt
ist der Augenblick, wo wir einen entschlossenen Sturm wagen müssen. Unser Er¬
scheinen auf der politischen Arena entscheidet die Sache, es wird der Regierung
den letzten Schlag versetzen, wird den Unzufriednen Mut verleihen, wird sie ver¬
eint in den Kampf treiben. Die Regierung schwankt, und wir müssen das be¬
nützen. Land müssen wir unsre Forderungen verkündigen, vor allem unsre poli¬
tischen Forderungen. Wir müssen eine konstitutionelle Verfassung fordern zur
radikalen Umwandlung unsers Kaiserreichs, Behörden, die sich aus Führern des
Volkes zusammensetzen, die frei gewählt werden durch allgemeine, geheime Ab¬
stimmung. Dann wird uns ein großer Teil der Bourgeoisie unterstützen, und die
Regierung wird einer offnen Auflehnung gegenüber nicht standhalten und auf
Zugeständnisse eingehn."

Dreierlei ergibt sich aus diesem Manifest, so vag die positiven politischen
Forderungen uoch sind. Erstens, die gegenwärtige Massenbewegung wird von
der sozialdemokratischen Arbeiterpartei einheitlich organisiert und geleitet. Zweitens,
sie erstrebt nicht etwa die sozialistische Republik oder irgendwelche andre Utopie, sie
steht vielmehr auf nationalrussischem und monarchischen Boden, und sie will vor
allem eine volkstümliche Verfassung. Drittens, sie hofft diese gemeinsam mit der


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[0307] Maßgebliches und Unmaßgebliches und geleitet würde, aber von wem? Von den Nihilisten nicht, die würden Bomben werfen, auch von den Juden nicht, die der neue Generalgouvemeur von Petersburg, Trepow, aus einem nur zu klaren Motiv dafür verantwortlich machen möchte, noch weniger von den bösen Japanern, wie ein amtliches Blatt mit erschreckender Naivität zu behaupten sich nicht schämte. Die richtige Antwort gibt eine Proklamation der russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die uns durch einen Zufall in die Hände gekommen ist. Ein merkwürdiges Aktenstück, nicht etwa ein Erzeugnis des blutigen 22. Januar — dann würde der Ton ganz anders sein —, sondern eine Vorbereitung für die geplante Demonstration. Nach einer scharfen, wohl nicht ganz gerechten Kritik des Fürsten Swjatopolk-Mirskij folgt eine Verurteilung des ost¬ asiatischen Krieges und der russischen Kriegführung, die u. a. bitter bemerkt: „Wir wissen jetzt, daß unsre Soldaten schlecht gekleidet und beschuht sind, daß man sie schlecht nährt, daß die Verwundeten ohne Hilfe gelassen werden, weil im Roten Kreuz unglaublich gestohlen wird," und dann fortfährt: „Niemand glaubt mehr an einen Erfolg, überall sieht die Regierung finstere und erbitterte Gesichter, überall hört sie schwere Seufzer und Flüche; schon ertönt hier und dort der alte Ruf: »Weg mit der absoluten Monarchie.« Auch die gebildete Gesellschaft, die in den Semstwa und den Dumas (Stadträte) zu Worte kommt, wünscht eine Beschränkung der kaiserlichen Autokratie, weil auch sie unter dem Polizeidruck und dem Kriege leidet, aber sie denkt dabei nur an ihre Privilegien, sie kann die allgemeinen Volksinteressen nicht vertreten, sie ist zu ängstlich und unfähig zu entschlossenem Kampfe; »sie wird lange verhandeln, um endlich ihr Vertrauen für den Preis zu verkaufen, den die Regierung ihr vorschlagen wird.« Die Studenten, die zum Teil zu ihr gehören, haben sich allerdings für eine Verfassung ausgesprochen, »aber ihre Stimme ist viel zu schwach, sie wird die Regierung nicht erschrecken, wird die Partei der »Gesellschaft«, die jetzt mit Swjatopolk-Mirskij verhandelt, keine besondre Kühnheit verleihen, wird nicht in die Masse des Volkes eindringen.« Endlich wendet sich demnach die Proklamation an die Kameraden von der Arbeiter¬ schaft. »Die Gebildeten sind nicht gewöhnt, ihre Brust den Kugeln der Soldaten preiszugeben. Dafür ist eure Brust nötig und eure Hände, Kameraden! In der ganzen Zeit der Regierung Nikolaus des Zweiten hatten allein die Arbeiter den Mut, sich entschlossen gegen die Regierung aufzulehnen. Diese ist bereit, der Bourgeoisie (russisch bursbnÄsi^) Zugeständnisse zu machen, weil sie sehr gut weiß, daß sie unsre schwere Lage nicht ändern kann, bevor sie nicht aufhört, das Blut des Volkes auszusaugen. Darum mußte sie sich mit allen Kräften die bürger¬ liche Gesellschaft auf ihre Seite ziehn, damit sie dann, sobald sich aus unsrer Mitte die Stimme des Protestes erhebt, mit einer Salve antworten kann.« Jetzt ist der Augenblick, wo wir einen entschlossenen Sturm wagen müssen. Unser Er¬ scheinen auf der politischen Arena entscheidet die Sache, es wird der Regierung den letzten Schlag versetzen, wird den Unzufriednen Mut verleihen, wird sie ver¬ eint in den Kampf treiben. Die Regierung schwankt, und wir müssen das be¬ nützen. Land müssen wir unsre Forderungen verkündigen, vor allem unsre poli¬ tischen Forderungen. Wir müssen eine konstitutionelle Verfassung fordern zur radikalen Umwandlung unsers Kaiserreichs, Behörden, die sich aus Führern des Volkes zusammensetzen, die frei gewählt werden durch allgemeine, geheime Ab¬ stimmung. Dann wird uns ein großer Teil der Bourgeoisie unterstützen, und die Regierung wird einer offnen Auflehnung gegenüber nicht standhalten und auf Zugeständnisse eingehn." Dreierlei ergibt sich aus diesem Manifest, so vag die positiven politischen Forderungen uoch sind. Erstens, die gegenwärtige Massenbewegung wird von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei einheitlich organisiert und geleitet. Zweitens, sie erstrebt nicht etwa die sozialistische Republik oder irgendwelche andre Utopie, sie steht vielmehr auf nationalrussischem und monarchischen Boden, und sie will vor allem eine volkstümliche Verfassung. Drittens, sie hofft diese gemeinsam mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/307>, abgerufen am 23.07.2024.