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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

Stein oder Eisen, alles sauber, nackt und kahl. Zwei alte Putzfrauen und der
Herr Portier selbst schrubbten unaufhörlich deu Boden sauber, auf den Gängen
und in all den kleinen und den großen Sälen. Aber am Abend, das wußte Fintje
wohl, da kamen die vielen Männer wieder und klapperten mit den Holzschuhen
und den drecküberzognen Stiefeln über diese säubern Dielen und in die Säle, die
aussahen wie die Klassenzimmer einer Schule. Und all die vielen Männer traten
mit ihren schmutzigen Schuhen in den großen Festsaal, wo auf der Bühne Theater
gespielt wurde von richtigen Menschen anstatt von hölzernen, und die schmutzigen
Schuhe gingen auch die eiserne Wendeltreppe hinauf, auf die große Plattform des
Daches. Die war mit Kies bestreut wie die Wege eines Gartens. O, wenn das
Volkshaus ihr gehörte, dachte Fintje, sie würde da oben Bäume und Blumen
pflanzen und künstliche Lauben aufrichten, daß es aussähe wie ein herrlicher Garten.
Oder würden am Ende die schmutzigen Schuhe die Blumen zertreten und die Lauben
umstoßen? War es darum hier oben so kahl, nichts als Steine und ein eisernes
Gitter ringsum?

Gedankenvoll trabte sie hinter Ovale und dem Herrn Portier her. Heute
war der gut aufgelegt, er hatte seinen Besen weggestellt und ließ sie in alle Säle
hineinschauen.

Einundzwanzig Vereine haben wir hier, rühmte er, einuudzwnuzig sozialistische
Vereine. Und wahrend der großen Unruhen haben sich fünftausend Personen in
den großen Festsaal eingedrängt, fünftausend, und zu denen sprach unser großer
Van der Velde. Und wie die zuhörten, die fünftausend!

Aber nun standen sie vor dem kleinen Festsaal, Ivo die Hochzeiten und die
Familienfeste abgehalten wurden, Fintje war schon früher darin gewesen. Und
während sich nun der Schlüssel im Schloß drehte, zog sie ängstlich die glatte Stirn
kraus und ballte in der Erregung die Hände zu Fäusten. Denn darin war es ja,
das Große, Gespenstische, das ihr früher einmal solchen Schreck eingejagt hatte!
Sie wollte diesesmal nicht Hinsehen, ganz gewiß nicht. Nun hatte sich die Tür
geöffnet, und sie lief gleich auf die andre Seite, dorthin, wo die bunten, großen
Bilder hingen. Die waren traurig wie Großmutters Geschichten. O, und so
häßlich! Frauen mit grünen, hungrigen Gesichtern, tote Kinder im Schoß, und
Männer, die sich die Fäuste an die Stirn preßten, und Greise, die auf den Knien
lagen und weinten. Das sind die Elenden, denen geholfen werden muß, sagte der
Portier, und Ovale nickte, er kannte die ja aus seinen Büchern.

Es ist schön und ausdrucksvoll gemalt, ganz nach dem Leben!

Aber Fintje fand es nicht schön, all das Gräßliche. Nur einmal sich um¬
drehen hätte sie mögen nach dem, was sie hinter ihrem Rücken wußte, es zwang
sie förmlich, nach dem andern, dem Großen --

Nun war es geschehen, die gespenstische Erscheinung sah sie an aus zwei
ernsten, traurigen Augen; warnend war der Zeigefinger erhoben. Aus dem kleinen
Nebenraum schaute es in den Saal herein durch den großen fensterähnlicher Aus¬
schnitt in der weißgekalkten Mauer, ein blasses, müdes, schönes Gesicht, wie die
kleine Kellerratte im Leben noch keins gesehen hatte. Gar so schreckhaft, als es
in ihrer Erinnerung gelebt hatte, war diese Erscheinung nun doch nicht. Sie selbst
war Wohl unterdessen größer und mutiger geworden. Sie konnte Hinsehen, ohne
mit der Wimper zu zucken, in dieses große, ernste, blasse Gesicht. Fintje, Fintje,
bist du auch ein gutes Kind? fragte der erhobne Zeigefinger. Aber richtig böse
war er doch nicht auf sie, immer näher getraute sie sich zu ihm hin, ganz dicht
stand sie endlich vor ihm. Ihre Augen wurden still und nachdenklich. Wie war
der schöne große Mann, dessen Gesicht aus der weißen Wand herausstrahlte, der
keinen Rahmen um sich hatte und also auch kein Gemälde war, wie mochte er
wohl hier hereingekommen sein in das Haus der langen Gänge, die ewig geputzt
werden mußten, warum sah er unverwandt in diesen Saal herein, wo die häßlichen
Bilder hingen, und wo des Abends die Männer mit den schmutzigen Schuhen


