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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Dentschösterreichische Parteien

Gewissensdruck, dem einmal die Vorfahren von der katholischen Geistlichkeit
ausgesetzt waren, gänzlich gewichen ist. Da nun außerdem für die allgemeine
Volksbildung weniger geschah als anderswo, und die Metternichsche Regierungs¬
politik jedes freie Geistesleben als staatsgefährlich zu unterdrücken suchte, so
fand bei der innerlich nicht besonders vertieften Religiosität die Aufklärung
des achtzehnten Jahrhunderts und die literarische Bewegung der ersten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts vorzugsweise in der Gestalt frivoler Religions¬
spötterei Eingang in den Kaiserstaat. Die strenge Jesuitenerziehung hatte
nicht verhindert, daß namentlich in Wien ein sinnliches Schlaraffenleben nicht
allzu viel gebildeter Phäccken aufgekommen war, und den Pfaden Trattners
und Blumauers folgten bis in die neuste Zeit eine große Anzahl böser
Religionsspötter. Metternich duldete außerdem nicht, daß große Männer in
Österreich bei der Jugend und im Volke Begeisterung erweckten, Theologie
und Philosophie schliefen nahezu ein, dagegen wurde auf Fachwissenschaften,
die weder national noch kirchlich und politisch wirken konnten, großer Nach¬
druck gelegt. Er wollte auch in der Kirche keinen Geist, keinen großen Bischof,
keinen bedeutenden Theologen, keinen begeisternden Redner, an denen Deutsch¬
land, Frankreich und England keinen Mangel hatten. Unter diesen Umstünden
verfiel die Geistlichkeit in Mittelmäßigkeit und gab sich stellenweise einer Sitten-
Verwilderung hin, die das katholische Kirchentum in den Augen der Gebildeten
vollends um alle Achtung brachte und den bösen Spöttern in den Zeitungen
Recht zu geben schien. Die bessere Klasse aller Stände wandte sich grund¬
sätzlich von der Kirche ab, und das hatte wieder zur Folge, daß Söhne von
Bürgern und Beamten nur sehr selten in den Priesterstand eintraten, der mit
Ausnahme einiger für die gut dotierten Pfründen und höhern Stellen aus¬
ersehenen Sprößlinge des hohen Adels nur aus Bauernsöhnen, in den
Sudetenländern meist auch slawischen Ursprungs, bestand und nur notdürftig
für den geistlichen Beruf vorbereitet wurde. Auch dadurch wurde die Kirche
bei deu Gebildeten um alle Achtung gebracht, alle bessern Kreise, bis in die
höchsten hinauf, wandten sich grundsätzlich von ihr ab, anhänglich blieben nur
die Bauern, denen allerdings der halbgebildete Geistliche als sehr respektabel
vorkam, der die noch seltne Kunst des Lesens und Schreibens beherrschte, und
denen die Religionsspötterei fremd blieb, da sie nur selten lesen konnten.

Es hatten aber auch viele Leute ein Interesse daran, daß die Geistlich¬
keit verachtet und die Kirchenspötterei im Gange blieb. Noch gibt es ein oft
gehörtes Schlagwort in Österreich, und die meisten Deutschösterreicher wieder¬
holen es auch heute, weil es ihnen immer gelegentlich wieder aufgefrischt wird,
es heißt: das Unglück Österreichs sei das Konkordat gewesen. Es wird wohl
niemand behaupten wollen, daß das Konkordat für das Reich ein Segen ge¬
wesen sei, aber das eigentliche Unglück war es nicht. Es mag höchstens be¬
wirkt haben, daß die Bildung noch mehr zurückblieb, als ohnehin in das
Metternichsche "Shstem" paßte. Wer aber die Geschichte der Habsburgischen
Monarchie im vorigen Jahrhundert genau verfolgt, dem kann gar nicht ver¬
borgen bleiben, daß das Unglück des Reichs von der liederlichen Finanzwirt¬
schaft herrührte. Die Monarchie würde bei ihren unermeßlichen Hilfsquellen


