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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge

lieber, wie Philipps Pagen, die Nacht kniend verbringen soll. Daß Schiller,
als er den Don Carlos schrieb, das Bedürfnis, vom Kannrückchen, wenn auch
nur für kurze Augenblicke, herunterzusteigen, den Bogen abzuspannen, to
undsncl, wie die Engländer ebenso kurz als treffend sagen, überhaupt nicht
hatte, ist das Wunderbare. Auch wo ein fideler Mönch -- es gab solche,
und obendrein sehr witzige und ausgelassen lustige -- hätte angebracht werden
können, im vierzehnten Auftritt des zweiten Aktes, machen wir die Bekannt
schaft eines Priors, der nicht bloß herzensgut und gottergeben, sondern anch, um
das Unglück voll zu machen, für alles, was in der Welt vorgeht, ohne Teil¬
nahme ist. Die Geschichte von dem für eine Vorstellung des Don Carlos als
Statist kommandierten Musketier, der von allen Personen des Stückes nur den
Posa beneidet hatte, weil er durch den wohlgezielten Schuß von dem "ewigen
auswendig Hersagen" befreit worden wäre, gehört zwar eigentlich nicht hierher,
da sie mit dem Herzog nichts zu tun hat, aber ganz ohne ist sie nicht, und
daß sich die Königin Elisabeth von Valois an Schillers Madrider Hofe, wie
man zu sagen pflegt, unvernünftig langweilte, beweist ihre gewiß durchaus
aufrichtige und die Situation trefflich bezeichnende Äußerung:


Ich kann
Den Wunsch nicht finden, der nur fehlgeschlagen.

Unter solchen wandelnden Schatten ist ein Alba nur der normale Kulmi¬
nationspunkt der Verödung, und das Normale der Erscheinung beeinträchtigt
die tragische Wucht des Charakters.




Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge
(Schluß)

eit höheres Interesse als das industriereiche und Handel treibende
Aussig erweckt in uns die altberühmte Badestadt Teplitz. Der
aussichtsreiche Schloßberg mit seinen hübschen Anlagen, der Kur-
und ganz besonders der Schloßgarten erfreuen Herz und Sinn.
Nicht allgemein bekannt dürfte es sein, daß in Teplitz der
"Spaziergänger nach Syrakus" sein reichbewegtes Leben beschlossen und hier
seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Eine Büste Seumes in den Anlagen
gegenüber dem Theater erinnert uns an diese merkwürdige Persönlichkeit. Ein
andrer berühmter Mann ist in dem mit Teplitz verbundnen Schönau ver¬
herrlicht: der Nordpolfahrer Payer, ein geborner Schönauer. Ihm zu Ehren
hat man einem Teil der Anlagen, die sich an den Senmepark anschließen,
seinen Namen gegeben.

In Teplitz, in Dux und in Brüx sind wir mitten im nordböhmischen
Kohlengebiet, das sich von der Elbe bei Aussig bis Komotau und vom Erz¬
gebirge bis zum Mittelgebirge hin ausdehnt. Schacht an Schacht, zahlreiche


Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge

lieber, wie Philipps Pagen, die Nacht kniend verbringen soll. Daß Schiller,
als er den Don Carlos schrieb, das Bedürfnis, vom Kannrückchen, wenn auch
nur für kurze Augenblicke, herunterzusteigen, den Bogen abzuspannen, to
undsncl, wie die Engländer ebenso kurz als treffend sagen, überhaupt nicht
hatte, ist das Wunderbare. Auch wo ein fideler Mönch — es gab solche,
und obendrein sehr witzige und ausgelassen lustige — hätte angebracht werden
können, im vierzehnten Auftritt des zweiten Aktes, machen wir die Bekannt
schaft eines Priors, der nicht bloß herzensgut und gottergeben, sondern anch, um
das Unglück voll zu machen, für alles, was in der Welt vorgeht, ohne Teil¬
nahme ist. Die Geschichte von dem für eine Vorstellung des Don Carlos als
Statist kommandierten Musketier, der von allen Personen des Stückes nur den
Posa beneidet hatte, weil er durch den wohlgezielten Schuß von dem „ewigen
auswendig Hersagen" befreit worden wäre, gehört zwar eigentlich nicht hierher,
da sie mit dem Herzog nichts zu tun hat, aber ganz ohne ist sie nicht, und
daß sich die Königin Elisabeth von Valois an Schillers Madrider Hofe, wie
man zu sagen pflegt, unvernünftig langweilte, beweist ihre gewiß durchaus
aufrichtige und die Situation trefflich bezeichnende Äußerung:


Ich kann
Den Wunsch nicht finden, der nur fehlgeschlagen.

