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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

Nun brach die Bewunderung los. Hoch, Pitje Lamm! Das ist einer, ein
Braver! Sie hats nicht verdient, die Nelke!

Für diese Zuhörer war das Lied kein Lied nur, es war Erlebtes, Wirklich¬
keit. süsse Peperkoek, der es gesungen hatte, der war ihnen zum braven Pitje
selbst geworden.

Hoch, Pitje Lamm, 1s dravs Mryon! Sie hoben den Kleinen von seinem
Tisch und trugen ihn im Triumph ans den Schultern aus dem Jardin rompu hinaus
in die nächste Wirtschaft hinüber; dort sollte ers den andern auch singen, die Ge¬
schichte vom braven Pitje Lamm.

Ovale und Fintje traten mit den andern ins Freie und merkten nun erst, wie
spät es unterdessen geworden war. Fintje hätte noch weiter mitlaufen mögen mit
der singenden, johlenden Schar, über deren Köpfen der kleine susse in der Luft auf
und nieder wippte, wie ein lustiger Hampelmann. Aber Ovale, der immer Ver¬
nünftige, schüttelte den Kopf.

Jetzt gehn wir heim. Jetzt ists genug. Ich Hab auch kein Geld mehr.

Sie war es auch zufrieden. Die Erregung des soeben Erlebten vibrierte noch
in ihr nach. Sie hängte sich an Oomkes Arm, ihre großen schwarzen Augen
starrten verträumt in die Luft.

Du, mich ärgeres, daß er sie doch noch genommen hat, der gute Pitje. Die
hats nicht verdient, so eine! Ich hätte sie stecken lassen, die schmutzige Nelke.
Dumm von ihm! Verächtlich warf sie die Lippen auf, und in die verträumten
Augen kam schon wieder zuckendes Leben. So eine!

Geh. sei nicht so stolz, sagte der nachdenkliche Ovale, sowas passiert den
Mädchen leicht.

So, meinst du? rief Fintje böse. Du weißt auch was von den Mädchen,
du! Energisch riß sie ihren Arm aus dem seinen.

Meinst du, so wären alle wie die? Ich vielleicht auch? Du würdest dich
gar nicht Wundern, wenn mir einmal so was passierte, nicht? O nein, du
kluger Junge!

Fintjes feine Nasenflügel bebten, sie hätte den Ovale schlagen mögen hier
auf offner Straße, aber dafür waren sie beide schon zu groß. So streckte sie denn
nur flink die Zunge heraus, so lang und hämisch, wie es nur ein in solchen
Künsten geübtes Gassenbolleke fertig bringt, und kehrte ihm mit einem Ruck den
Rücken zu, sodaß ihre Haare ihm hart ins Gesicht schlugen, und rannte davon,
heimwärts, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen. >

Hätte sich dennoch getan, sie hätte sich gewundert über das glückliche Gesicht,
mit dem Ovale ihr, die ihn am liebsten geschlagen hätte, nachschaute.


6

Fintje, die unnütze Kellerratte, wollte hoch hinaus. Es steckte ihr so im Blut
von den d'el Traps her, sagte die Großmutter kopfschüttelnd. Fintje mochte nicht
in der Schenkstube die Gäste bedienen. Sie wollte nicht von trunkner Männern
herumbefohlen und in die Backen gekniffen werden. Papa Toone hätte sie freilich
dazu zwingen können, weil sie ja unentgeltlich sein Brot aß. Aber Papa Toone
war ein gemütlicher Kumpan, der jedem gern den Willen ließ, auch wurde er gut
allein fertig mit den Gästen. Auch Meie, sein Sohn, betrat die verräucherte
Schenke nicht. Ovale hielt nach wie vor seine Puppenkinder in Stand und lernte


Im alten Brüssel

Nun brach die Bewunderung los. Hoch, Pitje Lamm! Das ist einer, ein
Braver! Sie hats nicht verdient, die Nelke!

Für diese Zuhörer war das Lied kein Lied nur, es war Erlebtes, Wirklich¬
keit. süsse Peperkoek, der es gesungen hatte, der war ihnen zum braven Pitje
selbst geworden.

Hoch, Pitje Lamm, 1s dravs Mryon! Sie hoben den Kleinen von seinem
Tisch und trugen ihn im Triumph ans den Schultern aus dem Jardin rompu hinaus
in die nächste Wirtschaft hinüber; dort sollte ers den andern auch singen, die Ge¬
schichte vom braven Pitje Lamm.

Ovale und Fintje traten mit den andern ins Freie und merkten nun erst, wie
spät es unterdessen geworden war. Fintje hätte noch weiter mitlaufen mögen mit
der singenden, johlenden Schar, über deren Köpfen der kleine susse in der Luft auf
und nieder wippte, wie ein lustiger Hampelmann. Aber Ovale, der immer Ver¬
nünftige, schüttelte den Kopf.

Jetzt gehn wir heim. Jetzt ists genug. Ich Hab auch kein Geld mehr.

Sie war es auch zufrieden. Die Erregung des soeben Erlebten vibrierte noch
in ihr nach. Sie hängte sich an Oomkes Arm, ihre großen schwarzen Augen
starrten verträumt in die Luft.

Du, mich ärgeres, daß er sie doch noch genommen hat, der gute Pitje. Die
hats nicht verdient, so eine! Ich hätte sie stecken lassen, die schmutzige Nelke.
Dumm von ihm! Verächtlich warf sie die Lippen auf, und in die verträumten
Augen kam schon wieder zuckendes Leben. So eine!

