Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.Ldelegoisten gleich den übrigen Einwohnern teil, haben davon dieselben Vorteile, denselben H. Brüning Gdelegoisten ante erklärt die Kraft und die Gesundheit des europäischen Lebens Die philosophische Grundlage schafft sich der Verfasser durch eine Ver¬ Grenzboten HI 1905 69
Ldelegoisten gleich den übrigen Einwohnern teil, haben davon dieselben Vorteile, denselben H. Brüning Gdelegoisten ante erklärt die Kraft und die Gesundheit des europäischen Lebens Die philosophische Grundlage schafft sich der Verfasser durch eine Ver¬ Grenzboten HI 1905 69
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297992"/> <fw type="header" place="top"> Ldelegoisten</fw><lb/> <p xml:id="ID_2314" prev="#ID_2313"> gleich den übrigen Einwohnern teil, haben davon dieselben Vorteile, denselben<lb/> Nutzen; aber an Staatssteuern zahlen sie nichts, dadurch wird aber indirekt<lb/> wieder die Erhöhung der Staatssteuern bewirkt; denn der Staat muß seine<lb/> Einrichtungen nach der Gesamtzahl seiner Einwohner treffen, kann die nicht<lb/> zahlenden Einwohner nicht ausschließen. Die zahlenden Einwohner müssen<lb/> also den Ausfall an Staatssteuern decken, d. i. mehr zahlen, als sonst not¬<lb/> wendig wäre. Die ausgleichende Gerechtigkeit kommt auch hier zu kurz. Die<lb/> preußische Steuerkasse wird auf Kosten der Steuerzahler in den andern deutschen<lb/> Staaten bereichert!</p><lb/> <note type="byline"> H. Brüning</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Gdelegoisten</head><lb/> <p xml:id="ID_2315"> ante erklärt die Kraft und die Gesundheit des europäischen Lebens<lb/> einmal daraus, daß in Europa niemals eine einzelne Idee die<lb/> ungestörte Alleinherrschaft behauptet. Sobald eine mächtig wird,<lb/> tritt ihr eine andre feindlich gegenüber, und das Ringen der Ver-<lb/> ! treter der beiden Gegnerinnen um den Sieg schützt vor dem Ein¬<lb/> schlafen und vor Verknöcherung. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts<lb/> hat unter anderm die sozialistische Strömung einen Persönlichkeitskultus geweckt,<lb/> dessen auffälligste Blüten bei den Nietzschianern und Jbseniten bewiesen, daß<lb/> die berechtigte Opposition schon ebenso wie die Gegenströmung ins Krankhafte<lb/> ausgeartet war. Selbstverständlich mußte zugleich statt des Altruismus, wie<lb/> die Sozialwissenschaft die christliche Nächstenliebe umzutaufen beliebte, der<lb/> Egoismus das Feldgeschrei werden, das jedoch seines unmusikalischen Klanges<lb/> wegen mehr in den Herzen als auf der Straße und in Volksversammlungen<lb/> angestimmt wurde. Ein neuer Versuch, den alten Epikur in zeitgemäßer Form<lb/> wieder zu beleben, zeichnet sich durch Gründlichkeit, Verständigkeit und Origi¬<lb/> nalität aus: Die Tugend des Genusses von Allostis <Jena, Hermann<lb/> Costenoble, 1904).</p><lb/> <p xml:id="ID_2316" next="#ID_2317"> Die philosophische Grundlage schafft sich der Verfasser durch eine Ver¬<lb/> urteilung der Philosophie in Bausch und Bogen. Daß aus unorganischen<lb/> Stoffen Organismen werden, daß Organismen anfangen zu empfinden und zu<lb/> denken, ist nicht wunderbarer, als daß Wasserstoff und Sauerstoff zusammen<lb/> Wasser bilden. Das allumfassende große Wunder besteht darin, daß es über¬<lb/> haupt Daseinsformen gibt, die Eigenschaften und Kräfte haben, die ihren Be¬<lb/> standteilen nicht innewohnen. Dieses Wunder kann kein Mensch erklären, und<lb/> darum ist es eine