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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

bahnbrechend und mit leuchtendem Beispiel der Arbeiterwelt das zu bieten ver¬
mag, die Sozialdemokratie einen ununterbrochnem Vernichtungskampf führt? Um so
notwendiger ist es, der Arbeiterwelt diese Zahlen näher zu bringen, die früher
oder später doch die besten Verbündeten des Staats im Kampfe gegen die sozia¬
listischen Utopien sein werden. Zahlen reden -- sagt ein altes Sprichwort, so lasse
man sie endlich reden und gebe ihrer unwiderstehlichen Beredsamkeit freien Lauf!

Den Reichstag wird voraussichtlich in seiner nächsten Session ein neuer wichtiger
Schritt auf dem Gebiete der sozialpolitischen Gesetzgebung beschäftigen: die Gewährung
der Rechtsfähigkeit an die Arbeitervereine, ein langjähriges Pelidna der Sozial¬
demokratie, das auch von andrer Seite lebhaft Unterstützung gefunden hat. Die
Sozialdemokratie hat sich darunter selbstverständlich nur eine Einrichtung gedacht,
die den Arbeitern neue Rechte ohne Pflichten gewährt. Der Gedanke, daß es kein
Recht gibt ohne entsprechende Pflicht, ist ihr längst abhanden gekommen, wenn sie
ihn überhaupt je gehabt hat. Die Frage hat aber neuerdings eine praktische Gestalt
dadurch bekommen, daß das Gewerbegericht zu München-Gladbach jüngst 62 Ar¬
beiter, die ohne Kündigung die Arbeit eingestellt hatten und deshalb von der ge¬
schädigten Firma auf Schadenersatz verklagt worden waren, zu einem solchen
von mehreren tausend Mark sowie zu den Kosten des Verfahrens verurteilt hat.
Es ist dies ein Vorgang von höchster Wichtigkeit und unabsehbarer Tragweite, der
übrigens insofern nicht vereinzelt dasteht, als noch eine Anzahl ähnlicher Prozesse
schweben soll. Es wäre durchaus wünschenswert, daß die Arbeitgeber jeden Kontrakt¬
bruch ohne alle Rücksicht auf den Erfolg eines Prozesses mit einer Schadenersatz¬
klage beantworteten. Da die meisten Arbeitseinstellungen von den Gewerkschaften und
deu Fachverbänden ausgehn, so ist es nicht mehr als billig, diese zur Leistung jedes
gerichtlich zuerkannten Schadenersatzes zu verpflichten. In England bewegt sich die
Praxis fortgesetzt in dieser Richtung, und es ist kürzlich darauf aufmerksam ge¬
macht worden, wie konsequent die dortigen Gerichte in der Vollstreckung von
Schadenersatzurteilen gegen die Kassen der Gewerkschaften (Trade-Unions) vorgehn.
Denn es kann sich natürlich nicht uur um eine akademische Verurteilung zum Schaden¬
ersatz handeln, er muß auch geleistet werden. Demgemäß kann die Rechtsfähigkeit
der Arbeiterorganisationen auch in Deutschland nur unter der Bedingung gewährt
werden, daß alle Schadenersatzurteile gegen ihre Angehörigen bei dieser Organisation
zur Vollstreckung gelangen. Nur mit dieser Bedingung würde die Rechtsfähigkeit
nicht dem sozialen Kriege sondern dem sozialen Frieden dienen.

