Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Holland und die Holländer

beiden des Säuglings von seiner Nahrung. Um so inniger ist im vorliegenden
Falle diese überall nachzuweisende Abhängigkeit, als der Grund und Boden in
Holland nicht allein seine Bewohner erzeugt und ernährt, sondern von diesen
großenteils erst im eigentlichen Sinne hat geschaffen werden müssen, daß er vor
ihnen diesen Dienst zu leisten vermochte, woraus sich natürlich eine weit innigere
Verflechtung der beiden aufeinanderwirkenden Kräfte ergibt.

Die Etymologie erklärt den Namen Holland als "Holtland" (Holzland).
Sie mag darin Recht haben,*) aber jedenfalls find das tsmxi xassati, denn
das Land hat jetzt nur noch 7^/z Prozent Wald, und dieser wächst erst langsam
bei der jetzt erst beginnenden staatlichen Forstwirtschaft wieder an auf Kosten
der sich noch in großem Umfange ausdehnenden Heide. Und dieser Wald
besteht größtenteils aus Föhren und Eichenschülwald, wovon die ersten meist
als Bergwerkstützen nach Belgien gehn, und nur der letzte ein klein wenig
Brennholz liefert, während seine Hauptnutzung der Gerberlohe gilt. Als Brenn¬
stoff dient heimischer Torf, Kohle ans dem Ruhrgebiet, Belgien und England,
neuerdings auch etwas eignes Bergprodukt aus der ganz im Süden liegenden
Provinz Hollands, aus Limburg.

Auf frühere größere Bewaldung deutet allerdings das viele Heideland,
das nachweislich größtenteils aus ehemaligem Holze entstanden ist, wobei die
weidenden Schafe nach der sorglosen AbHolzung den jungen Bestand nicht haben
aufkommen lassen, und ebenso deuten die vielen Baumreste in und unter den
Hochmooren darauf hin. Doch findet sich das eine und das andre weniger in
dem eigentlichen Holland, noch jetzt als die beiden Provinzen "Nord- und
Südholland" mit diesem Namen bezeichnet, als in den äußern an Deutschland
und Belgien grenzenden Landschaften, die zum Teil erst später hinzugekommen
sind, sodaß wir die Übereinstimmung der Etymologie mit Wirklichkeit und Ge¬
schichte auf sich beruhen lasten müssen.

Heutzutage und seit lange ist jedenfalls Holland als Landschaft durch
andre Dinge charakterisiert als durch seinen Waldbestand, nämlich und bekannt¬
lich durch sein Verhältnis zum Wasser. Nicht daß die klimatischen Verhältnisse
hieran die Schuld trügen, obgleich diese ja auch wieder durch die große Feuchtig¬
keit des Bodens und die vielen offnen Wasserflüchen beeinflußt werden. Der
Regenfall ist sehr mäßig und viel geringer als in den mitteleuropäischen Ge¬
birgen, die sich noch gar nicht einmal durch Übermaß an Feuchtigkeit auszeichnen,
und Nebel gibt es viel weniger als in England und in den Industriebezirken
des benachbarten Niederrheins. Das eigentümliche Verhältnis Hollands zum
Wasser wird vielmehr durch seine niedrige Lage im Verhältnis zum Ozean
veranlaßt, wodurch der Abfluß des das Land reichlich durchströmendem süßen
Wassers so ungemein verzögert wird. Ein großer Teil Hollands liegt beinahe
auf gleicher Höhe mit der Nordsee, teilweise sogar tiefer als diese, sodaß der
Einbruch des Wassers nur mit Mühe und mit Kunst verhindert werden kann.
Von Natur Deltaland und Sumpfland ist es durch die Mühe und Kunst seiner
energischen Bewohner im wesentlichen Polderland. In diesem Ausdruck ist alles



Von andrer Seite wird die Richtigkeit dieser Ableitung freilich bezweifelt.
Holland und die Holländer

beiden des Säuglings von seiner Nahrung. Um so inniger ist im vorliegenden
Falle diese überall nachzuweisende Abhängigkeit, als der Grund und Boden in
Holland nicht allein seine Bewohner erzeugt und ernährt, sondern von diesen
großenteils erst im eigentlichen Sinne hat geschaffen werden müssen, daß er vor
ihnen diesen Dienst zu leisten vermochte, woraus sich natürlich eine weit innigere
Verflechtung der beiden aufeinanderwirkenden Kräfte ergibt.

