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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

Profil verstärkt, neue Deiche werden errichtet, wobei bemerkt werden muß, daß
ein Deich eben einen Damm bedeutet, der das Land bor dem Wasser schützt,
während Dämme an sich auch bloß der Passage durch das Wasser dienen
können. Dann müssen Schleusen in den Deichen angebracht und die vorhandnen
überwacht werden, daß sie auch wirklich möglichst günstig funktionieren, d. h. im
allgemeinen das Wasser aus dem Potter heraus aber nicht in denselben hinein
lassen, womit nicht im Widerspruch steht, daß in ausnahmsweise trocknen Zeiten
dieselben Schleusen auch den umgekehrten Zwecken dienen können und sollen,
das Wasser dem Potter zu erhalten, um für das Pflanzenwachstum die günstigsten
Verhältnisse herzustellen.

Das alles macht Arbeit und Wachsamkeit nötig. Der Boden, die Grund¬
lage der Bewohnbarkeit und der Bebaubarkeit eines Landes, in andern Ländern
das von der Natur gegebne, ist in dem eigentlichen Holland selbst schon Arbeits¬
produkt. Daher das sprichwörtliche: Gott hat die See erschaffen, aber der
Mensch (in Holland) das Land. Und dies muß offenbar auf den Charakter der
Bewohner des Landes einwirken. Zähe Ausdauer, Entschlossenheit mußten
auf dem Wege der natürlichen Züchtung in den jeweils Überlebenden mehr
und mehr gehäuft werden, und wir werden uus bei dieser Gelegenheit auch
daran erinnern müssen, daß der deutsche Dichterfürst den alternden Faust in
dem letzten und vollendetsten Stadium seines Lebenslaufs an den Meeresstrand
gelangen und für die Probleme der Landgewinnung aus dem flüssigen
Elemente seine durch allerlei Menschenschicksal geläuterte Kraft einsetzen läßt.
Goethe hatte in seiner alles Menschliche umfassenden Genialität offenbar den
die Energie stählenden und damit sittlichenden Einfluß -- denn Sittlichkeit ist
doch im Grunde Energie -- der Trockenlegung von Land mit der ihm eignen
Klarheit erkannt. Daher die Worte:


Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehn.

Man beachte dabei auch das an der klassischen Stelle angebrachte Wortspiel:
Der zu Entwässerungszwecken angelegte Graben kann leicht zum Grabe werden.
Die Gefahr der Arbeit ist groß. Aber auch diese führt, im Gegensatz zu der
mephistophelischen bösen Absicht, zum Guten, zur Stählung des Charakters.

Wenn so ein Teil des Volkscharakters aus den Umständen erklärt werden
muß, so kommt natürlich auch die Abstammung für ihn in Betracht. Von dieser
kann gesagt werden, daß die Holländer im wesentlichen Germanen sind, wie ja
schon aus dem Idiom hervorgeht, das ein zu einer vollständigen Sprache ent¬
wickeltes niederdeutsch ist. Nichtgermanische Beimischungen sind in Holland
weit spärlicher als in Deutschland selber, wo sich bekanntlich im Südwesten
noch keltisches und im Nordosten noch viel slawisches Blut (auch außerhalb der
polnischen Gegenden) erhalten hat. Nur auf dem Archipel der Provinz See¬
land macht sich auch in Holland eine starke keltische Einwanderung (Hugenotten
aus Frankreich) geltend, die dort den Volkstypus auch im äußern Aussehen
wesentlich verändert hat; und auch in den wenig holländisch gearteten, erz-
kntholischcn Provinzen Limburg und Nordbrabant ist eine ähnliche nur in viel


Holland und die Holländer

Profil verstärkt, neue Deiche werden errichtet, wobei bemerkt werden muß, daß
ein Deich eben einen Damm bedeutet, der das Land bor dem Wasser schützt,
während Dämme an sich auch bloß der Passage durch das Wasser dienen
können. Dann müssen Schleusen in den Deichen angebracht und die vorhandnen
überwacht werden, daß sie auch wirklich möglichst günstig funktionieren, d. h. im
allgemeinen das Wasser aus dem Potter heraus aber nicht in denselben hinein
lassen, womit nicht im Widerspruch steht, daß in ausnahmsweise trocknen Zeiten
dieselben Schleusen auch den umgekehrten Zwecken dienen können und sollen,
das Wasser dem Potter zu erhalten, um für das Pflanzenwachstum die günstigsten
Verhältnisse herzustellen.

Das alles macht Arbeit und Wachsamkeit nötig. Der Boden, die Grund¬
lage der Bewohnbarkeit und der Bebaubarkeit eines Landes, in andern Ländern
das von der Natur gegebne, ist in dem eigentlichen Holland selbst schon Arbeits¬
produkt. Daher das sprichwörtliche: Gott hat die See erschaffen, aber der
Mensch (in Holland) das Land. Und dies muß offenbar auf den Charakter der
Bewohner des Landes einwirken. Zähe Ausdauer, Entschlossenheit mußten
auf dem Wege der natürlichen Züchtung in den jeweils Überlebenden mehr
und mehr gehäuft werden, und wir werden uus bei dieser Gelegenheit auch
daran erinnern müssen, daß der deutsche Dichterfürst den alternden Faust in
dem letzten und vollendetsten Stadium seines Lebenslaufs an den Meeresstrand
gelangen und für die Probleme der Landgewinnung aus dem flüssigen
Elemente seine durch allerlei Menschenschicksal geläuterte Kraft einsetzen läßt.
Goethe hatte in seiner alles Menschliche umfassenden Genialität offenbar den
die Energie stählenden und damit sittlichenden Einfluß — denn Sittlichkeit ist
doch im Grunde Energie — der Trockenlegung von Land mit der ihm eignen
Klarheit erkannt. Daher die Worte:


Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehn.

