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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Schriften und Gedanken zur Flottenfrage

kratische Bemutterung so wenig zu spüren wie in England; nur in den glück¬
lichen skandinavischen Kleinstaaten findet man noch eine ähnliche Schonung der
Selbständigkeit jedes Einzelnen. Das "verzwickte Räderwerk der heimischen
(deutschen) Verwaltung" ist dem Engländer fremd; und fremd ist ihm auch so
mancher alte Zopf unsrer umständlichen und schwerfälligen Aktenmenschen, die
da wähnen, die Welt sei nur zum Verwalter, zum Journalisieren und Revi¬
dieren geschaffen. Der Einfluß der frischen Seeluft hat unfern glücklichern
Vettern weitern Blick, schärfern Willen und fruchtbarere Tatkraft gegeben als
uns, oder wenigstens den meisten von uns. Nauticus hat ganz Recht, es
liegt kein Grund vor, anzunehmen, die Deutschen könnten unter gleichen Um¬
ständen nicht dasselbe leisten; aber dazu gehört, daß das nationale Gewissen
gestärkt und der Unabhängigkeitssinn mehr geachtet wird bei uns. Wir
Deutschen müssen eben wieder unsre germanischen Eigenschaften zur Geltung
bringen, müssen von unfern Blutsvettern lernen, von denen Nauticus sagt:
"Ein starkes Nationalgefühl neben starkem Unabhängigkeitssinn und dazu
praktischer, aber kühner kaufmännischer Geist, das sind die Eigenschaften, die
dem Engländer den Welthandel gegeben und sein weltumfassendes Riesenreich
begründet haben."

Es würde viel zu weit führen, die andern, ebenso lesenswerten Artikel
im letzten Nauticusbande hier zu besprechen. Eine Untersuchung über die
Stellung der Großmächte zum Seeverkehr will einen umfassenden Überblick
über die Abhängigkeit der fünf größten Seemächte vom Meere geben und
zugleich zeigen, welche Bedeutung die Hauptseewege für jede dieser Mächte
haben. Unser unvergeßlicher Ratzel hat noch kurz vor seinem Tode von diesem
Aufsatz gesagt, daß er eine geschicktere Anwendung der Wirtschaftsgeographie
auf die brennenden Fragen der Gegenwart noch nicht gesehen hätte; die bei-
gegebnc Karte und die graphischen Darstellungen hat der berühmte Geograph
noch mit großem Erfolg bei seinen letzten Vorlesungen benutzt. Gegen dieses
Urteil verschwinden Einzelheiten, die man in der Darstellung dieses Aufsatzes
anders wünschen könnte. Der Artikel wird als Aufklärungsmittel für die zum
Handelsschutz bestimmten Kriegsschiffe wertvoll sein. Überhaupt zeigen ver¬
schiedene Aufsätze, daß sich Nauticus durchaus nicht nur an den Laien wendet,
sondern vieles wird unserm Seeoffizierkorps nützlich sein, besonders den Offi¬
zieren, die nicht Gelegenheit haben, auf der Marineakademie alle Zweigwissen¬
schaften und alle technischen Neuerungen des Seewesens zu studieren. Aber
auch der Laie kann bei der nötigen Lust und Liebe zur Sache allen Aufsätzen
folgen; jedenfalls kann durch höhere Anforderungen an das Verständnis des
Laien die Urteilskraft mir gestärkt werden.

Mit Stolz und froher Zukunftshoffnnng darf es uns erfüllen, daß die
Marineliteratur der fremden Seemächte keine die Nauticusjahrbücher an Gehalt,
Zuverlässigkeit und Vielseitigkeit übertreffenden Werke aufzuweisen hat.




Schriften und Gedanken zur Flottenfrage

kratische Bemutterung so wenig zu spüren wie in England; nur in den glück¬
lichen skandinavischen Kleinstaaten findet man noch eine ähnliche Schonung der
Selbständigkeit jedes Einzelnen. Das „verzwickte Räderwerk der heimischen
(deutschen) Verwaltung" ist dem Engländer fremd; und fremd ist ihm auch so
mancher alte Zopf unsrer umständlichen und schwerfälligen Aktenmenschen, die
da wähnen, die Welt sei nur zum Verwalter, zum Journalisieren und Revi¬
dieren geschaffen. Der Einfluß der frischen Seeluft hat unfern glücklichern
Vettern weitern Blick, schärfern Willen und fruchtbarere Tatkraft gegeben als
uns, oder wenigstens den meisten von uns. Nauticus hat ganz Recht, es
liegt kein Grund vor, anzunehmen, die Deutschen könnten unter gleichen Um¬
ständen nicht dasselbe leisten; aber dazu gehört, daß das nationale Gewissen
gestärkt und der Unabhängigkeitssinn mehr geachtet wird bei uns. Wir
Deutschen müssen eben wieder unsre germanischen Eigenschaften zur Geltung
bringen, müssen von unfern Blutsvettern lernen, von denen Nauticus sagt:
„Ein starkes Nationalgefühl neben starkem Unabhängigkeitssinn und dazu
praktischer, aber kühner kaufmännischer Geist, das sind die Eigenschaften, die
dem Engländer den Welthandel gegeben und sein weltumfassendes Riesenreich
begründet haben."

