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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Hegels Religionsphilosophie

egels berüchtigter Stil soll den Leser in diesem Artikel nicht Plagen,
und das, was dieser Stil zu verschleiern bestimmt war, ist gar
nicht schwer zu verstehn. Daß Hegel ungenießbar ist, gibt auch
Arthur Drews zu. Ebendeswegen hat er Hegels Religions-
philosophie in gekürzter und für die Bequemlichkeit des Lesers
zurechtgemachter Form mit einer langen Einleitung und vielen Erläuterungen
(bei Eugen Diederichs in Jena und Leipzig. 1905) herausgegeben und meint
mit Recht, daß sie auch so noch keine leichte Lektüre sein werde. Was ihn dazu
bestimmt hat, war die Erwägung, daß wir Hegels Geist brauchen, wenn wir
aus der heutigen religiösen Krisis herauskommen wollen. Dieser Ansicht bin
ich ebenfalls, stimme aber auch darin Drews bei, daß man sich nur eben von
Hegels Geist beseelen lassen, nicht etwa seine Religionsphilosophie einfach an¬
nehmen soll, deren esoterischen Kern ich freilich in einem ganz andern Sinne
als Drews ablehne.

Das vernünftige Christentum hat Hegel für zweierlei zu danken. Er hat
auf das stärkste betont und ausführlich bewiesen, daß die Religion eine Sache
des Geistes ist, und daß eine geistlose Religion, ein Sammelsurium abergläu¬
bischer Gebräuche oder von Dogmen, die sich auf körperliche Gegenstände beziehn,
gar nicht den Namen Religion verdient. "Das Ungeistige ist seiner Natur nach
kein Inhalt des Glaubens," Doch lag für ihn wenig Veranlassung vor, sich
gegen diese Entartung der Religion zu wenden, in einer Zeit, wo die "Auf¬
klärung" alle Religion als Pfaffentrug und Aberglauben verschrie. Gleich
Schleiermacher und den Romantikern, wenn auch auf einem ganz andern Wege
und im schroffen Gegensatz zu ihnen, war er bemüht, der Religion wieder Achtung
und Sympathie zu verschaffen. "Alle Völker wissen, daß das religiöse Bewußt¬
sein das ist, worin sie Wahrheit besitzen, und sie haben die Religion immer
als ihre Würde und als den Sonntag ihres Lebens angesehen. ... Die Auf¬
klärung, diese Eitelkeit des Verstandes, ist die heftigste Gegnerin der Philosophie.
Sie nimmt es übel, wenn diese die Vernunft in der christlichen Religion aus¬
zeigt, wenn sie zeigt, daß das Zeugnis des Geistes, der Wahrheit, in der Religion
niedergelegt ist." Und dieses Zeugnis weiß er auch noch aus dem rohesten
Götzendienst auszugraben. Er zeigt, wie sich auch die rohesten religiösen Vor¬
stellungen noch in die Vernunftordnung einreihen lassen. "Wir müssen bei den
Religionen der Völker einsehen, daß nicht alles an ihnen sinnlos und unver¬
nünftig ist; das wichtigere ist vielmehr, das Wahre darin zu erkennen, und wie
sie mit der Vernunft zusammenhängen; und das ist schwerer, als etwas für
sinnlos zu erklären." Mit Recht findet Drews in dieser Auffassung Hegels
Größe und seine eigentliche Bedeutung für die Religionsgeschichte; erst durch


Grenzboten III 190S 81


Hegels Religionsphilosophie

egels berüchtigter Stil soll den Leser in diesem Artikel nicht Plagen,
und das, was dieser Stil zu verschleiern bestimmt war, ist gar
nicht schwer zu verstehn. Daß Hegel ungenießbar ist, gibt auch
Arthur Drews zu. Ebendeswegen hat er Hegels Religions-
philosophie in gekürzter und für die Bequemlichkeit des Lesers
zurechtgemachter Form mit einer langen Einleitung und vielen Erläuterungen
(bei Eugen Diederichs in Jena und Leipzig. 1905) herausgegeben und meint
mit Recht, daß sie auch so noch keine leichte Lektüre sein werde. Was ihn dazu
bestimmt hat, war die Erwägung, daß wir Hegels Geist brauchen, wenn wir
aus der heutigen religiösen Krisis herauskommen wollen. Dieser Ansicht bin
ich ebenfalls, stimme aber auch darin Drews bei, daß man sich nur eben von
Hegels Geist beseelen lassen, nicht etwa seine Religionsphilosophie einfach an¬
nehmen soll, deren esoterischen Kern ich freilich in einem ganz andern Sinne
als Drews ablehne.