Der Sozialdemokratie wird daran freilich wenig gelegen sein. Aber wie die
Versicherungsgesetzgebuug gegen ihre Stimmen zustande gekommen ist und doch
Resultate ergeben hat, um die uns alle andern Länder, und insbesondre deren Ar¬
beiter, beneiden, so ist auch nicht nur nicht nötig, sondern sogar wünschenswert, daß
auch das Gesetz über die Rechtsfähigkeit gegen die Stimmen der Sozialdemokratie
zur Annahme gelangen möge. Auf diesem Felde einer ruhig fortschreitenden sozial¬
politischen Gesetzgebung haben wir noch ein ganzes Arsenal von wirksamsten Waffen
gegen die Sozialdemokratie, es ist nur nötig, daß wir sie aufnehmen und mit ihrer
ganzen Wucht anwenden. Dann werden wir selbst trotz dem allgemeinen Stimiu-
recht, trotz dem demokratischsten Wahlgesetz und trotz dem Mangel eines Oberhauses
oder eines Senats, worin Deutschland einzig in Europa dasteht, ihrer Herr werden,
solange sie auf dem Boden der Gesetzgebung kämpfen will, und erst recht, wenn sie
sich außerhalb des Gesetzes stellt. _


Der Schriftsteller und seine Feder.

Unsre Zeit hat eine merkwürdige
Vorliebe für Wörter, die nach Papier und Tinte riechen und sich besonders da
unangenehm fühlbar machen, wo ein rein geistiger Inhalt durch sie bezeichnet werden
soll. Hierher gehört auch die immer mehr mißbrauchte Verwendung von "Schrift¬
steller." Nicht als ob das Wort an sich bekämpft werden sollte, so unschön, äußer¬
lich und nichtssagend es auch ist -- es bedeutete ursprünglich den Verfertiger
gerichtlicher Aktenstücke, was also heute "Aktuarius" bezeichnet --, aber seitdem die


Maßgebliches und Unmaßgebliches

bahnbrechend und mit leuchtendem Beispiel der Arbeiterwelt das zu bieten ver¬
mag, die Sozialdemokratie einen ununterbrochnem Vernichtungskampf führt? Um so
notwendiger ist es, der Arbeiterwelt diese Zahlen näher zu bringen, die früher
oder später doch die besten Verbündeten des Staats im Kampfe gegen die sozia¬
listischen Utopien sein werden. Zahlen reden — sagt ein altes Sprichwort, so lasse
man sie endlich reden und gebe ihrer unwiderstehlichen Beredsamkeit freien Lauf!

Den Reichstag wird voraussichtlich in seiner nächsten Session ein neuer wichtiger
Schritt auf dem Gebiete der sozialpolitischen Gesetzgebung beschäftigen: die Gewährung
der Rechtsfähigkeit an die Arbeitervereine, ein langjähriges Pelidna der Sozial¬
demokratie, das auch von andrer Seite lebhaft Unterstützung gefunden hat. Die
Sozialdemokratie hat sich darunter selbstverständlich nur eine Einrichtung gedacht,
die den Arbeitern neue Rechte ohne Pflichten gewährt. Der Gedanke, daß es kein
Recht gibt ohne entsprechende Pflicht, ist ihr längst abhanden gekommen, wenn sie
ihn überhaupt je gehabt hat. Die Frage hat aber neuerdings eine praktische Gestalt
dadurch bekommen, daß das Gewerbegericht zu München-Gladbach jüngst 62 Ar¬
beiter, die ohne Kündigung die Arbeit eingestellt hatten und deshalb von der ge¬
schädigten Firma auf Schadenersatz verklagt worden waren, zu einem solchen
von mehreren tausend Mark sowie zu den Kosten des Verfahrens verurteilt hat.
Es ist dies ein Vorgang von höchster Wichtigkeit und unabsehbarer Tragweite, der
übrigens insofern nicht vereinzelt dasteht, als noch eine Anzahl ähnlicher Prozesse
schweben soll. Es wäre durchaus wünschenswert, daß die Arbeitgeber jeden Kontrakt¬
bruch ohne alle Rücksicht auf den Erfolg eines Prozesses mit einer Schadenersatz¬
klage beantworteten. Da die meisten Arbeitseinstellungen von den Gewerkschaften und
deu Fachverbänden ausgehn, so ist es nicht mehr als billig, diese zur Leistung jedes
gerichtlich zuerkannten Schadenersatzes zu verpflichten. In England bewegt sich die
Praxis fortgesetzt in dieser Richtung, und es ist kürzlich darauf aufmerksam ge¬
macht worden, wie konsequent die dortigen Gerichte in der Vollstreckung von
Schadenersatzurteilen gegen die Kassen der Gewerkschaften (Trade-Unions) vorgehn.
Denn es kann sich natürlich nicht uur um eine akademische Verurteilung zum Schaden¬
ersatz handeln, er muß auch geleistet werden. Demgemäß kann die Rechtsfähigkeit
der Arbeiterorganisationen auch in Deutschland nur unter der Bedingung gewährt
werden, daß alle Schadenersatzurteile gegen ihre Angehörigen bei dieser Organisation
zur Vollstreckung gelangen. Nur mit dieser Bedingung würde die Rechtsfähigkeit
nicht dem sozialen Kriege sondern dem sozialen Frieden dienen.

