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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

schmelzen? Um auf diese Frage zu antworten, wird man nicht so sehr Zu¬
neigung und Abneigung zu Rate ziehn müssen, sondern vor allem und auch
viel mehr wie den militärischen, die ohnedem für Holland ungünstig genug liegen,
den wirtschaftlichen Verhältnissen ins Auge sehen, da vornehmlich diese es sind,
die heute die Welt regieren. Holland hält das Delta des größten deutschen
Stromes besetzt und lebt außer von den Kolonien und seinen eignen Produkten
wesentlich von dem Zwischenhandel des Stromgebiets des Rheins mit über¬
seeischen Ländern. Aber auch seine eigne Produktion, die überwiegend land¬
wirtschaftlich ist, sucht ein Absatzgebiet nach dem plötzlich so kvnsumtionsfühig ge-
wordnen Deutschen Reiche, und dasselbe gilt für einen Teil seiner kolonialen Pro¬
dukte, namentlich für Kaffee und Tabak. Ganz besonders hinderlich sind nun die
Zollschranken, die Deutschland aufgerichtet hat und ini eignen Interesse, wie
um besten aus der nie ruhenden Polemik Hollands gegen diese Schranken
deutlich wird, aufrichten mußte. Das kleine Land, das noch immer, aber jetzt
ganz isoliert die alten freihändlerischen Prinzipien hochhält und bis zu einem
gewissen Grade auch hochhalten mußte, da Staaten von geringen Dimensionen
viel stärker die Nachteile von Zöllen empfinden, ist in einem wirtschaftlichen
Notstände, der nur deshalb noch immer erträglich ist, weil es von altem Reich¬
tum zehrt, weil es kapitalkräftig ist und seine geschmälerte Produktion durch den
großen Zinsgenuß ergänzt, wobei das Ausland ihm vielfach tributpflichtig ist.*)
Sicherlich könnte es solchergestalt die Sache noch eine Weile mit ansehen,
obgleich wohl Kenner der Verhältnisse in vertrauten Kreisen zu versteh" geben,
es könne Holland wirtschaftlich gar nichts besseres passieren als seine Annexion
an Deutschland.

Nun aber kommt die Tatsache hinzu, daß Holland als Kapitalistenland
in breiten Schichten der Bevölkerung in neuerer Zeit sehr der Börsenspekulation
verfallen ist, die, wie überall, wo sie sich breit macht, als scheinbar leichtern
Gewinn den reellen Handel und die Produktion im Lande selber zu verdrängen
strebt. Dabei ist viel von dem soliden alten Erwerbssinn verloren gegangen;
die Entwicklung einer großen selbständigen Industrie, die es von Deutschland
unabhängiger machen könnte, will nicht zustande kommen. Die Regierung
hat zwar gesucht, dem entgegenzutreten und durch Errichtung von technischen
Schulen den Gewerbefleiß zu ermutigen; aber es ist die Frage, ob es, da
es natürlich mit der Langsamkeit geschah, die einem parlamentarischen Lande
mit phlegmatischer Bevölkerung eigentümlich ist, nicht zu spät ist, das Land in
die bisher so vernachlässigte Richtung technischer Unternehmungen zu treiben,
obgleich die natürlichen Bedingungen dafür nicht schlecht sind. Dazu kommt,
daß eben diese parlamentarische Regierungsform als notwendige Folge ein Zurück¬
bleiben in zeitgemäßen Reformen mit sich bringt, und daß dies gerade in
Holland Deutschland gegenüber sehr augenfällig ist. Um nur einige Beispiele
zu nennen, so wurde die Schulpflicht erst mit dem Eintritt des zwanzigsten
Jahrhunderts, um dieselbe Zeit auch erst die allgemeine Wehrpflicht und diese
noch dazu in einer militärisch sehr wenig befriedigenden Form eingeführt. Die