Die Etymologie erklärt den Namen Holland als „Holtland" (Holzland).
Sie mag darin Recht haben,*) aber jedenfalls find das tsmxi xassati, denn
das Land hat jetzt nur noch 7^/z Prozent Wald, und dieser wächst erst langsam
bei der jetzt erst beginnenden staatlichen Forstwirtschaft wieder an auf Kosten
der sich noch in großem Umfange ausdehnenden Heide. Und dieser Wald
besteht größtenteils aus Föhren und Eichenschülwald, wovon die ersten meist
als Bergwerkstützen nach Belgien gehn, und nur der letzte ein klein wenig
Brennholz liefert, während seine Hauptnutzung der Gerberlohe gilt. Als Brenn¬
stoff dient heimischer Torf, Kohle ans dem Ruhrgebiet, Belgien und England,
neuerdings auch etwas eignes Bergprodukt aus der ganz im Süden liegenden
Provinz Hollands, aus Limburg.

Auf frühere größere Bewaldung deutet allerdings das viele Heideland,
das nachweislich größtenteils aus ehemaligem Holze entstanden ist, wobei die
weidenden Schafe nach der sorglosen AbHolzung den jungen Bestand nicht haben
aufkommen lassen, und ebenso deuten die vielen Baumreste in und unter den
Hochmooren darauf hin. Doch findet sich das eine und das andre weniger in
dem eigentlichen Holland, noch jetzt als die beiden Provinzen „Nord- und
Südholland" mit diesem Namen bezeichnet, als in den äußern an Deutschland
und Belgien grenzenden Landschaften, die zum Teil erst später hinzugekommen
sind, sodaß wir die Übereinstimmung der Etymologie mit Wirklichkeit und Ge¬
schichte auf sich beruhen lasten müssen.

Heutzutage und seit lange ist jedenfalls Holland als Landschaft durch
andre Dinge charakterisiert als durch seinen Waldbestand, nämlich und bekannt¬
lich durch sein Verhältnis zum Wasser. Nicht daß die klimatischen Verhältnisse
hieran die Schuld trügen, obgleich diese ja auch wieder durch die große Feuchtig¬
keit des Bodens und die vielen offnen Wasserflüchen beeinflußt werden. Der
Regenfall ist sehr mäßig und viel geringer als in den mitteleuropäischen Ge¬
birgen, die sich noch gar nicht einmal durch Übermaß an Feuchtigkeit auszeichnen,
und Nebel gibt es viel weniger als in England und in den Industriebezirken
des benachbarten Niederrheins. Das eigentümliche Verhältnis Hollands zum
Wasser wird vielmehr durch seine niedrige Lage im Verhältnis zum Ozean
veranlaßt, wodurch der Abfluß des das Land reichlich durchströmendem süßen
Wassers so ungemein verzögert wird. Ein großer Teil Hollands liegt beinahe
auf gleicher Höhe mit der Nordsee, teilweise sogar tiefer als diese, sodaß der
Einbruch des Wassers nur mit Mühe und mit Kunst verhindert werden kann.
Von Natur Deltaland und Sumpfland ist es durch die Mühe und Kunst seiner
energischen Bewohner im wesentlichen Polderland. In diesem Ausdruck ist alles



