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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Schlage Acht erschien der Geschäftsführer in schwarzem Anzüge, machte die Expli¬
kation und leitete die Vorstellung ein. Darauf fand die Fütterung der Raubtiere
statt, ebenfalls im Gegensatz zu andern Menagerien, wo die Fütterung nach den
Dressurnummern vorgenommen wird. Nach der Fütterung war eine Pause von
zehn Minuten, und hierauf folgten die verschiednen Dressurnummern im Zentral¬
käfig. Der Geschäftsführer machte das Programm bekannt, wonach in der ersten
Abteilung Direktor Bucher mit seinem bisher für unzähmbar gehaltnen Eisbären
auftrat. Bucher betrat den Zentralkäsig von der einen Giebelwand aus, sodaß ihn
das Publikum erst bemerkte, wenn er im Käsig war. Der Eisbär mußte sich in
einer Ecke aufrecht stellen, der Dompteur trat an ihn heran, begrüßte ihn und ließ
ihn neben sich auf den Hinterpranken durch den ganzen Käfig promenieren, worauf
eine Barriere hineingeschoben wurde, über die das Tier einigemal springen mußte.
Damit war die Nummer beendet. In der zweiten Abteilung produzierte sich
Direktor Bucher mit seiner Löwin Cora, "die sich erst seit acht Monaten in Ge¬
fangenschaft befand." Das Tier hatte in den zwanzig Jahren, die es schon in der
Menagerie lebte, seine Scheu vor dem Dompteur noch nicht überwunden und mußte
durch List in den Zentralkäsig gelockt werden. Zu diesem Zweck wurde auf der
entgegengesetzten Seite die Tür zu einem andern Käfig geöffnet, was die Löwin
zu der Vermutung brachte, daß drüben ein Ausgang sei. Sie verließ ihren Zwinger
nur, wenn sie diese Tür geöffnet sah, und nun mußten die Angestellten in dem¬
selben Augenblick, wo sich das Tier anschickte, mit einem riesigen Sprung den
Zentralkäfig zu durchmessen, diese Tür schließen, und ehe sich die Löwin umdrehen
konnte, ihr auch den Rückzug abschneiden. Wenn diese List, was zuweilen geschah,
nicht half, so mußte man seine Zuflucht zu einem halben Eimer Wasser nehmen,
der dem Tier über den Kopf geschüttet wurde, worauf es seinen Käfig schleunigst
verließ. Überhaupt war auf jeder Seite des Zentralkäfigs ein Faß mit Wasser
nebst einem Eimer aufgestellt, weil ein kalter Guß das beste Mittel ist, ein wider¬
spenstiges Raubtier zur Vernunft zu bringen. Bevor Bucher den Käfig betrat,
klopfte er an die Tür zum Zeichen, daß die Musik einen flotten Galopp, der bei
dieser Nummer gespielt wurde, anstimmen sollte. Dann schlüpfte er mit großer
Schnelligkeit in den Käfig, wo die Löwin gleich bei seinem Erscheinen in großen
Sätzen nmherzusausen begann und zuweilen bei diesen Sprüngen die Decke be¬
rührte. Bücher ließ sie dann wiederholt über eine Barriere springen und gab
ihr, wenn sie in einer bestimmten Ecke des Käfigs angelangt war, einen Hieb mit
der Peitsche, worauf sie unbeweglich sitzen blieb. Der Dompteur beobachtete sie
mit scharfem Auge, warf ihr erst die Peitsche, dann die Gabel zu, verschränkte die
Arme und sah sie eine Weile fest an. Dann trat er plötzlich einige Schritte
zurück; in demselben Augenblick öffnete sich die Tür des Zentrnlkttfigs, und die
Löwin, die jetzt freie Bahn vor sich sah, benutzte die Gelegenheit, sich schleunigst
aus der ihr offenbar unangenehmen Gesellschaft zu entfernen.