Geh. sei nicht so stolz, sagte der nachdenkliche Ovale, sowas passiert den
Mädchen leicht.

So, meinst du? rief Fintje böse. Du weißt auch was von den Mädchen,
du! Energisch riß sie ihren Arm aus dem seinen.

Meinst du, so wären alle wie die? Ich vielleicht auch? Du würdest dich
gar nicht Wundern, wenn mir einmal so was passierte, nicht? O nein, du
kluger Junge!

Fintjes feine Nasenflügel bebten, sie hätte den Ovale schlagen mögen hier
auf offner Straße, aber dafür waren sie beide schon zu groß. So streckte sie denn
nur flink die Zunge heraus, so lang und hämisch, wie es nur ein in solchen
Künsten geübtes Gassenbolleke fertig bringt, und kehrte ihm mit einem Ruck den
Rücken zu, sodaß ihre Haare ihm hart ins Gesicht schlugen, und rannte davon,
heimwärts, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen. >

Hätte sich dennoch getan, sie hätte sich gewundert über das glückliche Gesicht,
mit dem Ovale ihr, die ihn am liebsten geschlagen hätte, nachschaute.


6

Fintje, die unnütze Kellerratte, wollte hoch hinaus. Es steckte ihr so im Blut
von den d'el Traps her, sagte die Großmutter kopfschüttelnd. Fintje mochte nicht
in der Schenkstube die Gäste bedienen. Sie wollte nicht von trunkner Männern
herumbefohlen und in die Backen gekniffen werden. Papa Toone hätte sie freilich
dazu zwingen können, weil sie ja unentgeltlich sein Brot aß. Aber Papa Toone
war ein gemütlicher Kumpan, der jedem gern den Willen ließ, auch wurde er gut
allein fertig mit den Gästen. Auch Meie, sein Sohn, betrat die verräucherte
Schenke nicht. Ovale hielt nach wie vor seine Puppenkinder in Stand und lernte


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[0179] Im alten Brüssel Nun brach die Bewunderung los. Hoch, Pitje Lamm! Das ist einer, ein Braver! Sie hats nicht verdient, die Nelke! Für diese Zuhörer war das Lied kein Lied nur, es war Erlebtes, Wirklich¬ keit. süsse Peperkoek, der es gesungen hatte, der war ihnen zum braven Pitje selbst geworden. Hoch, Pitje Lamm, 1s dravs Mryon! Sie hoben den Kleinen von seinem Tisch und trugen ihn im Triumph ans den Schultern aus dem Jardin rompu hinaus in die nächste Wirtschaft hinüber; dort sollte ers den andern auch singen, die Ge¬ schichte vom braven Pitje Lamm. Ovale und Fintje traten mit den andern ins Freie und merkten nun erst, wie spät es unterdessen geworden war. Fintje hätte noch weiter mitlaufen mögen mit der singenden, johlenden Schar, über deren Köpfen der kleine susse in der Luft auf und nieder wippte, wie ein lustiger Hampelmann. Aber Ovale, der immer Ver¬ nünftige, schüttelte den Kopf. Jetzt gehn wir heim. Jetzt ists genug. Ich Hab auch kein Geld mehr. Sie war es auch zufrieden. Die Erregung des soeben Erlebten vibrierte noch in ihr nach. Sie hängte sich an Oomkes Arm, ihre großen schwarzen Augen starrten verträumt in die Luft. Du, mich ärgeres, daß er sie doch noch genommen hat, der gute Pitje. Die hats nicht verdient, so eine! Ich hätte sie stecken lassen, die schmutzige Nelke. Dumm von ihm! Verächtlich warf sie die Lippen auf, und in die verträumten Augen kam schon wieder zuckendes Leben. So eine! Geh. sei nicht so stolz, sagte der nachdenkliche Ovale, sowas passiert den Mädchen leicht. So, meinst du? rief Fintje böse. Du weißt auch was von den Mädchen, du! Energisch riß sie ihren Arm aus dem seinen. Meinst du, so wären alle wie die? Ich vielleicht auch? Du würdest dich gar nicht Wundern, wenn mir einmal so was passierte, nicht? O nein, du kluger Junge! Fintjes feine Nasenflügel bebten, sie hätte den Ovale schlagen mögen hier auf offner Straße, aber dafür waren sie beide schon zu groß. So streckte sie denn nur flink die Zunge heraus, so lang und hämisch, wie es nur ein in solchen Künsten geübtes Gassenbolleke fertig bringt, und kehrte ihm mit einem Ruck den Rücken zu, sodaß ihre Haare ihm hart ins Gesicht schlugen, und rannte davon, heimwärts, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen. > Hätte sich dennoch getan, sie hätte sich gewundert über das glückliche Gesicht, mit dem Ovale ihr, die ihn am liebsten geschlagen hätte, nachschaute. 6 Fintje, die unnütze Kellerratte, wollte hoch hinaus. Es steckte ihr so im Blut von den d'el Traps her, sagte die Großmutter kopfschüttelnd. Fintje mochte nicht in der Schenkstube die Gäste bedienen. Sie wollte nicht von trunkner Männern herumbefohlen und in die Backen gekniffen werden. Papa Toone hätte sie freilich dazu zwingen können, weil sie ja unentgeltlich sein Brot aß. Aber Papa Toone war ein gemütlicher Kumpan, der jedem gern den Willen ließ, auch wurde er gut allein fertig mit den Gästen. Auch Meie, sein Sohn, betrat die verräucherte Schenke nicht. Ovale hielt nach wie vor seine Puppenkinder in Stand und lernte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/179>, abgerufen am 23.07.2024.