Von andrer Seite wird die Richtigkeit dieser Ableitung freilich bezweifelt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/298034"/>
          <fw type="header" place="top"> Holland und die Holländer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2634" prev="#ID_2633"> beiden des Säuglings von seiner Nahrung. Um so inniger ist im vorliegenden<lb/>
Falle diese überall nachzuweisende Abhängigkeit, als der Grund und Boden in<lb/>
Holland nicht allein seine Bewohner erzeugt und ernährt, sondern von diesen<lb/>
großenteils erst im eigentlichen Sinne hat geschaffen werden müssen, daß er vor<lb/>
ihnen diesen Dienst zu leisten vermochte, woraus sich natürlich eine weit innigere<lb/>
Verflechtung der beiden aufeinanderwirkenden Kräfte ergibt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2635"> Die Etymologie erklärt den Namen Holland als &#x201E;Holtland" (Holzland).<lb/>
Sie mag darin Recht haben,*) aber jedenfalls find das tsmxi xassati, denn<lb/>
das Land hat jetzt nur noch 7^/z Prozent Wald, und dieser wächst erst langsam<lb/>
bei der jetzt erst beginnenden staatlichen Forstwirtschaft wieder an auf Kosten<lb/>
der sich noch in großem Umfange ausdehnenden Heide. Und dieser Wald<lb/>
besteht größtenteils aus Föhren und Eichenschülwald, wovon die ersten meist<lb/>
als Bergwerkstützen nach Belgien gehn, und nur der letzte ein klein wenig<lb/>
Brennholz liefert, während seine Hauptnutzung der Gerberlohe gilt. Als Brenn¬<lb/>
stoff dient heimischer Torf, Kohle ans dem Ruhrgebiet, Belgien und England,<lb/>
neuerdings auch etwas eignes Bergprodukt aus der ganz im Süden liegenden<lb/>
Provinz Hollands, aus Limburg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2636"> Auf frühere größere Bewaldung deutet allerdings das viele Heideland,<lb/>
das nachweislich größtenteils aus ehemaligem Holze entstanden ist, wobei die<lb/>
weidenden Schafe nach der sorglosen AbHolzung den jungen Bestand nicht haben<lb/>
aufkommen lassen, und ebenso deuten die vielen Baumreste in und unter den<lb/>
Hochmooren darauf hin. Doch findet sich das eine und das andre weniger in<lb/>
dem eigentlichen Holland, noch jetzt als die beiden Provinzen &#x201E;Nord- und<lb/>
Südholland" mit diesem Namen bezeichnet, als in den äußern an Deutschland<lb/>
und Belgien grenzenden Landschaften, die zum Teil erst später hinzugekommen<lb/>
sind, sodaß wir die Übereinstimmung der Etymologie mit Wirklichkeit und Ge¬<lb/>
schichte auf sich beruhen lasten müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2637" next="#ID_2638"> Heutzutage und seit lange ist jedenfalls Holland als Landschaft durch<lb/>
andre Dinge charakterisiert als durch seinen Waldbestand, nämlich und bekannt¬<lb/>
lich durch sein Verhältnis zum Wasser. Nicht daß die klimatischen Verhältnisse<lb/>
hieran die Schuld trügen, obgleich diese ja auch wieder durch die große Feuchtig¬<lb/>
keit des Bodens und die vielen offnen Wasserflüchen beeinflußt werden. Der<lb/>
Regenfall ist sehr mäßig und viel geringer als in den mitteleuropäischen Ge¬<lb/>
birgen, die sich noch gar nicht einmal durch Übermaß an Feuchtigkeit auszeichnen,<lb/>
und Nebel gibt es viel weniger als in England und in den Industriebezirken<lb/>
des benachbarten Niederrheins. Das eigentümliche Verhältnis Hollands zum<lb/>
Wasser wird vielmehr durch seine niedrige Lage im Verhältnis zum Ozean<lb/>
veranlaßt, wodurch der Abfluß des das Land reichlich durchströmendem süßen<lb/>
Wassers so ungemein verzögert wird. Ein großer Teil Hollands liegt beinahe<lb/>
auf gleicher Höhe mit der Nordsee, teilweise sogar tiefer als diese, sodaß der<lb/>
Einbruch des Wassers nur mit Mühe und mit Kunst verhindert werden kann.<lb/>