In der dritten Abteilung produzierte sich Bucher "mit der Löwin Diana im
Feuerregen." Auch diese Löwin gebärdete sich ziemlich wild, ließ aber den Feuer¬
regen, der mit Hilfe einer oben am Gitter befestigten Rakete auf sie losgelassen
wurde, während sie ihre Sprünge über die Barriere machte, ruhig über sich er¬
geb". Wie ich später bemerkte, war das Tier blind. In der vierten Abteilung
arbeitete Direktor Bucher mit fünf Löwen, den beiden männlichen, "Prinz" und
"Piccolo," und den drei weiblichen, "Diana," "Flora" und "Verviette." Dies
war eine sogenannte zahme Dressurnummer. Der Dompteur begab sich zuerst in
den Käfig der Löwen, die er einzeln mit freundlichen Worten und Liebkosungen
begrüßte und mit Güte vor sich her in den Zcntralkäfig trieb. Dort nahm jedes
der Tiere seinen bestimmten Platz ein, von dem es durch den Dompteur zur Arbeit
gerufen wurde. Zuerst kam der Atlaslöwe Piccolo an die Reihe, der seinen in
der Mitte des Käfigs stehenden Gebieter mehrmals umkreiste, wobei er zu ihm
aufschaute und zum Zeichen seines Wohlbehagens den Schweif erhob. Dann wurde


Grenzboten III 190S 91
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Schlage Acht erschien der Geschäftsführer in schwarzem Anzüge, machte die Expli¬
kation und leitete die Vorstellung ein. Darauf fand die Fütterung der Raubtiere
statt, ebenfalls im Gegensatz zu andern Menagerien, wo die Fütterung nach den
Dressurnummern vorgenommen wird. Nach der Fütterung war eine Pause von
zehn Minuten, und hierauf folgten die verschiednen Dressurnummern im Zentral¬
käfig. Der Geschäftsführer machte das Programm bekannt, wonach in der ersten
Abteilung Direktor Bucher mit seinem bisher für unzähmbar gehaltnen Eisbären
auftrat. Bucher betrat den Zentralkäsig von der einen Giebelwand aus, sodaß ihn
das Publikum erst bemerkte, wenn er im Käsig war. Der Eisbär mußte sich in
einer Ecke aufrecht stellen, der Dompteur trat an ihn heran, begrüßte ihn und ließ
ihn neben sich auf den Hinterpranken durch den ganzen Käfig promenieren, worauf
eine Barriere hineingeschoben wurde, über die das Tier einigemal springen mußte.
Damit war die Nummer beendet. In der zweiten Abteilung produzierte sich
Direktor Bucher mit seiner Löwin Cora, „die sich erst seit acht Monaten in Ge¬
fangenschaft befand." Das Tier hatte in den zwanzig Jahren, die es schon in der
Menagerie lebte, seine Scheu vor dem Dompteur noch nicht überwunden und mußte
durch List in den Zentralkäsig gelockt werden. Zu diesem Zweck wurde auf der
entgegengesetzten Seite die Tür zu einem andern Käfig geöffnet, was die Löwin
zu der Vermutung brachte, daß drüben ein Ausgang sei. Sie verließ ihren Zwinger
nur, wenn sie diese Tür geöffnet sah, und nun mußten die Angestellten in dem¬
selben Augenblick, wo sich das Tier anschickte, mit einem riesigen Sprung den
Zentralkäfig zu durchmessen, diese Tür schließen, und ehe sich die Löwin umdrehen
konnte, ihr auch den Rückzug abschneiden. Wenn diese List, was zuweilen geschah,
nicht half, so mußte man seine Zuflucht zu einem halben Eimer Wasser nehmen,
der dem Tier über den Kopf geschüttet wurde, worauf es seinen Käfig schleunigst
verließ. Überhaupt war auf jeder Seite des Zentralkäfigs ein Faß mit Wasser
nebst einem Eimer aufgestellt, weil ein kalter Guß das beste Mittel ist, ein wider¬
