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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Don der Reich-Hauptstadt nach dein Riesengebirge durch die Luft

Es ist bekannt, mit wie lebhafter Teilnahme Goethe die Erfindung und
die Versuche der Brüder Montgolfier verfolgte, die ja sogar in Weimar im
kleinen nachgeahmt wurden, "Ergötzen dich nicht auch die Luftfahrer? so
schreibt er 1783 an Lavater. Ich mag den Menschen gar zu gern so etwas
gönnen. Beiden, den Erfindern und den Zuschauern." Wenn einer modern
in seiner Zeit dachte, so war er es. Wir kennen ihn als leidenschaftlichen
Reiter und wie Klopstock als gewandten Schlittschuhläufer. Lebte er heute,
er würde Radfahrer und -- Luftschiffer sein. So ließ er den Genuß, den er
sich selber versagen mußte, wenigstens seinem Faust zuteil werden. Als dieser
das enge, dumpfe Studierzimmer verlassen soll, um erst die kleine, dann die
große Welt zu sehen, da weiß Mephistopheles Rat, wie ohne Pferde, Knecht
und Wagen die Reise angetreten werden kann:

Und dazu gibt er ihm die noch heute von jedem Luftschiffer zu beherzigende
Mahnung mit auf den Weg:

Wir sind also in klassischer Gesellschaft, wenn wir uns zu einer Fahrt
durch die Lüfte entschließen.

An einem glühend heißen Julitage erfolgt die Reise nach Berlin. Die
Eisenbahnfahrt ist greulich; um sie einigermaßen erträglich zu machen, sind
die Fenster auf beiden Seiten des Wagens geöffnet, Rauch und Kohlenstaub
dringen durch sie ein und gefährden Augen und Lungen. Wer doch schon da
oben wäre! In Berlin eine Luft bald zum Ersticken, üble Gerüche auf allen
Straßen, der Asphalt gibt dem Druck der Füße nach. In der Nacht zu
schlafen, ist vor Hitze fast unmöglich, auch die freudige Erwartung des nächsten
Tages läßt es nicht dazu kommen. Wohin wird der Wind uns treiben? Die
Freunde in der Heimat, die von der Art der geplanten Reise nichts wußten,
hatten gefragt: "Wohin solls von Berlin aus gehn?" "Ich weiß es noch nicht,"
konnte ich ihnen mit guten. Gewissen antworten, sie aber Hiellers für eine
Ausflucht. In dieser Ungewißheit liegt ein weiterer Reiz der Ballonfahrt, in
der Spannung: Wo wird der nächste Abend dich finden? Jetzt weht reiner
Nord; wenn er anhält, dann geht der Flug über das liebe Heimatland hin¬
weg, über den großen Truppenübungsplatz bei Zeithain. Wie wird der Reise¬
gefährte sich freuen, wenn er seineu braven Leuten diesesmal sein "Guten
Morgen, Batterie!" noch in anderen Sinne wie sonst als ein höheres Wesen
zurufen kann. Und dann das Tal der Freiberger Mulde aufwärts, über die alte
Berghauptstadt des Sachsenlandes, über den Kamm des Erzgebirges hinweg,
an Kaiser Karls Bad vorüber direkt ins echteste Pilsner, wer kanns wissen?

Endlich gegen Morgen ein wenig Schlaf. Da um fünf Uhr ein ganz
ungewohntes Geräusch, nach dem man sich wochenlang gesehnt hat,, das aber
jetzt recht peinlich berührt. Es regnet, und w'e! Der Himmel grau in grau.


Don der Reich-Hauptstadt nach dein Riesengebirge durch die Luft

Es ist bekannt, mit wie lebhafter Teilnahme Goethe die Erfindung und
die Versuche der Brüder Montgolfier verfolgte, die ja sogar in Weimar im
kleinen nachgeahmt wurden, „Ergötzen dich nicht auch die Luftfahrer? so
schreibt er 1783 an Lavater. Ich mag den Menschen gar zu gern so etwas
gönnen. Beiden, den Erfindern und den Zuschauern." Wenn einer modern
in seiner Zeit dachte, so war er es. Wir kennen ihn als leidenschaftlichen
Reiter und wie Klopstock als gewandten Schlittschuhläufer. Lebte er heute,
er würde Radfahrer und — Luftschiffer sein. So ließ er den Genuß, den er
sich selber versagen mußte, wenigstens seinem Faust zuteil werden. Als dieser
das enge, dumpfe Studierzimmer verlassen soll, um erst die kleine, dann die
große Welt zu sehen, da weiß Mephistopheles Rat, wie ohne Pferde, Knecht
und Wagen die Reise angetreten werden kann:

Und dazu gibt er ihm die noch heute von jedem Luftschiffer zu beherzigende
Mahnung mit auf den Weg:

Wir sind also in klassischer Gesellschaft, wenn wir uns zu einer Fahrt
durch die Lüfte entschließen.