Im alten Brüssel

Stein oder Eisen, alles sauber, nackt und kahl. Zwei alte Putzfrauen und der
Herr Portier selbst schrubbten unaufhörlich deu Boden sauber, auf den Gängen
und in all den kleinen und den großen Sälen. Aber am Abend, das wußte Fintje
wohl, da kamen die vielen Männer wieder und klapperten mit den Holzschuhen
und den drecküberzognen Stiefeln über diese säubern Dielen und in die Säle, die
aussahen wie die Klassenzimmer einer Schule. Und all die vielen Männer traten
mit ihren schmutzigen Schuhen in den großen Festsaal, wo auf der Bühne Theater
gespielt wurde von richtigen Menschen anstatt von hölzernen, und die schmutzigen
Schuhe gingen auch die eiserne Wendeltreppe hinauf, auf die große Plattform des
Daches. Die war mit Kies bestreut wie die Wege eines Gartens. O, wenn das
Volkshaus ihr gehörte, dachte Fintje, sie würde da oben Bäume und Blumen
pflanzen und künstliche Lauben aufrichten, daß es aussähe wie ein herrlicher Garten.
Oder würden am Ende die schmutzigen Schuhe die Blumen zertreten und die Lauben
umstoßen? War es darum hier oben so kahl, nichts als Steine und ein eisernes
Gitter ringsum?

Gedankenvoll trabte sie hinter Ovale und dem Herrn Portier her. Heute
war der gut aufgelegt, er hatte seinen Besen weggestellt und ließ sie in alle Säle
hineinschauen.

Einundzwanzig Vereine haben wir hier, rühmte er, einuudzwnuzig sozialistische
Vereine. Und wahrend der großen Unruhen haben sich fünftausend Personen in
den großen Festsaal eingedrängt, fünftausend, und zu denen sprach unser großer
Van der Velde. Und wie die zuhörten, die fünftausend!

Aber nun standen sie vor dem kleinen Festsaal, Ivo die Hochzeiten und die
Familienfeste abgehalten wurden, Fintje war schon früher darin gewesen. Und
während sich nun der Schlüssel im Schloß drehte, zog sie ängstlich die glatte Stirn
kraus und ballte in der Erregung die Hände zu Fäusten. Denn darin war es ja,
das Große, Gespenstische, das ihr früher einmal solchen Schreck eingejagt hatte!
Sie wollte diesesmal nicht Hinsehen, ganz gewiß nicht. Nun hatte sich die Tür
geöffnet, und sie lief gleich auf die andre Seite, dorthin, wo die bunten, großen
Bilder hingen. Die waren traurig wie Großmutters Geschichten. O, und so
häßlich! Frauen mit grünen, hungrigen Gesichtern, tote Kinder im Schoß, und
Männer, die sich die Fäuste an die Stirn preßten, und Greise, die auf den Knien
lagen und weinten. Das sind die Elenden, denen geholfen werden muß, sagte der
Portier, und Ovale nickte, er kannte die ja aus seinen Büchern.

Es ist schön und ausdrucksvoll gemalt, ganz nach dem Leben!

Aber Fintje fand es nicht schön, all das Gräßliche. Nur einmal sich um¬
drehen hätte sie mögen nach dem, was sie hinter ihrem Rücken wußte, es zwang
sie förmlich, nach dem andern, dem Großen —

Nun war es geschehen, die gespenstische Erscheinung sah sie an aus zwei
ernsten, traurigen Augen; warnend war der Zeigefinger erhoben. Aus dem kleinen
Nebenraum schaute es in den Saal herein durch den großen fensterähnlicher Aus¬
schnitt in der weißgekalkten Mauer, ein blasses, müdes, schönes Gesicht, wie die
kleine Kellerratte im Leben noch keins gesehen hatte. Gar so schreckhaft, als es
in ihrer Erinnerung gelebt hatte, war diese Erscheinung nun doch nicht. Sie selbst
war Wohl unterdessen größer und mutiger geworden. Sie konnte Hinsehen, ohne
mit der Wimper zu zucken, in dieses große, ernste, blasse Gesicht. Fintje, Fintje,
bist du auch ein gutes Kind? fragte der erhobne Zeigefinger. Aber richtig böse
war er doch nicht auf sie, immer näher getraute sie sich zu ihm hin, ganz dicht
stand sie endlich vor ihm. Ihre Augen wurden still und nachdenklich. Wie war
der schöne große Mann, dessen Gesicht aus der weißen Wand herausstrahlte, der
keinen Rahmen um sich hatte und also auch kein Gemälde war, wie mochte er
wohl hier hereingekommen sein in das Haus der langen Gänge, die ewig geputzt
werden mußten, warum sah er unverwandt in diesen Saal herein, wo die häßlichen
Bilder hingen, und wo des Abends die Männer mit den schmutzigen Schuhen