Dentschösterreichische Parteien

Gewissensdruck, dem einmal die Vorfahren von der katholischen Geistlichkeit
ausgesetzt waren, gänzlich gewichen ist. Da nun außerdem für die allgemeine
Volksbildung weniger geschah als anderswo, und die Metternichsche Regierungs¬
politik jedes freie Geistesleben als staatsgefährlich zu unterdrücken suchte, so
fand bei der innerlich nicht besonders vertieften Religiosität die Aufklärung
des achtzehnten Jahrhunderts und die literarische Bewegung der ersten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts vorzugsweise in der Gestalt frivoler Religions¬
spötterei Eingang in den Kaiserstaat. Die strenge Jesuitenerziehung hatte
nicht verhindert, daß namentlich in Wien ein sinnliches Schlaraffenleben nicht
allzu viel gebildeter Phäccken aufgekommen war, und den Pfaden Trattners
und Blumauers folgten bis in die neuste Zeit eine große Anzahl böser
Religionsspötter. Metternich duldete außerdem nicht, daß große Männer in
Österreich bei der Jugend und im Volke Begeisterung erweckten, Theologie
und Philosophie schliefen nahezu ein, dagegen wurde auf Fachwissenschaften,
die weder national noch kirchlich und politisch wirken konnten, großer Nach¬
druck gelegt. Er wollte auch in der Kirche keinen Geist, keinen großen Bischof,
keinen bedeutenden Theologen, keinen begeisternden Redner, an denen Deutsch¬
land, Frankreich und England keinen Mangel hatten. Unter diesen Umstünden
verfiel die Geistlichkeit in Mittelmäßigkeit und gab sich stellenweise einer Sitten-
Verwilderung hin, die das katholische Kirchentum in den Augen der Gebildeten
vollends um alle Achtung brachte und den bösen Spöttern in den Zeitungen
Recht zu geben schien. Die bessere Klasse aller Stände wandte sich grund¬
sätzlich von der Kirche ab, und das hatte wieder zur Folge, daß Söhne von
Bürgern und Beamten nur sehr selten in den Priesterstand eintraten, der mit
Ausnahme einiger für die gut dotierten Pfründen und höhern Stellen aus¬
ersehenen Sprößlinge des hohen Adels nur aus Bauernsöhnen, in den
Sudetenländern meist auch slawischen Ursprungs, bestand und nur notdürftig
für den geistlichen Beruf vorbereitet wurde. Auch dadurch wurde die Kirche
bei deu Gebildeten um alle Achtung gebracht, alle bessern Kreise, bis in die
höchsten hinauf, wandten sich grundsätzlich von ihr ab, anhänglich blieben nur
die Bauern, denen allerdings der halbgebildete Geistliche als sehr respektabel
vorkam, der die noch seltne Kunst des Lesens und Schreibens beherrschte, und
denen die Religionsspötterei fremd blieb, da sie nur selten lesen konnten.

Es hatten aber auch viele Leute ein Interesse daran, daß die Geistlich¬
keit verachtet und die Kirchenspötterei im Gange blieb. Noch gibt es ein oft
gehörtes Schlagwort in Österreich, und die meisten Deutschösterreicher wieder¬
holen es auch heute, weil es ihnen immer gelegentlich wieder aufgefrischt wird,
es heißt: das Unglück Österreichs sei das Konkordat gewesen. Es wird wohl
niemand behaupten wollen, daß das Konkordat für das Reich ein Segen ge¬
wesen sei, aber das eigentliche Unglück war es nicht. Es mag höchstens be¬
wirkt haben, daß die Bildung noch mehr zurückblieb, als ohnehin in das
Metternichsche „Shstem" paßte. Wer aber die Geschichte der Habsburgischen
Monarchie im vorigen Jahrhundert genau verfolgt, dem kann gar nicht ver¬
borgen bleiben, daß das Unglück des Reichs von der liederlichen Finanzwirt¬
schaft herrührte. Die Monarchie würde bei ihren unermeßlichen Hilfsquellen


