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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Die deutsche Presse und die britische Frage

>^s ging kürzlich durch die Zeitungen die Notiz, daß die britische
Regierung eine Verständigung mit der Presse wegen Veröffent¬
lichung von Nachrichten in Kriegszeiten herbeizuführen versuche
und unter Umständen neue gesetzliche Bestimmungen schaffen werde,
l um die Presse zu größerer Zurückhaltung zu zwingen.

Es wird hier von der britischen Negierung eine Frage von der aller¬
größten Bedeutung berührt, die auch für uns sehr lehrreich und zugleich sehr
nützlich ist.

Der Brite ist Kaufmann, praktischer, nüchterner Egoist auch in der Politik.
Er weiß, daß er als Kaufmann niemals seinen Konkurrenten gegenüber etwas
von einem Geschäfte verlauten lassen darf, das er noch nicht gemacht hat,
und das er erst macheu will. Er handelt als Kaufmann wie ein junges
Mädchen ihrem Bewerber gegenüber und leugnet gerade das ab, wonach am
heißesten sein Begehren steht. Wir finden dieses Verhalten überall in der
Welt im kaufmännischen Leben. Es ist Geschäftsklugheit, die auf einer außer¬
ordentlichen Reserve, auf einer großen Diskretion aufgebaut ist. Diese Dis¬
kretion beherrscht den Kaufmann und sein ganzes geschäftliches Leben. Sie
macht ihn still und zurückhaltend, und er weiß, daß er seine größten geschäft¬
lichen Erfolge gerade dann errungen hat, wenn er sich in diesen Geschäften
am vorsichtigsten und reserviertesten verhalten hat. Deshalb findet mau auch
im Vergleiche zu andern Ständen verhältnismäßig wenig Kaufleute in öffent¬
lichen Stellungen, weil der Kaufmann ungern öffentlich ausspricht, was er
fühlt und denkt. Am leichtesten geneigt, sich öffentlich auszusprechen, sind
die Berufskreise, deren ganze Existenz, deren jährliches Einkommen von kauf¬
männischer Diskretion und Reserve unabhängig ist. Sie sind deshalb wohl
auch am objektivster, weil ihr ganzes Denken und Handeln freier ist von
egoistischen Motive". Sie siud aber auch am gefährlichsten, weil sie im Be¬
wußtsein ihrer objektiven und auf Idealen aufgebauten Weltanschauung gar
kein Verständnis dafür haben, daß beim "Geschäft machen" Reden weniger als
Silber und Schweigen mehr als Gold wert ist.

Nun ist aber die Politik eigentlich nichts weiter als ein kaufmännisches
Geschäft, und es gibt wohl keine Nation, die ihre Politik so sehr nach kauf-


Grenzboten III 1905 72


Die deutsche Presse und die britische Frage

>^s ging kürzlich durch die Zeitungen die Notiz, daß die britische
Regierung eine Verständigung mit der Presse wegen Veröffent¬
lichung von Nachrichten in Kriegszeiten herbeizuführen versuche
und unter Umständen neue gesetzliche Bestimmungen schaffen werde,
l um die Presse zu größerer Zurückhaltung zu zwingen.

Es wird hier von der britischen Negierung eine Frage von der aller¬
größten Bedeutung berührt, die auch für uns sehr lehrreich und zugleich sehr
nützlich ist.

