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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Runden, Uomödianten und wilden Tieren

Peitschenhiebe, worauf sie stark fauchte, aber nicht herunterkam. Webelhorst packte
sie darauf beim Schwänze und zog sie herab. Im Nu stand das Tier aufrecht
vor ihm, biß ihm die Nase durch, riß ihm ein Stück Fleisch über der linken Augen¬
braue aus der Stirn, zerfleischte ihm die rechte Wange und das rechte Ohr und
riß ihm eine Schmarre quer über das Genick. Er hatte noch die Kraft, das Tier
von sich zu stoßen und den Käfig zu verlassen. Seine Frau, die Zeugin des
Vorgangs gewesen war, schrie laut auf, und die Angestellten, die fast alle kein
Blut sehen konnten, suchten das Weite. Ich half Webelhorst aus dem Küfig und
führte ihn an das Elefantenpodium, wo ich ihm mit Verbandwatte und reinem
Wasser, das mir seine Frau brachte, die Wunden auswusch. Der Tierbändiger
Zuber rannte zum Arzt, der bald darauf in einer Droschke ankam und Webelhorst
flicken wollte. Dieser meinte aber, es sei nicht nötig, die Wunden würden auch
so heilen. Bald darauf erschien ein Schutzmann in der Bude, der sich von den
Angestellten den Vorgang genau beschreiben ließ und alles sehr umständlich in sein
Notizbuch schrieb. Mein Freund Schmidt fragte nachher ziemlich trocken, ob der
Schutzmann denn auch die Tigerin "mitgenommen" habe, und wieviel Monate
Knechen sie wohl bekommen würde. Am Nachmittag schickte Frau Seehausen, die
an der Wassersucht krank daniederlag, zu dem Universitntsprofessor, der sie be¬
handelte, damit er Webelhorst untersuche. Dieser erklärte denn, der Verwundete
müsse sich gleich in die Klinik begeben, wo er genäht werden würde. Dazu fehlte
dem Manne, der mit wilden Tieren umzugehn gewohnt war, anfänglich der Mut,
und erst der Hinweis des Professors, daß das Nähen nicht schmerzhaft sei, und
daß er sich selbst in seiner Studienzeit dieser Prozedur öfters unterzogen habe, er¬
mutigten ihn, den guten Rat zu befolgen. Er fuhr also in die Klinik, wo er mit
zweiunddreißig Nadeln genäht wurde. Der ganze Kopf wurde so mit Bandagen
umwickelt, daß nur eine kleine Öffnung vor dem Munde und eine solche vor dem
linken Ohr die Verbindung mit der Außenwelt vermittelten.

Für den geistig regen und lebenslustigen Mann war es eine schwere Aufgabe,
vier Wochen in diesem hilflosen Zustande verbringen zu müssen, und mir siel es
zu, ihn jeden Morgen bei seiner Fahrt nach der Klinik zu begleiten und ihm
Abends nach Schluß des Geschäfts aus der Zeitung und aus Büchern vorzulesen.
So mußte ich die Nacht bis zwölf oder ein Uhr an seinem Bett sitzen und für
seine Unterhaltung sorgen. Das schlimmste war dabei für mich, daß die Trink¬
gelder von Frau Webelhorst ausgezahlt wurden und deshalb weit knapper ausfielen
als sonst. Mein einziger Trost war eine große Büchse mit Priemtabak, an dem
ich mich schadlos hielt.

Wir hatten anfangs die Löwin von dem Löwen und der Tigerin getrennt,
da sie aber in ihrem Zwinger ganz unbändig wurde und sich vor lauter Sehn¬
sucht nach ihrem Eheherrn den Kopf am Gitter verletzte, brachten wir sie wieder
hinüber und nahmen statt ihrer die Tigerin heraus. Diese wurde in der Zukunft
nicht wieder zur Dressur benutzt. Unser Winterquartier näherte sich seinem Ende,
und wir hatten schon die Permission für Kehl erhalten, wohin wir in der Woche
vor der Karwoche des Jahres 1892 auf der Achse reisten. Als wir noch beim Auf¬
bauen waren, wurde Webelhorst durch einen Schutzmann zu der Behörde geladen
und erfuhr dort, daß wir in der Karwoche die Menagerie nicht öffnen dürften.

Es blieb uns also nichts andres übrig, als unser Geschäft auf die drei Tage
vom Donnerstag bis zum Sonnabend vor dem Palmsonntag zu beschränken und
am Palmsonntag die Bude geschlossen zu halten. Merkwürdigerweise hatte die Polizei
nichts dagegen, daß unsre Musiker in einer benachbarten Wirtschaft konzertierten,
wobei ich mit einem Teller einsammeln ging. Als Webelhorst am Montag darauf
von seinem Besuch in Straßburg zurückkehrte, war er von seiner Bandage erlöst
und lud uns zur Feier seiner Genesung zu einem Glase Bier ein.

