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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Historisch - dramatisches Figurenkabinett

die Welt bedeuten, gelebt hat. Die Nachfrage nach ihrem Bild und die
Teilnahme an dem sie angeblich darstellenden Porträt sind so groß, daß sich
der Kastellan nur ungern und unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit der
Tatsache heraustraut, daß das wegen seines seelenvollen und schwärmerischen
Ausdrucks bewunderte Bild eine junge Dame der Clam-Gallasschen Familie
vorstellt, die erst volle fünfzig Jahre nach Wallensteins Tode das Licht der
Welt erblickt hat.

Der Versuch, an den oben genannten neun historisch-dramatischen Figuren
die erstaunliche Begabung Schillers nachzuweisen, die ihn befähigte, geschicht¬
liche Persönlichkeiten in dramatisch wirksame zu verwandeln, ohne daß dabei,
abgesehen von nebensächlichen Veränderungen und Zutaten, der Kern ihres
Wesens verloren ging, soll nun doch noch gemacht werden. Er war, obwohl er
ursprünglich als Beitrag zu den Festschriften für den 9. Mai d. I. in Aussicht
genommen gewesen war, mit Recht beiseite geschoben worden, um den festlich
gehaltnen, einer allgemeinern Würdigung des Dichters und des Philosophen
geltenden Aufsätzen den ihnen gebührenden freien Spielraum voll überlassen
zu können; nun, wo die Erinnerungstage vorüber sind, wird vielleicht dem
einen oder dem andern Leser der Wunsch gekommen sein, sich das im Theater
gesehene und genossene im Sinne einer mehr geschichtlichen Betrachtung
nochmals zu vergegenwärtigen, und ein Blick in das nun wieder aufgestellte
Figurenkabinett wird ihm deshalb unter Umständen nicht unwillkommen sein.
Es soll dabei von einer Besprechung der in Frage kommenden Dramen ab¬
gesehen und nur auf die Figuren selbst, auf die Verwendung des geschichtlichen
Stoffs, auf die Meisterschaft, mit der sie gehandhabt worden, und auf die
künstlerischen Erwägungen, von denen Schiller bei der Wahl des Materials
ausgegangen ist, Gewicht gelegt werden.

Man pflegt die von Schiller entworfnen geschichtlichen Figuren als
klassische zu bezeichnen: das ist ein relatives Lob, das auch denen von Corneille
und Racine gespendet wird, und eines, das der Vorliebe so vieler Menschen
für Etiketten entspricht. Ich möchte sagen, es sind bei großer Lebenswahrheit
und möglichster historischer Treue wirklich bezaubernde, ideale Figuren, denen
zwar das Dämonische der Shakespearischen abgeht, die sich aber dafür durch
einen Seelenadel, durch eine gewinnende Wärme des Gefühls, durch eine
Folgerichtigkeit der Hciudlungsweise auszeichnen, die ihnen besonders eigen
sind. Man kann das sagen, ohne Goethes größten dramatischen Gebilden, dein
Götz, dem Faust, dem Egmont, dem Tasso, der Iphigenie zu nahe zu treten:
keiner der beiden Dioskuren, die soviel voneinander hielten, soll hier gegen
den andern verkleinert werden; wie sie im Leben in schönster Eintracht und
Freundschaft dem gemeinsamen Ziele zugegangen sind, wie sie in Weimar in
Erz gegossen Hand in Hand nebeneinander stehn, so sollen sie auch neben¬
einander in unsrer Erinnerung und in unsern Herzen fortleben. Das Uner¬
reichte der Goethischen Gestalten bewegt sich auf einem wesentlich andern Ge¬
biete als das der Schillerschen: daß sie beide unser sind, ist unser größter
Stolz. Wie verkehrt wäre es, wenn wir das Genie des einen gegen das des
andern ausspielen wollten; im Gegenteil, nichts lehrt uns die Größe ihrer


Historisch - dramatisches Figurenkabinett

die Welt bedeuten, gelebt hat. Die Nachfrage nach ihrem Bild und die
Teilnahme an dem sie angeblich darstellenden Porträt sind so groß, daß sich
der Kastellan nur ungern und unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit der
Tatsache heraustraut, daß das wegen seines seelenvollen und schwärmerischen
Ausdrucks bewunderte Bild eine junge Dame der Clam-Gallasschen Familie
vorstellt, die erst volle fünfzig Jahre nach Wallensteins Tode das Licht der
Welt erblickt hat.

