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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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von der Reichshauptstadt nach dem Riesengebirge durch die Luft

Queis, den beinahe schachbrettförmig verteilten Feldern und -- seinem Exerzier¬
platz schon aus der Ferne aufnehmen können. Obwohl wir direkt darauf zu
schweben, soll uns sein Anblick von oben doch nicht zuteil werden. Aber das
darf uns nicht leid sein, denn was uns darum bringt, ist ein so fesselndes
Naturschauspiel, daß wir gern auf Lauben aus der Ballonperspektive ver¬
zichten.

Fast alle Reize einer Ballonfahrt sollen uns heute nacheinander zuteil
werden. Unser Führer selbst behauptet, daß diese von seinen vielen Fahrten
die genußreichste sei. Wir haben ihn zwar ein wenig in dem Verdacht, er
mache es ähnlich wie die schelmisch liebenswürdigen Schiffskapitäne, die nament¬
lich mitfahrenden Damen bei einer frischen Brise versichern, auf einen solchen
Sturm könnten sie sich selber kaum besinnen, und noch nie Hütten sie so tapfre
und seefeste Passagiere an Bord gehabt. Aber Dr. Bröckelmann erklärt, daß
es sein Ernst sei. Eben noch konnten wir die Landschaft unter uns deutlich
erkennen, jetzt erscheint sie uns plötzlich leicht getrübt. Der Schleier wird
dichter und dichter, Schatten gleiten über die Erde. Liegen mit einemmal
Schneefelder unter uns? Es sind Wolken, sie wallen und wogen in zartestem
Duft, sie türmen sich auf und bilden wunderliche Gestalten.

Arme Maria Stuart, wenn du jetzt an unsrer Stelle sein könntest! Aber
wir schiffen nicht mit den Wolken, sondern hoch über ihnen, vielleicht tausend
Meter darüber, deshalb wird auch unsre Fahrt nicht gestört durch ihren
Feuchtigkeitsgehalt; und die Luftströmung, die uns trägt, ist weit schneller als
sie, darum sieht es aus, als kämen sie auf uns zu, während sie doch die¬
selbe Richtung mit uns haben. Von der Erde ist nichts mehr zu sehen.
Nun erst sind wir wirklich allein, ohne jede Verbindung mit dem Boden, der
uns getragen und genährt hat. Aber wir fühlen uns nicht beunruhigt dadurch,
sondern nur noch mehr erhoben. Wenn wir noch einen Rest irdischer Sorgen
mit hinaufgenommen hatten, jetzt schwindet er vollends.

Da unten werden sie jetzt sagen: "Wie trüb es auf einmal geworden ist!"
An sich sind die Wolken ja farblos, aber von unten gesehen, wo eine die andre
beschattet, erscheinen sie dunkel, uns dagegen in blendendem Weiß. Über uns
strahlt ja die Sonne in reinem Glanz aus klarblauem Himmel. Immer leb¬
hafter wird das Treiben und Spielen der Wolken. Nach oben zu schneiden
sie fast in einer Ebne ab, und doch ist es kein geschlossenes Wolkenmeer, sondern
es sind zahllose flockige, leichte Wolkenballen, wir erwarten jeden Augenblick,
daß Raffaelsche Engelsköpfchen aus ihnen hervortauchen. Wohl ist uns auch
von hohen Bergen aus schon ein ähnlicher Anblick zuteil geworden. Aber da
heulte der Sturm dazu und drohte uus zu Boden zu werfen oder gar vom
Felsen hinabzustürzen, und Kälte durchschauerte uns. Hier genießen wir in
regungsloser Stille, die Glieder wohlig durchwärmt, über den schützenden Rand
des Korbes hinabgebeugt, andachtsvoll das erhabne Schauspiel. Jetzt zeigt sich
in den Wolken das Spiegelbild unsers Fahrzeugs, freilich in ziemlicher Ent-


von der Reichshauptstadt nach dem Riesengebirge durch die Luft

Queis, den beinahe schachbrettförmig verteilten Feldern und — seinem Exerzier¬
platz schon aus der Ferne aufnehmen können. Obwohl wir direkt darauf zu
schweben, soll uns sein Anblick von oben doch nicht zuteil werden. Aber das
darf uns nicht leid sein, denn was uns darum bringt, ist ein so fesselndes
Naturschauspiel, daß wir gern auf Lauben aus der Ballonperspektive ver¬
zichten.

Fast alle Reize einer Ballonfahrt sollen uns heute nacheinander zuteil
werden. Unser Führer selbst behauptet, daß diese von seinen vielen Fahrten
die genußreichste sei. Wir haben ihn zwar ein wenig in dem Verdacht, er
mache es ähnlich wie die schelmisch liebenswürdigen Schiffskapitäne, die nament¬
lich mitfahrenden Damen bei einer frischen Brise versichern, auf einen solchen
Sturm könnten sie sich selber kaum besinnen, und noch nie Hütten sie so tapfre
und seefeste Passagiere an Bord gehabt. Aber Dr. Bröckelmann erklärt, daß
es sein Ernst sei. Eben noch konnten wir die Landschaft unter uns deutlich
erkennen, jetzt erscheint sie uns plötzlich leicht getrübt. Der Schleier wird
dichter und dichter, Schatten gleiten über die Erde. Liegen mit einemmal
Schneefelder unter uns? Es sind Wolken, sie wallen und wogen in zartestem
Duft, sie türmen sich auf und bilden wunderliche Gestalten.