Torheit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wir sollen<lb/> demnach nicht fragen: Wie sind diese Erscheinungen geworden, sondern nur:<lb/> Wie sind sie beschaffen? Auf die Erklärung des Unerkennbaren verzichten und<lb/> sich auf die Erforschung dessen beschränken, was wir zu erkennen vermögen,<lb/> das ist die wahre Weisheit. Was jenseits der Erfahrungsmöglichkeit liegt,<lb/> mag man ruhig Gott nennen, nur soll man nicht vergessen, daß dieser Gott</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten HI 1905 69</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0473]
Ldelegoisten
gleich den übrigen Einwohnern teil, haben davon dieselben Vorteile, denselben
Nutzen; aber an Staatssteuern zahlen sie nichts, dadurch wird aber indirekt
wieder die Erhöhung der Staatssteuern bewirkt; denn der Staat muß seine
Einrichtungen nach der Gesamtzahl seiner Einwohner treffen, kann die nicht
zahlenden Einwohner nicht ausschließen. Die zahlenden Einwohner müssen
also den Ausfall an Staatssteuern decken, d. i. mehr zahlen, als sonst not¬
wendig wäre. Die ausgleichende Gerechtigkeit kommt auch hier zu kurz. Die
preußische Steuerkasse wird auf Kosten der Steuerzahler in den andern deutschen
Staaten bereichert!
H. Brüning
Gdelegoisten
ante erklärt die Kraft und die Gesundheit des europäischen Lebens
einmal daraus, daß in Europa niemals eine einzelne Idee die
ungestörte Alleinherrschaft behauptet. Sobald eine mächtig wird,
tritt ihr eine andre feindlich gegenüber, und das Ringen der Ver-
! treter der beiden Gegnerinnen um den Sieg schützt vor dem Ein¬
schlafen und vor Verknöcherung. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
hat unter anderm die sozialistische Strömung einen Persönlichkeitskultus geweckt,
dessen auffälligste Blüten bei den Nietzschianern und Jbseniten bewiesen, daß
die berechtigte Opposition schon ebenso wie die Gegenströmung ins Krankhafte
ausgeartet war. Selbstverständlich mußte zugleich statt des Altruismus, wie
die Sozialwissenschaft die christliche Nächstenliebe umzutaufen beliebte, der
Egoismus das Feldgeschrei werden, das jedoch seines unmusikalischen Klanges
wegen mehr in den Herzen als auf der Straße und in Volksversammlungen
angestimmt wurde. Ein neuer Versuch, den alten Epikur in zeitgemäßer Form
wieder zu beleben, zeichnet sich durch Gründlichkeit, Verständigkeit und Origi¬
nalität aus: Die Tugend des Genusses von Allostis <Jena, Hermann
Costenoble, 1904).
Die philosophische Grundlage schafft sich der Verfasser durch eine Ver¬
urteilung der Philosophie in Bausch und Bogen. Daß aus unorganischen
Stoffen Organismen werden, daß Organismen anfangen zu empfinden und zu
denken, ist nicht wunderbarer, als daß Wasserstoff und Sauerstoff zusammen
Wasser bilden. Das allumfassende große Wunder besteht darin, daß es über¬
haupt Daseinsformen gibt, die Eigenschaften und Kräfte haben, die ihren Be¬
standteilen nicht innewohnen. Dieses Wunder kann kein Mensch erklären, und
darum ist es eine Torheit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wir sollen
demnach nicht fragen: Wie sind diese Erscheinungen geworden, sondern nur:
Wie sind sie beschaffen? Auf die Erklärung des Unerkennbaren verzichten und
sich auf die Erforschung dessen beschränken, was wir zu erkennen vermögen,
das ist die wahre Weisheit. Was jenseits der Erfahrungsmöglichkeit liegt,
mag man ruhig Gott nennen, nur soll man nicht vergessen, daß dieser Gott
Grenzboten HI 1905 69
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