Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.vom alten deutschen Zunftwesen Anzahl von Meistern zulässig war, während ursprünglich jeder neue Genosse Die Masse der Zunftgenossen war dreifach gegliedert. Die erste und die ") C. Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung in der Zeit vom dreizehnten
bis sechzehnten Jahrhundert, Jena, 1880. vom alten deutschen Zunftwesen Anzahl von Meistern zulässig war, während ursprünglich jeder neue Genosse Die Masse der Zunftgenossen war dreifach gegliedert. Die erste und die ") C. Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung in der Zeit vom dreizehnten
bis sechzehnten Jahrhundert, Jena, 1880. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87680"/> <fw type="header" place="top"> vom alten deutschen Zunftwesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_804" prev="#ID_803"> Anzahl von Meistern zulässig war, während ursprünglich jeder neue Genosse<lb/> ein willkommner Machtzuwachs gewesen war, und die Mitgliederzahl vom Rat<lb/> unter Umständen zur Strafe beschränkt wurde. An den Kern der vollberechtigter<lb/> Genossen schlossen sich die Schutzgenossen, zu denen, wie schon erwähnt, die<lb/> Gesellen und die Lehrlinge und sodann die Frauen und die Kinder der Zünftler<lb/> gehörten; sie unterlagen ihrer Gerichtsbarkeit und beteiligten sich selbstverständlich<lb/> an dem religiösen und dem geselligen Leben der Zunft. Gerade in dieser Znnft-<lb/> hörigkeit der ganzen Familien zeigt sich deutlich, daß die Zunft fast eine Gemeinde<lb/> in der Gemeinde war.</p><lb/> <p xml:id="ID_805"> Die Masse der Zunftgenossen war dreifach gegliedert. Die erste und die<lb/> breiteste Zusammenfassung stellte die Versammlung sämtlicher Genossen dar;<lb/> sie hatte die oberste Entscheidung in allen Angelegenheiten und fand, unter dem<lb/> Namen Morgensprache am meisten bekannt, in der Negel dreimal in, Jahre,<lb/> wenn nötig öfter statt. Durch Wahlen nach der Mehrheit der Stimmen be¬<lb/> stimmte sie die Vorsteher der Zunft, deren Zahl meist zwei oder vier betrug,<lb/> und die ihr Amt auf ein oder mehrere Jahre bekleideten. Neben ihnen stand<lb/> ein Zunftrat, teils als kontrollierender Ausschuß der Gesamtheit, teils als Gerichts-<lb/> kollcgium, das unter dem Vorsitz des Zunftmeisters die Zunftgerichtsbarkeit<lb/> ausübte. „Haben die Zünfte, sagt eine Untersuchung,*) um 1400 in den Städten,<lb/> wo sie herrschen, die Polizei in allen Gcwerbesachen und in bezug auf ihre<lb/> eignen Angelegenheiten, eine selbständige Jurisdiktion in fast allen Punkten<lb/> erlangt, ja haben sie sogar Schuldklagen unter Mitgliedern und zuweilen selbst<lb/> solche von und gegen Personen, die der Zunft nicht angehörten, vor ihr Forum<lb/> gezogen und ihre Mitglieder wegen einzelner Kriminalvergehn der Strafgewalt<lb/> der ordentlichen Gerichte entzogen und sie selbst abgeurteilt; finden wir auch<lb/> in Orten, wo eine volle Zunftherrschaft nicht entstanden war, eine Zunft¬<lb/> gerichtsbarkeit, die sich äußerlich von diesen Verhältnissen vielfach kaum unter¬<lb/> scheidet, nur daß sie uuter der Aufsicht des Rates geübt wurde — so wird das<lb/> bei den Zünften mit völliger Autonomie nach 1400 anders. Hier machen sich<lb/> gewisse Mißbrüuche so stark geltend, daß den Zünften ein Teil der Polizei¬<lb/> gewalt genommen oder wenigstens Organen anvertraut wurde, die unter dem<lb/> Einfluß des Rates standen. Zudem wird durch die Herausbildung einer neuen<lb/> Aristokratie in den Zünften vielfach das Wesen der Zunftgerichtsbarkeit geändert.<lb/> Es ist deutlich, daß diese Gerichtsbarkeit geradezu den Kernpunkt der Zunft¬<lb/> freiheit bildete, und die Benennung des Straßburger Zunftvorstandes als Zunft¬<lb/> gericht schlechtweg liefert einen Beweis dafür. Mit ihr war eine allgemeine<lb/> Aufsicht über die sittliche Aufführung der Zunftgenossen verbunden, die die<lb/> Roheit der Niedern Volksschichten zugleich wirksam dämpfte und in den Hand¬<lb/> werkern das Gefühl einer eignen Standesehre stärkte." An sonstigen Ämtern<lb/> wäre etwa das des Büttels zu erwähnen, das dem jüngsten Meister oblag<lb/> und vornehmlich in der Verwaltung der Zunftstube bestand. Vielfach findet<lb/> sich die Verpflichtung festgesetzt, Ämter zu übernehmen.</p><lb/> <note xml:id="FID_10" place="foot"> ") C. Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung in der Zeit vom dreizehnten<lb/> bis sechzehnten Jahrhundert, Jena, 1880.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0202]