Arme Maria Stuart, wenn du jetzt an unsrer Stelle sein könntest! Aber
wir schiffen nicht mit den Wolken, sondern hoch über ihnen, vielleicht tausend
Meter darüber, deshalb wird auch unsre Fahrt nicht gestört durch ihren
Feuchtigkeitsgehalt; und die Luftströmung, die uns trägt, ist weit schneller als
sie, darum sieht es aus, als kämen sie auf uns zu, während sie doch die¬
selbe Richtung mit uns haben. Von der Erde ist nichts mehr zu sehen.
Nun erst sind wir wirklich allein, ohne jede Verbindung mit dem Boden, der
uns getragen und genährt hat. Aber wir fühlen uns nicht beunruhigt dadurch,
sondern nur noch mehr erhoben. Wenn wir noch einen Rest irdischer Sorgen
mit hinaufgenommen hatten, jetzt schwindet er vollends.

Da unten werden sie jetzt sagen: „Wie trüb es auf einmal geworden ist!"
An sich sind die Wolken ja farblos, aber von unten gesehen, wo eine die andre
beschattet, erscheinen sie dunkel, uns dagegen in blendendem Weiß. Über uns
strahlt ja die Sonne in reinem Glanz aus klarblauem Himmel. Immer leb¬
hafter wird das Treiben und Spielen der Wolken. Nach oben zu schneiden
sie fast in einer Ebne ab, und doch ist es kein geschlossenes Wolkenmeer, sondern
es sind zahllose flockige, leichte Wolkenballen, wir erwarten jeden Augenblick,
daß Raffaelsche Engelsköpfchen aus ihnen hervortauchen. Wohl ist uns auch
von hohen Bergen aus schon ein ähnlicher Anblick zuteil geworden. Aber da
heulte der Sturm dazu und drohte uus zu Boden zu werfen oder gar vom
Felsen hinabzustürzen, und Kälte durchschauerte uns. Hier genießen wir in
regungsloser Stille, die Glieder wohlig durchwärmt, über den schützenden Rand
des Korbes hinabgebeugt, andachtsvoll das erhabne Schauspiel. Jetzt zeigt sich
in den Wolken das Spiegelbild unsers Fahrzeugs, freilich in ziemlicher Ent-


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[0162] von der Reichshauptstadt nach dem Riesengebirge durch die Luft Queis, den beinahe schachbrettförmig verteilten Feldern und — seinem Exerzier¬ platz schon aus der Ferne aufnehmen können. Obwohl wir direkt darauf zu schweben, soll uns sein Anblick von oben doch nicht zuteil werden. Aber das darf uns nicht leid sein, denn was uns darum bringt, ist ein so fesselndes Naturschauspiel, daß wir gern auf Lauben aus der Ballonperspektive ver¬ zichten. Fast alle Reize einer Ballonfahrt sollen uns heute nacheinander zuteil werden. Unser Führer selbst behauptet, daß diese von seinen vielen Fahrten die genußreichste sei. Wir haben ihn zwar ein wenig in dem Verdacht, er mache es ähnlich wie die schelmisch liebenswürdigen Schiffskapitäne, die nament¬ lich mitfahrenden Damen bei einer frischen Brise versichern, auf einen solchen Sturm könnten sie sich selber kaum besinnen, und noch nie Hütten sie so tapfre und seefeste Passagiere an Bord gehabt. Aber Dr. Bröckelmann erklärt, daß es sein Ernst sei. Eben noch konnten wir die Landschaft unter uns deutlich erkennen, jetzt erscheint sie uns plötzlich leicht getrübt. Der Schleier wird dichter und dichter, Schatten gleiten über die Erde. Liegen mit einemmal Schneefelder unter uns? Es sind Wolken, sie wallen und wogen in zartestem Duft, sie türmen sich auf und bilden wunderliche Gestalten. Arme Maria Stuart, wenn du jetzt an unsrer Stelle sein könntest! Aber wir schiffen nicht mit den Wolken, sondern hoch über ihnen, vielleicht tausend Meter darüber, deshalb wird auch unsre Fahrt nicht gestört durch ihren Feuchtigkeitsgehalt; und die Luftströmung, die uns trägt, ist weit schneller als sie, darum sieht es aus, als kämen sie auf uns zu, während sie doch die¬ selbe Richtung mit uns haben. Von der Erde ist nichts mehr zu sehen. Nun erst sind wir wirklich allein, ohne jede Verbindung mit dem Boden, der uns getragen und genährt hat. Aber wir fühlen uns nicht beunruhigt dadurch, sondern nur noch mehr erhoben. Wenn wir noch einen Rest irdischer Sorgen mit hinaufgenommen hatten, jetzt schwindet er vollends. Da unten werden sie jetzt sagen: „Wie trüb es auf einmal geworden ist!" An sich sind die Wolken ja farblos, aber von unten gesehen, wo eine die andre beschattet, erscheinen sie dunkel, uns dagegen in blendendem Weiß. Über uns strahlt ja die Sonne in reinem Glanz aus klarblauem Himmel. Immer leb¬ hafter wird das Treiben und Spielen der Wolken. Nach oben zu schneiden sie fast in einer Ebne ab, und doch ist es kein geschlossenes Wolkenmeer, sondern es sind zahllose flockige, leichte Wolkenballen, wir erwarten jeden Augenblick, daß Raffaelsche Engelsköpfchen aus ihnen hervortauchen. Wohl ist uns auch von hohen Bergen aus schon ein ähnlicher Anblick zuteil geworden. Aber da heulte der Sturm dazu und drohte uus zu Boden zu werfen oder gar vom Felsen hinabzustürzen, und Kälte durchschauerte uns. Hier genießen wir in regungsloser Stille, die Glieder wohlig durchwärmt, über den schützenden Rand des Korbes hinabgebeugt, andachtsvoll das erhabne Schauspiel. Jetzt zeigt sich in den Wolken das Spiegelbild unsers Fahrzeugs, freilich in ziemlicher Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/162>, abgerufen am 22.12.2024.