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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

hörte die Frage, sah nach der Uhr, stieg auf sein Rad und sagte: Es ist die
höchste Zeit.

Kommen Sie nicht heute Abend, daß wir den Schumann singen können?
fragte Fräulein Naerum ängstlich.

Heute Abend -- vielen Dank --, aber das kann ich wirklich nicht; doch hoffe
ich bestimmt, in der allernächsten Zeit. Darf ich die Damen bitten, mich in den
respektiven Häusern gütigst empfehlen zu wollen?

Wie ein Blitz schoß er davon.

Fräulein Naerum sah ihm sinnend nach.

Parodierend wiederholte Fräulein Ipser: Die Damen, die Damen! Dann
lächelte sie boshaft und sagte: Er war ganz sonderbar heute!

So, finden Sie? Er ist ja immer sehr retirö. Ich habe wenigstens noch
keinen Menschen gekannt, der sich so wenig hätte gehn lassen.

Er hat sie natürlich gesehen.

Glauben Sie wirklich?

Ich vermute es! Haben Sie nicht die Eile bemerkt, die er plötzlich hatte?
Er hofft natürlich, sie einzuholen und einen Schimmer von der Schönheit zu er¬
Haschen!

Eine brennende Röte ergoß sich über Fräulein Naerums Wangen, als sie er¬
widerte: Doktor Holmsted läßt sich nicht so leicht düpieren. Guten Morgen!
Kommen Sie doch bald einmal zu uns, damit wir ein wenig über Musik plaudern
können.

Und damit entfernte sie sich schnell.

Fräulein Ipser sah ihr spöttisch nach und murmelte: Diese Gouvernante ist
ihr ein böser Strich durch die Rechnung!

Auch diese Zwei trugen nun den Sommer ins Land: welke Blätter und junge
Schosse von dem Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen!

Was aber trug Holmsted mit nach Hause?

Er hielt einen Augenblick in der Nähe der Stelle an, wo das Feuer gestern
Abend geflammt hatte.

Dann brach er einen grünen Zweig von dem Gesträuch ab, befestigte ihn an
sein Rad und ritt den Sommer ins Land hinein, über alle Hügel dahin!

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel.

Die erregte Preßdiskussion über die Reise König Eduards
und über die Fahrt der englischen Flotte ist endlich glücklich zur Ruhe gekommen.
Man kann nicht behaupten, daß Presse und öffentliche Meinung, hüben wie drüben,
dabei in Übereinstimmung gewesen wären. Während bei uns die Zeitungen mehr
oder minder temperamentvolle Leitartikel des Mißbehagens über England veröffent¬
lichten und in den literarischen Beilagen die Barden ansingen, Schlachtgesänge gegen
Albion zum Kampf um die Herrschaft über die Wogen anzustimmen, wurde der An¬
drang zu den Extrazügen, die die preußische Eisenbahnverwaltung nach Swinemünde
zur Besichtigung der englischen Flotte veranstaltete, so groß, daß die ursprünglich dabei
in Aussicht genommnen Grenzen weit überschritten werden mußten. Auch in Eng¬
land begann allmählich die Vernunft dem Unsinn die Wage zu halten, und so
werden wir denn über diese Episode deutsch-englischer -- richtiger englisch-deutscher---
Spannung glücklich hinwegkommen.

Die britische Admiralität hat den Offizieren der Kanalflotte ein möglichst
liebenswürdiges Verhalten ausdrücklich vorgeschrieben, und König Eduard selbst hat


Maßgebliches und Unmaßgebliches

hörte die Frage, sah nach der Uhr, stieg auf sein Rad und sagte: Es ist die
höchste Zeit.

Kommen Sie nicht heute Abend, daß wir den Schumann singen können?
fragte Fräulein Naerum ängstlich.

Heute Abend — vielen Dank —, aber das kann ich wirklich nicht; doch hoffe
ich bestimmt, in der allernächsten Zeit. Darf ich die Damen bitten, mich in den
respektiven Häusern gütigst empfehlen zu wollen?

Wie ein Blitz schoß er davon.

Fräulein Naerum sah ihm sinnend nach.

Parodierend wiederholte Fräulein Ipser: Die Damen, die Damen! Dann
lächelte sie boshaft und sagte: Er war ganz sonderbar heute!

So, finden Sie? Er ist ja immer sehr retirö. Ich habe wenigstens noch
keinen Menschen gekannt, der sich so wenig hätte gehn lassen.

Er hat sie natürlich gesehen.

Glauben Sie wirklich?

Ich vermute es! Haben Sie nicht die Eile bemerkt, die er plötzlich hatte?
Er hofft natürlich, sie einzuholen und einen Schimmer von der Schönheit zu er¬
Haschen!

Eine brennende Röte ergoß sich über Fräulein Naerums Wangen, als sie er¬
widerte: Doktor Holmsted läßt sich nicht so leicht düpieren. Guten Morgen!
Kommen Sie doch bald einmal zu uns, damit wir ein wenig über Musik plaudern
können.

Und damit entfernte sie sich schnell.

Fräulein Ipser sah ihr spöttisch nach und murmelte: Diese Gouvernante ist
ihr ein böser Strich durch die Rechnung!