^) Viele russische Staatspapiere, Amerikaner und Goldwerte.
Holland und die Holländer

schmelzen? Um auf diese Frage zu antworten, wird man nicht so sehr Zu¬
neigung und Abneigung zu Rate ziehn müssen, sondern vor allem und auch
viel mehr wie den militärischen, die ohnedem für Holland ungünstig genug liegen,
den wirtschaftlichen Verhältnissen ins Auge sehen, da vornehmlich diese es sind,
die heute die Welt regieren. Holland hält das Delta des größten deutschen
Stromes besetzt und lebt außer von den Kolonien und seinen eignen Produkten
wesentlich von dem Zwischenhandel des Stromgebiets des Rheins mit über¬
seeischen Ländern. Aber auch seine eigne Produktion, die überwiegend land¬
wirtschaftlich ist, sucht ein Absatzgebiet nach dem plötzlich so kvnsumtionsfühig ge-
wordnen Deutschen Reiche, und dasselbe gilt für einen Teil seiner kolonialen Pro¬
dukte, namentlich für Kaffee und Tabak. Ganz besonders hinderlich sind nun die
Zollschranken, die Deutschland aufgerichtet hat und ini eignen Interesse, wie
um besten aus der nie ruhenden Polemik Hollands gegen diese Schranken
deutlich wird, aufrichten mußte. Das kleine Land, das noch immer, aber jetzt
ganz isoliert die alten freihändlerischen Prinzipien hochhält und bis zu einem
gewissen Grade auch hochhalten mußte, da Staaten von geringen Dimensionen
viel stärker die Nachteile von Zöllen empfinden, ist in einem wirtschaftlichen
Notstände, der nur deshalb noch immer erträglich ist, weil es von altem Reich¬
tum zehrt, weil es kapitalkräftig ist und seine geschmälerte Produktion durch den
großen Zinsgenuß ergänzt, wobei das Ausland ihm vielfach tributpflichtig ist.*)
Sicherlich könnte es solchergestalt die Sache noch eine Weile mit ansehen,
obgleich wohl Kenner der Verhältnisse in vertrauten Kreisen zu versteh» geben,
es könne Holland wirtschaftlich gar nichts besseres passieren als seine Annexion
an Deutschland.

Nun aber kommt die Tatsache hinzu, daß Holland als Kapitalistenland
in breiten Schichten der Bevölkerung in neuerer Zeit sehr der Börsenspekulation
verfallen ist, die, wie überall, wo sie sich breit macht, als scheinbar leichtern
Gewinn den reellen Handel und die Produktion im Lande selber zu verdrängen
strebt. Dabei ist viel von dem soliden alten Erwerbssinn verloren gegangen;
die Entwicklung einer großen selbständigen Industrie, die es von Deutschland
unabhängiger machen könnte, will nicht zustande kommen. Die Regierung
hat zwar gesucht, dem entgegenzutreten und durch Errichtung von technischen
Schulen den Gewerbefleiß zu ermutigen; aber es ist die Frage, ob es, da
es natürlich mit der Langsamkeit geschah, die einem parlamentarischen Lande
mit phlegmatischer Bevölkerung eigentümlich ist, nicht zu spät ist, das Land in
die bisher so vernachlässigte Richtung technischer Unternehmungen zu treiben,
obgleich die natürlichen Bedingungen dafür nicht schlecht sind. Dazu kommt,
daß eben diese parlamentarische Regierungsform als notwendige Folge ein Zurück¬
bleiben in zeitgemäßen Reformen mit sich bringt, und daß dies gerade in
Holland Deutschland gegenüber sehr augenfällig ist. Um nur einige Beispiele
zu nennen, so wurde die Schulpflicht erst mit dem Eintritt des zwanzigsten
Jahrhunderts, um dieselbe Zeit auch erst die allgemeine Wehrpflicht und diese
noch dazu in einer militärisch sehr wenig befriedigenden Form eingeführt. Die