An einem glühend heißen Julitage erfolgt die Reise nach Berlin. Die
Eisenbahnfahrt ist greulich; um sie einigermaßen erträglich zu machen, sind
die Fenster auf beiden Seiten des Wagens geöffnet, Rauch und Kohlenstaub
dringen durch sie ein und gefährden Augen und Lungen. Wer doch schon da
oben wäre! In Berlin eine Luft bald zum Ersticken, üble Gerüche auf allen
Straßen, der Asphalt gibt dem Druck der Füße nach. In der Nacht zu
schlafen, ist vor Hitze fast unmöglich, auch die freudige Erwartung des nächsten
Tages läßt es nicht dazu kommen. Wohin wird der Wind uns treiben? Die
Freunde in der Heimat, die von der Art der geplanten Reise nichts wußten,
hatten gefragt: „Wohin solls von Berlin aus gehn?" „Ich weiß es noch nicht,"
konnte ich ihnen mit guten. Gewissen antworten, sie aber Hiellers für eine
Ausflucht. In dieser Ungewißheit liegt ein weiterer Reiz der Ballonfahrt, in
der Spannung: Wo wird der nächste Abend dich finden? Jetzt weht reiner
Nord; wenn er anhält, dann geht der Flug über das liebe Heimatland hin¬
weg, über den großen Truppenübungsplatz bei Zeithain. Wie wird der Reise¬
gefährte sich freuen, wenn er seineu braven Leuten diesesmal sein „Guten
Morgen, Batterie!" noch in anderen Sinne wie sonst als ein höheres Wesen
zurufen kann. Und dann das Tal der Freiberger Mulde aufwärts, über die alte
Berghauptstadt des Sachsenlandes, über den Kamm des Erzgebirges hinweg,
an Kaiser Karls Bad vorüber direkt ins echteste Pilsner, wer kanns wissen?

Endlich gegen Morgen ein wenig Schlaf. Da um fünf Uhr ein ganz
ungewohntes Geräusch, nach dem man sich wochenlang gesehnt hat,, das aber
jetzt recht peinlich berührt. Es regnet, und w'e! Der Himmel grau in grau.


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[0102] Don der Reich-Hauptstadt nach dein Riesengebirge durch die Luft Es ist bekannt, mit wie lebhafter Teilnahme Goethe die Erfindung und die Versuche der Brüder Montgolfier verfolgte, die ja sogar in Weimar im kleinen nachgeahmt wurden, „Ergötzen dich nicht auch die Luftfahrer? so schreibt er 1783 an Lavater. Ich mag den Menschen gar zu gern so etwas gönnen. Beiden, den Erfindern und den Zuschauern." Wenn einer modern in seiner Zeit dachte, so war er es. Wir kennen ihn als leidenschaftlichen Reiter und wie Klopstock als gewandten Schlittschuhläufer. Lebte er heute, er würde Radfahrer und — Luftschiffer sein. So ließ er den Genuß, den er sich selber versagen mußte, wenigstens seinem Faust zuteil werden. Als dieser das enge, dumpfe Studierzimmer verlassen soll, um erst die kleine, dann die große Welt zu sehen, da weiß Mephistopheles Rat, wie ohne Pferde, Knecht und Wagen die Reise angetreten werden kann: Und dazu gibt er ihm die noch heute von jedem Luftschiffer zu beherzigende Mahnung mit auf den Weg: Wir sind also in klassischer Gesellschaft, wenn wir uns zu einer Fahrt durch die Lüfte entschließen. An einem glühend heißen Julitage erfolgt die Reise nach Berlin. Die Eisenbahnfahrt ist greulich; um sie einigermaßen erträglich zu machen, sind die Fenster auf beiden Seiten des Wagens geöffnet, Rauch und Kohlenstaub dringen durch sie ein und gefährden Augen und Lungen. Wer doch schon da oben wäre! In Berlin eine Luft bald zum Ersticken, üble Gerüche auf allen Straßen, der Asphalt gibt dem Druck der Füße nach. In der Nacht zu schlafen, ist vor Hitze fast unmöglich, auch die freudige Erwartung des nächsten Tages läßt es nicht dazu kommen. Wohin wird der Wind uns treiben? Die Freunde in der Heimat, die von der Art der geplanten Reise nichts wußten, hatten gefragt: „Wohin solls von Berlin aus gehn?" „Ich weiß es noch nicht," konnte ich ihnen mit guten. Gewissen antworten, sie aber Hiellers für eine Ausflucht. In dieser Ungewißheit liegt ein weiterer Reiz der Ballonfahrt, in der Spannung: Wo wird der nächste Abend dich finden? Jetzt weht reiner Nord; wenn er anhält, dann geht der Flug über das liebe Heimatland hin¬ weg, über den großen Truppenübungsplatz bei Zeithain. Wie wird der Reise¬ gefährte sich freuen, wenn er seineu braven Leuten diesesmal sein „Guten Morgen, Batterie!" noch in anderen Sinne wie sonst als ein höheres Wesen zurufen kann. Und dann das Tal der Freiberger Mulde aufwärts, über die alte Berghauptstadt des Sachsenlandes, über den Kamm des Erzgebirges hinweg, an Kaiser Karls Bad vorüber direkt ins echteste Pilsner, wer kanns wissen? Endlich gegen Morgen ein wenig Schlaf. Da um fünf Uhr ein ganz ungewohntes Geräusch, nach dem man sich wochenlang gesehnt hat,, das aber jetzt recht peinlich berührt. Es regnet, und w'e! Der Himmel grau in grau.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/102>, abgerufen am 22.12.2024.