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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Junge Herzen

Aber nun haben Sie unsre neue Schönheit gar nicht zu sehen bekommen, sagte
Frau Koltrup.

Holmsted schien die Bemerkung nicht gehört zu haben. Indem er ein kleines
Päckchen aus der Brusttasche zog, sagte er: Da haben Sie mein Geburtstagsgeschenk,
Koltrup.

Dieser öffnete das Päckchen und entnahm ihm ein kleines Buch in Miniatur¬
format. Vielen Dank, lieber Doktor Holmsted!

Warten Sie mit dem Dank doch, bis Sie es gelesen haben; mich selbst hat
es sehr angemutet. Es ist endlich einmal ein Buch, von einem Mann mit weib¬
lichem Feingefühl geschrieben. Eine Frau, von einem Mann geschildert, wie es nur
ein Mann vermag.

Wann haben Sie denn angefangen, sich für Frauen zu interessieren? fragte
Frau Koltrup lächelnd.

Ach, damit habe ich angefangen, als ich zum erstenmal das sanfte Antlitz
meiner Mutter sah.

Frau Koltrop wollte seine Hand ergreifen und sagte: Sie haben im Grunde
doch ein warmes Gemüt.

Er schob ihre Hand beiseite und sagte: So, habe ich das?

Er hielt das Glas gegen das Licht, sodaß der Most wie Gold funkelte.

Dann nippte er an dem Glase und setzte es wieder hin, indem er sagte:
Literatur wie Wein sollen mit Maßen genossen werden; im übrigen aber ist dies
ein angenehmer Maitrank!

Ja, sagte Koltrup, ein andrer Maitrank, den wir hier heute Abend bekommen
haben, war ebenso herrlich, und der berauschte uns alle. Das war der, den uns
Fräulein Nörby eingeschenkt hat.

Haben Sie sie noch gar nicht gesehen? fiel ihm Frau Koltrup plötzlich in
die Rede.

Wo sollte ich sie Wohl gesehen haben?

Waren Sie denn nicht beim Walpurgisfeuer?

Hier fuhr Holmsted in die Höhe, sah nach der Uhr und sagte: Ich muß
morgen früh heraus! Lassen Sie sich doch bald einmal bei mir sehen.

Er leerte sein Glas, drückte den Freunden die Hand und sauste auf seinem
Rade heimwärts durch die stille Nacht.




Helene war schnell zu Bett gegangen; sie war müde und schläfrig nach dem
bewegten Abend.

Da träumte sie, daß sie wieder am Walpurgisfeuer stünde.

Plötzlich hielt sie eine Violine in der Hand und spielte; und nun tanzten
alle Männer und Frauen der ganzen Gegend einen grotesken Hexentanz um das
Feuer herum.

Am allerwildesten tanzten die Apothekerin und Propst Hansen-Bjerg.

Da ließ sie die Violine fallen, das Feuer sank zusammen.

Und nun fiel der letzte Schein des Feuers auf die mystische Gestalt von
neulich.

Er sah ernst aus und schwieg, und dann verschwand er auf einmal.

Jetzt wandten sich alle nach ihr um, sie entfloh und -- erwachte.

Es war Heller, lichter Tag.

Wie lächerlich man träumen kann! dachte sie, während sie sich ankleidete.

(Fortsetzung folgt)




Junge Herzen

Aber nun haben Sie unsre neue Schönheit gar nicht zu sehen bekommen, sagte
Frau Koltrup.

Holmsted schien die Bemerkung nicht gehört zu haben. Indem er ein kleines
Päckchen aus der Brusttasche zog, sagte er: Da haben Sie mein Geburtstagsgeschenk,
Koltrup.

Dieser öffnete das Päckchen und entnahm ihm ein kleines Buch in Miniatur¬
format. Vielen Dank, lieber Doktor Holmsted!

Warten Sie mit dem Dank doch, bis Sie es gelesen haben; mich selbst hat
es sehr angemutet. Es ist endlich einmal ein Buch, von einem Mann mit weib¬
lichem Feingefühl geschrieben. Eine Frau, von einem Mann geschildert, wie es nur
ein Mann vermag.

Wann haben Sie denn angefangen, sich für Frauen zu interessieren? fragte
Frau Koltrup lächelnd.

Ach, damit habe ich angefangen, als ich zum erstenmal das sanfte Antlitz
meiner Mutter sah.

Frau Koltrop wollte seine Hand ergreifen und sagte: Sie haben im Grunde
doch ein warmes Gemüt.

Er schob ihre Hand beiseite und sagte: So, habe ich das?

Er hielt das Glas gegen das Licht, sodaß der Most wie Gold funkelte.

Dann nippte er an dem Glase und setzte es wieder hin, indem er sagte:
Literatur wie Wein sollen mit Maßen genossen werden; im übrigen aber ist dies
ein angenehmer Maitrank!

