Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Speeren bewacht. Wenn der Fehrbelliner Neitermarsch gespielt wurde, begleitete
der Lachmichel die Musik mit Trommelschläger, während sich die tanzende Alte in
Bewegung setzte. Beide Figuren mußten hierbei von hinten dirigiert werden. Im
Innern der Bude sah man Kaiser Wilhelm den Zweiten nebst dem Kronprinzen,
die büßende Magdalena, dann die Büsten von Kaiser Friedrich, König Albert von
Sachsen, Bismarck, Moltke, Roon in Glaskasten, ferner den sterbenden Krieger
(mechanisch) mit einer barmherzige" Schwester, eine Gruppe "Scherz und Leid"
(zwei Kinder mit Brezeln und einem Hund), einen Schwarzwälder Bauern, der
seine Pfeife rauchte, eine Falschmüuzerbande bei ihrer Verhaftung, Schusters Blauen
Montag, eine Köchin mit ihrem Soldaten in der Küche, endlich ein Lachkabinett
mit Vexierspiegel und eine Sammlung ausgestopfter Tiere, worunter besonders die
Fuchsgruppe Beachtung verdiente, einen dreibeinigen Hund in Spiritus, ewige
andre Abnormitäten und Menschenschädel.

Das Extrakabinett, das gegen ein besondres Entree von zehn Pfennigen ge¬
zeigt wurde, enthielt zwei Panoramenbilder, eine Nachbildung der Guillotine und
die Richtwerkzeuge des Scharfrichters Krauts. In der Mitte des Extrakabinetts
war eine Art von Podium gebaut, das schwarz behängt war. Darauf stand der
Richtblock, der eine Aushöhlung für das Kinn des Delinquenten zeigte und mit
einer mit zwei Riemen versehenen Bank verbunden war. Daneben lag in einem
mit blauem Sammet ausgeschlagnen Etui das Richtbeil, in dessen Klinge die Namen
sämtlicher damit Hingerichteter Verbrecher eingraviert waren. Zu diesem Werkzeug
gehörte ein Buch mit einer Beschreibung jeder Hinrichtung vou Krauts eigner
Hand. Das Buch wurde in einem Glaskasten aufbewahrt, und die Blätter waren
mit einer Vorrichtung versehen, die es dem Beschauer möglich machte, die einzelnen
Seiten von außen umzuwenden. Auf dem Podium stand außerdem noch ein Rtcht-
block des Scharfrichters Reindel aus Magdeburg sowie ein alter Richtstuhl mit
zwei Schwertern. Die Wände waren mit eingerahmten Schriftstücken dekoriert, die
sich alle auf Hinrichtungen bezogen. Es waren Depeschen, abschlägig beschiedne
Gnadengesuche und verschiedne Briefe. Im Hintergründe standen lebensgroße
Wachsfiguren der berüchtigtsten Verbrecher unsrer Zeit, worunter auch der damals
vielgenannte Mädchenmörder Schenk aus Wien war. Den Übergang zu einer
kleinen Sammlung von Straf- und Folterwerkzeugen machte eine Gruppe von zwei
Weibern, die in eine sogenannte Zankgeige eingesperrt waren. Es war das ein
geigenförmig geschnittnes Brett und zwei Löchern für die Köpfe und vier Löchern
für die Arme.

Die Herrschaft schlief im Wohnwagen, das Dienstmädchen schlug sein Nacht¬
lager in der Transportkiste der büßenden Magdalena ans, die für gewöhnlich im
ersten Packwagen stand, während die drei männlichen Angestellten im zweiten Pack¬
wagen hausten.

