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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

ab. Die Patrouille wurde geteilt; zu einer bestimmten Stunde des Nachmittags
sollten sich die beiden Abteilungen in V. zusammenfinden, wo, wenn die Verhält¬
nisse günstig waren, ein Relais für die Verbindung mit Lure gelegt werden sollte.
Der Haupttrupp ritt auf dem Vizinalstrcißchen weiter, wo noch immer ein paar
Sparen von Holzschuhträgeru zu sehen waren. Ich ging mit einem Manne rechts
ab, um auf spurlosem Feldweg eine Hcinsergruppe zu erreichen, die nach der An¬
gabe auf dem letzten Chansseestein sechs Kilometer entfernt war. Das Gelände stieg
merklich an, und der Schnee wurde tiefer, schon war es geboten, Mutter zu um¬
reiten, in die er hineingeweht war. Wir hielten auf einer Lücke in dem Wald¬
rande, der sich dunkel und Schnee- oder reifbestäubt vor uns hinzog. Es stand dort
weit sichtbar ein steinernes Kruzifix. Als wir den Wald erreicht hatten, stießen
wir auf das erste Hindernis.

Gefällte Tannen lagen über den Weg! unsre verspätete Christbaumbescherung!
Wir brachen von ihren duftenden Zweigen ab und lauten die Nadeln, um den
Durst zu vergesse", der sich allmählich einstellte. Die törichten Menschen hatten ihre
schönsten Bäume dahin geworfen. Nicht einmal ein Hindernis für eine Kompagnie
hatten sie damit geschaffen. Uns machte es freilich einige Mühe, die Pferde um
die Barrikade herumzuführen, Jnfanteristen wären darüber weg voltigiert. Die
Hauptsache war, daß der Weg in der angenommnen Richtung weiterführte, wir
wünschten dringend, bald am Ziel zu sein, denn es begann zu dämmern, und das
Gelände zeigte Einschnitte, die nicht unbedenklich aussahen. Wir kannten die Eigen¬
tümlichkeit des Jura damals noch nicht, daß die mildesten Hügelketten von steilen
Schluchten und tiefe" Kesseln durchschnitten werden, deren Dasein keine Furche, kein
Einschnitt in den Umrißlinien verrät. Sie mußten sorgsam umgangen werden.
Einzelne waren so tief verweht, daß die Pferde leicht bis über den Bauch ver¬
sinken konnten. Die Zeit verging im Suchen sicherer Umwege und Übergänge.
Die Sonne sank früh hinter den Bergen hinab, und im Schatten wurde die Abend¬
luft schneidend. Den Wegweiser, der an einer Abzweigung an einem schluchten¬
artigen Hohlweg stand, beschatteten hohe Bäume. Es half nichts, ihn zu erklettern
und zu versuchen, mit dem Streichholz seine Inschrift zu entziffern, sie war zer¬
schnitten bis zur Unleserlichkeit.

Ich will nicht lang erzählen, wie wir beim Licht des Schnees auf unfern
Spuren zurückgingen und bei rasch hereinbrechender Nacht uns in dem Gewirr
von Schluchten und Gruben, durch die wir uns gewunden hatten, verirrten und
endlich die Unmöglichkeit erkannten, uus in irgendeiner Richtung herauszufinden.
Auf einer freiem Stelle, wo kürzlich Holzfäller gearbeitet haben mußten, kratzten
wir den Schnee vom Boden, legten Holzscheite und Gezweige zu einem Windschutz
zusammen, hinter dem bald ein Feuer loderte. Eine tüchtige Abreibung und ein
paar Hände voll Mais den Pferden, ein Stück Speck und eine Brotkruste deu
Meuscheu, wozu beide begierig den Schnee leckten. Das mußte heute genügen.
Wir nickten am Feuer ein, als wir uus eben gesetzt hatten, und fanden kaum Zeit,
zum Sternenhimmel aufzuschauen, der unglaublich groß, reich und still herab-
lenchtete. Es war eine Nacht, in der wir vom weiten Meere und von Sternen
träumten, die sich darin spiegelten oder dicht wie Schneeflocken vom Himmel fielen
und uus zudeckten.

Beim ersten Morgengrauen auf und der weißen Seite des Firmaments ent¬
gegen. Der Morgenstern stand noch hoch, aber draußen im Osten zitterte schon
ein erstes Ahnen von Morgendämmerung in den Ästen. Die übrige Welt war
noch still. Die Dämmerung und der Schnee leuchteten uus, als wir uns auf¬
machten, um den Weg zu suchen, den wir gestern verloren hatten. Wir waren
nicht lange gegangen, da lagen hart unter uus die grauen Schindeldächer mit den
schwarzen Schornsteinen, als wollten sie zudecken, was hier noch von Leben war.

