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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

der Anziehungspunkt von der von Fremden überfüllten Schweiz und später
von Norwegen geworden sind. Das Reisen ist dort wie in jedem Lande von
alter und ökonomisch kräftiger Kultur verhältnismäßig teuer. So werden die
eigentlichen Sehenswürdigkeiten von Holland überwiegend von den auf Anti¬
quitäten erpichten aber schweigsamen Engländern besucht, und die reisenden
Deutschen, denen man begegnet, sind meist schwadronierende Handlungsbeslissene.
die andre Dinge zu berichten haben, als die uns hier interessieren, oder Be¬
sucher der luxuriösen Seebäder, und diese mögen freilich wohl selten unterlassen,
einen kurzen Abstecher zu den Kunstsammlungen der Hauptstädte zu machen,
aber von Land und Leuten wissen sie in der Regel nur wenig bedeutende
Außendinge zu erzählen. Jedenfalls sind Berichte aus neuerer Zeit über
Holland aus deutscher Feder von einer Gründlichkeit, wie der von Georg Forster
vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts, so selten, daß sie noch wenig auf
Urteil und Vorurteil auch des gebildeten deutschen Publikums eingewirkt haben.
Weitere Aufklärung dürfte darum erwünscht sein, und jemand, der ein ganzes
sogenanntes Menschenalter in dem Lande verweilt hat, wird dazu als be¬
rufen gelten dürfen.

Unglaubliche Geschichten werden noch immer über Holland in Deutschland
herumerzühlt, zwar ohne nationale Gehässigkeit, aber sie verzerren doch dnrch
großartige Übertreibung mancher eigentümlicher Züge den Charakter der Holländer
zu einer Karikatur, die allerdings lächerlich genug ist, daß man.den Reiz zum
Wieder- und Wiedererzählen begreift. Aber daß solche Übertreibungen Glauben
finden, beweist eben die Unbekanntschaft mit der Sache selber. Gewöhnlich
gipfeln diese Erzählungen in einer einseitigen Vergrößerung des phlegmatischen
Zuges im holländischen Volkscharakter, der Auswüchse des nationalen Reinlich¬
keitssinnes und in einer Verhöhnung der Sprache, deren Anklänge an platt¬
deutsche Dialekte mit Zusätzen freier Erfindung versehen geradezu als ein kindisch¬
läppisches Idiom vorgeführt werden. Sogar die holländische Bibel hat zu dieser
Verballhornuug herhalten müssen. Dann auch die Kommandoausdrücke beim
Militär, die allerdings als Illustrationen für die in Wirklichkeit ziemlich ver¬
lotterte Disziplin dazu Anlaß bieten. -- Die Wurzel dieser die Menge amü¬
sierenden Karikaturen muß unstreitig zum Teil in Erzählungen vielgelesner
deutscher Schriftsteller, zum Beispiel Heines in dessen berüchtigten "Schnabelo-
wvpski" und namentlich Immermanns in dessen "Münchhausen" gefunden
werden, wo allerdings mit viel Talent eine unverbesserlich komische Figur als
typischer Holländer gezeichnet wird.

Man hat eben aus der Lektüre geschöpft, anstatt aus der Anschauung, die
nicht einmal als Korrektiv in genügender Qualität vorhanden war, und dann
hat Jungfer Fama das schon an sich verzeichnete Bild mehr und mehr mit
frei erfundnen Lichtern ausgeschmückt, sodaß es zwar auf Unbeteiligte sehr er¬
heiternd wirkt, aber endlich Freunden und Verwandten kaum mehr erkennbar
ist. Den: gegenüber erscheint es geradezu als Pflicht, ein nach Kräften berichtigtes
Porträt zu zeichnen.

Zunächst das Nötigste über das Land selbst, wie es von der Natur ge¬
geben ist,, da der Charakter der Bewohner hiervon abhängig ist, wie das Ge-


Holland und die Holländer

der Anziehungspunkt von der von Fremden überfüllten Schweiz und später
von Norwegen geworden sind. Das Reisen ist dort wie in jedem Lande von
alter und ökonomisch kräftiger Kultur verhältnismäßig teuer. So werden die
eigentlichen Sehenswürdigkeiten von Holland überwiegend von den auf Anti¬
quitäten erpichten aber schweigsamen Engländern besucht, und die reisenden
Deutschen, denen man begegnet, sind meist schwadronierende Handlungsbeslissene.
die andre Dinge zu berichten haben, als die uns hier interessieren, oder Be¬
sucher der luxuriösen Seebäder, und diese mögen freilich wohl selten unterlassen,
einen kurzen Abstecher zu den Kunstsammlungen der Hauptstädte zu machen,
aber von Land und Leuten wissen sie in der Regel nur wenig bedeutende
Außendinge zu erzählen. Jedenfalls sind Berichte aus neuerer Zeit über
Holland aus deutscher Feder von einer Gründlichkeit, wie der von Georg Forster
vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts, so selten, daß sie noch wenig auf
Urteil und Vorurteil auch des gebildeten deutschen Publikums eingewirkt haben.
Weitere Aufklärung dürfte darum erwünscht sein, und jemand, der ein ganzes
sogenanntes Menschenalter in dem Lande verweilt hat, wird dazu als be¬
rufen gelten dürfen.