Die Wachsfignrengruppen wurden fertig ans der Fabrik bezogen, wo man
auch einzelne Köpfe und Körperteile erhalten konnte, die dann zusammengesetzt und
bekleidet wurden. Bei dem Transport nach Straßbnrg hatten die Unterschenkel
und die Füße der büßenden Magdalena stark gelitten und mußten erneuert werden.
Da es um Zeit fehlte, solche aus der Fabrik zu beziehn, kamen wir auf den Ge¬
danken, von den Beinen unsers Kntalogverkänfcrs, der sehr zierlich gebant war,
Abgüsse zu machen und mit deren Hilfe die defekte Heilige zu restaurieren. Der
Angestellte mußte seine Unterschenkel mit Öl bestreichen, worauf der Photograph
Lehmnnu, der uns als Künstler bei dieser Manipulation behilflich war, einen Bind¬
faden um Schenkel und Füße legte und diese darauf mit eiuer dicken Schicht Gips
umkleidete. Als der Gips hart zu werden begann, wurde der Faden losgerissen
und die Gipsumhülluug auf diese Weise in zwei gleiche Hälften geteilt. Diese
Hälften setzten wir wieder aneinander und gössen sie mit Wachs aus. Als das
Wachs erhärtet war, wurde die Form gelöst, die Naht beseitigt und das so ent-
standne Werk mit Farbpulvcr koloriert. Auf diese einfache Weise kam die Heilige


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Speeren bewacht. Wenn der Fehrbelliner Neitermarsch gespielt wurde, begleitete
der Lachmichel die Musik mit Trommelschläger, während sich die tanzende Alte in
Bewegung setzte. Beide Figuren mußten hierbei von hinten dirigiert werden. Im
Innern der Bude sah man Kaiser Wilhelm den Zweiten nebst dem Kronprinzen,
die büßende Magdalena, dann die Büsten von Kaiser Friedrich, König Albert von
Sachsen, Bismarck, Moltke, Roon in Glaskasten, ferner den sterbenden Krieger
(mechanisch) mit einer barmherzige» Schwester, eine Gruppe „Scherz und Leid"
(zwei Kinder mit Brezeln und einem Hund), einen Schwarzwälder Bauern, der
seine Pfeife rauchte, eine Falschmüuzerbande bei ihrer Verhaftung, Schusters Blauen
Montag, eine Köchin mit ihrem Soldaten in der Küche, endlich ein Lachkabinett
mit Vexierspiegel und eine Sammlung ausgestopfter Tiere, worunter besonders die
Fuchsgruppe Beachtung verdiente, einen dreibeinigen Hund in Spiritus, ewige
andre Abnormitäten und Menschenschädel.

Das Extrakabinett, das gegen ein besondres Entree von zehn Pfennigen ge¬
zeigt wurde, enthielt zwei Panoramenbilder, eine Nachbildung der Guillotine und
die Richtwerkzeuge des Scharfrichters Krauts. In der Mitte des Extrakabinetts
war eine Art von Podium gebaut, das schwarz behängt war. Darauf stand der
Richtblock, der eine Aushöhlung für das Kinn des Delinquenten zeigte und mit
einer mit zwei Riemen versehenen Bank verbunden war. Daneben lag in einem
mit blauem Sammet ausgeschlagnen Etui das Richtbeil, in dessen Klinge die Namen
sämtlicher damit Hingerichteter Verbrecher eingraviert waren. Zu diesem Werkzeug
gehörte ein Buch mit einer Beschreibung jeder Hinrichtung vou Krauts eigner
Hand. Das Buch wurde in einem Glaskasten aufbewahrt, und die Blätter waren
mit einer Vorrichtung versehen, die es dem Beschauer möglich machte, die einzelnen
Seiten von außen umzuwenden. Auf dem Podium stand außerdem noch ein Rtcht-
block des Scharfrichters Reindel aus Magdeburg sowie ein alter Richtstuhl mit
zwei Schwertern. Die Wände waren mit eingerahmten Schriftstücken dekoriert, die
sich alle auf Hinrichtungen bezogen. Es waren Depeschen, abschlägig beschiedne
Gnadengesuche und verschiedne Briefe. Im Hintergründe standen lebensgroße
Wachsfiguren der berüchtigtsten Verbrecher unsrer Zeit, worunter auch der damals
vielgenannte Mädchenmörder Schenk aus Wien war. Den Übergang zu einer
kleinen Sammlung von Straf- und Folterwerkzeugen machte eine Gruppe von zwei
Weibern, die in eine sogenannte Zankgeige eingesperrt waren. Es war das ein
geigenförmig geschnittnes Brett und zwei Löchern für die Köpfe und vier Löchern
für die Arme.