Unter solchen wandelnden Schatten ist ein Alba nur der normale Kulmi¬
nationspunkt der Verödung, und das Normale der Erscheinung beeinträchtigt
die tragische Wucht des Charakters.




Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge
(Schluß)

eit höheres Interesse als das industriereiche und Handel treibende
Aussig erweckt in uns die altberühmte Badestadt Teplitz. Der
aussichtsreiche Schloßberg mit seinen hübschen Anlagen, der Kur-
und ganz besonders der Schloßgarten erfreuen Herz und Sinn.
Nicht allgemein bekannt dürfte es sein, daß in Teplitz der
»Spaziergänger nach Syrakus" sein reichbewegtes Leben beschlossen und hier
seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Eine Büste Seumes in den Anlagen
gegenüber dem Theater erinnert uns an diese merkwürdige Persönlichkeit. Ein
andrer berühmter Mann ist in dem mit Teplitz verbundnen Schönau ver¬
herrlicht: der Nordpolfahrer Payer, ein geborner Schönauer. Ihm zu Ehren
hat man einem Teil der Anlagen, die sich an den Senmepark anschließen,
seinen Namen gegeben.

In Teplitz, in Dux und in Brüx sind wir mitten im nordböhmischen
Kohlengebiet, das sich von der Elbe bei Aussig bis Komotau und vom Erz¬
gebirge bis zum Mittelgebirge hin ausdehnt. Schacht an Schacht, zahlreiche


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[0669] Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge lieber, wie Philipps Pagen, die Nacht kniend verbringen soll. Daß Schiller, als er den Don Carlos schrieb, das Bedürfnis, vom Kannrückchen, wenn auch nur für kurze Augenblicke, herunterzusteigen, den Bogen abzuspannen, to undsncl, wie die Engländer ebenso kurz als treffend sagen, überhaupt nicht hatte, ist das Wunderbare. Auch wo ein fideler Mönch — es gab solche, und obendrein sehr witzige und ausgelassen lustige — hätte angebracht werden können, im vierzehnten Auftritt des zweiten Aktes, machen wir die Bekannt schaft eines Priors, der nicht bloß herzensgut und gottergeben, sondern anch, um das Unglück voll zu machen, für alles, was in der Welt vorgeht, ohne Teil¬ nahme ist. Die Geschichte von dem für eine Vorstellung des Don Carlos als Statist kommandierten Musketier, der von allen Personen des Stückes nur den Posa beneidet hatte, weil er durch den wohlgezielten Schuß von dem „ewigen auswendig Hersagen" befreit worden wäre, gehört zwar eigentlich nicht hierher, da sie mit dem Herzog nichts zu tun hat, aber ganz ohne ist sie nicht, und daß sich die Königin Elisabeth von Valois an Schillers Madrider Hofe, wie man zu sagen pflegt, unvernünftig langweilte, beweist ihre gewiß durchaus aufrichtige und die Situation trefflich bezeichnende Äußerung: Ich kann Den Wunsch nicht finden, der nur fehlgeschlagen. Unter solchen wandelnden Schatten ist ein Alba nur der normale Kulmi¬ nationspunkt der Verödung, und das Normale der Erscheinung beeinträchtigt die tragische Wucht des Charakters. Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge (Schluß) eit höheres Interesse als das industriereiche und Handel treibende Aussig erweckt in uns die altberühmte Badestadt Teplitz. Der aussichtsreiche Schloßberg mit seinen hübschen Anlagen, der Kur- und ganz besonders der Schloßgarten erfreuen Herz und Sinn. Nicht allgemein bekannt dürfte es sein, daß in Teplitz der »Spaziergänger nach Syrakus" sein reichbewegtes Leben beschlossen und hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Eine Büste Seumes in den Anlagen gegenüber dem Theater erinnert uns an diese merkwürdige Persönlichkeit. Ein andrer berühmter Mann ist in dem mit Teplitz verbundnen Schönau ver¬ herrlicht: der Nordpolfahrer Payer, ein geborner Schönauer. Ihm zu Ehren hat man einem Teil der Anlagen, die sich an den Senmepark anschließen, seinen Namen gegeben. In Teplitz, in Dux und in Brüx sind wir mitten im nordböhmischen Kohlengebiet, das sich von der Elbe bei Aussig bis Komotau und vom Erz¬ gebirge bis zum Mittelgebirge hin ausdehnt. Schacht an Schacht, zahlreiche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/669>, abgerufen am 27.09.2024.