Es war ganz klar, daß wir kaum einen Kilometer vom Dorfe in einen Wald¬
weg abgebogen waren, der auf deu Holzplatz führte. Hier liegt uoch viel Schnee,


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

ab. Die Patrouille wurde geteilt; zu einer bestimmten Stunde des Nachmittags
sollten sich die beiden Abteilungen in V. zusammenfinden, wo, wenn die Verhält¬
nisse günstig waren, ein Relais für die Verbindung mit Lure gelegt werden sollte.
Der Haupttrupp ritt auf dem Vizinalstrcißchen weiter, wo noch immer ein paar
Sparen von Holzschuhträgeru zu sehen waren. Ich ging mit einem Manne rechts
ab, um auf spurlosem Feldweg eine Hcinsergruppe zu erreichen, die nach der An¬
gabe auf dem letzten Chansseestein sechs Kilometer entfernt war. Das Gelände stieg
merklich an, und der Schnee wurde tiefer, schon war es geboten, Mutter zu um¬
reiten, in die er hineingeweht war. Wir hielten auf einer Lücke in dem Wald¬
rande, der sich dunkel und Schnee- oder reifbestäubt vor uns hinzog. Es stand dort
weit sichtbar ein steinernes Kruzifix. Als wir den Wald erreicht hatten, stießen
wir auf das erste Hindernis.

Gefällte Tannen lagen über den Weg! unsre verspätete Christbaumbescherung!
Wir brachen von ihren duftenden Zweigen ab und lauten die Nadeln, um den
Durst zu vergesse», der sich allmählich einstellte. Die törichten Menschen hatten ihre
schönsten Bäume dahin geworfen. Nicht einmal ein Hindernis für eine Kompagnie
hatten sie damit geschaffen. Uns machte es freilich einige Mühe, die Pferde um
die Barrikade herumzuführen, Jnfanteristen wären darüber weg voltigiert. Die
Hauptsache war, daß der Weg in der angenommnen Richtung weiterführte, wir
wünschten dringend, bald am Ziel zu sein, denn es begann zu dämmern, und das
Gelände zeigte Einschnitte, die nicht unbedenklich aussahen. Wir kannten die Eigen¬
tümlichkeit des Jura damals noch nicht, daß die mildesten Hügelketten von steilen
Schluchten und tiefe» Kesseln durchschnitten werden, deren Dasein keine Furche, kein
Einschnitt in den Umrißlinien verrät. Sie mußten sorgsam umgangen werden.
Einzelne waren so tief verweht, daß die Pferde leicht bis über den Bauch ver¬
sinken konnten. Die Zeit verging im Suchen sicherer Umwege und Übergänge.
Die Sonne sank früh hinter den Bergen hinab, und im Schatten wurde die Abend¬
luft schneidend. Den Wegweiser, der an einer Abzweigung an einem schluchten¬
artigen Hohlweg stand, beschatteten hohe Bäume. Es half nichts, ihn zu erklettern
und zu versuchen, mit dem Streichholz seine Inschrift zu entziffern, sie war zer¬
schnitten bis zur Unleserlichkeit.

Ich will nicht lang erzählen, wie wir beim Licht des Schnees auf unfern
Spuren zurückgingen und bei rasch hereinbrechender Nacht uns in dem Gewirr
von Schluchten und Gruben, durch die wir uns gewunden hatten, verirrten und
endlich die Unmöglichkeit erkannten, uus in irgendeiner Richtung herauszufinden.
Auf einer freiem Stelle, wo kürzlich Holzfäller gearbeitet haben mußten, kratzten
wir den Schnee vom Boden, legten Holzscheite und Gezweige zu einem Windschutz
zusammen, hinter dem bald ein Feuer loderte. Eine tüchtige Abreibung und ein
paar Hände voll Mais den Pferden, ein Stück Speck und eine Brotkruste deu
Meuscheu, wozu beide begierig den Schnee leckten. Das mußte heute genügen.
Wir nickten am Feuer ein, als wir uus eben gesetzt hatten, und fanden kaum Zeit,
zum Sternenhimmel aufzuschauen, der unglaublich groß, reich und still herab-
lenchtete. Es war eine Nacht, in der wir vom weiten Meere und von Sternen
träumten, die sich darin spiegelten oder dicht wie Schneeflocken vom Himmel fielen
und uus zudeckten.

Beim ersten Morgengrauen auf und der weißen Seite des Firmaments ent¬
gegen. Der Morgenstern stand noch hoch, aber draußen im Osten zitterte schon
ein erstes Ahnen von Morgendämmerung in den Ästen. Die übrige Welt war
noch still. Die Dämmerung und der Schnee leuchteten uus, als wir uns auf¬
machten, um den Weg zu suchen, den wir gestern verloren hatten. Wir waren
nicht lange gegangen, da lagen hart unter uus die grauen Schindeldächer mit den
schwarzen Schornsteinen, als wollten sie zudecken, was hier noch von Leben war.