Der Brite ist Kaufmann, praktischer, nüchterner Egoist auch in der Politik.
Er weiß, daß er als Kaufmann niemals seinen Konkurrenten gegenüber etwas
von einem Geschäfte verlauten lassen darf, das er noch nicht gemacht hat,
und das er erst macheu will. Er handelt als Kaufmann wie ein junges
Mädchen ihrem Bewerber gegenüber und leugnet gerade das ab, wonach am
heißesten sein Begehren steht. Wir finden dieses Verhalten überall in der
Welt im kaufmännischen Leben. Es ist Geschäftsklugheit, die auf einer außer¬
ordentlichen Reserve, auf einer großen Diskretion aufgebaut ist. Diese Dis¬
kretion beherrscht den Kaufmann und sein ganzes geschäftliches Leben. Sie
macht ihn still und zurückhaltend, und er weiß, daß er seine größten geschäft¬
lichen Erfolge gerade dann errungen hat, wenn er sich in diesen Geschäften
am vorsichtigsten und reserviertesten verhalten hat. Deshalb findet mau auch
im Vergleiche zu andern Ständen verhältnismäßig wenig Kaufleute in öffent¬
lichen Stellungen, weil der Kaufmann ungern öffentlich ausspricht, was er
fühlt und denkt. Am leichtesten geneigt, sich öffentlich auszusprechen, sind
die Berufskreise, deren ganze Existenz, deren jährliches Einkommen von kauf¬
männischer Diskretion und Reserve unabhängig ist. Sie sind deshalb wohl
auch am objektivster, weil ihr ganzes Denken und Handeln freier ist von
egoistischen Motive». Sie siud aber auch am gefährlichsten, weil sie im Be¬
wußtsein ihrer objektiven und auf Idealen aufgebauten Weltanschauung gar
kein Verständnis dafür haben, daß beim „Geschäft machen" Reden weniger als
Silber und Schweigen mehr als Gold wert ist.

Nun ist aber die Politik eigentlich nichts weiter als ein kaufmännisches
Geschäft, und es gibt wohl keine Nation, die ihre Politik so sehr nach kauf-


Grenzboten III 1905 72
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[0577] [Abbildung] Die deutsche Presse und die britische Frage >^s ging kürzlich durch die Zeitungen die Notiz, daß die britische Regierung eine Verständigung mit der Presse wegen Veröffent¬ lichung von Nachrichten in Kriegszeiten herbeizuführen versuche und unter Umständen neue gesetzliche Bestimmungen schaffen werde, l um die Presse zu größerer Zurückhaltung zu zwingen. Es wird hier von der britischen Negierung eine Frage von der aller¬ größten Bedeutung berührt, die auch für uns sehr lehrreich und zugleich sehr nützlich ist. Der Brite ist Kaufmann, praktischer, nüchterner Egoist auch in der Politik. Er weiß, daß er als Kaufmann niemals seinen Konkurrenten gegenüber etwas von einem Geschäfte verlauten lassen darf, das er noch nicht gemacht hat, und das er erst macheu will. Er handelt als Kaufmann wie ein junges Mädchen ihrem Bewerber gegenüber und leugnet gerade das ab, wonach am heißesten sein Begehren steht. Wir finden dieses Verhalten überall in der Welt im kaufmännischen Leben. Es ist Geschäftsklugheit, die auf einer außer¬ ordentlichen Reserve, auf einer großen Diskretion aufgebaut ist. Diese Dis¬ kretion beherrscht den Kaufmann und sein ganzes geschäftliches Leben. Sie macht ihn still und zurückhaltend, und er weiß, daß er seine größten geschäft¬ lichen Erfolge gerade dann errungen hat, wenn er sich in diesen Geschäften am vorsichtigsten und reserviertesten verhalten hat. Deshalb findet mau auch im Vergleiche zu andern Ständen verhältnismäßig wenig Kaufleute in öffent¬ lichen Stellungen, weil der Kaufmann ungern öffentlich ausspricht, was er fühlt und denkt. Am leichtesten geneigt, sich öffentlich auszusprechen, sind die Berufskreise, deren ganze Existenz, deren jährliches Einkommen von kauf¬ männischer Diskretion und Reserve unabhängig ist. Sie sind deshalb wohl auch am objektivster, weil ihr ganzes Denken und Handeln freier ist von egoistischen Motive». Sie siud aber auch am gefährlichsten, weil sie im Be¬ wußtsein ihrer objektiven und auf Idealen aufgebauten Weltanschauung gar kein Verständnis dafür haben, daß beim „Geschäft machen" Reden weniger als Silber und Schweigen mehr als Gold wert ist. Nun ist aber die Politik eigentlich nichts weiter als ein kaufmännisches Geschäft, und es gibt wohl keine Nation, die ihre Politik so sehr nach kauf- Grenzboten III 1905 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/577>, abgerufen am 27.09.2024.