Die Herrschaft schlief im Wohnwagen, das Dienstmädchen schlug sein Nacht¬
lager in der Transportkiste der büßenden Magdalena ans, die für gewöhnlich im
ersten Packwagen stand, während die drei männlichen Angestellten im zweiten Pack¬
wagen hausten.

Die Wachsfignrengruppen wurden fertig ans der Fabrik bezogen, wo man
auch einzelne Köpfe und Körperteile erhalten konnte, die dann zusammengesetzt und
bekleidet wurden. Bei dem Transport nach Straßbnrg hatten die Unterschenkel
und die Füße der büßenden Magdalena stark gelitten und mußten erneuert werden.
Da es um Zeit fehlte, solche aus der Fabrik zu beziehn, kamen wir auf den Ge¬
danken, von den Beinen unsers Kntalogverkänfcrs, der sehr zierlich gebant war,
Abgüsse zu machen und mit deren Hilfe die defekte Heilige zu restaurieren. Der
Angestellte mußte seine Unterschenkel mit Öl bestreichen, worauf der Photograph
Lehmnnu, der uns als Künstler bei dieser Manipulation behilflich war, einen Bind¬
faden um Schenkel und Füße legte und diese darauf mit eiuer dicken Schicht Gips
umkleidete. Als der Gips hart zu werden begann, wurde der Faden losgerissen
und die Gipsumhülluug auf diese Weise in zwei gleiche Hälften geteilt. Diese
Hälften setzten wir wieder aneinander und gössen sie mit Wachs aus. Als das
Wachs erhärtet war, wurde die Form gelöst, die Naht beseitigt und das so ent-
standne Werk mit Farbpulvcr koloriert. Auf diese einfache Weise kam die Heilige