Unglaubliche Geschichten werden noch immer über Holland in Deutschland
herumerzühlt, zwar ohne nationale Gehässigkeit, aber sie verzerren doch dnrch
großartige Übertreibung mancher eigentümlicher Züge den Charakter der Holländer
zu einer Karikatur, die allerdings lächerlich genug ist, daß man.den Reiz zum
Wieder- und Wiedererzählen begreift. Aber daß solche Übertreibungen Glauben
finden, beweist eben die Unbekanntschaft mit der Sache selber. Gewöhnlich
gipfeln diese Erzählungen in einer einseitigen Vergrößerung des phlegmatischen
Zuges im holländischen Volkscharakter, der Auswüchse des nationalen Reinlich¬
keitssinnes und in einer Verhöhnung der Sprache, deren Anklänge an platt¬
deutsche Dialekte mit Zusätzen freier Erfindung versehen geradezu als ein kindisch¬
läppisches Idiom vorgeführt werden. Sogar die holländische Bibel hat zu dieser
Verballhornuug herhalten müssen. Dann auch die Kommandoausdrücke beim
Militär, die allerdings als Illustrationen für die in Wirklichkeit ziemlich ver¬
lotterte Disziplin dazu Anlaß bieten. — Die Wurzel dieser die Menge amü¬
sierenden Karikaturen muß unstreitig zum Teil in Erzählungen vielgelesner
deutscher Schriftsteller, zum Beispiel Heines in dessen berüchtigten „Schnabelo-
wvpski" und namentlich Immermanns in dessen „Münchhausen" gefunden
werden, wo allerdings mit viel Talent eine unverbesserlich komische Figur als
typischer Holländer gezeichnet wird.

Man hat eben aus der Lektüre geschöpft, anstatt aus der Anschauung, die
nicht einmal als Korrektiv in genügender Qualität vorhanden war, und dann
hat Jungfer Fama das schon an sich verzeichnete Bild mehr und mehr mit
frei erfundnen Lichtern ausgeschmückt, sodaß es zwar auf Unbeteiligte sehr er¬
heiternd wirkt, aber endlich Freunden und Verwandten kaum mehr erkennbar
ist. Den: gegenüber erscheint es geradezu als Pflicht, ein nach Kräften berichtigtes
Porträt zu zeichnen.

Zunächst das Nötigste über das Land selbst, wie es von der Natur ge¬
geben ist,, da der Charakter der Bewohner hiervon abhängig ist, wie das Ge-


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[0514] Holland und die Holländer der Anziehungspunkt von der von Fremden überfüllten Schweiz und später von Norwegen geworden sind. Das Reisen ist dort wie in jedem Lande von alter und ökonomisch kräftiger Kultur verhältnismäßig teuer. So werden die eigentlichen Sehenswürdigkeiten von Holland überwiegend von den auf Anti¬ quitäten erpichten aber schweigsamen Engländern besucht, und die reisenden Deutschen, denen man begegnet, sind meist schwadronierende Handlungsbeslissene. die andre Dinge zu berichten haben, als die uns hier interessieren, oder Be¬ sucher der luxuriösen Seebäder, und diese mögen freilich wohl selten unterlassen, einen kurzen Abstecher zu den Kunstsammlungen der Hauptstädte zu machen, aber von Land und Leuten wissen sie in der Regel nur wenig bedeutende Außendinge zu erzählen. Jedenfalls sind Berichte aus neuerer Zeit über Holland aus deutscher Feder von einer Gründlichkeit, wie der von Georg Forster vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts, so selten, daß sie noch wenig auf Urteil und Vorurteil auch des gebildeten deutschen Publikums eingewirkt haben. Weitere Aufklärung dürfte darum erwünscht sein, und jemand, der ein ganzes sogenanntes Menschenalter in dem Lande verweilt hat, wird dazu als be¬ rufen gelten dürfen. Unglaubliche Geschichten werden noch immer über Holland in Deutschland herumerzühlt, zwar ohne nationale Gehässigkeit, aber sie verzerren doch dnrch großartige Übertreibung mancher eigentümlicher Züge den Charakter der Holländer zu einer Karikatur, die allerdings lächerlich genug ist, daß man.den Reiz zum Wieder- und Wiedererzählen begreift. Aber daß solche Übertreibungen Glauben finden, beweist eben die Unbekanntschaft mit der Sache selber. Gewöhnlich gipfeln diese Erzählungen in einer einseitigen Vergrößerung des phlegmatischen Zuges im holländischen Volkscharakter, der Auswüchse des nationalen Reinlich¬ keitssinnes und in einer Verhöhnung der Sprache, deren Anklänge an platt¬ deutsche Dialekte mit Zusätzen freier Erfindung versehen geradezu als ein kindisch¬ läppisches Idiom vorgeführt werden. Sogar die holländische Bibel hat zu dieser Verballhornuug herhalten müssen. Dann auch die Kommandoausdrücke beim Militär, die allerdings als Illustrationen für die in Wirklichkeit ziemlich ver¬ lotterte Disziplin dazu Anlaß bieten. — Die Wurzel dieser die Menge amü¬ sierenden Karikaturen muß unstreitig zum Teil in Erzählungen vielgelesner deutscher Schriftsteller, zum Beispiel Heines in dessen berüchtigten „Schnabelo- wvpski" und namentlich Immermanns in dessen „Münchhausen" gefunden werden, wo allerdings mit viel Talent eine unverbesserlich komische Figur als typischer Holländer gezeichnet wird. Man hat eben aus der Lektüre geschöpft, anstatt aus der Anschauung, die nicht einmal als Korrektiv in genügender Qualität vorhanden war, und dann hat Jungfer Fama das schon an sich verzeichnete Bild mehr und mehr mit frei erfundnen Lichtern ausgeschmückt, sodaß es zwar auf Unbeteiligte sehr er¬ heiternd wirkt, aber endlich Freunden und Verwandten kaum mehr erkennbar ist. Den: gegenüber erscheint es geradezu als Pflicht, ein nach Kräften berichtigtes Porträt zu zeichnen. Zunächst das Nötigste über das Land selbst, wie es von der Natur ge¬ geben ist,, da der Charakter der Bewohner hiervon abhängig ist, wie das Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/514>, abgerufen am 27.09.2024.