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[0176] Im alten Brüssel Stein oder Eisen, alles sauber, nackt und kahl. Zwei alte Putzfrauen und der Herr Portier selbst schrubbten unaufhörlich deu Boden sauber, auf den Gängen und in all den kleinen und den großen Sälen. Aber am Abend, das wußte Fintje wohl, da kamen die vielen Männer wieder und klapperten mit den Holzschuhen und den drecküberzognen Stiefeln über diese säubern Dielen und in die Säle, die aussahen wie die Klassenzimmer einer Schule. Und all die vielen Männer traten mit ihren schmutzigen Schuhen in den großen Festsaal, wo auf der Bühne Theater gespielt wurde von richtigen Menschen anstatt von hölzernen, und die schmutzigen Schuhe gingen auch die eiserne Wendeltreppe hinauf, auf die große Plattform des Daches. Die war mit Kies bestreut wie die Wege eines Gartens. O, wenn das Volkshaus ihr gehörte, dachte Fintje, sie würde da oben Bäume und Blumen pflanzen und künstliche Lauben aufrichten, daß es aussähe wie ein herrlicher Garten. Oder würden am Ende die schmutzigen Schuhe die Blumen zertreten und die Lauben umstoßen? War es darum hier oben so kahl, nichts als Steine und ein eisernes Gitter ringsum? Gedankenvoll trabte sie hinter Ovale und dem Herrn Portier her. Heute war der gut aufgelegt, er hatte seinen Besen weggestellt und ließ sie in alle Säle hineinschauen. Einundzwanzig Vereine haben wir hier, rühmte er, einuudzwnuzig sozialistische Vereine. Und wahrend der großen Unruhen haben sich fünftausend Personen in den großen Festsaal eingedrängt, fünftausend, und zu denen sprach unser großer Van der Velde. Und wie die zuhörten, die fünftausend! Aber nun standen sie vor dem kleinen Festsaal, Ivo die Hochzeiten und die Familienfeste abgehalten wurden, Fintje war schon früher darin gewesen. Und während sich nun der Schlüssel im Schloß drehte, zog sie ängstlich die glatte Stirn kraus und ballte in der Erregung die Hände zu Fäusten. Denn darin war es ja, das Große, Gespenstische, das ihr früher einmal solchen Schreck eingejagt hatte! Sie wollte diesesmal nicht Hinsehen, ganz gewiß nicht. Nun hatte sich die Tür geöffnet, und sie lief gleich auf die andre Seite, dorthin, wo die bunten, großen Bilder hingen. Die waren traurig wie Großmutters Geschichten. O, und so häßlich! Frauen mit grünen, hungrigen Gesichtern, tote Kinder im Schoß, und Männer, die sich die Fäuste an die Stirn preßten, und Greise, die auf den Knien lagen und weinten. Das sind die Elenden, denen geholfen werden muß, sagte der Portier, und Ovale nickte, er kannte die ja aus seinen Büchern. Es ist schön und ausdrucksvoll gemalt, ganz nach dem Leben! Aber Fintje fand es nicht schön, all das Gräßliche. Nur einmal sich um¬ drehen hätte sie mögen nach dem, was sie hinter ihrem Rücken wußte, es zwang sie förmlich, nach dem andern, dem Großen — Nun war es geschehen, die gespenstische Erscheinung sah sie an aus zwei ernsten, traurigen Augen; warnend war der Zeigefinger erhoben. Aus dem kleinen Nebenraum schaute es in den Saal herein durch den großen fensterähnlicher Aus¬ schnitt in der weißgekalkten Mauer, ein blasses, müdes, schönes Gesicht, wie die kleine Kellerratte im Leben noch keins gesehen hatte. Gar so schreckhaft, als es in ihrer Erinnerung gelebt hatte, war diese Erscheinung nun doch nicht. Sie selbst war Wohl unterdessen größer und mutiger geworden. Sie konnte Hinsehen, ohne mit der Wimper zu zucken, in dieses große, ernste, blasse Gesicht. Fintje, Fintje, bist du auch ein gutes Kind? fragte der erhobne Zeigefinger. Aber richtig böse war er doch nicht auf sie, immer näher getraute sie sich zu ihm hin, ganz dicht stand sie endlich vor ihm. Ihre Augen wurden still und nachdenklich. Wie war der schöne große Mann, dessen Gesicht aus der weißen Wand herausstrahlte, der keinen Rahmen um sich hatte und also auch kein Gemälde war, wie mochte er wohl hier hereingekommen sein in das Haus der langen Gänge, die ewig geputzt werden mußten, warum sah er unverwandt in diesen Saal herein, wo die häßlichen Bilder hingen, und wo des Abends die Männer mit den schmutzigen Schuhen

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/176>, abgerufen am 23.07.2024.