Wir brachen an demselben Tage noch ab und verluden am Dienstag Vor¬
mittag auf der Bahn nach Waldkirch im Schwarzwald. Ich erhielt den Auftrag,


Unter Runden, Uomödianten und wilden Tieren

Peitschenhiebe, worauf sie stark fauchte, aber nicht herunterkam. Webelhorst packte
sie darauf beim Schwänze und zog sie herab. Im Nu stand das Tier aufrecht
vor ihm, biß ihm die Nase durch, riß ihm ein Stück Fleisch über der linken Augen¬
braue aus der Stirn, zerfleischte ihm die rechte Wange und das rechte Ohr und
riß ihm eine Schmarre quer über das Genick. Er hatte noch die Kraft, das Tier
von sich zu stoßen und den Käfig zu verlassen. Seine Frau, die Zeugin des
Vorgangs gewesen war, schrie laut auf, und die Angestellten, die fast alle kein
Blut sehen konnten, suchten das Weite. Ich half Webelhorst aus dem Küfig und
führte ihn an das Elefantenpodium, wo ich ihm mit Verbandwatte und reinem
Wasser, das mir seine Frau brachte, die Wunden auswusch. Der Tierbändiger
Zuber rannte zum Arzt, der bald darauf in einer Droschke ankam und Webelhorst
flicken wollte. Dieser meinte aber, es sei nicht nötig, die Wunden würden auch
so heilen. Bald darauf erschien ein Schutzmann in der Bude, der sich von den
Angestellten den Vorgang genau beschreiben ließ und alles sehr umständlich in sein
Notizbuch schrieb. Mein Freund Schmidt fragte nachher ziemlich trocken, ob der
Schutzmann denn auch die Tigerin „mitgenommen" habe, und wieviel Monate
Knechen sie wohl bekommen würde. Am Nachmittag schickte Frau Seehausen, die
an der Wassersucht krank daniederlag, zu dem Universitntsprofessor, der sie be¬
handelte, damit er Webelhorst untersuche. Dieser erklärte denn, der Verwundete
müsse sich gleich in die Klinik begeben, wo er genäht werden würde. Dazu fehlte
dem Manne, der mit wilden Tieren umzugehn gewohnt war, anfänglich der Mut,
und erst der Hinweis des Professors, daß das Nähen nicht schmerzhaft sei, und
daß er sich selbst in seiner Studienzeit dieser Prozedur öfters unterzogen habe, er¬
mutigten ihn, den guten Rat zu befolgen. Er fuhr also in die Klinik, wo er mit
zweiunddreißig Nadeln genäht wurde. Der ganze Kopf wurde so mit Bandagen
umwickelt, daß nur eine kleine Öffnung vor dem Munde und eine solche vor dem
linken Ohr die Verbindung mit der Außenwelt vermittelten.

Für den geistig regen und lebenslustigen Mann war es eine schwere Aufgabe,
vier Wochen in diesem hilflosen Zustande verbringen zu müssen, und mir siel es
zu, ihn jeden Morgen bei seiner Fahrt nach der Klinik zu begleiten und ihm
Abends nach Schluß des Geschäfts aus der Zeitung und aus Büchern vorzulesen.
So mußte ich die Nacht bis zwölf oder ein Uhr an seinem Bett sitzen und für
seine Unterhaltung sorgen. Das schlimmste war dabei für mich, daß die Trink¬
gelder von Frau Webelhorst ausgezahlt wurden und deshalb weit knapper ausfielen
als sonst. Mein einziger Trost war eine große Büchse mit Priemtabak, an dem
ich mich schadlos hielt.

Wir hatten anfangs die Löwin von dem Löwen und der Tigerin getrennt,
da sie aber in ihrem Zwinger ganz unbändig wurde und sich vor lauter Sehn¬
sucht nach ihrem Eheherrn den Kopf am Gitter verletzte, brachten wir sie wieder
hinüber und nahmen statt ihrer die Tigerin heraus. Diese wurde in der Zukunft
nicht wieder zur Dressur benutzt. Unser Winterquartier näherte sich seinem Ende,
und wir hatten schon die Permission für Kehl erhalten, wohin wir in der Woche
vor der Karwoche des Jahres 1892 auf der Achse reisten. Als wir noch beim Auf¬
bauen waren, wurde Webelhorst durch einen Schutzmann zu der Behörde geladen
und erfuhr dort, daß wir in der Karwoche die Menagerie nicht öffnen dürften.

Es blieb uns also nichts andres übrig, als unser Geschäft auf die drei Tage
vom Donnerstag bis zum Sonnabend vor dem Palmsonntag zu beschränken und
am Palmsonntag die Bude geschlossen zu halten. Merkwürdigerweise hatte die Polizei
nichts dagegen, daß unsre Musiker in einer benachbarten Wirtschaft konzertierten,
wobei ich mit einem Teller einsammeln ging. Als Webelhorst am Montag darauf
von seinem Besuch in Straßburg zurückkehrte, war er von seiner Bandage erlöst
und lud uns zur Feier seiner Genesung zu einem Glase Bier ein.

