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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Minnesangs Frühling in Frankreich

Ich wage eine deutsche Nachbildung:

Kein Wunder, daß ein flandrischer Chronist des dreizehnten Jahrhunderts
schreibt: "Als der gute König Karl der Große seine Länder verteilte, gab er
die ganze Provence, dieses Land von Wein und Wald und fließenden Wassern,
den Spielleuten, daher die Provenzalen als ihre Nachkommen noch immer
bessere Lieder und Weisen erfinden, denn jedes andre Volk." (Vgl. W. Hertz,
Spielmannsbuch, S. 15; für das folgende S. 2 und 4.)

Die sangesfrohen Troubadours, die ewigdurstigen Musiker verbreiteten
also die Mus xoiwvins, die alten Frühlingslieder aus Poitou und Limousin,
die in ihren Motiven, in den alten heidnischen Festgebräuchen, in Tanz und
Mummenschanz die Erinnerung an den Glauben und die Art der Väter wach
erhielten. Es waren drei Elemente, aus denen sich der Stand der Spielleute
in damaliger Zeit zusammensetzte: die einst hochgeehrten Sänger der keltischen
und der germanischen Völker, der Spaßmacher der antiken Welt und die fahrenden
Kleriker. Die Kleriker waren Männer von höherer Schulbildung, die, von der
allgemeinen Wanderlust der Zeit ergriffen, sich in den Klöstern oder in den
Hoflagern der Christenheit umhertrieben. Am meisten waren sie wohl in den
Zechstuben zu finden:

Es waren unruhige Köpfe voll Geist und Sinnenglut, verbummelte
Existenzen aller Art, die als Dichter und unterhaltsame Gesellschafter in den
Häusern freundlicher Gönner ihr Brot suchten. Ihre graziösen lateinischen
Liebeslieder begannen den Kampf mit den altfranzösischen Weisen ihrer welt¬
lichen Kollegen; doch verschmähten sie nicht, die son8 xoitsvins in eigentümlicher
Weise auch im französischen Sprachgewcmde weiter zu bilden. Manches namen¬
lose Liedchen mag auf ihr Konto zu setzen sein, und so gebührt ihnen auch
hier eine Erwähnung, wo wir den Anfängen des Minnesanges in Frankreich
nachgehn. Wenn nämlich auch die Spielleute persönlich in keinem allzu großen
Ansehen standen, die Kurzweil, die sie brachten, war allerwärts willkommen.
Nicht zum wenigsten in der Provence.

Auf die gewaltigen, glänzenden Heerfahrten, auf die Zeit der Kreuzzüge,
die die zahlreichen Fehden der beutelustigen Barone nur zeitweise unterbrochen
hatten, war eine Zeit der Nuhe, der unfreiwilligen Muße gefolgt. Ein strenges
Regiment hielt unter Ludwig dem Sechsten die Großen nieder. Einförmig,
ja langweilig war da das Leben auf der Burg geworden, besonders im Winter,
wo Tanz und Federspiel ruhten, wo der Mistral wehte, der die Heizversuche
der großen Kamine zuschanden machte, wo in der von Kienspünen dürftig er-


Minnesangs Frühling in Frankreich

Ich wage eine deutsche Nachbildung:

Kein Wunder, daß ein flandrischer Chronist des dreizehnten Jahrhunderts
schreibt: „Als der gute König Karl der Große seine Länder verteilte, gab er
die ganze Provence, dieses Land von Wein und Wald und fließenden Wassern,
den Spielleuten, daher die Provenzalen als ihre Nachkommen noch immer
bessere Lieder und Weisen erfinden, denn jedes andre Volk." (Vgl. W. Hertz,
Spielmannsbuch, S. 15; für das folgende S. 2 und 4.)

Die sangesfrohen Troubadours, die ewigdurstigen Musiker verbreiteten
also die Mus xoiwvins, die alten Frühlingslieder aus Poitou und Limousin,
die in ihren Motiven, in den alten heidnischen Festgebräuchen, in Tanz und
Mummenschanz die Erinnerung an den Glauben und die Art der Väter wach
erhielten. Es waren drei Elemente, aus denen sich der Stand der Spielleute
in damaliger Zeit zusammensetzte: die einst hochgeehrten Sänger der keltischen
und der germanischen Völker, der Spaßmacher der antiken Welt und die fahrenden
Kleriker. Die Kleriker waren Männer von höherer Schulbildung, die, von der
allgemeinen Wanderlust der Zeit ergriffen, sich in den Klöstern oder in den
Hoflagern der Christenheit umhertrieben. Am meisten waren sie wohl in den
Zechstuben zu finden:

