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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dein deutsch "französischen Kriege

schuldigen, und wo es vorhin blühte und grünte, ist eine Stunde darauf eine
schwarze Brandstätte, und aus den Trümmern des Glücks von vorhin steigt der
Opferrauch zum Himmel, Solche Blitze, die weit von den Schlachtfeldern und
Heereszügen niederfahren, als ob sie sich verirrt hätten, gehören zum schrecklichsten
des Krieges, Sie zeigen uns die todbringenden Mächte ohne Gesetz und Fessel,
umherschweifend wie Marodeure oder die vor Hunger tollen Hunde hinter einem
Troß, und anfallend, wen ein übles Geschick ihnen in den Weg wirft.




Am 17. Januar lag eine dicke Luft über dem Laude zwischen Vogesen und
Jura. Zu uusern Füßen waren Schnee und Nebel, zu unfern Häupten Berge
und Himmel nicht zu scheiden. Die Luft war wie greifbar. Der Kanonendonner
von Montbeliard rollte wie von einem Wintergewitter unheimlich durch die Wolken,
nicht metallen, sondern duinvfechoend; der Nebel dämpft den Schall. Zündeten
seine Blitze, die man nicht sah? Vielleicht schössen die Franzosen ohnehin schwächer?
Eines Tags wird dieses Donnern doch aufhören. Es rührte sich nichts vor uns.
Wagler sie sich im Nebel nicht heran, oder hing ihre Überzahl schon wie eine
Lawine über uns, bereit, uns zu erdrücken? Man hatte in der Nacht den Lärm
eines heftigen Gefechts von Norden her vernommen, dann war es immer stiller
geworden. Darüber war man eigentlich nicht verwundert. Frost und Schnee sind
allem Kriegstrubel abhold. Alles ist zur riefen Stille in dieser Schlafzeit der
Natur hergerichtet, und man wundert sich, daß die Armeen in dem weißen Felde
stehn. Und die Schlacht an der Lisaine war die rechte Winterschlacht. Man lag
und fror im Schnee, man lief und tanzte in ihm, um sich zu wärmen; zum Über¬
fluß beschütteten die Artilleristen sogar ihre Batterien, die Pioniere ihre Brust¬
wehren mit Schnee, um die Werke weniger sichtbar zu machen. Am hellen Winter¬
himmel flimmern die Sterne, als schüttelten sie sich vor Kälte, oder als tanzten
auch sie, um sich zu wärmen. Nur in den Wäldern knallten die vom Froste
springenden Bäume um die Wette mit den Geschützen und Flinten. Nur deu Toten,
die beide Armeen täglich auf dem Kampfplatze zurückließen, wo sie als dunkle Punkte
im Schnee lagen, manchmal von einem rotbraunen Hof umgeben, war es gleichgiltig,
ob es fror oder nicht, ihre Glieder erstarrten höchstens etwas früher.

Am Nachmittag trat Regen ein, und wenn sich die Himmelsvorhänge nicht
noch früher zugezogen hätten als gestern, hätten wir vielleicht die Nebelschleier
zerreißen und die Franzosen in der Richtung des Doubs abziehn sehen. Wir
wußten nichts davon, daß Bourbaki heute deu Rückzug angetreten hatte. Man
fühlte jedoch, daß eine Entscheidung gefallen war, und man begann zu vermuten,
daß es die für uns günstige sei. Erst fragte einer den andern: Hörst du auch
nicht mehr die Kanonen von Norden her, oder bin ich von dem dreitägigen Ge¬
borner taub geworden? Ja, es donnerte noch, aber das war viel weiter weg als
gestern, das war in Belfort. Im Quartier fah man Abends die Mienen der
Unsrigen Heller, die der Franzosen düstrer geworden. Bei einigen äußerte sich die
Erleichterung dadurch, daß sie ein Liedchen Pfiffen, das die letzten Wochen verloren
gewesen war, bei audern dadurch, daß sie wieder zu klagen anfingen. Für Froh¬
sinn und Trübsinn hatte die Gefahr der letzten Tage den Mund verschlossen. Man
kümmerte sich wieder um die Proviant- und Postsendungen, die am 12. von Vesoul
hatten zurückgehn müssen und angeblich nun erst auf dem Umweg über Straßburg
und Nancy zu uns stoßen würden. Die dumpfe Gleichgiltigkeit der Tage, in denen
man nur noch gefroren, gehungert und gefochten hatte, löste sich auf, es wurde
Raum für Hoffen und Wünschen. Mein Kamerad Reiske, der seit lange nur noch
den Spruch Werners aus "Minna von Barnhelm" auf den Lippen gehabt hatte:
Dem Soldaten gehts im Winterquartier wunderlich, ging jetzt zu eiuer neuen
Nummer über: Am Abend wird es hell, wie das französische Sprichwort sagt, ihr
werdet sehen, wie hell die Dämmernacht dieses Winterfeldzugs enden wird. Jetzt


Bilder aus dein deutsch «französischen Kriege

schuldigen, und wo es vorhin blühte und grünte, ist eine Stunde darauf eine
schwarze Brandstätte, und aus den Trümmern des Glücks von vorhin steigt der
Opferrauch zum Himmel, Solche Blitze, die weit von den Schlachtfeldern und
Heereszügen niederfahren, als ob sie sich verirrt hätten, gehören zum schrecklichsten
des Krieges, Sie zeigen uns die todbringenden Mächte ohne Gesetz und Fessel,
umherschweifend wie Marodeure oder die vor Hunger tollen Hunde hinter einem
Troß, und anfallend, wen ein übles Geschick ihnen in den Weg wirft.