Der Versuch, an den oben genannten neun historisch-dramatischen Figuren
die erstaunliche Begabung Schillers nachzuweisen, die ihn befähigte, geschicht¬
liche Persönlichkeiten in dramatisch wirksame zu verwandeln, ohne daß dabei,
abgesehen von nebensächlichen Veränderungen und Zutaten, der Kern ihres
Wesens verloren ging, soll nun doch noch gemacht werden. Er war, obwohl er
ursprünglich als Beitrag zu den Festschriften für den 9. Mai d. I. in Aussicht
genommen gewesen war, mit Recht beiseite geschoben worden, um den festlich
gehaltnen, einer allgemeinern Würdigung des Dichters und des Philosophen
geltenden Aufsätzen den ihnen gebührenden freien Spielraum voll überlassen
zu können; nun, wo die Erinnerungstage vorüber sind, wird vielleicht dem
einen oder dem andern Leser der Wunsch gekommen sein, sich das im Theater
gesehene und genossene im Sinne einer mehr geschichtlichen Betrachtung
nochmals zu vergegenwärtigen, und ein Blick in das nun wieder aufgestellte
Figurenkabinett wird ihm deshalb unter Umständen nicht unwillkommen sein.
Es soll dabei von einer Besprechung der in Frage kommenden Dramen ab¬
gesehen und nur auf die Figuren selbst, auf die Verwendung des geschichtlichen
Stoffs, auf die Meisterschaft, mit der sie gehandhabt worden, und auf die
künstlerischen Erwägungen, von denen Schiller bei der Wahl des Materials
ausgegangen ist, Gewicht gelegt werden.

Man pflegt die von Schiller entworfnen geschichtlichen Figuren als
klassische zu bezeichnen: das ist ein relatives Lob, das auch denen von Corneille
und Racine gespendet wird, und eines, das der Vorliebe so vieler Menschen
für Etiketten entspricht. Ich möchte sagen, es sind bei großer Lebenswahrheit
und möglichster historischer Treue wirklich bezaubernde, ideale Figuren, denen
zwar das Dämonische der Shakespearischen abgeht, die sich aber dafür durch
einen Seelenadel, durch eine gewinnende Wärme des Gefühls, durch eine
Folgerichtigkeit der Hciudlungsweise auszeichnen, die ihnen besonders eigen
sind. Man kann das sagen, ohne Goethes größten dramatischen Gebilden, dein
Götz, dem Faust, dem Egmont, dem Tasso, der Iphigenie zu nahe zu treten:
keiner der beiden Dioskuren, die soviel voneinander hielten, soll hier gegen
den andern verkleinert werden; wie sie im Leben in schönster Eintracht und
Freundschaft dem gemeinsamen Ziele zugegangen sind, wie sie in Weimar in
Erz gegossen Hand in Hand nebeneinander stehn, so sollen sie auch neben¬
einander in unsrer Erinnerung und in unsern Herzen fortleben. Das Uner¬
reichte der Goethischen Gestalten bewegt sich auf einem wesentlich andern Ge¬
biete als das der Schillerschen: daß sie beide unser sind, ist unser größter
Stolz. Wie verkehrt wäre es, wenn wir das Genie des einen gegen das des
andern ausspielen wollten; im Gegenteil, nichts lehrt uns die Größe ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/660>, abgerufen am 27.09.2024.