Der Sozialdemokratie wird daran freilich wenig gelegen sein. Aber wie die
Versicherungsgesetzgebuug gegen ihre Stimmen zustande gekommen ist und doch
Resultate ergeben hat, um die uns alle andern Länder, und insbesondre deren Ar¬
beiter, beneiden, so ist auch nicht nur nicht nötig, sondern sogar wünschenswert, daß
auch das Gesetz über die Rechtsfähigkeit gegen die Stimmen der Sozialdemokratie
zur Annahme gelangen möge. Auf diesem Felde einer ruhig fortschreitenden sozial¬
politischen Gesetzgebung haben wir noch ein ganzes Arsenal von wirksamsten Waffen
gegen die Sozialdemokratie, es ist nur nötig, daß wir sie aufnehmen und mit ihrer
ganzen Wucht anwenden. Dann werden wir selbst trotz dem allgemeinen Stimiu-
recht, trotz dem demokratischsten Wahlgesetz und trotz dem Mangel eines Oberhauses
oder eines Senats, worin Deutschland einzig in Europa dasteht, ihrer Herr werden,
solange sie auf dem Boden der Gesetzgebung kämpfen will, und erst recht, wenn sie
sich außerhalb des Gesetzes stellt. _


Der Schriftsteller und seine Feder.

Unsre Zeit hat eine merkwürdige
Vorliebe für Wörter, die nach Papier und Tinte riechen und sich besonders da
unangenehm fühlbar machen, wo ein rein geistiger Inhalt durch sie bezeichnet werden
soll. Hierher gehört auch die immer mehr mißbrauchte Verwendung von „Schrift¬
steller." Nicht als ob das Wort an sich bekämpft werden sollte, so unschön, äußer¬
lich und nichtssagend es auch ist — es bedeutete ursprünglich den Verfertiger
gerichtlicher Aktenstücke, was also heute „Aktuarius" bezeichnet —, aber seitdem die