Auch diese Zwei trugen nun den Sommer ins Land: welke Blätter und junge
Schosse von dem Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen!

Was aber trug Holmsted mit nach Hause?

Er hielt einen Augenblick in der Nähe der Stelle an, wo das Feuer gestern
Abend geflammt hatte.

Dann brach er einen grünen Zweig von dem Gesträuch ab, befestigte ihn an
sein Rad und ritt den Sommer ins Land hinein, über alle Hügel dahin!

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel.

Die erregte Preßdiskussion über die Reise König Eduards
und über die Fahrt der englischen Flotte ist endlich glücklich zur Ruhe gekommen.
Man kann nicht behaupten, daß Presse und öffentliche Meinung, hüben wie drüben,
dabei in Übereinstimmung gewesen wären. Während bei uns die Zeitungen mehr
oder minder temperamentvolle Leitartikel des Mißbehagens über England veröffent¬
lichten und in den literarischen Beilagen die Barden ansingen, Schlachtgesänge gegen
Albion zum Kampf um die Herrschaft über die Wogen anzustimmen, wurde der An¬
drang zu den Extrazügen, die die preußische Eisenbahnverwaltung nach Swinemünde
zur Besichtigung der englischen Flotte veranstaltete, so groß, daß die ursprünglich dabei
in Aussicht genommnen Grenzen weit überschritten werden mußten. Auch in Eng¬
land begann allmählich die Vernunft dem Unsinn die Wage zu halten, und so
werden wir denn über diese Episode deutsch-englischer — richtiger englisch-deutscher—-
Spannung glücklich hinwegkommen.

Die britische Admiralität hat den Offizieren der Kanalflotte ein möglichst
liebenswürdiges Verhalten ausdrücklich vorgeschrieben, und König Eduard selbst hat


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[0508] Maßgebliches und Unmaßgebliches hörte die Frage, sah nach der Uhr, stieg auf sein Rad und sagte: Es ist die höchste Zeit. Kommen Sie nicht heute Abend, daß wir den Schumann singen können? fragte Fräulein Naerum ängstlich. Heute Abend — vielen Dank —, aber das kann ich wirklich nicht; doch hoffe ich bestimmt, in der allernächsten Zeit. Darf ich die Damen bitten, mich in den respektiven Häusern gütigst empfehlen zu wollen? Wie ein Blitz schoß er davon. Fräulein Naerum sah ihm sinnend nach. Parodierend wiederholte Fräulein Ipser: Die Damen, die Damen! Dann lächelte sie boshaft und sagte: Er war ganz sonderbar heute! So, finden Sie? Er ist ja immer sehr retirö. Ich habe wenigstens noch keinen Menschen gekannt, der sich so wenig hätte gehn lassen. Er hat sie natürlich gesehen. Glauben Sie wirklich? Ich vermute es! Haben Sie nicht die Eile bemerkt, die er plötzlich hatte? Er hofft natürlich, sie einzuholen und einen Schimmer von der Schönheit zu er¬ Haschen! Eine brennende Röte ergoß sich über Fräulein Naerums Wangen, als sie er¬ widerte: Doktor Holmsted läßt sich nicht so leicht düpieren. Guten Morgen! Kommen Sie doch bald einmal zu uns, damit wir ein wenig über Musik plaudern können. Und damit entfernte sie sich schnell. Fräulein Ipser sah ihr spöttisch nach und murmelte: Diese Gouvernante ist ihr ein böser Strich durch die Rechnung! Auch diese Zwei trugen nun den Sommer ins Land: welke Blätter und junge Schosse von dem Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen! Was aber trug Holmsted mit nach Hause? Er hielt einen Augenblick in der Nähe der Stelle an, wo das Feuer gestern Abend geflammt hatte. Dann brach er einen grünen Zweig von dem Gesträuch ab, befestigte ihn an sein Rad und ritt den Sommer ins Land hinein, über alle Hügel dahin! (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel. Die erregte Preßdiskussion über die Reise König Eduards und über die Fahrt der englischen Flotte ist endlich glücklich zur Ruhe gekommen. Man kann nicht behaupten, daß Presse und öffentliche Meinung, hüben wie drüben, dabei in Übereinstimmung gewesen wären. Während bei uns die Zeitungen mehr oder minder temperamentvolle Leitartikel des Mißbehagens über England veröffent¬ lichten und in den literarischen Beilagen die Barden ansingen, Schlachtgesänge gegen Albion zum Kampf um die Herrschaft über die Wogen anzustimmen, wurde der An¬ drang zu den Extrazügen, die die preußische Eisenbahnverwaltung nach Swinemünde zur Besichtigung der englischen Flotte veranstaltete, so groß, daß die ursprünglich dabei in Aussicht genommnen Grenzen weit überschritten werden mußten. Auch in Eng¬ land begann allmählich die Vernunft dem Unsinn die Wage zu halten, und so werden wir denn über diese Episode deutsch-englischer — richtiger englisch-deutscher—- Spannung glücklich hinwegkommen. Die britische Admiralität hat den Offizieren der Kanalflotte ein möglichst liebenswürdiges Verhalten ausdrücklich vorgeschrieben, und König Eduard selbst hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/508>, abgerufen am 27.09.2024.