Wir brachen an demselben Tage noch ab und verluden am Dienstag Vor¬
mittag auf der Bahn nach Waldkirch im Schwarzwald. Ich erhielt den Auftrag,


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[0724] Unter Runden, Uomödianten und wilden Tieren Peitschenhiebe, worauf sie stark fauchte, aber nicht herunterkam. Webelhorst packte sie darauf beim Schwänze und zog sie herab. Im Nu stand das Tier aufrecht vor ihm, biß ihm die Nase durch, riß ihm ein Stück Fleisch über der linken Augen¬ braue aus der Stirn, zerfleischte ihm die rechte Wange und das rechte Ohr und riß ihm eine Schmarre quer über das Genick. Er hatte noch die Kraft, das Tier von sich zu stoßen und den Käfig zu verlassen. Seine Frau, die Zeugin des Vorgangs gewesen war, schrie laut auf, und die Angestellten, die fast alle kein Blut sehen konnten, suchten das Weite. Ich half Webelhorst aus dem Küfig und führte ihn an das Elefantenpodium, wo ich ihm mit Verbandwatte und reinem Wasser, das mir seine Frau brachte, die Wunden auswusch. Der Tierbändiger Zuber rannte zum Arzt, der bald darauf in einer Droschke ankam und Webelhorst flicken wollte. Dieser meinte aber, es sei nicht nötig, die Wunden würden auch so heilen. Bald darauf erschien ein Schutzmann in der Bude, der sich von den Angestellten den Vorgang genau beschreiben ließ und alles sehr umständlich in sein Notizbuch schrieb. Mein Freund Schmidt fragte nachher ziemlich trocken, ob der Schutzmann denn auch die Tigerin „mitgenommen" habe, und wieviel Monate Knechen sie wohl bekommen würde. Am Nachmittag schickte Frau Seehausen, die an der Wassersucht krank daniederlag, zu dem Universitntsprofessor, der sie be¬ handelte, damit er Webelhorst untersuche. Dieser erklärte denn, der Verwundete müsse sich gleich in die Klinik begeben, wo er genäht werden würde. Dazu fehlte dem Manne, der mit wilden Tieren umzugehn gewohnt war, anfänglich der Mut, und erst der Hinweis des Professors, daß das Nähen nicht schmerzhaft sei, und daß er sich selbst in seiner Studienzeit dieser Prozedur öfters unterzogen habe, er¬ mutigten ihn, den guten Rat zu befolgen. Er fuhr also in die Klinik, wo er mit zweiunddreißig Nadeln genäht wurde. Der ganze Kopf wurde so mit Bandagen umwickelt, daß nur eine kleine Öffnung vor dem Munde und eine solche vor dem linken Ohr die Verbindung mit der Außenwelt vermittelten. Für den geistig regen und lebenslustigen Mann war es eine schwere Aufgabe, vier Wochen in diesem hilflosen Zustande verbringen zu müssen, und mir siel es zu, ihn jeden Morgen bei seiner Fahrt nach der Klinik zu begleiten und ihm Abends nach Schluß des Geschäfts aus der Zeitung und aus Büchern vorzulesen. So mußte ich die Nacht bis zwölf oder ein Uhr an seinem Bett sitzen und für seine Unterhaltung sorgen. Das schlimmste war dabei für mich, daß die Trink¬ gelder von Frau Webelhorst ausgezahlt wurden und deshalb weit knapper ausfielen als sonst. Mein einziger Trost war eine große Büchse mit Priemtabak, an dem ich mich schadlos hielt. Wir hatten anfangs die Löwin von dem Löwen und der Tigerin getrennt, da sie aber in ihrem Zwinger ganz unbändig wurde und sich vor lauter Sehn¬ sucht nach ihrem Eheherrn den Kopf am Gitter verletzte, brachten wir sie wieder hinüber und nahmen statt ihrer die Tigerin heraus. Diese wurde in der Zukunft nicht wieder zur Dressur benutzt. Unser Winterquartier näherte sich seinem Ende, und wir hatten schon die Permission für Kehl erhalten, wohin wir in der Woche vor der Karwoche des Jahres 1892 auf der Achse reisten. Als wir noch beim Auf¬ bauen waren, wurde Webelhorst durch einen Schutzmann zu der Behörde geladen und erfuhr dort, daß wir in der Karwoche die Menagerie nicht öffnen dürften. Es blieb uns also nichts andres übrig, als unser Geschäft auf die drei Tage vom Donnerstag bis zum Sonnabend vor dem Palmsonntag zu beschränken und am Palmsonntag die Bude geschlossen zu halten. Merkwürdigerweise hatte die Polizei nichts dagegen, daß unsre Musiker in einer benachbarten Wirtschaft konzertierten, wobei ich mit einem Teller einsammeln ging. Als Webelhorst am Montag darauf von seinem Besuch in Straßburg zurückkehrte, war er von seiner Bandage erlöst und lud uns zur Feier seiner Genesung zu einem Glase Bier ein. Wir brachen an demselben Tage noch ab und verluden am Dienstag Vor¬ mittag auf der Bahn nach Waldkirch im Schwarzwald. Ich erhielt den Auftrag,

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/724>, abgerufen am 20.10.2024.