Es würde viel zu weit führen, die andern, ebenso lesenswerten Artikel
im letzten Nauticusbande hier zu besprechen. Eine Untersuchung über die
Stellung der Großmächte zum Seeverkehr will einen umfassenden Überblick
über die Abhängigkeit der fünf größten Seemächte vom Meere geben und
zugleich zeigen, welche Bedeutung die Hauptseewege für jede dieser Mächte
haben. Unser unvergeßlicher Ratzel hat noch kurz vor seinem Tode von diesem
Aufsatz gesagt, daß er eine geschicktere Anwendung der Wirtschaftsgeographie
auf die brennenden Fragen der Gegenwart noch nicht gesehen hätte; die bei-
gegebnc Karte und die graphischen Darstellungen hat der berühmte Geograph
noch mit großem Erfolg bei seinen letzten Vorlesungen benutzt. Gegen dieses
Urteil verschwinden Einzelheiten, die man in der Darstellung dieses Aufsatzes
anders wünschen könnte. Der Artikel wird als Aufklärungsmittel für die zum
Handelsschutz bestimmten Kriegsschiffe wertvoll sein. Überhaupt zeigen ver¬
schiedene Aufsätze, daß sich Nauticus durchaus nicht nur an den Laien wendet,
sondern vieles wird unserm Seeoffizierkorps nützlich sein, besonders den Offi¬
zieren, die nicht Gelegenheit haben, auf der Marineakademie alle Zweigwissen¬
schaften und alle technischen Neuerungen des Seewesens zu studieren. Aber
auch der Laie kann bei der nötigen Lust und Liebe zur Sache allen Aufsätzen
folgen; jedenfalls kann durch höhere Anforderungen an das Verständnis des
Laien die Urteilskraft mir gestärkt werden.

Mit Stolz und froher Zukunftshoffnnng darf es uns erfüllen, daß die
Marineliteratur der fremden Seemächte keine die Nauticusjahrbücher an Gehalt,
Zuverlässigkeit und Vielseitigkeit übertreffenden Werke aufzuweisen hat.




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[0271] Schriften und Gedanken zur Flottenfrage kratische Bemutterung so wenig zu spüren wie in England; nur in den glück¬ lichen skandinavischen Kleinstaaten findet man noch eine ähnliche Schonung der Selbständigkeit jedes Einzelnen. Das „verzwickte Räderwerk der heimischen (deutschen) Verwaltung" ist dem Engländer fremd; und fremd ist ihm auch so mancher alte Zopf unsrer umständlichen und schwerfälligen Aktenmenschen, die da wähnen, die Welt sei nur zum Verwalter, zum Journalisieren und Revi¬ dieren geschaffen. Der Einfluß der frischen Seeluft hat unfern glücklichern Vettern weitern Blick, schärfern Willen und fruchtbarere Tatkraft gegeben als uns, oder wenigstens den meisten von uns. Nauticus hat ganz Recht, es liegt kein Grund vor, anzunehmen, die Deutschen könnten unter gleichen Um¬ ständen nicht dasselbe leisten; aber dazu gehört, daß das nationale Gewissen gestärkt und der Unabhängigkeitssinn mehr geachtet wird bei uns. Wir Deutschen müssen eben wieder unsre germanischen Eigenschaften zur Geltung bringen, müssen von unfern Blutsvettern lernen, von denen Nauticus sagt: „Ein starkes Nationalgefühl neben starkem Unabhängigkeitssinn und dazu praktischer, aber kühner kaufmännischer Geist, das sind die Eigenschaften, die dem Engländer den Welthandel gegeben und sein weltumfassendes Riesenreich begründet haben." Es würde viel zu weit führen, die andern, ebenso lesenswerten Artikel im letzten Nauticusbande hier zu besprechen. Eine Untersuchung über die Stellung der Großmächte zum Seeverkehr will einen umfassenden Überblick über die Abhängigkeit der fünf größten Seemächte vom Meere geben und zugleich zeigen, welche Bedeutung die Hauptseewege für jede dieser Mächte haben. Unser unvergeßlicher Ratzel hat noch kurz vor seinem Tode von diesem Aufsatz gesagt, daß er eine geschicktere Anwendung der Wirtschaftsgeographie auf die brennenden Fragen der Gegenwart noch nicht gesehen hätte; die bei- gegebnc Karte und die graphischen Darstellungen hat der berühmte Geograph noch mit großem Erfolg bei seinen letzten Vorlesungen benutzt. Gegen dieses Urteil verschwinden Einzelheiten, die man in der Darstellung dieses Aufsatzes anders wünschen könnte. Der Artikel wird als Aufklärungsmittel für die zum Handelsschutz bestimmten Kriegsschiffe wertvoll sein. Überhaupt zeigen ver¬ schiedene Aufsätze, daß sich Nauticus durchaus nicht nur an den Laien wendet, sondern vieles wird unserm Seeoffizierkorps nützlich sein, besonders den Offi¬ zieren, die nicht Gelegenheit haben, auf der Marineakademie alle Zweigwissen¬ schaften und alle technischen Neuerungen des Seewesens zu studieren. Aber auch der Laie kann bei der nötigen Lust und Liebe zur Sache allen Aufsätzen folgen; jedenfalls kann durch höhere Anforderungen an das Verständnis des Laien die Urteilskraft mir gestärkt werden. Mit Stolz und froher Zukunftshoffnnng darf es uns erfüllen, daß die Marineliteratur der fremden Seemächte keine die Nauticusjahrbücher an Gehalt, Zuverlässigkeit und Vielseitigkeit übertreffenden Werke aufzuweisen hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/271>, abgerufen am 26.08.2024.