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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Über Manöver

für die Bedeutung dieser ^xotdöss, in der schon damals einsichtige Franzosen
ein Merkmal der preußischen Überlegenheit erkannten.

So leicht es nun ist, für ein einzelnes Gefecht oder eine kleine Übung
irgendeine passende Kriegslage zu finden, so schwer ist dies für ein Manöver.
Unsre Manöver beginnen mit Übungen der beiden Regimenter einer Jnfcmterie-
brigade gegeneinander; jedem wird etwas Artillerie und Kavallerie zugeteilt.
Im Kriege kommen so kleine Abzweigungen fast nie vor; noch seltner tritt es
ein, daß der Feind zufällig eine ebensolche Abzweigung vornimmt, und diese
beiden nun mit entgegengesetzten Aufträgen aufeinanderstoßen. Immerhin sind
aber solche Fülle denkbar und lassen sich darstellen. Schwierig wird die Sache
aber, sobald eine solche Idee zwei bis drei Tage lang durchgeführt werden
soll, und sich in ihrem Verlaufe jeden Tag ein Gefecht ergeben soll. In
Wirklichkeit macht sich bei solchen kleinen Abteilungen die Anziehung der
Masse sehr bald bemerkbar, besonders nach jedem Kampf, und sie streben so
rasch wie möglich unter den Schutz der größern Truppenverbände zurück; vor
allem aber ist eine Truppe, die heute gekämpft hat, in der Regel morgen
nicht imstande, einen neuen Kampf aufzunehmen, am wenigsten wenn sie
geschlagen war. Im Kriege ist eine Truppe kein Arduus, der nach dem Biwak
neugestärkt erwacht.

Aber es ist für die Truppe gerade lehrreich, eine Reihe von Tagen
hintereinander unter kriegsmäßigen Verhältnissen leben zu müssen, unmittelbar
aus dem Gefecht in eine kriegsmäßige Unterkunft übergehn und sich in dieser
kriegsmüßig gegen den Feind sichern zu müssen. Andrerseits verlangt die für
die Manöver verfügbare kurze Zeit, daß an jedem Manövertag ein Gefecht
stattfinde. Bloße Märsche, die allerdings im Kriege weitaus den größten Teil
der Tage ausfüllen, sind im Manöver zu wenig lehrreich und rechtfertigen
nicht die für Unterbringung und Verpflegung nötigen Kosten.

So muß denn die Unnatürlichkeit, die eine fortlaufende Reihe von Gefechts¬
tagen, besonders bei so kleinen Truppenverbünden, mit sich bringt, im Interesse
der Ausbildung der Truppe ertragen werden. Sie kommt der Truppe und
dem jeden Tag wechselnden Führer auch kaum zum Bewußtsein, da für beide
die augenblickliche Lage mehr Interesse hat, um so mehr aber dem unbeteiligten
Zuschauer, der am zweiten oder am dritten Tage des Brigade- oder des
Divisionsmanövers versucht, das, was er sieht, mit der ursprünglichen "General¬
idee," die er in der Zeitung gelesen oder sonstwie erfahren hat, in Zusammen¬
hang zu bringen. Den Militürhumoristen hat diese Generalidee, die meist schon
am zweiten Tage auf dem Kopfe zu stehn scheint, reichen Stoff zu launigen
Spott geboten. Von allen Unnatürlichkeiten des Manövers ist sie noch am
leichtesten zu tragen. Was hier von den Manövern zweier Regimenter gesagt
ist, gilt auch von den Divisionsinanövern, bei denen die beiden Brigaden einer
Division gegeneinander kämpfen. Erst wenn bei jeder Partei eine Division
oder, wie bei Kaisermanövern, ein oder mehrere Korps stehn, ist ein wirklich
kriegsmäßiges mehrtägiges Operieren denkbar, allerdings auch nur, wenn man
sich das im Manöver unvermeidliche täglich bis zur Entscheidung durchgeführte
Gefecht wegdenkt.


