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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Vom alten deutschen Zunftwesen

Große gerichteter Ehrgeiz in ihm, aber er nahm die Richtung an, die die
Kombination von liberalen Grundsätzen, mystischer Religiosität und starkem
Selbstgefühl frei ließ. Was er tat, mußte mit dem Mantel edler Prinzipien
umkleidet sein, auch da, Mo Macht- und Interessenfragen ihn bestimmten. Er
war in der Politik verschlagen und hinterhaltig und ging doch stets darauf
aus, den Schein erhabner Uneigennützigkeit zu erwecken. Seine Geheimnisse
wußte er zu wahren wie kein andrer, und doch sind seine politischen Ziele
schließlich von fast allen durchschaut worden, die ihm im Kampf der Interessen
gegenüberstanden. Napoleon hat ihn einen byzantinischen Griechen genannt,
und allerdings wird dadurch eine Seite seines Wesens bezeichnet, in der kaiser¬
lichen Familie, auch in den vertrauten Korrespondenzen, nannte man ihn den
Engel, das ist die andre Seite. Die beiden Seelen aber in seiner
Brust haben in stetem Kampf miteinander gerungen, und deshalb wird über
den Menschen Alexander das Urteil nie verdammend lauten können. Als Kaiser
L. F. aber hat er seinem Volke mehr Unheil gebracht als Segen."




Vom alten deutschen Zunftwesen
Georg Siepers von

>le beiden landläufigen Ansichten 'über das deutsche Zunftwesen
früherer Zeiten sind einander völlig entgegengesetzt. Die einen
sehen darin einen Beweis der Rückständigkeit des "finstern"
Mittelalters, einen Ausfluß kurzsichtiger Beschränktheit und Be¬
schränkung ^ von der andern Partei wird es als eine zweckmäßige
Regelung des damaligen Wirtschaftslebens, als wohlgclungne Form selbst¬
bewußter Berufsgliederung gepriesen, deren Nachbildung erstrebt werden müsse.
Neben diesen Meinungen geht noch eine mehr ästhetische Betrachtungsweise
einher, die sich auch wohl mit beiden verbindet: sie erfreut sich der Meisterwerke
der alten Zunftgenossen, des poetischen Klanges ihrer biderben Sprüche und
Formeln und weidet ihre Blicke an dem matten Glänze sinnvoll geschmückter
Zinnkrüge und Zinnschüsseln. Nun. haften landläufige Urteile fast immer an
der Oberfläche und umfassen sogar von ihr vielfach nur einen Teil; in den
Kern dringen sie nicht ein. Und das hat im vorliegenden Falle seine be¬
sonders guten Gründe.

In derselben Weise, wie die Frage nach der Entstehung der Städte in
Deutschland, hat auch die Frage nach der Entwicklung der deutschen Zünfte
eine Fülle von verschiednen Antworten hervorgerufen, was man sich bei der
Eigentümlichkeit des Gegenstandes, der die Verbindung geschichtlicher, rechts¬
wissenschaftlicher und nationalökonomischer Forschung fordert, leicht erklären
kann. Wir finden in der altern Zeit eine Anzahl Theorien, die die Zünfte
aus einer oder zwei Ursachen Hervorgehn lassen wollen: so zum Beispiel aus
den alten römischen Kollegien der Handwerker, den oolls^ig. opitiorun, oder aus


Vom alten deutschen Zunftwesen

Große gerichteter Ehrgeiz in ihm, aber er nahm die Richtung an, die die
Kombination von liberalen Grundsätzen, mystischer Religiosität und starkem
Selbstgefühl frei ließ. Was er tat, mußte mit dem Mantel edler Prinzipien
umkleidet sein, auch da, Mo Macht- und Interessenfragen ihn bestimmten. Er
war in der Politik verschlagen und hinterhaltig und ging doch stets darauf
aus, den Schein erhabner Uneigennützigkeit zu erwecken. Seine Geheimnisse
wußte er zu wahren wie kein andrer, und doch sind seine politischen Ziele
schließlich von fast allen durchschaut worden, die ihm im Kampf der Interessen
gegenüberstanden. Napoleon hat ihn einen byzantinischen Griechen genannt,
und allerdings wird dadurch eine Seite seines Wesens bezeichnet, in der kaiser¬
lichen Familie, auch in den vertrauten Korrespondenzen, nannte man ihn den
Engel, das ist die andre Seite. Die beiden Seelen aber in seiner
Brust haben in stetem Kampf miteinander gerungen, und deshalb wird über
den Menschen Alexander das Urteil nie verdammend lauten können. Als Kaiser
L. F. aber hat er seinem Volke mehr Unheil gebracht als Segen."




Vom alten deutschen Zunftwesen
Georg Siepers von

>le beiden landläufigen Ansichten 'über das deutsche Zunftwesen
früherer Zeiten sind einander völlig entgegengesetzt. Die einen
sehen darin einen Beweis der Rückständigkeit des „finstern"
Mittelalters, einen Ausfluß kurzsichtiger Beschränktheit und Be¬
schränkung ^ von der andern Partei wird es als eine zweckmäßige
Regelung des damaligen Wirtschaftslebens, als wohlgclungne Form selbst¬
bewußter Berufsgliederung gepriesen, deren Nachbildung erstrebt werden müsse.
Neben diesen Meinungen geht noch eine mehr ästhetische Betrachtungsweise
einher, die sich auch wohl mit beiden verbindet: sie erfreut sich der Meisterwerke
der alten Zunftgenossen, des poetischen Klanges ihrer biderben Sprüche und
Formeln und weidet ihre Blicke an dem matten Glänze sinnvoll geschmückter
Zinnkrüge und Zinnschüsseln. Nun. haften landläufige Urteile fast immer an
der Oberfläche und umfassen sogar von ihr vielfach nur einen Teil; in den
Kern dringen sie nicht ein. Und das hat im vorliegenden Falle seine be¬
sonders guten Gründe.

In derselben Weise, wie die Frage nach der Entstehung der Städte in
Deutschland, hat auch die Frage nach der Entwicklung der deutschen Zünfte
eine Fülle von verschiednen Antworten hervorgerufen, was man sich bei der
Eigentümlichkeit des Gegenstandes, der die Verbindung geschichtlicher, rechts¬
wissenschaftlicher und nationalökonomischer Forschung fordert, leicht erklären
kann. Wir finden in der altern Zeit eine Anzahl Theorien, die die Zünfte
aus einer oder zwei Ursachen Hervorgehn lassen wollen: so zum Beispiel aus
den alten römischen Kollegien der Handwerker, den oolls^ig. opitiorun, oder aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/140>, abgerufen am 22.12.2024.