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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Die deutsche Presse und die britische Frage

Die größte Gefahr ist aber die, wenn eine Nation ihre Stimmung zur
Leidenschaft entfachen und sich schließlich von dieser zu Handlungen fortreißen
läßt. Diese Gefahr besteht entschieden heute bei der britischen Nation uns
gegenüber, und es würde völlig unklug von uns sein, noch mehr Zündstoff
zu dieser zurzeit noch glimmenden Glut hinzuzuliefern. Wir müssen uns sorg¬
fältig hüten, im Auslande, und zwar ganz besonders bei unsern mächtigen
Konkurrenten, zu frühzeitig den Eindruck zu erwecken, als ob auch bei uns
eine solche Volksstimmung, erfüllt vom Flottengeist, von großer Überseepolitik
und einem Alldeutschland, die ganze Nation ergreifen und zur Leidenschaft
entfachen könnte.

Fürst Bülow hat vor einiger Zeit einmal gesagt, man müsse in seinem Ver¬
halten gegenüber der Sozialdemokratie und den Arbeitern ein gutes Gewissen
haben. Man kann daraus schließen -- und seine ganze bisherige auswärtige
Politik beweist es --, daß er auch auf dem Gebiete der äußern Politik diesem
Grundsatze huldigt, nämlich daß man auch seinen Gegnern des Auslandes
gegenüber ein gutes Gewissen haben muß. Es gibt wohl keine Regierung,
deren Friedfertigkeit so verbürgt ist, und auf deren Friedfertigkeit man sich
so verlassen kann als die deutsche. Ein gutes Gewissen gibt aber auch dem
Schwachen eine große innere moralische Stärke einem Starken gegenüber,
indem er gewiß ist, alles getan zu haben, was in seinen Kräften steht, den
Frieden zu erhalten, und indem er das weitere einer höhern Weltfügung über¬
lassen muß.

Man wird entgegenhalten, daß man in Deutschland die Geldmittel zu
einer auch nur in den bescheidensten Grenzen vergrößerten Flotte bei der
herrschenden Flottenfeindschaft nur durch eine Agitation im größten Stil er¬
reichen könne, und daß der Brite, wenn er vernünftig wäre, eher ein Symptom
der Beruhigung als der Aufregung gerade darin erkennen müßte, daß es in
Deutschland überhaupt notwendig sei, eine so gewaltige Agitation ins Werk
zu setzen, um ein verhältnismäßig so bescheidnes Ziel zu erreichen. Gewiß
wäre das richtig, wenn man mit einem vernünftigen, gerechten und vorurteils¬
loser Gegner zu tun hätte. Es ist gewiß auch richtig, daß es in England
noch eine ganze Menge solcher vernünftiger Leute gibt, doch ist es andrerseits
ebenso gewiß, daß es dort heute schon bis in die maßgebendsten Kreise hinein
eine große Anzahl gibt, die von dem Deutschenhaß durchdrungen nicht mehr
ruhig und besonnen, sondern blind und voreingenommen die Beziehung zu
Deutschland betrachten und das glauben, was sie gern wollen, nämlich in
Deutschland den Gegner zu sehen, der den Untergang der Weltherrschaft
Großbritanniens herbeizuführen trachtet.

Hier hilft mir eins: daß man die öffentliche Agitation einschränkt und
die Beantwortung der Flottenfrage vertrauensvoll der Regierung überläßt.
Eine starke Regierung muß selbst wissen, wie sie die Geldmittel dazu findet,
und ich vertraue auch hier auf die Einsicht unsrer Volksvertretung, die in
solchen großen Fragen, bei denen es sich schließlich um die Existenz des
Vaterlandes handelt, die Negierung noch niemals im Stiche gelassen hat.
Und wenn es dennoch der Fall sein sollte, so müßte eine starke Regierung,


Die deutsche Presse und die britische Frage

Die größte Gefahr ist aber die, wenn eine Nation ihre Stimmung zur
Leidenschaft entfachen und sich schließlich von dieser zu Handlungen fortreißen
läßt. Diese Gefahr besteht entschieden heute bei der britischen Nation uns
gegenüber, und es würde völlig unklug von uns sein, noch mehr Zündstoff
zu dieser zurzeit noch glimmenden Glut hinzuzuliefern. Wir müssen uns sorg¬
fältig hüten, im Auslande, und zwar ganz besonders bei unsern mächtigen
Konkurrenten, zu frühzeitig den Eindruck zu erwecken, als ob auch bei uns
eine solche Volksstimmung, erfüllt vom Flottengeist, von großer Überseepolitik
und einem Alldeutschland, die ganze Nation ergreifen und zur Leidenschaft
entfachen könnte.

Fürst Bülow hat vor einiger Zeit einmal gesagt, man müsse in seinem Ver¬
halten gegenüber der Sozialdemokratie und den Arbeitern ein gutes Gewissen
haben. Man kann daraus schließen — und seine ganze bisherige auswärtige
Politik beweist es —, daß er auch auf dem Gebiete der äußern Politik diesem
Grundsatze huldigt, nämlich daß man auch seinen Gegnern des Auslandes
gegenüber ein gutes Gewissen haben muß. Es gibt wohl keine Regierung,
deren Friedfertigkeit so verbürgt ist, und auf deren Friedfertigkeit man sich
so verlassen kann als die deutsche. Ein gutes Gewissen gibt aber auch dem
Schwachen eine große innere moralische Stärke einem Starken gegenüber,
indem er gewiß ist, alles getan zu haben, was in seinen Kräften steht, den
Frieden zu erhalten, und indem er das weitere einer höhern Weltfügung über¬
lassen muß.