Man beachte dabei auch das an der klassischen Stelle angebrachte Wortspiel:
Der zu Entwässerungszwecken angelegte Graben kann leicht zum Grabe werden.
Die Gefahr der Arbeit ist groß. Aber auch diese führt, im Gegensatz zu der
mephistophelischen bösen Absicht, zum Guten, zur Stählung des Charakters.

Wenn so ein Teil des Volkscharakters aus den Umständen erklärt werden
muß, so kommt natürlich auch die Abstammung für ihn in Betracht. Von dieser
kann gesagt werden, daß die Holländer im wesentlichen Germanen sind, wie ja
schon aus dem Idiom hervorgeht, das ein zu einer vollständigen Sprache ent¬
wickeltes niederdeutsch ist. Nichtgermanische Beimischungen sind in Holland
weit spärlicher als in Deutschland selber, wo sich bekanntlich im Südwesten
noch keltisches und im Nordosten noch viel slawisches Blut (auch außerhalb der
polnischen Gegenden) erhalten hat. Nur auf dem Archipel der Provinz See¬
land macht sich auch in Holland eine starke keltische Einwanderung (Hugenotten
aus Frankreich) geltend, die dort den Volkstypus auch im äußern Aussehen
wesentlich verändert hat; und auch in den wenig holländisch gearteten, erz-
kntholischcn Provinzen Limburg und Nordbrabant ist eine ähnliche nur in viel


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[0517] Holland und die Holländer Profil verstärkt, neue Deiche werden errichtet, wobei bemerkt werden muß, daß ein Deich eben einen Damm bedeutet, der das Land bor dem Wasser schützt, während Dämme an sich auch bloß der Passage durch das Wasser dienen können. Dann müssen Schleusen in den Deichen angebracht und die vorhandnen überwacht werden, daß sie auch wirklich möglichst günstig funktionieren, d. h. im allgemeinen das Wasser aus dem Potter heraus aber nicht in denselben hinein lassen, womit nicht im Widerspruch steht, daß in ausnahmsweise trocknen Zeiten dieselben Schleusen auch den umgekehrten Zwecken dienen können und sollen, das Wasser dem Potter zu erhalten, um für das Pflanzenwachstum die günstigsten Verhältnisse herzustellen. Das alles macht Arbeit und Wachsamkeit nötig. Der Boden, die Grund¬ lage der Bewohnbarkeit und der Bebaubarkeit eines Landes, in andern Ländern das von der Natur gegebne, ist in dem eigentlichen Holland selbst schon Arbeits¬ produkt. Daher das sprichwörtliche: Gott hat die See erschaffen, aber der Mensch (in Holland) das Land. Und dies muß offenbar auf den Charakter der Bewohner des Landes einwirken. Zähe Ausdauer, Entschlossenheit mußten auf dem Wege der natürlichen Züchtung in den jeweils Überlebenden mehr und mehr gehäuft werden, und wir werden uus bei dieser Gelegenheit auch daran erinnern müssen, daß der deutsche Dichterfürst den alternden Faust in dem letzten und vollendetsten Stadium seines Lebenslaufs an den Meeresstrand gelangen und für die Probleme der Landgewinnung aus dem flüssigen Elemente seine durch allerlei Menschenschicksal geläuterte Kraft einsetzen läßt. Goethe hatte in seiner alles Menschliche umfassenden Genialität offenbar den die Energie stählenden und damit sittlichenden Einfluß — denn Sittlichkeit ist doch im Grunde Energie — der Trockenlegung von Land mit der ihm eignen Klarheit erkannt. Daher die Worte: Solch ein Gewimmel möcht ich sehn, Auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehn. Man beachte dabei auch das an der klassischen Stelle angebrachte Wortspiel: Der zu Entwässerungszwecken angelegte Graben kann leicht zum Grabe werden. Die Gefahr der Arbeit ist groß. Aber auch diese führt, im Gegensatz zu der mephistophelischen bösen Absicht, zum Guten, zur Stählung des Charakters. Wenn so ein Teil des Volkscharakters aus den Umständen erklärt werden muß, so kommt natürlich auch die Abstammung für ihn in Betracht. Von dieser kann gesagt werden, daß die Holländer im wesentlichen Germanen sind, wie ja schon aus dem Idiom hervorgeht, das ein zu einer vollständigen Sprache ent¬ wickeltes niederdeutsch ist. Nichtgermanische Beimischungen sind in Holland weit spärlicher als in Deutschland selber, wo sich bekanntlich im Südwesten noch keltisches und im Nordosten noch viel slawisches Blut (auch außerhalb der polnischen Gegenden) erhalten hat. Nur auf dem Archipel der Provinz See¬ land macht sich auch in Holland eine starke keltische Einwanderung (Hugenotten aus Frankreich) geltend, die dort den Volkstypus auch im äußern Aussehen wesentlich verändert hat; und auch in den wenig holländisch gearteten, erz- kntholischcn Provinzen Limburg und Nordbrabant ist eine ähnliche nur in viel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/517>, abgerufen am 27.09.2024.