spenstiges Raubtier zur Vernunft zu bringen. Bevor Bucher den Käfig betrat,
klopfte er an die Tür zum Zeichen, daß die Musik einen flotten Galopp, der bei
dieser Nummer gespielt wurde, anstimmen sollte. Dann schlüpfte er mit großer
Schnelligkeit in den Käfig, wo die Löwin gleich bei seinem Erscheinen in großen
Sätzen nmherzusausen begann und zuweilen bei diesen Sprüngen die Decke be¬
rührte. Bücher ließ sie dann wiederholt über eine Barriere springen und gab
ihr, wenn sie in einer bestimmten Ecke des Käfigs angelangt war, einen Hieb mit
der Peitsche, worauf sie unbeweglich sitzen blieb. Der Dompteur beobachtete sie
mit scharfem Auge, warf ihr erst die Peitsche, dann die Gabel zu, verschränkte die
Arme und sah sie eine Weile fest an. Dann trat er plötzlich einige Schritte
zurück; in demselben Augenblick öffnete sich die Tür des Zentrnlkttfigs, und die
Löwin, die jetzt freie Bahn vor sich sah, benutzte die Gelegenheit, sich schleunigst
aus der ihr offenbar unangenehmen Gesellschaft zu entfernen.

In der dritten Abteilung produzierte sich Bucher „mit der Löwin Diana im
Feuerregen." Auch diese Löwin gebärdete sich ziemlich wild, ließ aber den Feuer¬
regen, der mit Hilfe einer oben am Gitter befestigten Rakete auf sie losgelassen
wurde, während sie ihre Sprünge über die Barriere machte, ruhig über sich er¬
geb». Wie ich später bemerkte, war das Tier blind. In der vierten Abteilung
arbeitete Direktor Bucher mit fünf Löwen, den beiden männlichen, „Prinz" und
„Piccolo," und den drei weiblichen, „Diana," „Flora" und „Verviette." Dies
war eine sogenannte zahme Dressurnummer. Der Dompteur begab sich zuerst in
den Käfig der Löwen, die er einzeln mit freundlichen Worten und Liebkosungen
begrüßte und mit Güte vor sich her in den Zcntralkäfig trieb. Dort nahm jedes
der Tiere seinen bestimmten Platz ein, von dem es durch den Dompteur zur Arbeit
gerufen wurde. Zuerst kam der Atlaslöwe Piccolo an die Reihe, der seinen in
der Mitte des Käfigs stehenden Gebieter mehrmals umkreiste, wobei er zu ihm
aufschaute und zum Zeichen seines Wohlbehagens den Schweif erhob. Dann wurde


Grenzboten III 190S 91
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[0729] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren Schlage Acht erschien der Geschäftsführer in schwarzem Anzüge, machte die Expli¬ kation und leitete die Vorstellung ein. Darauf fand die Fütterung der Raubtiere statt, ebenfalls im Gegensatz zu andern Menagerien, wo die Fütterung nach den Dressurnummern vorgenommen wird. Nach der Fütterung war eine Pause von zehn Minuten, und hierauf folgten die verschiednen Dressurnummern im Zentral¬ käfig. Der Geschäftsführer machte das Programm bekannt, wonach in der ersten Abteilung Direktor Bucher mit seinem bisher für unzähmbar gehaltnen Eisbären auftrat. Bucher betrat den Zentralkäsig von der einen Giebelwand aus, sodaß ihn das Publikum erst bemerkte, wenn er im Käsig war. Der Eisbär mußte sich in einer Ecke aufrecht stellen, der Dompteur trat an ihn heran, begrüßte ihn und ließ ihn neben sich auf den Hinterpranken durch den ganzen Käfig promenieren, worauf eine Barriere hineingeschoben wurde, über die das Tier einigemal springen mußte. Damit war die Nummer beendet. In der zweiten Abteilung produzierte sich Direktor Bucher mit seiner