Von Natur Deltaland und Sumpfland ist es durch die Mühe und Kunst seiner<lb/>
energischen Bewohner im wesentlichen Polderland. In diesem Ausdruck ist alles</p><lb/>
          <note xml:id="FID_47" place="foot"> Von andrer Seite wird die Richtigkeit dieser Ableitung freilich bezweifelt.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] Holland und die Holländer beiden des Säuglings von seiner Nahrung. Um so inniger ist im vorliegenden Falle diese überall nachzuweisende Abhängigkeit, als der Grund und Boden in Holland nicht allein seine Bewohner erzeugt und ernährt, sondern von diesen großenteils erst im eigentlichen Sinne hat geschaffen werden müssen, daß er vor ihnen diesen Dienst zu leisten vermochte, woraus sich natürlich eine weit innigere Verflechtung der beiden aufeinanderwirkenden Kräfte ergibt. Die Etymologie erklärt den Namen Holland als „Holtland" (Holzland). Sie mag darin Recht haben,*) aber jedenfalls find das tsmxi xassati, denn das Land hat jetzt nur noch 7^/z Prozent Wald, und dieser wächst erst langsam bei der jetzt erst beginnenden staatlichen Forstwirtschaft wieder an auf Kosten der sich noch in großem Umfange ausdehnenden Heide. Und dieser Wald besteht größtenteils aus Föhren und Eichenschülwald, wovon die ersten meist als Bergwerkstützen nach Belgien gehn, und nur der letzte ein klein wenig Brennholz liefert, während seine Hauptnutzung der Gerberlohe gilt. Als Brenn¬ stoff dient heimischer Torf, Kohle ans dem Ruhrgebiet, Belgien und England, neuerdings auch etwas eignes Bergprodukt aus der ganz im Süden liegenden Provinz Hollands, aus Limburg. Auf frühere größere Bewaldung deutet allerdings das viele Heideland, das nachweislich größtenteils aus ehemaligem Holze entstanden ist, wobei die weidenden Schafe nach der sorglosen AbHolzung den jungen Bestand nicht haben aufkommen lassen, und ebenso deuten die vielen Baumreste in und unter den Hochmooren darauf hin. Doch findet sich das eine und das andre weniger in dem eigentlichen Holland, noch jetzt als die beiden Provinzen „Nord- und Südholland" mit diesem Namen bezeichnet, als in den äußern an Deutschland und Belgien grenzenden Landschaften, die zum Teil erst später hinzugekommen sind, sodaß wir die Übereinstimmung der Etymologie mit Wirklichkeit und Ge¬ schichte auf sich beruhen lasten müssen. Heutzutage und seit lange ist jedenfalls Holland als Landschaft durch andre Dinge charakterisiert als durch seinen Waldbestand, nämlich und bekannt¬ lich durch sein Verhältnis zum Wasser. Nicht daß die klimatischen Verhältnisse hieran die Schuld trügen, obgleich diese ja auch wieder durch die große Feuchtig¬ keit des Bodens und die vielen offnen Wasserflüchen beeinflußt werden. Der Regenfall ist sehr mäßig und viel geringer als in den mitteleuropäischen Ge¬ birgen, die sich noch gar nicht einmal durch Übermaß an Feuchtigkeit auszeichnen, und Nebel gibt es viel weniger als in England und in den Industriebezirken des benachbarten Niederrheins. Das eigentümliche Verhältnis Hollands zum Wasser wird vielmehr durch seine niedrige Lage im Verhältnis zum Ozean veranlaßt, wodurch der Abfluß des das Land reichlich durchströmendem süßen Wassers so ungemein verzögert wird. Ein großer Teil Hollands liegt beinahe auf gleicher Höhe mit der Nordsee, teilweise sogar tiefer als diese, sodaß der Einbruch des Wassers nur mit Mühe und mit Kunst verhindert werden kann. Von Natur Deltaland und Sumpfland ist es durch die Mühe und Kunst seiner energischen Bewohner im wesentlichen Polderland. In diesem Ausdruck ist alles Von andrer Seite wird die Richtigkeit dieser Ableitung freilich bezweifelt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/515>, abgerufen am 27.09.2024.