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0727" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/298246"/>
          <fw type="header" place="top"> Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3743" prev="#ID_3742"> Speeren bewacht. Wenn der Fehrbelliner Neitermarsch gespielt wurde, begleitete<lb/>
der Lachmichel die Musik mit Trommelschläger, während sich die tanzende Alte in<lb/>
Bewegung setzte. Beide Figuren mußten hierbei von hinten dirigiert werden. Im<lb/>
Innern der Bude sah man Kaiser Wilhelm den Zweiten nebst dem Kronprinzen,<lb/>
die büßende Magdalena, dann die Büsten von Kaiser Friedrich, König Albert von<lb/>
Sachsen, Bismarck, Moltke, Roon in Glaskasten, ferner den sterbenden Krieger<lb/>
(mechanisch) mit einer barmherzige» Schwester, eine Gruppe &#x201E;Scherz und Leid"<lb/>
(zwei Kinder mit Brezeln und einem Hund), einen Schwarzwälder Bauern, der<lb/>
seine Pfeife rauchte, eine Falschmüuzerbande bei ihrer Verhaftung, Schusters Blauen<lb/>
Montag, eine Köchin mit ihrem Soldaten in der Küche, endlich ein Lachkabinett<lb/>
mit Vexierspiegel und eine Sammlung ausgestopfter Tiere, worunter besonders die<lb/>
Fuchsgruppe Beachtung verdiente, einen dreibeinigen Hund in Spiritus, ewige<lb/>
andre Abnormitäten und Menschenschädel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3744"> Das Extrakabinett, das gegen ein besondres Entree von zehn Pfennigen ge¬<lb/>
zeigt wurde, enthielt zwei Panoramenbilder, eine Nachbildung der Guillotine und<lb/>
die Richtwerkzeuge des Scharfrichters Krauts. In der Mitte des Extrakabinetts<lb/>
war eine Art von Podium gebaut, das schwarz behängt war. Darauf stand der<lb/>
Richtblock, der eine Aushöhlung für das Kinn des Delinquenten zeigte und mit<lb/>
einer mit zwei Riemen versehenen Bank verbunden war. Daneben lag in einem<lb/>
mit blauem Sammet ausgeschlagnen Etui das Richtbeil, in dessen Klinge die Namen<lb/>
sämtlicher damit Hingerichteter Verbrecher eingraviert waren. Zu diesem Werkzeug<lb/>
gehörte ein Buch mit einer Beschreibung jeder Hinrichtung vou Krauts eigner<lb/>
Hand. Das Buch wurde in einem Glaskasten aufbewahrt, und die Blätter waren<lb/>
mit einer Vorrichtung versehen, die es dem Beschauer möglich machte, die einzelnen<lb/>
Seiten von außen umzuwenden. Auf dem Podium stand außerdem noch ein Rtcht-<lb/>
block des Scharfrichters Reindel aus Magdeburg sowie ein alter Richtstuhl mit<lb/>
zwei Schwertern. Die Wände waren mit eingerahmten Schriftstücken dekoriert, die<lb/>
sich alle auf Hinrichtungen bezogen. Es waren Depeschen, abschlägig beschiedne<lb/>
Gnadengesuche und verschiedne Briefe. Im Hintergründe standen lebensgroße<lb/>
Wachsfiguren der berüchtigtsten Verbrecher unsrer Zeit, worunter auch der damals<lb/>
vielgenannte Mädchenmörder Schenk aus Wien war. Den Übergang zu einer<lb/>
kleinen Sammlung von Straf- und Folterwerkzeugen machte eine Gruppe von zwei<lb/>
Weibern, die in eine sogenannte Zankgeige eingesperrt waren. Es war das ein<lb/>
geigenförmig geschnittnes Brett und zwei Löchern für die Köpfe und vier Löchern<lb/>
für die Arme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3745"> Die Herrschaft schlief im Wohnwagen, das Dienstmädchen schlug sein Nacht¬<lb/>
lager in der Transportkiste der büßenden Magdalena ans, die für gewöhnlich im<lb/>
ersten Packwagen stand, während die drei männlichen Angestellten im zweiten Pack¬<lb/>
wagen hausten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3746" next="#ID_3747"> Die Wachsfignrengruppen wurden fertig ans der Fabrik bezogen, wo man<lb/>
auch einzelne Köpfe und Körperteile erhalten konnte, die dann zusammengesetzt und<lb/>
bekleidet wurden. Bei dem Transport nach Straßbnrg hatten die Unterschenkel<lb/>
und die Füße der büßenden Magdalena stark gelitten und mußten erneuert werden.<lb/>
Da es um Zeit fehlte, solche aus der Fabrik zu beziehn, kamen wir auf den Ge¬<lb/>
danken, von den Beinen unsers Kntalogverkänfcrs, der sehr zierlich gebant war,<lb/>
Abgüsse zu machen und mit deren Hilfe die defekte Heilige zu restaurieren. Der<lb/>
Angestellte mußte seine Unterschenkel mit Öl bestreichen, worauf der Photograph<lb/>
Lehmnnu, der uns als Künstler bei dieser Manipulation behilflich war, einen Bind¬<lb/>
faden um Schenkel und Füße legte und diese darauf mit eiuer dicken Schicht Gips<lb/>
umkleidete. Als der Gips hart zu werden begann, wurde der Faden losgerissen<lb/>
und die Gipsumhülluug auf diese Weise in zwei gleiche Hälften geteilt. Diese<lb/>