Löwin Cora, „die sich erst seit acht Monaten in Ge¬ fangenschaft befand." Das Tier hatte in den zwanzig Jahren, die es schon in der Menagerie lebte, seine Scheu vor dem Dompteur noch nicht überwunden und mußte durch List in den Zentralkäsig gelockt werden. Zu diesem Zweck wurde auf der entgegengesetzten Seite die Tür zu einem andern Käfig geöffnet, was die Löwin zu der Vermutung brachte, daß drüben ein Ausgang sei. Sie verließ ihren Zwinger nur, wenn sie diese Tür geöffnet sah, und nun mußten die Angestellten in dem¬ selben Augenblick, wo sich das Tier anschickte, mit einem riesigen Sprung den Zentralkäfig zu durchmessen, diese Tür schließen, und ehe sich die Löwin umdrehen konnte, ihr auch den Rückzug abschneiden. Wenn diese List, was zuweilen geschah, nicht half, so mußte man seine Zuflucht zu einem halben Eimer Wasser nehmen, der dem Tier über den Kopf geschüttet wurde, worauf es seinen Käfig schleunigst verließ. Überhaupt war auf jeder Seite des Zentralkäfigs ein Faß mit Wasser nebst einem Eimer aufgestellt, weil ein kalter Guß das beste Mittel ist, ein wider¬ spenstiges Raubtier zur Vernunft zu bringen. Bevor Bucher den Käfig betrat, klopfte er an die Tür zum Zeichen, daß die Musik einen flotten Galopp, der bei dieser Nummer gespielt wurde, anstimmen sollte. Dann schlüpfte er mit großer Schnelligkeit in den Käfig, wo die Löwin gleich bei seinem Erscheinen in großen Sätzen nmherzusausen begann und zuweilen bei diesen Sprüngen die Decke be¬ rührte. Bücher ließ sie dann wiederholt über eine Barriere springen und gab ihr, wenn sie in einer bestimmten Ecke des Käfigs angelangt war, einen Hieb mit der Peitsche, worauf sie unbeweglich sitzen blieb. Der Dompteur beobachtete sie mit scharfem Auge, warf ihr erst die Peitsche, dann die Gabel zu, verschränkte die Arme und sah sie eine Weile fest an. Dann trat er plötzlich einige Schritte zurück; in demselben Augenblick öffnete sich die Tür des Zentrnlkttfigs, und die Löwin, die jetzt freie Bahn vor sich sah, benutzte die Gelegenheit, sich schleunigst aus der ihr offenbar unangenehmen Gesellschaft zu entfernen. In der dritten Abteilung produzierte sich Bucher „mit der Löwin Diana im Feuerregen." Auch diese Löwin gebärdete sich ziemlich wild, ließ aber den Feuer¬ regen, der mit Hilfe einer oben am Gitter befestigten Rakete auf sie losgelassen wurde, während sie ihre Sprünge über die Barriere machte, ruhig über sich er¬ geb». Wie ich später bemerkte, war das Tier blind. In der vierten Abteilung arbeitete Direktor Bucher mit fünf Löwen, den beiden männlichen, „Prinz" und „Piccolo," und den drei weiblichen, „Diana," „Flora" und „Verviette." Dies war eine sogenannte zahme Dressurnummer. Der Dompteur begab sich zuerst in den Käfig der Löwen, die er einzeln mit freundlichen Worten und Liebkosungen begrüßte und mit Güte vor sich her in den Zcntralkäfig trieb. Dort nahm jedes der Tiere seinen bestimmten Platz ein, von dem es durch den Dompteur zur Arbeit gerufen wurde. Zuerst kam der Atlaslöwe Piccolo an die Reihe, der seinen in der Mitte des Käfigs stehenden Gebieter mehrmals umkreiste, wobei er zu ihm aufschaute und zum Zeichen seines Wohlbehagens den Schweif erhob. Dann wurde Grenzboten III 190S 91

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/729>, abgerufen am 20.10.2024.