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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

gearbeitet hatten. Diese blassen gebückten Gestalten mit dem weichen Blick waren
kein Material für Franktireurs. Auch der Geistliche flößte Vertrauen ein, er er¬
innerte in seinem ruhigen Sprechen an die besonnenen, zuverlässigen Halbdeutschen,
die wir aus der Gegend von Belfort kannten. Ich richtete an ihn die Frage, ob
wir unsre Pferde irgendwo einstellen könnten, ich sähe kein Wirtshaus, bezahlte
aber gern das Futter. Am nötigsten sei ein warmer Stall und eine Abreibung
mit trocknem Wolltuch. Ob ich beides bei einem Pferdebesitzer im Dorfe fände.

Pferdebauern gibt es hier keine. Doch ist in meinem Hause ein geräumiger
Stall, den gegenwärtig nur drei Kühe bewohnen, und der Bauer, der den Kirchen-
garten pflegt, wird das andre besorgen. Seine Haushälterin werde uns hoffentlich
etwas Warmes anbieten können.

Wir machten uns auf den Weg. Die Umstehenden blieben auf einen mahnenden
Blick des Geistlichen zurück, offenbar hatte er sie gut in der Hand. Ein Knabe
ging mit uns, zeigte den Stall, wo wir das Nötigste fanden und die Pferde be¬
sorgten. Heu war im Überfluß da. Das Pferd meines Kameraden verschmähte
das Futter, hatte schon den Morgen am rechten Hinterbein gelähmt, es war ein
französisches Beutepferd von Langres, ein schöner Falbe, aber für solche Strapazen
wohl etwas zu fein. Mit Mühe brachten wir die Ingredienzen eines Trankes
zusammen, der seine Nerven aufrütteln sollte. Als es trocken gerieben war, fing
es an, den Kopf höher zu heben, und seine Augen blickten klarer.

Während mein Kamerad bei den Pferden blieb, suchte ich das Haus des Geistliche"
auf. Es sah von anßen bäurisch aus mit seinen niedrigen Fenstern, die nicht einmal in
einer Reihe lagen und jedenfalls ganz gleichgiltig und unbedeutend dreinschauten.
Trat man hinein, so war der erste Eindruck womöglich noch ungünstiger, denn die
steinplattenbelegten Gänge und die schmalen steinernen Treppen wurden vou dicke"
Mauern erdrückt, und es fehlten so ganz, wie in den meisten katholischen Pfarr¬
häusern, die erwärmenden Zeugnisse menschlicher Tätigkeit. Man fühlte sich wie in
einem Kloster, das eben von seinen Insassen verlassen worden war. Stein und
Kalk, ein paar schwere stumme Türen, und sonst nichts. Es regte sich kein Wesen.
Wir stiegen in das erste Stockwerk hinauf, da war es schon Heller. Und nun
öffnete sich die Tür zu dem Studierzimmer des Geistlichen, "zugleich mein Kunst¬
zimmer," fügte er hinzu, da flutete mir das Wintermittagslicht entgegen, als flösse
von den weit ausgebreiteten Goldflügeln der Lichtengel einer Verkündigung herab,
die in der Fensternische standen. Das Haus war an den äußersten Rand des
Talabfalles gebaut, und so schaute seine Rückseite hinab zu dem grünen Faden des
Flüßchens und hinaus in die Höhe des jenseitigen Talrandes, und gerade dieses
Zimmer empfing von drei Seiten volles Licht. Es war eine sonderbar großartige
gegensatzreiche Lage zwischen dem Dörfchen auf der einen und dem Blick in die
Welt und den Himmel auf der andern Seite. Mein Begleiter erklärte mir, daß
das Haus in die Reste einer Burg hereingebaut sei, die hier als Warte an der Stelle
gestanden hatte, wo man den weitesten Blick talauf und talab gewinnt. Deshalb
vorn Bauernhaus und hinten eine Ritterburg mit alten tief hinabfallendeu Mauern.
Wer weiß, ob nicht die ersten Fundamente keltische sind? In dieser Gegend ist
es mehr als wahrscheinlich, wir sind nicht allzuweit von Bibracte und dem Gau
der Häduer, die sich den Römern zuletzt gebeugt haben; hier stand vielleicht eine
der Burgen, in denen keltische Edelleute, Anhänger des Julius Sacrovir, noch zu
des Tiberius Zeit die Unabhängigkeit Galliens verteidigten. Vielleicht ragen diese
festen Grundmauern noch weiter zurück, sagte er, indem er eenen Schrank aufschloß,
in dem glänzende Bronzespeer- und Beilklingen, sogenannte Kette, lagen. Solche
"lec Reste findet man hier nicht selten. Doch mag nun in der Tiefe ruhig liegen
bleiben, was noch unberührt unten liegt; wie haben keine Mittel, danach zu graben,
und wenn wir sie hätten, möchten wir es nicht. Meine Bauern und ich sind
darin ganz derselben Ansicht. Das Leben des Tages gibt uns Aufgaben gering
und braucht uns ganz, setzte er mit merklicher Absichtlichkeit hinzu.