vom alten deutschen Zunftwesen
Anzahl von Meistern zulässig war, während ursprünglich jeder neue Genosse
ein willkommner Machtzuwachs gewesen war, und die Mitgliederzahl vom Rat
unter Umständen zur Strafe beschränkt wurde. An den Kern der vollberechtigter
Genossen schlossen sich die Schutzgenossen, zu denen, wie schon erwähnt, die
Gesellen und die Lehrlinge und sodann die Frauen und die Kinder der Zünftler
gehörten; sie unterlagen ihrer Gerichtsbarkeit und beteiligten sich selbstverständlich
an dem religiösen und dem geselligen Leben der Zunft. Gerade in dieser Znnft-
hörigkeit der ganzen Familien zeigt sich deutlich, daß die Zunft fast eine Gemeinde
in der Gemeinde war.
Die Masse der Zunftgenossen war dreifach gegliedert. Die erste und die
breiteste Zusammenfassung stellte die Versammlung sämtlicher Genossen dar;
sie hatte die oberste Entscheidung in allen Angelegenheiten und fand, unter dem
Namen Morgensprache am meisten bekannt, in der Negel dreimal in, Jahre,
wenn nötig öfter statt. Durch Wahlen nach der Mehrheit der Stimmen be¬
stimmte sie die Vorsteher der Zunft, deren Zahl meist zwei oder vier betrug,
und die ihr Amt auf ein oder mehrere Jahre bekleideten. Neben ihnen stand
ein Zunftrat, teils als kontrollierender Ausschuß der Gesamtheit, teils als Gerichts-
kollcgium, das unter dem Vorsitz des Zunftmeisters die Zunftgerichtsbarkeit
ausübte. „Haben die Zünfte, sagt eine Untersuchung,*) um 1400 in den Städten,
wo sie herrschen, die Polizei in allen Gcwerbesachen und in bezug auf ihre
eignen Angelegenheiten, eine selbständige Jurisdiktion in fast allen Punkten
erlangt, ja haben sie sogar Schuldklagen unter Mitgliedern und zuweilen selbst
solche von und gegen Personen, die der Zunft nicht angehörten, vor ihr Forum
gezogen und ihre Mitglieder wegen einzelner Kriminalvergehn der Strafgewalt
der ordentlichen Gerichte entzogen und sie selbst abgeurteilt; finden wir auch
in Orten, wo eine volle Zunftherrschaft nicht entstanden war, eine Zunft¬
gerichtsbarkeit, die sich äußerlich von diesen Verhältnissen vielfach kaum unter¬
scheidet, nur daß sie uuter der Aufsicht des Rates geübt wurde — so wird das
bei den Zünften mit völliger Autonomie nach 1400 anders. Hier machen sich
gewisse Mißbrüuche so stark geltend, daß den Zünften ein Teil der Polizei¬
gewalt genommen oder wenigstens Organen anvertraut wurde, die unter dem
Einfluß des Rates standen. Zudem wird durch die Herausbildung einer neuen
Aristokratie in den Zünften vielfach das Wesen der Zunftgerichtsbarkeit geändert.
Es ist deutlich, daß diese Gerichtsbarkeit geradezu den Kernpunkt der Zunft¬
freiheit bildete, und die Benennung des Straßburger Zunftvorstandes als Zunft¬
gericht schlechtweg liefert einen Beweis dafür. Mit ihr war eine allgemeine
Aufsicht über die sittliche Aufführung der Zunftgenossen verbunden, die die
Roheit der Niedern Volksschichten zugleich wirksam dämpfte und in den Hand¬
werkern das Gefühl einer eignen Standesehre stärkte." An sonstigen Ämtern
wäre etwa das des Büttels zu erwähnen, das dem jüngsten Meister oblag
und vornehmlich in der Verwaltung der Zunftstube bestand. Vielfach findet
sich die Verpflichtung festgesetzt, Ämter zu übernehmen.
") C. Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung in der Zeit vom dreizehnten
bis sechzehnten Jahrhundert, Jena, 1880.
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