Am 17. Januar lag eine dicke Luft über dem Laude zwischen Vogesen und
Jura. Zu uusern Füßen waren Schnee und Nebel, zu unfern Häupten Berge
und Himmel nicht zu scheiden. Die Luft war wie greifbar. Der Kanonendonner
von Montbeliard rollte wie von einem Wintergewitter unheimlich durch die Wolken,
nicht metallen, sondern duinvfechoend; der Nebel dämpft den Schall. Zündeten
seine Blitze, die man nicht sah? Vielleicht schössen die Franzosen ohnehin schwächer?
Eines Tags wird dieses Donnern doch aufhören. Es rührte sich nichts vor uns.
Wagler sie sich im Nebel nicht heran, oder hing ihre Überzahl schon wie eine
Lawine über uns, bereit, uns zu erdrücken? Man hatte in der Nacht den Lärm
eines heftigen Gefechts von Norden her vernommen, dann war es immer stiller
geworden. Darüber war man eigentlich nicht verwundert. Frost und Schnee sind
allem Kriegstrubel abhold. Alles ist zur riefen Stille in dieser Schlafzeit der
Natur hergerichtet, und man wundert sich, daß die Armeen in dem weißen Felde
stehn. Und die Schlacht an der Lisaine war die rechte Winterschlacht. Man lag
und fror im Schnee, man lief und tanzte in ihm, um sich zu wärmen; zum Über¬
fluß beschütteten die Artilleristen sogar ihre Batterien, die Pioniere ihre Brust¬
wehren mit Schnee, um die Werke weniger sichtbar zu machen. Am hellen Winter¬
himmel flimmern die Sterne, als schüttelten sie sich vor Kälte, oder als tanzten
auch sie, um sich zu wärmen. Nur in den Wäldern knallten die vom Froste
springenden Bäume um die Wette mit den Geschützen und Flinten. Nur deu Toten,
die beide Armeen täglich auf dem Kampfplatze zurückließen, wo sie als dunkle Punkte
im Schnee lagen, manchmal von einem rotbraunen Hof umgeben, war es gleichgiltig,
ob es fror oder nicht, ihre Glieder erstarrten höchstens etwas früher.

Am Nachmittag trat Regen ein, und wenn sich die Himmelsvorhänge nicht
noch früher zugezogen hätten als gestern, hätten wir vielleicht die Nebelschleier
zerreißen und die Franzosen in der Richtung des Doubs abziehn sehen. Wir
wußten nichts davon, daß Bourbaki heute deu Rückzug angetreten hatte. Man
fühlte jedoch, daß eine Entscheidung gefallen war, und man begann zu vermuten,
daß es die für uns günstige sei. Erst fragte einer den andern: Hörst du auch
nicht mehr die Kanonen von Norden her, oder bin ich von dem dreitägigen Ge¬
borner taub geworden? Ja, es donnerte noch, aber das war viel weiter weg als
gestern, das war in Belfort. Im Quartier fah man Abends die Mienen der
Unsrigen Heller, die der Franzosen düstrer geworden. Bei einigen äußerte sich die
Erleichterung dadurch, daß sie ein Liedchen Pfiffen, das die letzten Wochen verloren
gewesen war, bei audern dadurch, daß sie wieder zu klagen anfingen. Für Froh¬
sinn und Trübsinn hatte die Gefahr der letzten Tage den Mund verschlossen. Man
kümmerte sich wieder um die Proviant- und Postsendungen, die am 12. von Vesoul
hatten zurückgehn müssen und angeblich nun erst auf dem Umweg über Straßburg
und Nancy zu uns stoßen würden. Die dumpfe Gleichgiltigkeit der Tage, in denen
man nur noch gefroren, gehungert und gefochten hatte, löste sich auf, es wurde
Raum für Hoffen und Wünschen. Mein Kamerad Reiske, der seit lange nur noch
den Spruch Werners aus „Minna von Barnhelm" auf den Lippen gehabt hatte:
Dem Soldaten gehts im Winterquartier wunderlich, ging jetzt zu eiuer neuen
Nummer über: Am Abend wird es hell, wie das französische Sprichwort sagt, ihr
werdet sehen, wie hell die Dämmernacht dieses Winterfeldzugs enden wird. Jetzt