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[0253] Dentschösterreichische Parteien Gewissensdruck, dem einmal die Vorfahren von der katholischen Geistlichkeit ausgesetzt waren, gänzlich gewichen ist. Da nun außerdem für die allgemeine Volksbildung weniger geschah als anderswo, und die Metternichsche Regierungs¬ politik jedes freie Geistesleben als staatsgefährlich zu unterdrücken suchte, so fand bei der innerlich nicht besonders vertieften Religiosität die Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts und die literarische Bewegung der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts vorzugsweise in der Gestalt frivoler Religions¬ spötterei Eingang in den Kaiserstaat. Die strenge Jesuitenerziehung hatte nicht verhindert, daß namentlich in Wien ein sinnliches Schlaraffenleben nicht allzu viel gebildeter Phäccken aufgekommen war, und den Pfaden Trattners und Blumauers folgten bis in die neuste Zeit eine große Anzahl böser Religionsspötter. Metternich duldete außerdem nicht, daß große Männer in Österreich bei der Jugend und im Volke Begeisterung erweckten, Theologie und Philosophie schliefen nahezu ein, dagegen wurde auf Fachwissenschaften, die weder national noch kirchlich und politisch wirken konnten, großer Nach¬ druck gelegt. Er wollte auch in der Kirche keinen Geist, keinen großen Bischof, keinen bedeutenden Theologen, keinen begeisternden Redner, an denen Deutsch¬ land, Frankreich und England keinen Mangel hatten. Unter diesen Umstünden verfiel die Geistlichkeit in Mittelmäßigkeit und gab sich stellenweise einer Sitten- Verwilderung hin, die das katholische Kirchentum in den Augen der Gebildeten vollends um alle Achtung brachte und den bösen Spöttern in den Zeitungen Recht zu geben schien. Die bessere Klasse aller Stände wandte sich grund¬ sätzlich von der Kirche ab, und das hatte wieder zur Folge, daß Söhne von Bürgern und Beamten nur sehr selten in den Priesterstand eintraten, der mit Ausnahme einiger für die gut dotierten Pfründen und höhern Stellen aus¬ ersehenen Sprößlinge des hohen Adels nur aus Bauernsöhnen, in den Sudetenländern meist auch slawischen Ursprungs, bestand und nur notdürftig für den geistlichen Beruf vorbereitet wurde. Auch dadurch wurde die Kirche bei deu Gebildeten um alle Achtung gebracht, alle bessern Kreise, bis in die höchsten hinauf, wandten sich grundsätzlich von ihr ab, anhänglich blieben nur die Bauern, denen allerdings der halbgebildete Geistliche als sehr respektabel vorkam, der die noch seltne Kunst des Lesens und Schreibens beherrschte, und denen die Religionsspötterei fremd blieb, da sie nur selten lesen konnten. Es hatten aber auch viele Leute ein Interesse daran, daß die Geistlich¬ keit verachtet und die Kirchenspötterei im Gange blieb. Noch gibt es ein oft gehörtes Schlagwort in Österreich, und die meisten Deutschösterreicher wieder¬ holen es auch heute, weil es ihnen immer gelegentlich wieder aufgefrischt wird, es heißt: das Unglück Österreichs sei das Konkordat gewesen. Es wird wohl niemand behaupten wollen, daß das Konkordat für das Reich ein Segen ge¬ wesen sei, aber das eigentliche Unglück war es nicht. Es mag höchstens be¬ wirkt haben, daß die Bildung noch mehr zurückblieb, als ohnehin in das Metternichsche „Shstem" paßte. Wer aber die Geschichte der Habsburgischen Monarchie im vorigen Jahrhundert genau verfolgt, dem kann gar nicht ver¬ borgen bleiben, daß das Unglück des Reichs von der liederlichen Finanzwirt¬ schaft herrührte. Die Monarchie würde bei ihren unermeßlichen Hilfsquellen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/253>, abgerufen am 23.12.2024.