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[0709] Holland und die Holländer schmelzen? Um auf diese Frage zu antworten, wird man nicht so sehr Zu¬ neigung und Abneigung zu Rate ziehn müssen, sondern vor allem und auch viel mehr wie den militärischen, die ohnedem für Holland ungünstig genug liegen, den wirtschaftlichen Verhältnissen ins Auge sehen, da vornehmlich diese es sind, die heute die Welt regieren. Holland hält das Delta des größten deutschen Stromes besetzt und lebt außer von den Kolonien und seinen eignen Produkten wesentlich von dem Zwischenhandel des Stromgebiets des Rheins mit über¬ seeischen Ländern. Aber auch seine eigne Produktion, die überwiegend land¬ wirtschaftlich ist, sucht ein Absatzgebiet nach dem plötzlich so kvnsumtionsfühig ge- wordnen Deutschen Reiche, und dasselbe gilt für einen Teil seiner kolonialen Pro¬ dukte, namentlich für Kaffee und Tabak. Ganz besonders hinderlich sind nun die Zollschranken, die Deutschland aufgerichtet hat und ini eignen Interesse, wie um besten aus der nie ruhenden Polemik Hollands gegen diese Schranken deutlich wird, aufrichten mußte. Das kleine Land, das noch immer, aber jetzt ganz isoliert die alten freihändlerischen Prinzipien hochhält und bis zu einem gewissen Grade auch hochhalten mußte, da Staaten von geringen Dimensionen viel stärker die Nachteile von Zöllen empfinden, ist in einem wirtschaftlichen Notstände, der nur deshalb noch immer erträglich ist, weil es von altem Reich¬ tum zehrt, weil es kapitalkräftig ist und seine geschmälerte Produktion durch den großen Zinsgenuß ergänzt, wobei das Ausland ihm vielfach tributpflichtig ist.*) Sicherlich könnte es solchergestalt die Sache noch eine Weile mit ansehen, obgleich wohl Kenner der Verhältnisse in vertrauten Kreisen zu versteh» geben, es könne Holland wirtschaftlich gar nichts besseres passieren als seine Annexion an Deutschland. Nun aber kommt die Tatsache hinzu, daß Holland als Kapitalistenland in breiten Schichten der Bevölkerung in neuerer Zeit sehr der Börsenspekulation verfallen ist, die, wie überall, wo sie sich breit macht, als scheinbar leichtern Gewinn den reellen Handel und die Produktion im Lande selber zu verdrängen strebt. Dabei ist viel von dem soliden alten Erwerbssinn verloren gegangen; die Entwicklung einer großen selbständigen Industrie, die es von Deutschland unabhängiger machen könnte, will nicht zustande kommen. Die Regierung hat zwar gesucht, dem entgegenzutreten und durch Errichtung von technischen Schulen den Gewerbefleiß zu ermutigen; aber es ist die Frage, ob es, da es natürlich mit der Langsamkeit geschah, die einem parlamentarischen Lande mit phlegmatischer Bevölkerung eigentümlich ist, nicht zu spät ist, das Land in die bisher so vernachlässigte Richtung technischer Unternehmungen zu treiben, obgleich die natürlichen Bedingungen dafür nicht schlecht sind. Dazu kommt, daß eben diese parlamentarische Regierungsform als notwendige Folge ein Zurück¬ bleiben in zeitgemäßen Reformen mit sich bringt, und daß dies gerade in Holland Deutschland gegenüber sehr augenfällig ist. Um nur einige Beispiele zu nennen, so wurde die Schulpflicht erst mit dem Eintritt des zwanzigsten Jahrhunderts, um dieselbe Zeit auch erst die allgemeine Wehrpflicht und diese noch dazu in einer militärisch sehr wenig befriedigenden Form eingeführt. Die ^) Viele russische Staatspapiere, Amerikaner und Goldwerte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/709>, abgerufen am 28.09.2024.