Es waren unruhige Köpfe voll Geist und Sinnenglut, verbummelte
Existenzen aller Art, die als Dichter und unterhaltsame Gesellschafter in den
Häusern freundlicher Gönner ihr Brot suchten. Ihre graziösen lateinischen
Liebeslieder begannen den Kampf mit den altfranzösischen Weisen ihrer welt¬
lichen Kollegen; doch verschmähten sie nicht, die son8 xoitsvins in eigentümlicher
Weise auch im französischen Sprachgewcmde weiter zu bilden. Manches namen¬
lose Liedchen mag auf ihr Konto zu setzen sein, und so gebührt ihnen auch
hier eine Erwähnung, wo wir den Anfängen des Minnesanges in Frankreich
nachgehn. Wenn nämlich auch die Spielleute persönlich in keinem allzu großen
Ansehen standen, die Kurzweil, die sie brachten, war allerwärts willkommen.
Nicht zum wenigsten in der Provence.

Auf die gewaltigen, glänzenden Heerfahrten, auf die Zeit der Kreuzzüge,
die die zahlreichen Fehden der beutelustigen Barone nur zeitweise unterbrochen
hatten, war eine Zeit der Nuhe, der unfreiwilligen Muße gefolgt. Ein strenges
Regiment hielt unter Ludwig dem Sechsten die Großen nieder. Einförmig,
ja langweilig war da das Leben auf der Burg geworden, besonders im Winter,
wo Tanz und Federspiel ruhten, wo der Mistral wehte, der die Heizversuche
der großen Kamine zuschanden machte, wo in der von Kienspünen dürftig er-


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[0211] Minnesangs Frühling in Frankreich Ich wage eine deutsche Nachbildung: Kein Wunder, daß ein flandrischer Chronist des dreizehnten Jahrhunderts schreibt: „Als der gute König Karl der Große seine Länder verteilte, gab er die ganze Provence, dieses Land von Wein und Wald und fließenden Wassern, den Spielleuten, daher die Provenzalen als ihre Nachkommen noch immer bessere Lieder und Weisen erfinden, denn jedes andre Volk." (Vgl. W. Hertz, Spielmannsbuch, S. 15; für das folgende S. 2 und 4.) Die sangesfrohen Troubadours, die ewigdurstigen Musiker verbreiteten also die Mus xoiwvins, die alten Frühlingslieder aus Poitou und Limousin, die in ihren Motiven, in den alten heidnischen Festgebräuchen, in Tanz und Mummenschanz die Erinnerung an den Glauben und die Art der Väter wach erhielten. Es waren drei Elemente, aus denen sich der Stand der Spielleute in damaliger Zeit zusammensetzte: die einst hochgeehrten Sänger der keltischen und der germanischen Völker, der Spaßmacher der antiken Welt und die fahrenden Kleriker. Die Kleriker waren Männer von höherer Schulbildung, die, von der allgemeinen Wanderlust der Zeit ergriffen, sich in den Klöstern oder in den Hoflagern der Christenheit umhertrieben. Am meisten waren sie wohl in den Zechstuben zu finden: Es waren unruhige Köpfe voll Geist und Sinnenglut, verbummelte Existenzen aller Art, die als Dichter und unterhaltsame Gesellschafter in den Häusern freundlicher Gönner ihr Brot suchten. Ihre graziösen lateinischen Liebeslieder begannen den Kampf mit den altfranzösischen Weisen ihrer welt¬ lichen Kollegen; doch verschmähten sie nicht, die son8 xoitsvins in eigentümlicher Weise auch im französischen Sprachgewcmde weiter zu bilden. Manches namen¬ lose Liedchen mag auf ihr Konto zu setzen sein, und so gebührt ihnen auch hier eine Erwähnung, wo wir den Anfängen des Minnesanges in Frankreich nachgehn. Wenn nämlich auch die Spielleute persönlich in keinem allzu großen Ansehen standen, die Kurzweil, die sie brachten, war allerwärts willkommen. Nicht zum wenigsten in der Provence. Auf die gewaltigen, glänzenden Heerfahrten, auf die Zeit der Kreuzzüge, die die zahlreichen Fehden der beutelustigen Barone nur zeitweise unterbrochen hatten, war eine Zeit der Nuhe, der unfreiwilligen Muße gefolgt. Ein strenges Regiment hielt unter Ludwig dem Sechsten die Großen nieder. Einförmig, ja langweilig war da das Leben auf der Burg geworden, besonders im Winter, wo Tanz und Federspiel ruhten, wo der Mistral wehte, der die Heizversuche der großen Kamine zuschanden machte, wo in der von Kienspünen dürftig er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/211>, abgerufen am 22.12.2024.