Das vernünftige Christentum hat Hegel für zweierlei zu danken. Er hat
auf das stärkste betont und ausführlich bewiesen, daß die Religion eine Sache
des Geistes ist, und daß eine geistlose Religion, ein Sammelsurium abergläu¬
bischer Gebräuche oder von Dogmen, die sich auf körperliche Gegenstände beziehn,
gar nicht den Namen Religion verdient. „Das Ungeistige ist seiner Natur nach
kein Inhalt des Glaubens," Doch lag für ihn wenig Veranlassung vor, sich
gegen diese Entartung der Religion zu wenden, in einer Zeit, wo die „Auf¬
klärung" alle Religion als Pfaffentrug und Aberglauben verschrie. Gleich
Schleiermacher und den Romantikern, wenn auch auf einem ganz andern Wege
und im schroffen Gegensatz zu ihnen, war er bemüht, der Religion wieder Achtung
und Sympathie zu verschaffen. „Alle Völker wissen, daß das religiöse Bewußt¬
sein das ist, worin sie Wahrheit besitzen, und sie haben die Religion immer
als ihre Würde und als den Sonntag ihres Lebens angesehen. ... Die Auf¬
klärung, diese Eitelkeit des Verstandes, ist die heftigste Gegnerin der Philosophie.
Sie nimmt es übel, wenn diese die Vernunft in der christlichen Religion aus¬
zeigt, wenn sie zeigt, daß das Zeugnis des Geistes, der Wahrheit, in der Religion
niedergelegt ist." Und dieses Zeugnis weiß er auch noch aus dem rohesten
Götzendienst auszugraben. Er zeigt, wie sich auch die rohesten religiösen Vor¬
stellungen noch in die Vernunftordnung einreihen lassen. „Wir müssen bei den
Religionen der Völker einsehen, daß nicht alles an ihnen sinnlos und unver¬
nünftig ist; das wichtigere ist vielmehr, das Wahre darin zu erkennen, und wie
sie mit der Vernunft zusammenhängen; und das ist schwerer, als etwas für
sinnlos zu erklären." Mit Recht findet Drews in dieser Auffassung Hegels
Größe und seine eigentliche Bedeutung für die Religionsgeschichte; erst durch


Grenzboten III 190S 81
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[0649] [Abbildung] Hegels Religionsphilosophie egels berüchtigter Stil soll den Leser in diesem Artikel nicht Plagen, und das, was dieser Stil zu verschleiern bestimmt war, ist gar nicht schwer zu verstehn. Daß Hegel ungenießbar ist, gibt auch Arthur Drews zu. Ebendeswegen hat er Hegels Religions- philosophie in gekürzter und für die Bequemlichkeit des Lesers zurechtgemachter Form mit einer langen Einleitung und vielen Erläuterungen (bei Eugen Diederichs in Jena und Leipzig. 1905) herausgegeben und meint mit Recht, daß sie auch so noch keine leichte Lektüre sein werde. Was ihn dazu bestimmt hat, war die Erwägung, daß wir Hegels Geist brauchen, wenn wir aus der heutigen religiösen Krisis herauskommen wollen. Dieser Ansicht bin ich ebenfalls, stimme aber auch darin Drews bei, daß man sich nur eben von Hegels Geist beseelen lassen, nicht etwa seine Religionsphilosophie einfach an¬ nehmen soll, deren esoterischen Kern ich freilich in einem ganz andern Sinne als Drews ablehne. Das vernünftige Christentum hat Hegel für zweierlei zu danken. Er hat auf das stärkste betont und ausführlich bewiesen, daß die Religion eine Sache des Geistes ist, und daß eine geistlose Religion, ein Sammelsurium abergläu¬ bischer Gebräuche oder von Dogmen, die sich auf körperliche Gegenstände beziehn, gar nicht den Namen Religion verdient. „Das Ungeistige ist seiner Natur nach kein Inhalt des Glaubens," Doch lag für ihn wenig Veranlassung vor, sich gegen diese Entartung der Religion zu wenden, in einer Zeit, wo die „Auf¬ klärung" alle Religion als Pfaffentrug und Aberglauben verschrie. Gleich Schleiermacher und den Romantikern, wenn auch auf einem ganz andern Wege und im schroffen Gegensatz zu ihnen, war er bemüht, der Religion wieder Achtung und Sympathie zu verschaffen. „Alle Völker wissen, daß das religiöse Bewußt¬ sein das ist, worin sie Wahrheit besitzen, und sie haben die Religion immer als ihre Würde und als den Sonntag ihres Lebens angesehen. ... Die Auf¬ klärung, diese Eitelkeit des Verstandes, ist die heftigste Gegnerin der Philosophie. Sie nimmt es übel, wenn diese die Vernunft in der christlichen Religion aus¬ zeigt, wenn sie zeigt, daß das Zeugnis des Geistes, der Wahrheit, in der Religion niedergelegt ist." Und dieses Zeugnis weiß er auch noch aus dem rohesten Götzendienst auszugraben. Er zeigt, wie sich auch die rohesten religiösen Vor¬ stellungen noch in die Vernunftordnung einreihen lassen. „Wir müssen bei den Religionen der Völker einsehen, daß nicht alles an ihnen sinnlos und unver¬ nünftig ist; das wichtigere ist vielmehr, das Wahre darin zu erkennen, und wie sie mit der Vernunft zusammenhängen; und das ist schwerer, als etwas für sinnlos zu erklären." Mit Recht findet Drews in dieser Auffassung Hegels Größe und seine eigentliche Bedeutung für die Religionsgeschichte; erst durch Grenzboten III 190S 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/649>, abgerufen am 27.09.2024.