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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

waren, sie zu eignen politischen Unternehmungen nach außen zu verwerten.
In jedem Fall ist die holländische Sprache rein germanisch, reiner als die
deutsche Sprache selber, da die mehr wissenschaftlichen Abstrakta, die im
Deutschen aus Stämmen der antiken Sprachen gebildet und ihnen ganz und
gar entlehnt werden, wie System, Idee, Prinzip, im Holländischen rein ger¬
manische Synonyme haben. Nur in der Konversationssprache macht sich, aber
hier ganz unnötigerweise und mehr aus einer Art von Koketterie, französischer
Einfluß geltend.

Haben wir in dem vorhergehenden schon die Rolle Hollands als See-
und Kolonialmacht gestreift, so müssen wir noch etwas näher auf diese Dinge
eingehn, um eine weitere Seite des Wesens seiner Bewohner kennen zu lernen.
Ein Volk, das zumal an der Küste aus den kraftvollen und trotzigen nieder¬
deutschen Stämmen der Friesen, Niedersachsen und Bataver gemischt ist, und
das in dem Kampfe, die Scholle, die es bewohnt, dem flüssigen Element ab¬
zugewinnen gestählt wird, mußte notwendig in eine innige Beziehung zum
Meere treten, sobald die Schiffahrt eine Höhe der Entwicklung erreicht hatte,
die größere Unternehmungen erlaubte. Dazu kam eine äußerst günstige politische
Konstellation. Während Deutschland durch den furchtbaren Krieg, der dreißig
Jahre dauerte, die ganze glänzende Kultur des sechzehnten Jahrhunderts ein¬
büßte und auf ein Drittel seiner frühern Einwohnerschaft entvölkert beinahe
wieder zur Barbarei zurückkehrte, kämpften die vereinigten Provinzen mit nieder¬
deutscher Zähigkeit den freilich noch längern, aber schließlich glücklichen Kampf
gegen die Heere des entfernten Spaniens, und dieser Kampf gab den trotzigen
Herzen aufs neue Stärkung des Selbstbewußtseins und der Unternehmungslust.
Dazu die Rolle des Protestantismus. Während Deutschland, die Wiege der
Reformation, die Folgen der von ihr unzertrennlichen Kämpfe am eignen Leibe
erfahren mußte -- genau wie später Frankreich die Folgen der großen Revo-
lution --, war die größere Freiheit des religiösen Denkens Holland zugute
gekommen und hatte den trotzigen Wagemut seiner Bewohner gestärkt, während
die Knechtung der Gewissen im Lande der größten See- und Kolonialmacht
jener Zeit zwar zu einer großen, aber kurzen Blüte verhalf, aber bald genug
die herben Früchte des Fanatismus, des Übermuts und der Grausamkeit zeitigte,
die Spaniens Stern erbleichen machten. So wurde das kleine Holland, ähnlich
wie Venedig einige hundert Jahre früher, eine Seemacht ersten Ranges, und
da der spätere mächtigere Konkurrent, England, damals erst im Beginne seiner
Laufbahn stand, entdeckten, eroberten, kolonisierten die kühnen Weltumsegler ein
fernliegendes Land nach dem andern, wie noch hente außer dem stattlichen Reste
des Besitzes die vielen holländischen Namen von Kapland bis Neuseeland be¬
weisen. Natürlich wurde dadurch das Selbstgefühl des kleinen und nun doch
so mächtigen und vor allein finanzkräftigen Landes hoch gesteigert.

(Fortsetzung folgt)




Holland und die Holländer

waren, sie zu eignen politischen Unternehmungen nach außen zu verwerten.
In jedem Fall ist die holländische Sprache rein germanisch, reiner als die
deutsche Sprache selber, da die mehr wissenschaftlichen Abstrakta, die im
Deutschen aus Stämmen der antiken Sprachen gebildet und ihnen ganz und
gar entlehnt werden, wie System, Idee, Prinzip, im Holländischen rein ger¬
manische Synonyme haben. Nur in der Konversationssprache macht sich, aber
hier ganz unnötigerweise und mehr aus einer Art von Koketterie, französischer
Einfluß geltend.

