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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

Gewehre, zwei tragen ihn, indem sie ihn in halb sitzender Lüge unterstützen; nach
hundert oder hundertfünfzig Schritten lassen sie ihn sachte niedergleiten, ein Mantel
ist rasch ausgebreitet, ein Wachskerzchen wandert aus einem Brodsack heraus und
wird hinter schützend vorgehaltnen Händen entzündet. Der Unteroffizier entrollt
zwei Binden zugleich, befühlt die Wunde und hat sie mit ein paar Umwindnngen
geschickt geschlossen. -- Wenig Blut mehr, sagt er, der arme Kerl hat schon zu
viel verloren, aber die Wunde geht nicht durch, und Puls hat er noch. Vor¬
wärts. -- In diesem Moment kommt Haber herangekeucht, ein Gewehr umgehängt,
das andre wie einen Stab in der Hand. -- Hurra, ruft er leise, dem Gefreiten
sein Gewehr! Was hätte der Hauptmann gesagt, wenn wir das zurückgelassen
hätten? Und hier der Lauf von dem Franzosengewehr, der dem Weckes aus der
Hand herausgeschossen worden sein muß. Der wird ihn erst freuen!




An diese Schilderung der Verwundung schließen sich die im letzten Sommer in den
Die Redaktion Grenzboten veröffentlichten Lazaretterinnerungen an.



Im alten Brüssel
Clara Höhrath von (Fortsetzung)

ez^M>er Pouchenellekeller war bis auf den letzten Platz gefüllt. Papa
Toone hatte Reklame gemacht im Quartier des Marolles für die
Premiere seines ^ohns. Denn das Stück, das heute Abend über die
kleine Bühne gehn sollte, war das Werk seines Sohnes Recke.

Wie zu ihrer Kinderzeit hockte Fintje neben der Hexe auf der
! kleinen Estrade. Ihre Augen schimmerten in gespannter Erwartung,
ihr bangte, ob den Leuten Oomkes Stück gefallen würde, denn es war anders als
die Stücke, die sonst hier gespielt wurden. Arme, natürliche Menschen waren
Oomkes Helden. Keine Könige und Prinzessinnen. Und noch eine weitere kühne
Neuerung hatte er getroffen: die Marionetten bezeichneten ihren Rang nicht mehr
wie bisher durch ihre körperliche Größenverschiedenheit, sondern standen einander
gleich in der Größe, als seien sie alle miteinander Durchschnittsmenschen, auch der
reiche Graf, Nellekcs Verführer. Denn Nelke Perle Amour war die Heldin des
Stücks, Ovale hatte das bekannte Lied seinein Texte zugrunde gelegt.
Nun ging der Vorhang auf.

Da bewegten sich die Marionetten in einer engen Gasse, schlecht gekleidet wie
das Publikum selbst, und sprachen im Dialekt der Marvlliens.

Ein Murren entstand im Publikum. Hatten sie dafür ihren Cent bezahlt,
ihresgleichen zu sehen? Purpurmäntel und wallende Seidengewänder wollten sie
sehen, und hochtrabende Worte wollten sie hören für ihr Geld!

Fintje wurde es bang ums Herz.

Großmutter, bring sie zur Ruhe! Laß das Murren nicht aufkommen! Sie
müssen hören, sie müssen.

Sie hörten auch endlich zu. Sie lachten über ein paar derbe Witze Pitje
Lamms. Der war den meisten ja schon aus dem Liebe bekannt, dieser brave edel¬
mütige Pitje.

Und nettete Perle Amour, was das doch für eine schlaue Katze war, und
verführerisch dazu mit ihrer weiche" Schmeichelstimme. Aber dumm! Wie konnte


Im alten Brüssel

Gewehre, zwei tragen ihn, indem sie ihn in halb sitzender Lüge unterstützen; nach
hundert oder hundertfünfzig Schritten lassen sie ihn sachte niedergleiten, ein Mantel
ist rasch ausgebreitet, ein Wachskerzchen wandert aus einem Brodsack heraus und
wird hinter schützend vorgehaltnen Händen entzündet. Der Unteroffizier entrollt
zwei Binden zugleich, befühlt die Wunde und hat sie mit ein paar Umwindnngen
geschickt geschlossen. — Wenig Blut mehr, sagt er, der arme Kerl hat schon zu
viel verloren, aber die Wunde geht nicht durch, und Puls hat er noch. Vor¬
wärts. — In diesem Moment kommt Haber herangekeucht, ein Gewehr umgehängt,
das andre wie einen Stab in der Hand. — Hurra, ruft er leise, dem Gefreiten
sein Gewehr! Was hätte der Hauptmann gesagt, wenn wir das zurückgelassen
hätten? Und hier der Lauf von dem Franzosengewehr, der dem Weckes aus der
Hand herausgeschossen worden sein muß. Der wird ihn erst freuen!




An diese Schilderung der Verwundung schließen sich die im letzten Sommer in den
Die Redaktion Grenzboten veröffentlichten Lazaretterinnerungen an.



Im alten Brüssel
Clara Höhrath von (Fortsetzung)

ez^M>er Pouchenellekeller war bis auf den letzten Platz gefüllt. Papa
Toone hatte Reklame gemacht im Quartier des Marolles für die
Premiere seines ^ohns. Denn das Stück, das heute Abend über die
kleine Bühne gehn sollte, war das Werk seines Sohnes Recke.