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

gearbeitet hatten. Diese blassen gebückten Gestalten mit dem weichen Blick waren
kein Material für Franktireurs. Auch der Geistliche flößte Vertrauen ein, er er¬
innerte in seinem ruhigen Sprechen an die besonnenen, zuverlässigen Halbdeutschen,
die wir aus der Gegend von Belfort kannten. Ich richtete an ihn die Frage, ob
wir unsre Pferde irgendwo einstellen könnten, ich sähe kein Wirtshaus, bezahlte
aber gern das Futter. Am nötigsten sei ein warmer Stall und eine Abreibung
mit trocknem Wolltuch. Ob ich beides bei einem Pferdebesitzer im Dorfe fände.

Pferdebauern gibt es hier keine. Doch ist in meinem Hause ein geräumiger
Stall, den gegenwärtig nur drei Kühe bewohnen, und der Bauer, der den Kirchen-
garten pflegt, wird das andre besorgen. Seine Haushälterin werde uns hoffentlich
etwas Warmes anbieten können.

Wir machten uns auf den Weg. Die Umstehenden blieben auf einen mahnenden
Blick des Geistlichen zurück, offenbar hatte er sie gut in der Hand. Ein Knabe
ging mit uns, zeigte den Stall, wo wir das Nötigste fanden und die Pferde be¬
sorgten. Heu war im Überfluß da. Das Pferd meines Kameraden verschmähte
das Futter, hatte schon den Morgen am rechten Hinterbein gelähmt, es war ein
französisches Beutepferd von Langres, ein schöner Falbe, aber für solche Strapazen
wohl etwas zu fein. Mit Mühe brachten wir die Ingredienzen eines Trankes
zusammen, der seine Nerven aufrütteln sollte. Als es trocken gerieben war, fing
es an, den Kopf höher zu heben, und seine Augen blickten klarer.

Während mein Kamerad bei den Pferden blieb, suchte ich das Haus des Geistliche«
auf. Es sah von anßen bäurisch aus mit seinen niedrigen Fenstern, die nicht einmal in
einer Reihe lagen und jedenfalls ganz gleichgiltig und unbedeutend dreinschauten.
Trat man hinein, so war der erste Eindruck womöglich noch ungünstiger, denn die
steinplattenbelegten Gänge und die schmalen steinernen Treppen wurden vou dicke»
Mauern erdrückt, und es fehlten so ganz, wie in den meisten katholischen Pfarr¬
häusern, die erwärmenden Zeugnisse menschlicher Tätigkeit. Man fühlte sich wie in
einem Kloster, das eben von seinen Insassen verlassen worden war. Stein und
Kalk, ein paar schwere stumme Türen, und sonst nichts. Es regte sich kein Wesen.
Wir stiegen in das erste Stockwerk hinauf, da war es schon Heller. Und nun
öffnete sich die Tür zu dem Studierzimmer des Geistlichen, „zugleich mein Kunst¬
zimmer," fügte er hinzu, da flutete mir das Wintermittagslicht entgegen, als flösse
von den weit ausgebreiteten Goldflügeln der Lichtengel einer Verkündigung herab,
die in der Fensternische standen. Das Haus war an den äußersten Rand des
Talabfalles gebaut, und so schaute seine Rückseite hinab zu dem grünen Faden des
Flüßchens und hinaus in die Höhe des jenseitigen Talrandes, und gerade dieses
Zimmer empfing von drei Seiten volles Licht. Es war eine sonderbar großartige
gegensatzreiche Lage zwischen dem Dörfchen auf der einen und dem Blick in die
Welt und den Himmel auf der andern Seite. Mein Begleiter erklärte mir, daß
das Haus in die Reste einer Burg hereingebaut sei, die hier als Warte an der Stelle
gestanden hatte, wo man den weitesten Blick talauf und talab gewinnt. Deshalb
vorn Bauernhaus und hinten eine Ritterburg mit alten tief hinabfallendeu Mauern.
Wer weiß, ob nicht die ersten Fundamente keltische sind? In dieser Gegend ist
es mehr als wahrscheinlich, wir sind nicht allzuweit von Bibracte und dem Gau
der Häduer, die sich den Römern zuletzt gebeugt haben; hier stand vielleicht eine
der Burgen, in denen keltische Edelleute, Anhänger des Julius Sacrovir, noch zu
des Tiberius Zeit die Unabhängigkeit Galliens verteidigten. Vielleicht ragen diese
festen Grundmauern noch weiter zurück, sagte er, indem er eenen Schrank aufschloß,
in dem glänzende Bronzespeer- und Beilklingen, sogenannte Kette, lagen. Solche
"lec Reste findet man hier nicht selten. Doch mag nun in der Tiefe ruhig liegen
bleiben, was noch unberührt unten liegt; wie haben keine Mittel, danach zu graben,
und wenn wir sie hätten, möchten wir es nicht. Meine Bauern und ich sind
darin ganz derselben Ansicht. Das Leben des Tages gibt uns Aufgaben gering
und braucht uns ganz, setzte er mit merklicher Absichtlichkeit hinzu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/293>, abgerufen am 03.07.2024.