Ja, sagte Koltrup, ein andrer Maitrank, den wir hier heute Abend bekommen
haben, war ebenso herrlich, und der berauschte uns alle. Das war der, den uns
Fräulein Nörby eingeschenkt hat.

Haben Sie sie noch gar nicht gesehen? fiel ihm Frau Koltrup plötzlich in
die Rede.

Wo sollte ich sie Wohl gesehen haben?

Waren Sie denn nicht beim Walpurgisfeuer?

Hier fuhr Holmsted in die Höhe, sah nach der Uhr und sagte: Ich muß
morgen früh heraus! Lassen Sie sich doch bald einmal bei mir sehen.

Er leerte sein Glas, drückte den Freunden die Hand und sauste auf seinem
Rade heimwärts durch die stille Nacht.




Helene war schnell zu Bett gegangen; sie war müde und schläfrig nach dem
bewegten Abend.

Da träumte sie, daß sie wieder am Walpurgisfeuer stünde.

Plötzlich hielt sie eine Violine in der Hand und spielte; und nun tanzten
alle Männer und Frauen der ganzen Gegend einen grotesken Hexentanz um das
Feuer herum.

Am allerwildesten tanzten die Apothekerin und Propst Hansen-Bjerg.

Da ließ sie die Violine fallen, das Feuer sank zusammen.

Und nun fiel der letzte Schein des Feuers auf die mystische Gestalt von
neulich.

Er sah ernst aus und schwieg, und dann verschwand er auf einmal.

Jetzt wandten sich alle nach ihr um, sie entfloh und — erwachte.

Es war Heller, lichter Tag.

Wie lächerlich man träumen kann! dachte sie, während sie sich ankleidete.

(Fortsetzung folgt)




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[0628] Junge Herzen Aber nun haben Sie unsre neue Schönheit gar nicht zu sehen bekommen, sagte Frau Koltrup. Holmsted schien die Bemerkung nicht gehört zu haben. Indem er ein kleines Päckchen aus der Brusttasche zog, sagte er: Da haben Sie mein Geburtstagsgeschenk, Koltrup. Dieser öffnete das Päckchen und entnahm ihm ein kleines Buch in Miniatur¬ format. Vielen Dank, lieber Doktor Holmsted! Warten Sie mit dem Dank doch, bis Sie es gelesen haben; mich selbst hat es sehr angemutet. Es ist endlich einmal ein Buch, von einem Mann mit weib¬ lichem Feingefühl geschrieben. Eine Frau, von einem Mann geschildert, wie es nur ein Mann vermag. Wann haben Sie denn angefangen, sich für Frauen zu interessieren? fragte Frau Koltrup lächelnd. Ach, damit habe ich angefangen, als ich zum erstenmal das sanfte Antlitz meiner Mutter sah. Frau Koltrop wollte seine Hand ergreifen und sagte: Sie haben im Grunde doch ein warmes Gemüt. Er schob ihre Hand beiseite und sagte: So, habe ich das? Er hielt das Glas gegen das Licht, sodaß der Most wie Gold funkelte. Dann nippte er an dem Glase und setzte es wieder hin, indem er sagte: Literatur wie Wein sollen mit Maßen genossen werden; im übrigen aber ist dies ein angenehmer Maitrank! Ja, sagte Koltrup, ein andrer Maitrank, den wir hier heute Abend bekommen haben, war ebenso herrlich, und der berauschte uns alle. Das war der, den uns Fräulein Nörby eingeschenkt hat. Haben Sie sie noch gar nicht gesehen? fiel ihm Frau Koltrup plötzlich in die Rede. Wo sollte ich sie Wohl gesehen haben? Waren Sie denn nicht beim Walpurgisfeuer? Hier fuhr Holmsted in die Höhe, sah nach der Uhr und sagte: Ich muß morgen früh heraus! Lassen Sie sich doch bald einmal bei mir sehen. Er leerte sein Glas, drückte den Freunden die Hand und sauste auf seinem Rade heimwärts durch die stille Nacht. Helene war schnell zu Bett gegangen; sie war müde und schläfrig nach dem bewegten Abend. Da träumte sie, daß sie wieder am Walpurgisfeuer stünde. Plötzlich hielt sie eine Violine in der Hand und spielte; und nun tanzten alle Männer und Frauen der ganzen Gegend einen grotesken Hexentanz um das Feuer herum. Am allerwildesten tanzten die Apothekerin und Propst Hansen-Bjerg. Da ließ sie die Violine fallen, das Feuer sank zusammen. Und nun fiel der letzte Schein des Feuers auf die mystische Gestalt von neulich. Er sah ernst aus und schwieg, und dann verschwand er auf einmal. Jetzt wandten sich alle nach ihr um, sie entfloh und — erwachte. Es war Heller, lichter Tag. Wie lächerlich man träumen kann! dachte sie, während sie sich ankleidete. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/628>, abgerufen am 27.09.2024.