Wie zu ihrer Kinderzeit hockte Fintje neben der Hexe auf der
! kleinen Estrade. Ihre Augen schimmerten in gespannter Erwartung,
ihr bangte, ob den Leuten Oomkes Stück gefallen würde, denn es war anders als
die Stücke, die sonst hier gespielt wurden. Arme, natürliche Menschen waren
Oomkes Helden. Keine Könige und Prinzessinnen. Und noch eine weitere kühne
Neuerung hatte er getroffen: die Marionetten bezeichneten ihren Rang nicht mehr
wie bisher durch ihre körperliche Größenverschiedenheit, sondern standen einander
gleich in der Größe, als seien sie alle miteinander Durchschnittsmenschen, auch der
reiche Graf, Nellekcs Verführer. Denn Nelke Perle Amour war die Heldin des
Stücks, Ovale hatte das bekannte Lied seinein Texte zugrunde gelegt.
Nun ging der Vorhang auf.

Da bewegten sich die Marionetten in einer engen Gasse, schlecht gekleidet wie
das Publikum selbst, und sprachen im Dialekt der Marvlliens.

Ein Murren entstand im Publikum. Hatten sie dafür ihren Cent bezahlt,
ihresgleichen zu sehen? Purpurmäntel und wallende Seidengewänder wollten sie
sehen, und hochtrabende Worte wollten sie hören für ihr Geld!

Fintje wurde es bang ums Herz.

Großmutter, bring sie zur Ruhe! Laß das Murren nicht aufkommen! Sie
müssen hören, sie müssen.

Sie hörten auch endlich zu. Sie lachten über ein paar derbe Witze Pitje
Lamms. Der war den meisten ja schon aus dem Liebe bekannt, dieser brave edel¬
mütige Pitje.

Und nettete Perle Amour, was das doch für eine schlaue Katze war, und
verführerisch dazu mit ihrer weiche» Schmeichelstimme. Aber dumm! Wie konnte


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[0236] Im alten Brüssel Gewehre, zwei tragen ihn, indem sie ihn in halb sitzender Lüge unterstützen; nach hundert oder hundertfünfzig Schritten lassen sie ihn sachte niedergleiten, ein Mantel ist rasch ausgebreitet, ein Wachskerzchen wandert aus einem Brodsack heraus und wird hinter schützend vorgehaltnen Händen entzündet. Der Unteroffizier entrollt zwei Binden zugleich, befühlt die Wunde und hat sie mit ein paar Umwindnngen geschickt geschlossen. — Wenig Blut mehr, sagt er, der arme Kerl hat schon zu viel verloren, aber die Wunde geht nicht durch, und Puls hat er noch. Vor¬ wärts. — In diesem Moment kommt Haber herangekeucht, ein Gewehr umgehängt, das andre wie einen Stab in der Hand. — Hurra, ruft er leise, dem Gefreiten sein Gewehr! Was hätte der Hauptmann gesagt, wenn wir das zurückgelassen hätten? Und hier der Lauf von dem Franzosengewehr, der dem Weckes aus der Hand herausgeschossen worden sein muß. Der wird ihn erst freuen! An diese Schilderung der Verwundung schließen sich die im letzten Sommer in den Die Redaktion Grenzboten veröffentlichten Lazaretterinnerungen an. [Abbildung] Im alten Brüssel Clara Höhrath von (Fortsetzung) ez^M>er Pouchenellekeller war bis auf den letzten Platz gefüllt. Papa Toone hatte Reklame gemacht im Quartier des Marolles für die Premiere seines ^ohns. Denn das Stück, das heute Abend über die kleine Bühne gehn sollte, war das Werk seines Sohnes Recke. Wie zu ihrer Kinderzeit hockte Fintje neben der Hexe auf der ! kleinen Estrade. Ihre Augen schimmerten in gespannter Erwartung, ihr bangte, ob den Leuten Oomkes Stück gefallen würde, denn es war anders als die Stücke, die sonst hier gespielt wurden. Arme, natürliche Menschen waren Oomkes Helden. Keine Könige und Prinzessinnen. Und noch eine weitere kühne Neuerung hatte er getroffen: die Marionetten bezeichneten ihren Rang nicht mehr wie bisher durch ihre körperliche Größenverschiedenheit, sondern standen einander gleich in der Größe, als seien sie alle miteinander Durchschnittsmenschen, auch der reiche Graf, Nellekcs Verführer. Denn Nelke Perle Amour war die Heldin des Stücks, Ovale hatte das bekannte Lied seinein Texte zugrunde gelegt. Nun ging der Vorhang auf. Da bewegten sich die Marionetten in einer engen Gasse, schlecht gekleidet wie das Publikum selbst, und sprachen im Dialekt der Marvlliens. Ein Murren entstand im Publikum. Hatten sie dafür ihren Cent bezahlt, ihresgleichen zu sehen? Purpurmäntel und wallende Seidengewänder wollten sie sehen, und hochtrabende Worte wollten sie hören für ihr Geld! Fintje wurde es bang ums Herz. Großmutter, bring sie zur Ruhe! Laß das Murren nicht aufkommen! Sie müssen hören, sie müssen. Sie hörten auch endlich zu. Sie lachten über ein paar derbe Witze Pitje Lamms. Der war den meisten ja schon aus dem Liebe bekannt, dieser brave edel¬ mütige Pitje. Und nettete Perle Amour, was das doch für eine schlaue Katze war, und verführerisch dazu mit ihrer weiche» Schmeichelstimme. Aber dumm! Wie konnte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/236>, abgerufen am 23.07.2024.