Man wird entgegenhalten, daß man in Deutschland die Geldmittel zu
einer auch nur in den bescheidensten Grenzen vergrößerten Flotte bei der
herrschenden Flottenfeindschaft nur durch eine Agitation im größten Stil er¬
reichen könne, und daß der Brite, wenn er vernünftig wäre, eher ein Symptom
der Beruhigung als der Aufregung gerade darin erkennen müßte, daß es in
Deutschland überhaupt notwendig sei, eine so gewaltige Agitation ins Werk
zu setzen, um ein verhältnismäßig so bescheidnes Ziel zu erreichen. Gewiß
wäre das richtig, wenn man mit einem vernünftigen, gerechten und vorurteils¬
loser Gegner zu tun hätte. Es ist gewiß auch richtig, daß es in England
noch eine ganze Menge solcher vernünftiger Leute gibt, doch ist es andrerseits
ebenso gewiß, daß es dort heute schon bis in die maßgebendsten Kreise hinein
eine große Anzahl gibt, die von dem Deutschenhaß durchdrungen nicht mehr
ruhig und besonnen, sondern blind und voreingenommen die Beziehung zu
Deutschland betrachten und das glauben, was sie gern wollen, nämlich in
Deutschland den Gegner zu sehen, der den Untergang der Weltherrschaft
Großbritanniens herbeizuführen trachtet.

Hier hilft mir eins: daß man die öffentliche Agitation einschränkt und
die Beantwortung der Flottenfrage vertrauensvoll der Regierung überläßt.
Eine starke Regierung muß selbst wissen, wie sie die Geldmittel dazu findet,
und ich vertraue auch hier auf die Einsicht unsrer Volksvertretung, die in
solchen großen Fragen, bei denen es sich schließlich um die Existenz des
Vaterlandes handelt, die Negierung noch niemals im Stiche gelassen hat.
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[0581] Die deutsche Presse und die britische Frage Die größte Gefahr ist aber die, wenn eine Nation ihre Stimmung zur Leidenschaft entfachen und sich schließlich von dieser zu Handlungen fortreißen läßt. Diese Gefahr besteht entschieden heute bei der britischen Nation uns gegenüber, und es würde völlig unklug von uns sein, noch mehr Zündstoff zu dieser zurzeit noch glimmenden Glut hinzuzuliefern. Wir müssen uns sorg¬ fältig hüten, im Auslande, und zwar ganz besonders bei unsern mächtigen Konkurrenten, zu frühzeitig den Eindruck zu erwecken, als ob auch bei uns eine solche Volksstimmung, erfüllt vom Flottengeist, von großer Überseepolitik und einem Alldeutschland, die ganze Nation ergreifen und zur Leidenschaft entfachen könnte. Fürst Bülow hat vor einiger Zeit einmal gesagt, man müsse in seinem Ver¬ halten gegenüber der Sozialdemokratie und den Arbeitern ein gutes Gewissen haben. Man kann daraus schließen — und seine ganze bisherige auswärtige Politik beweist es —, daß er auch auf dem Gebiete der äußern Politik diesem Grundsatze huldigt, nämlich daß man auch seinen Gegnern des Auslandes gegenüber ein gutes Gewissen haben muß. Es gibt wohl keine Regierung, deren Friedfertigkeit so verbürgt ist, und auf deren Friedfertigkeit man sich so verlassen kann als die deutsche. Ein gutes Gewissen gibt aber auch dem Schwachen eine große innere moralische Stärke einem Starken gegenüber, indem er gewiß ist, alles getan zu haben, was in seinen Kräften steht, den Frieden zu erhalten, und indem er das weitere einer höhern Weltfügung über¬ lassen muß. Man wird entgegenhalten, daß man in Deutschland die Geldmittel zu einer auch nur in den bescheidensten Grenzen vergrößerten Flotte bei der herrschenden Flottenfeindschaft nur durch eine Agitation im größten Stil er¬ reichen könne, und daß der Brite, wenn er vernünftig wäre, eher ein Symptom der Beruhigung als der Aufregung gerade darin erkennen müßte, daß es in Deutschland überhaupt notwendig sei, eine so gewaltige Agitation ins Werk zu setzen, um ein verhältnismäßig so bescheidnes Ziel zu erreichen. Gewiß wäre das richtig, wenn man mit einem vernünftigen, gerechten und vorurteils¬ loser Gegner zu tun hätte. Es ist gewiß auch richtig, daß es in England noch eine ganze Menge solcher vernünftiger Leute gibt, doch ist es andrerseits ebenso gewiß, daß es dort heute schon bis in die maßgebendsten Kreise hinein eine große Anzahl gibt, die von dem Deutschenhaß durchdrungen nicht mehr ruhig und besonnen, sondern blind und voreingenommen die Beziehung zu Deutschland betrachten und das glauben, was sie gern wollen, nämlich in Deutschland den Gegner zu sehen, der den Untergang der Weltherrschaft Großbritanniens herbeizuführen trachtet. Hier hilft mir eins: daß man die öffentliche Agitation einschränkt und die Beantwortung der Flottenfrage vertrauensvoll der Regierung überläßt. Eine starke Regierung muß selbst wissen, wie sie die Geldmittel dazu findet, und ich vertraue auch hier auf die Einsicht unsrer Volksvertretung, die in solchen großen Fragen, bei denen es sich schließlich um die Existenz des Vaterlandes handelt, die Negierung noch niemals im Stiche gelassen hat. Und wenn es dennoch der Fall sein sollte, so müßte eine starke Regierung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/581>, abgerufen am 27.09.2024.