Haben wir in dem vorhergehenden schon die Rolle Hollands als See-
und Kolonialmacht gestreift, so müssen wir noch etwas näher auf diese Dinge
eingehn, um eine weitere Seite des Wesens seiner Bewohner kennen zu lernen.
Ein Volk, das zumal an der Küste aus den kraftvollen und trotzigen nieder¬
deutschen Stämmen der Friesen, Niedersachsen und Bataver gemischt ist, und
das in dem Kampfe, die Scholle, die es bewohnt, dem flüssigen Element ab¬
zugewinnen gestählt wird, mußte notwendig in eine innige Beziehung zum
Meere treten, sobald die Schiffahrt eine Höhe der Entwicklung erreicht hatte,
die größere Unternehmungen erlaubte. Dazu kam eine äußerst günstige politische
Konstellation. Während Deutschland durch den furchtbaren Krieg, der dreißig
Jahre dauerte, die ganze glänzende Kultur des sechzehnten Jahrhunderts ein¬
büßte und auf ein Drittel seiner frühern Einwohnerschaft entvölkert beinahe
wieder zur Barbarei zurückkehrte, kämpften die vereinigten Provinzen mit nieder¬
deutscher Zähigkeit den freilich noch längern, aber schließlich glücklichen Kampf
gegen die Heere des entfernten Spaniens, und dieser Kampf gab den trotzigen
Herzen aufs neue Stärkung des Selbstbewußtseins und der Unternehmungslust.
Dazu die Rolle des Protestantismus. Während Deutschland, die Wiege der
Reformation, die Folgen der von ihr unzertrennlichen Kämpfe am eignen Leibe
erfahren mußte — genau wie später Frankreich die Folgen der großen Revo-
lution —, war die größere Freiheit des religiösen Denkens Holland zugute
gekommen und hatte den trotzigen Wagemut seiner Bewohner gestärkt, während
die Knechtung der Gewissen im Lande der größten See- und Kolonialmacht
jener Zeit zwar zu einer großen, aber kurzen Blüte verhalf, aber bald genug
die herben Früchte des Fanatismus, des Übermuts und der Grausamkeit zeitigte,
die Spaniens Stern erbleichen machten. So wurde das kleine Holland, ähnlich
wie Venedig einige hundert Jahre früher, eine Seemacht ersten Ranges, und
da der spätere mächtigere Konkurrent, England, damals erst im Beginne seiner
Laufbahn stand, entdeckten, eroberten, kolonisierten die kühnen Weltumsegler ein
fernliegendes Land nach dem andern, wie noch hente außer dem stattlichen Reste
des Besitzes die vielen holländischen Namen von Kapland bis Neuseeland be¬
weisen. Natürlich wurde dadurch das Selbstgefühl des kleinen und nun doch
so mächtigen und vor allein finanzkräftigen Landes hoch gesteigert.

(Fortsetzung folgt)




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[0522] Holland und die Holländer waren, sie zu eignen politischen Unternehmungen nach außen zu verwerten. In jedem Fall ist die holländische Sprache rein germanisch, reiner als die deutsche Sprache selber, da die mehr wissenschaftlichen Abstrakta, die im Deutschen aus Stämmen der antiken Sprachen gebildet und ihnen ganz und gar entlehnt werden, wie System, Idee, Prinzip, im Holländischen rein ger¬ manische Synonyme haben. Nur in der Konversationssprache macht sich, aber hier ganz unnötigerweise und mehr aus einer Art von Koketterie, französischer Einfluß geltend. Haben wir in dem vorhergehenden schon die Rolle Hollands als See- und Kolonialmacht gestreift, so müssen wir noch etwas näher auf diese Dinge eingehn, um eine weitere Seite des Wesens seiner Bewohner kennen zu lernen. Ein Volk, das zumal an der Küste aus den kraftvollen und trotzigen nieder¬ deutschen Stämmen der Friesen, Niedersachsen und Bataver gemischt ist, und das in dem Kampfe, die Scholle, die es bewohnt, dem flüssigen Element ab¬ zugewinnen gestählt wird, mußte notwendig in eine innige Beziehung zum Meere treten, sobald die Schiffahrt eine Höhe der Entwicklung erreicht hatte, die größere Unternehmungen erlaubte. Dazu kam eine äußerst günstige politische Konstellation. Während Deutschland durch den furchtbaren Krieg, der dreißig Jahre dauerte, die ganze glänzende Kultur des sechzehnten Jahrhunderts ein¬ büßte und auf ein Drittel seiner frühern Einwohnerschaft entvölkert beinahe wieder zur Barbarei zurückkehrte, kämpften die vereinigten Provinzen mit nieder¬ deutscher Zähigkeit den freilich noch längern, aber schließlich glücklichen Kampf gegen die Heere des entfernten Spaniens, und dieser Kampf gab den trotzigen Herzen aufs neue Stärkung des Selbstbewußtseins und der Unternehmungslust. Dazu die Rolle des Protestantismus. Während Deutschland, die Wiege der Reformation, die Folgen der von ihr unzertrennlichen Kämpfe am eignen Leibe erfahren mußte — genau wie später Frankreich die Folgen der großen Revo- lution —, war die größere Freiheit des religiösen Denkens Holland zugute gekommen und hatte den trotzigen Wagemut seiner Bewohner gestärkt, während die Knechtung der Gewissen im Lande der größten See- und Kolonialmacht jener Zeit zwar zu einer großen, aber kurzen Blüte verhalf, aber bald genug die herben Früchte des Fanatismus, des Übermuts und der Grausamkeit zeitigte, die Spaniens Stern erbleichen machten. So wurde das kleine Holland, ähnlich wie Venedig einige hundert Jahre früher, eine Seemacht ersten Ranges, und da der spätere mächtigere Konkurrent, England, damals erst im Beginne seiner Laufbahn stand, entdeckten, eroberten, kolonisierten die kühnen Weltumsegler ein fernliegendes Land nach dem andern, wie noch hente außer dem stattlichen Reste des Besitzes die vielen holländischen Namen von Kapland bis Neuseeland be¬ weisen. Natürlich wurde dadurch das Selbstgefühl des kleinen und nun doch so mächtigen und vor allein finanzkräftigen Landes hoch gesteigert. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/522>, abgerufen am 27.09.2024.