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[0511] Maßgebliches und Unmaßgebliches bahnbrechend und mit leuchtendem Beispiel der Arbeiterwelt das zu bieten ver¬ mag, die Sozialdemokratie einen ununterbrochnem Vernichtungskampf führt? Um so notwendiger ist es, der Arbeiterwelt diese Zahlen näher zu bringen, die früher oder später doch die besten Verbündeten des Staats im Kampfe gegen die sozia¬ listischen Utopien sein werden. Zahlen reden — sagt ein altes Sprichwort, so lasse man sie endlich reden und gebe ihrer unwiderstehlichen Beredsamkeit freien Lauf! Den Reichstag wird voraussichtlich in seiner nächsten Session ein neuer wichtiger Schritt auf dem Gebiete der sozialpolitischen Gesetzgebung beschäftigen: die Gewährung der Rechtsfähigkeit an die Arbeitervereine, ein langjähriges Pelidna der Sozial¬ demokratie, das auch von andrer Seite lebhaft Unterstützung gefunden hat. Die Sozialdemokratie hat sich darunter selbstverständlich nur eine Einrichtung gedacht, die den Arbeitern neue Rechte ohne Pflichten gewährt. Der Gedanke, daß es kein Recht gibt ohne entsprechende Pflicht, ist ihr längst abhanden gekommen, wenn sie ihn überhaupt je gehabt hat. Die Frage hat aber neuerdings eine praktische Gestalt dadurch bekommen, daß das Gewerbegericht zu München-Gladbach jüngst 62 Ar¬ beiter, die ohne Kündigung die Arbeit eingestellt hatten und deshalb von der ge¬ schädigten Firma auf Schadenersatz verklagt worden waren, zu einem solchen von mehreren tausend Mark sowie zu den Kosten des Verfahrens verurteilt hat. Es ist dies ein Vorgang von höchster Wichtigkeit und unabsehbarer Tragweite, der übrigens insofern nicht vereinzelt dasteht, als noch eine Anzahl ähnlicher Prozesse schweben soll. Es wäre durchaus wünschenswert, daß die Arbeitgeber jeden Kontrakt¬ bruch ohne alle Rücksicht auf den Erfolg eines Prozesses mit einer Schadenersatz¬ klage beantworteten. Da die meisten Arbeitseinstellungen von den Gewerkschaften und deu Fachverbänden ausgehn, so ist es nicht mehr als billig, diese zur Leistung jedes gerichtlich zuerkannten Schadenersatzes zu verpflichten. In England bewegt sich die Praxis fortgesetzt in dieser Richtung, und es ist kürzlich darauf aufmerksam ge¬ macht worden, wie konsequent die dortigen Gerichte in der Vollstreckung von Schadenersatzurteilen gegen die Kassen der Gewerkschaften (Trade-Unions) vorgehn. Denn es kann sich natürlich nicht uur um eine akademische Verurteilung zum Schaden¬ ersatz handeln, er muß auch geleistet werden. Demgemäß kann die Rechtsfähigkeit der Arbeiterorganisationen auch in Deutschland nur unter der Bedingung gewährt werden, daß alle Schadenersatzurteile gegen ihre Angehörigen bei dieser Organisation zur Vollstreckung gelangen. Nur mit dieser Bedingung würde die Rechtsfähigkeit nicht dem sozialen Kriege sondern dem sozialen Frieden dienen. Der Sozialdemokratie wird daran freilich wenig gelegen sein. Aber wie die Versicherungsgesetzgebuug gegen ihre Stimmen zustande gekommen ist und doch Resultate ergeben hat, um die uns alle andern Länder, und insbesondre deren Ar¬ beiter, beneiden, so ist auch nicht nur nicht nötig, sondern sogar wünschenswert, daß auch das Gesetz über die Rechtsfähigkeit gegen die Stimmen der Sozialdemokratie zur Annahme gelangen möge. Auf diesem Felde einer ruhig fortschreitenden sozial¬ politischen Gesetzgebung haben wir noch ein ganzes Arsenal von wirksamsten Waffen gegen die Sozialdemokratie, es ist nur nötig, daß wir sie aufnehmen und mit ihrer ganzen Wucht anwenden. Dann werden wir selbst trotz dem allgemeinen Stimiu- recht, trotz dem demokratischsten Wahlgesetz und trotz dem Mangel eines Oberhauses oder eines Senats, worin Deutschland einzig in Europa dasteht, ihrer Herr werden, solange sie auf dem Boden der Gesetzgebung kämpfen will, und erst recht, wenn sie sich außerhalb des Gesetzes stellt. _ Der Schriftsteller und seine Feder. Unsre Zeit hat eine merkwürdige Vorliebe für Wörter, die nach Papier und Tinte riechen und sich besonders da unangenehm fühlbar machen, wo ein rein geistiger Inhalt durch sie bezeichnet werden soll. Hierher gehört auch die immer mehr mißbrauchte Verwendung von „Schrift¬ steller." Nicht als ob das Wort an sich bekämpft werden sollte, so unschön, äußer¬ lich und nichtssagend es auch ist — es bedeutete ursprünglich den Verfertiger gerichtlicher Aktenstücke, was also heute „Aktuarius" bezeichnet —, aber seitdem die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/511>, abgerufen am 27.09.2024.