Es war ganz klar, daß wir kaum einen Kilometer vom Dorfe in einen Wald¬
weg abgebogen waren, der auf deu Holzplatz führte. Hier liegt uoch viel Schnee,


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[0291] Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege ab. Die Patrouille wurde geteilt; zu einer bestimmten Stunde des Nachmittags sollten sich die beiden Abteilungen in V. zusammenfinden, wo, wenn die Verhält¬ nisse günstig waren, ein Relais für die Verbindung mit Lure gelegt werden sollte. Der Haupttrupp ritt auf dem Vizinalstrcißchen weiter, wo noch immer ein paar Sparen von Holzschuhträgeru zu sehen waren. Ich ging mit einem Manne rechts ab, um auf spurlosem Feldweg eine Hcinsergruppe zu erreichen, die nach der An¬ gabe auf dem letzten Chansseestein sechs Kilometer entfernt war. Das Gelände stieg merklich an, und der Schnee wurde tiefer, schon war es geboten, Mutter zu um¬ reiten, in die er hineingeweht war. Wir hielten auf einer Lücke in dem Wald¬ rande, der sich dunkel und Schnee- oder reifbestäubt vor uns hinzog. Es stand dort weit sichtbar ein steinernes Kruzifix. Als wir den Wald erreicht hatten, stießen wir auf das erste Hindernis. Gefällte Tannen lagen über den Weg! unsre verspätete Christbaumbescherung! Wir brachen von ihren duftenden Zweigen ab und lauten die Nadeln, um den Durst zu vergesse», der sich allmählich einstellte. Die törichten Menschen hatten ihre schönsten Bäume dahin geworfen. Nicht einmal ein Hindernis für eine Kompagnie hatten sie damit geschaffen. Uns machte es freilich einige Mühe, die Pferde um die Barrikade herumzuführen, Jnfanteristen wären darüber weg voltigiert. Die Hauptsache war, daß der Weg in der angenommnen Richtung weiterführte, wir wünschten dringend, bald am Ziel zu sein, denn es begann zu dämmern, und das Gelände zeigte Einschnitte, die nicht unbedenklich aussahen. Wir kannten die Eigen¬ tümlichkeit des Jura damals noch nicht, daß die mildesten Hügelketten von steilen Schluchten und tiefe» Kesseln durchschnitten werden, deren Dasein keine Furche, kein Einschnitt in den Umrißlinien verrät. Sie mußten sorgsam umgangen werden. Einzelne waren so tief verweht, daß die Pferde leicht bis über den Bauch ver¬ sinken konnten. Die Zeit verging im Suchen sicherer Umwege und Übergänge. Die Sonne sank früh hinter den Bergen hinab, und im Schatten wurde die Abend¬ luft schneidend. Den Wegweiser, der an einer Abzweigung an einem schluchten¬ artigen Hohlweg stand, beschatteten hohe Bäume. Es half nichts, ihn zu erklettern und zu versuchen, mit dem Streichholz seine Inschrift zu entziffern, sie war zer¬ schnitten bis zur Unleserlichkeit. Ich will nicht lang erzählen, wie wir beim Licht des Schnees auf unfern Spuren zurückgingen und bei rasch hereinbrechender Nacht uns in dem Gewirr von Schluchten und Gruben, durch die wir uns gewunden hatten, verirrten und endlich die Unmöglichkeit erkannten, uus in irgendeiner Richtung herauszufinden. Auf einer freiem Stelle, wo kürzlich Holzfäller gearbeitet haben mußten, kratzten wir den Schnee vom Boden, legten Holzscheite und Gezweige zu einem Windschutz zusammen, hinter dem bald ein Feuer loderte. Eine tüchtige Abreibung und ein paar Hände voll Mais den Pferden, ein Stück Speck und eine Brotkruste deu Meuscheu, wozu beide begierig den Schnee leckten. Das mußte heute genügen. Wir nickten am Feuer ein, als wir uus eben gesetzt hatten, und fanden kaum Zeit, zum Sternenhimmel aufzuschauen, der unglaublich groß, reich und still herab- lenchtete. Es war eine Nacht, in der wir vom weiten Meere und von Sternen träumten, die sich darin spiegelten oder dicht wie Schneeflocken vom Himmel fielen und uus zudeckten. Beim ersten Morgengrauen auf und der weißen Seite des Firmaments ent¬ gegen. Der Morgenstern stand noch hoch, aber draußen im Osten zitterte schon ein erstes Ahnen von Morgendämmerung in den Ästen. Die übrige Welt war noch still. Die Dämmerung und der Schnee leuchteten uus, als wir uns auf¬ machten, um den Weg zu suchen, den wir gestern verloren hatten. Wir waren nicht lange gegangen, da lagen hart unter uus die grauen Schindeldächer mit den schwarzen Schornsteinen, als wollten sie zudecken, was hier noch von Leben war. Es war ganz klar, daß wir kaum einen Kilometer vom Dorfe in einen Wald¬ weg abgebogen waren, der auf deu Holzplatz führte. Hier liegt uoch viel Schnee,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/291>, abgerufen am 23.12.2024.