Über Manöver

für die Bedeutung dieser ^xotdöss, in der schon damals einsichtige Franzosen
ein Merkmal der preußischen Überlegenheit erkannten.

So leicht es nun ist, für ein einzelnes Gefecht oder eine kleine Übung
irgendeine passende Kriegslage zu finden, so schwer ist dies für ein Manöver.
Unsre Manöver beginnen mit Übungen der beiden Regimenter einer Jnfcmterie-
brigade gegeneinander; jedem wird etwas Artillerie und Kavallerie zugeteilt.
Im Kriege kommen so kleine Abzweigungen fast nie vor; noch seltner tritt es
ein, daß der Feind zufällig eine ebensolche Abzweigung vornimmt, und diese
beiden nun mit entgegengesetzten Aufträgen aufeinanderstoßen. Immerhin sind
aber solche Fülle denkbar und lassen sich darstellen. Schwierig wird die Sache
aber, sobald eine solche Idee zwei bis drei Tage lang durchgeführt werden
soll, und sich in ihrem Verlaufe jeden Tag ein Gefecht ergeben soll. In
Wirklichkeit macht sich bei solchen kleinen Abteilungen die Anziehung der
Masse sehr bald bemerkbar, besonders nach jedem Kampf, und sie streben so
rasch wie möglich unter den Schutz der größern Truppenverbände zurück; vor
allem aber ist eine Truppe, die heute gekämpft hat, in der Regel morgen
nicht imstande, einen neuen Kampf aufzunehmen, am wenigsten wenn sie
geschlagen war. Im Kriege ist eine Truppe kein Arduus, der nach dem Biwak
neugestärkt erwacht.

Aber es ist für die Truppe gerade lehrreich, eine Reihe von Tagen
hintereinander unter kriegsmäßigen Verhältnissen leben zu müssen, unmittelbar
aus dem Gefecht in eine kriegsmäßige Unterkunft übergehn und sich in dieser
kriegsmüßig gegen den Feind sichern zu müssen. Andrerseits verlangt die für
die Manöver verfügbare kurze Zeit, daß an jedem Manövertag ein Gefecht
stattfinde. Bloße Märsche, die allerdings im Kriege weitaus den größten Teil
der Tage ausfüllen, sind im Manöver zu wenig lehrreich und rechtfertigen
nicht die für Unterbringung und Verpflegung nötigen Kosten.

So muß denn die Unnatürlichkeit, die eine fortlaufende Reihe von Gefechts¬
tagen, besonders bei so kleinen Truppenverbünden, mit sich bringt, im Interesse
der Ausbildung der Truppe ertragen werden. Sie kommt der Truppe und
dem jeden Tag wechselnden Führer auch kaum zum Bewußtsein, da für beide
die augenblickliche Lage mehr Interesse hat, um so mehr aber dem unbeteiligten
Zuschauer, der am zweiten oder am dritten Tage des Brigade- oder des
Divisionsmanövers versucht, das, was er sieht, mit der ursprünglichen „General¬
idee," die er in der Zeitung gelesen oder sonstwie erfahren hat, in Zusammen¬
hang zu bringen. Den Militürhumoristen hat diese Generalidee, die meist schon
am zweiten Tage auf dem Kopfe zu stehn scheint, reichen Stoff zu launigen
Spott geboten. Von allen Unnatürlichkeiten des Manövers ist sie noch am
leichtesten zu tragen. Was hier von den Manövern zweier Regimenter gesagt
ist, gilt auch von den Divisionsinanövern, bei denen die beiden Brigaden einer
Division gegeneinander kämpfen. Erst wenn bei jeder Partei eine Division
oder, wie bei Kaisermanövern, ein oder mehrere Korps stehn, ist ein wirklich
kriegsmäßiges mehrtägiges Operieren denkbar, allerdings auch nur, wenn man
sich das im Manöver unvermeidliche täglich bis zur Entscheidung durchgeführte
Gefecht wegdenkt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/598>, abgerufen am 27.09.2024.