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[0288] Bilder aus dein deutsch «französischen Kriege schuldigen, und wo es vorhin blühte und grünte, ist eine Stunde darauf eine schwarze Brandstätte, und aus den Trümmern des Glücks von vorhin steigt der Opferrauch zum Himmel, Solche Blitze, die weit von den Schlachtfeldern und Heereszügen niederfahren, als ob sie sich verirrt hätten, gehören zum schrecklichsten des Krieges, Sie zeigen uns die todbringenden Mächte ohne Gesetz und Fessel, umherschweifend wie Marodeure oder die vor Hunger tollen Hunde hinter einem Troß, und anfallend, wen ein übles Geschick ihnen in den Weg wirft. Am 17. Januar lag eine dicke Luft über dem Laude zwischen Vogesen und Jura. Zu uusern Füßen waren Schnee und Nebel, zu unfern Häupten Berge und Himmel nicht zu scheiden. Die Luft war wie greifbar. Der Kanonendonner von Montbeliard rollte wie von einem Wintergewitter unheimlich durch die Wolken, nicht metallen, sondern duinvfechoend; der Nebel dämpft den Schall. Zündeten seine Blitze, die man nicht sah? Vielleicht schössen die Franzosen ohnehin schwächer? Eines Tags wird dieses Donnern doch aufhören. Es rührte sich nichts vor uns. Wagler sie sich im Nebel nicht heran, oder hing ihre Überzahl schon wie eine Lawine über uns, bereit, uns zu erdrücken? Man hatte in der Nacht den Lärm eines heftigen Gefechts von Norden her vernommen, dann war es immer stiller geworden. Darüber war man eigentlich nicht verwundert. Frost und Schnee sind allem Kriegstrubel abhold. Alles ist zur riefen Stille in dieser Schlafzeit der Natur hergerichtet, und man wundert sich, daß die Armeen in dem weißen Felde stehn. Und die Schlacht an der Lisaine war die rechte Winterschlacht. Man lag und fror im Schnee, man lief und tanzte in ihm, um sich zu wärmen; zum Über¬ fluß beschütteten die Artilleristen sogar ihre Batterien, die Pioniere ihre Brust¬ wehren mit Schnee, um die Werke weniger sichtbar zu machen. Am hellen Winter¬ himmel flimmern die Sterne, als schüttelten sie sich vor Kälte, oder als tanzten auch sie, um sich zu wärmen. Nur in den Wäldern knallten die vom Froste springenden Bäume um die Wette mit den Geschützen und Flinten. Nur deu Toten, die beide Armeen täglich auf dem Kampfplatze zurückließen, wo sie als dunkle Punkte im Schnee lagen, manchmal von einem rotbraunen Hof umgeben, war es gleichgiltig, ob es fror oder nicht, ihre Glieder erstarrten höchstens etwas früher. Am Nachmittag trat Regen ein, und wenn sich die Himmelsvorhänge nicht noch früher zugezogen hätten als gestern, hätten wir vielleicht die Nebelschleier zerreißen und die Franzosen in der Richtung des Doubs abziehn sehen. Wir wußten nichts davon, daß Bourbaki heute deu Rückzug angetreten hatte. Man fühlte jedoch, daß eine Entscheidung gefallen war, und man begann zu vermuten, daß es die für uns günstige sei. Erst fragte einer den andern: Hörst du auch nicht mehr die Kanonen von Norden her, oder bin ich von dem dreitägigen Ge¬ borner taub geworden? Ja, es donnerte noch, aber das war viel weiter weg als gestern, das war in Belfort. Im Quartier fah man Abends die Mienen der Unsrigen Heller, die der Franzosen düstrer geworden. Bei einigen äußerte sich die Erleichterung dadurch, daß sie ein Liedchen Pfiffen, das die letzten Wochen verloren gewesen war, bei audern dadurch, daß sie wieder zu klagen anfingen. Für Froh¬ sinn und Trübsinn hatte die Gefahr der letzten Tage den Mund verschlossen. Man kümmerte sich wieder um die Proviant- und Postsendungen, die am 12. von Vesoul hatten zurückgehn müssen und angeblich nun erst auf dem Umweg über Straßburg und Nancy zu uns stoßen würden. Die dumpfe Gleichgiltigkeit der Tage, in denen man nur noch gefroren, gehungert und gefochten hatte, löste sich auf, es wurde Raum für Hoffen und Wünschen. Mein Kamerad Reiske, der seit lange nur noch den Spruch Werners aus „Minna von Barnhelm" auf den Lippen gehabt hatte: Dem Soldaten gehts im Winterquartier wunderlich, ging jetzt zu eiuer neuen Nummer über: Am Abend wird es hell, wie das französische Sprichwort sagt, ihr werdet sehen, wie hell die Dämmernacht dieses Winterfeldzugs enden wird. Jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/288>, abgerufen am 03.07.2024.