Hälften setzten wir wieder aneinander und gössen sie mit Wachs aus. Als das<lb/>
Wachs erhärtet war, wurde die Form gelöst, die Naht beseitigt und das so ent-<lb/>
standne Werk mit Farbpulvcr koloriert.  Auf diese einfache Weise kam die Heilige</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0727] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren Speeren bewacht. Wenn der Fehrbelliner Neitermarsch gespielt wurde, begleitete der Lachmichel die Musik mit Trommelschläger, während sich die tanzende Alte in Bewegung setzte. Beide Figuren mußten hierbei von hinten dirigiert werden. Im Innern der Bude sah man Kaiser Wilhelm den Zweiten nebst dem Kronprinzen, die büßende Magdalena, dann die Büsten von Kaiser Friedrich, König Albert von Sachsen, Bismarck, Moltke, Roon in Glaskasten, ferner den sterbenden Krieger (mechanisch) mit einer barmherzige» Schwester, eine Gruppe „Scherz und Leid" (zwei Kinder mit Brezeln und einem Hund), einen Schwarzwälder Bauern, der seine Pfeife rauchte, eine Falschmüuzerbande bei ihrer Verhaftung, Schusters Blauen Montag, eine Köchin mit ihrem Soldaten in der Küche, endlich ein Lachkabinett mit Vexierspiegel und eine Sammlung ausgestopfter Tiere, worunter besonders die Fuchsgruppe Beachtung verdiente, einen dreibeinigen Hund in Spiritus, ewige andre Abnormitäten und Menschenschädel. Das Extrakabinett, das gegen ein besondres Entree von zehn Pfennigen ge¬ zeigt wurde, enthielt zwei Panoramenbilder, eine Nachbildung der Guillotine und die Richtwerkzeuge des Scharfrichters Krauts. In der Mitte des Extrakabinetts war eine Art von Podium gebaut, das schwarz behängt war. Darauf stand der Richtblock, der eine Aushöhlung für das Kinn des Delinquenten zeigte und mit einer mit zwei Riemen versehenen Bank verbunden war. Daneben lag in einem mit blauem Sammet ausgeschlagnen Etui das Richtbeil, in dessen Klinge die Namen sämtlicher damit Hingerichteter Verbrecher eingraviert waren. Zu diesem Werkzeug gehörte ein Buch mit einer Beschreibung jeder Hinrichtung vou Krauts eigner Hand. Das Buch wurde in einem Glaskasten aufbewahrt, und die Blätter waren mit einer Vorrichtung versehen, die es dem Beschauer möglich machte, die einzelnen Seiten von außen umzuwenden. Auf dem Podium stand außerdem noch ein Rtcht- block des Scharfrichters Reindel aus Magdeburg sowie ein alter Richtstuhl mit zwei Schwertern. Die Wände waren mit eingerahmten Schriftstücken dekoriert, die sich alle auf Hinrichtungen bezogen. Es waren Depeschen, abschlägig beschiedne Gnadengesuche und verschiedne Briefe. Im Hintergründe standen lebensgroße Wachsfiguren der berüchtigtsten Verbrecher unsrer Zeit, worunter auch der damals vielgenannte Mädchenmörder Schenk aus Wien war. Den Übergang zu einer kleinen Sammlung von Straf- und Folterwerkzeugen machte eine Gruppe von zwei Weibern, die in eine sogenannte Zankgeige eingesperrt waren. Es war das ein geigenförmig geschnittnes Brett und zwei Löchern für die Köpfe und vier Löchern für die Arme. Die Herrschaft schlief im Wohnwagen, das Dienstmädchen schlug sein Nacht¬ lager in der Transportkiste der büßenden Magdalena ans, die für gewöhnlich im ersten Packwagen stand, während die drei männlichen Angestellten im zweiten Pack¬ wagen hausten. Die Wachsfignrengruppen wurden fertig ans der Fabrik bezogen, wo man auch einzelne Köpfe und Körperteile erhalten konnte, die dann zusammengesetzt und bekleidet wurden. Bei dem Transport nach Straßbnrg hatten die Unterschenkel und die Füße der büßenden Magdalena stark gelitten und mußten erneuert werden. Da es um Zeit fehlte, solche aus der Fabrik zu beziehn, kamen wir auf den Ge¬ danken, von den Beinen unsers Kntalogverkänfcrs, der sehr zierlich gebant war, Abgüsse zu machen und mit deren Hilfe die defekte Heilige zu restaurieren. Der Angestellte mußte seine Unterschenkel mit Öl bestreichen, worauf der Photograph Lehmnnu, der uns als Künstler bei dieser Manipulation behilflich war, einen Bind¬ faden um Schenkel und Füße legte und diese darauf mit eiuer dicken Schicht Gips umkleidete. Als der Gips hart zu werden begann, wurde der Faden losgerissen und die Gipsumhülluug auf diese Weise in zwei gleiche Hälften geteilt. Diese Hälften setzten wir wieder aneinander und gössen sie mit Wachs aus. Als das Wachs erhärtet war, wurde die Form gelöst, die Naht beseitigt und das so ent- standne Werk mit Farbpulvcr koloriert. Auf diese einfache Weise kam die Heilige

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/727
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/727>, abgerufen am 20.10.2024.