Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Der preußische Lisenbahnfiskus und die kleinen deutschen
Staaten und deren Gemeinden

^"NW?I
/Ä^ZU> le kleinen Staaten im Deutschen Reiche sind nahe daran, in eine
finanziell unhaltbare und damit auch politisch unhaltbare Lage
zu geraten. So ungefähr klang wiederholt die Klage im deutschen
Reichstage und ebenso die Klage in der deutschen Presse aller
! Parteien, kürzlich auch in den Grenzboten. Wenn die Frage bis
dahin nicht akut geworden ist, so hat das nur der Beschluß des Bundesrath
und des Reichstags verhindert, daß im Reichshaushaltsetat die Matrikular-
beitrcige der Einzelstaciten nicht, wie es nach der Reichsverfassung hätte geschehen
sollen, entsprechend erhöht sind, daß vielmehr zur Deckung des Fehlbetrags im
Reichshaushaltsetat Jahr für Jahr neue Neichsschulden gemacht worden sind
und gemacht werden.

Die Finanznot der kleinen Staaten wirkt natürlicherweise auf die Ge¬
meinden und die Kreise zurück; sie sind durchweg, soweit nämlich nicht das Ein¬
kommen aus altüberliefertem Grundbesitz, insbesondre Forsten, die Kommunal¬
lasten erleichtert, in derselben Finanznot wie ihre Staaten, die ihnen keine
Hilfe gewähren können, sodaß die Kommunallasten schon in sehr vielen Städten
eine solche Höhe erreicht haben, daß der Zuzug von Personen, die ihren Aufent¬
halt frei wählen können, aufhört, und der Wegzug solcher meist recht leistungs¬
fähigen Personen mehr und mehr zunimmt. Es steht nun einmal für alle
diese Personen bei der Wahl des Aufenthalts die Frage nach der Höhe der
Steuern und die Frage nach den Mietpreisen an der ersten Stelle; daß diese
von den Steuern wesentlich beeinflußt werden, liegt ja auf der Hand.

Am schlimmsten scheinen die Verhältnisse für fast alle kleinen Staaten in
Thüringen zu liegen; und dasselbe ist der Fall für deren Gemeinden. Die
Staatseinkommensteuern beginnen durchweg schon bei einem Einkommen von
etwa 2000 Mark mit 3 Prozent und steigen rasch auf 4 Prozent, während
in Preußen vom Einkommen erst bei etwa 30000 Mark 3 Prozent und bei
etwa 100000 Mark 4 Prozent erhoben werden; die Folge ist, daß 100 Prozent
dieser Steuer für den Staat und 100 Prozent einer ebenso hohen Gemeinde¬
steuer in den Staaten und den Gemeinden Thüringens etwas ganz andres,
weit mehr bedeuten als in Preußen und in den preußischen Gemeinden.

Auf diese hohen Einkommensteuern wirkt nun ganz wesentlich ein Um¬
stand ein, den wir hier einmal besprechen wollen, nämlich die Unterbindung
bestimmter Einkommensteuerquellen durch die mit Preußen abgeschlossenen
Staatsverträge wegen der Eisenbahnen in den thüringischen Staaten, in denen
unsers Trachtens die preußische Eisenbahnverwaltung von Anfang an den vor-


Grenzboten III 1905 58


Der preußische Lisenbahnfiskus und die kleinen deutschen
Staaten und deren Gemeinden

^"NW?I
/Ä^ZU> le kleinen Staaten im Deutschen Reiche sind nahe daran, in eine
finanziell unhaltbare und damit auch politisch unhaltbare Lage
zu geraten. So ungefähr klang wiederholt die Klage im deutschen
Reichstage und ebenso die Klage in der deutschen Presse aller
! Parteien, kürzlich auch in den Grenzboten. Wenn die Frage bis
dahin nicht akut geworden ist, so hat das nur der Beschluß des Bundesrath
und des Reichstags verhindert, daß im Reichshaushaltsetat die Matrikular-
beitrcige der Einzelstaciten nicht, wie es nach der Reichsverfassung hätte geschehen
sollen, entsprechend erhöht sind, daß vielmehr zur Deckung des Fehlbetrags im
Reichshaushaltsetat Jahr für Jahr neue Neichsschulden gemacht worden sind
und gemacht werden.

Die Finanznot der kleinen Staaten wirkt natürlicherweise auf die Ge¬
meinden und die Kreise zurück; sie sind durchweg, soweit nämlich nicht das Ein¬
kommen aus altüberliefertem Grundbesitz, insbesondre Forsten, die Kommunal¬
lasten erleichtert, in derselben Finanznot wie ihre Staaten, die ihnen keine
Hilfe gewähren können, sodaß die Kommunallasten schon in sehr vielen Städten
eine solche Höhe erreicht haben, daß der Zuzug von Personen, die ihren Aufent¬
halt frei wählen können, aufhört, und der Wegzug solcher meist recht leistungs¬
fähigen Personen mehr und mehr zunimmt. Es steht nun einmal für alle
diese Personen bei der Wahl des Aufenthalts die Frage nach der Höhe der
Steuern und die Frage nach den Mietpreisen an der ersten Stelle; daß diese
von den Steuern wesentlich beeinflußt werden, liegt ja auf der Hand.

Am schlimmsten scheinen die Verhältnisse für fast alle kleinen Staaten in
Thüringen zu liegen; und dasselbe ist der Fall für deren Gemeinden. Die
Staatseinkommensteuern beginnen durchweg schon bei einem Einkommen von
etwa 2000 Mark mit 3 Prozent und steigen rasch auf 4 Prozent, während
in Preußen vom Einkommen erst bei etwa 30000 Mark 3 Prozent und bei
etwa 100000 Mark 4 Prozent erhoben werden; die Folge ist, daß 100 Prozent
dieser Steuer für den Staat und 100 Prozent einer ebenso hohen Gemeinde¬
steuer in den Staaten und den Gemeinden Thüringens etwas ganz andres,
weit mehr bedeuten als in Preußen und in den preußischen Gemeinden.

Auf diese hohen Einkommensteuern wirkt nun ganz wesentlich ein Um¬
stand ein, den wir hier einmal besprechen wollen, nämlich die Unterbindung
bestimmter Einkommensteuerquellen durch die mit Preußen abgeschlossenen
Staatsverträge wegen der Eisenbahnen in den thüringischen Staaten, in denen
unsers Trachtens die preußische Eisenbahnverwaltung von Anfang an den vor-


Grenzboten III 1905 58
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297984"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341881_297518/figures/grenzboten_341881_297518_297984_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der preußische Lisenbahnfiskus und die kleinen deutschen<lb/>
Staaten und deren Gemeinden</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2270"> ^"NW?I<lb/>
/Ä^ZU&gt; le kleinen Staaten im Deutschen Reiche sind nahe daran, in eine<lb/>
finanziell unhaltbare und damit auch politisch unhaltbare Lage<lb/>
zu geraten. So ungefähr klang wiederholt die Klage im deutschen<lb/>
Reichstage und ebenso die Klage in der deutschen Presse aller<lb/>
! Parteien, kürzlich auch in den Grenzboten. Wenn die Frage bis<lb/>
dahin nicht akut geworden ist, so hat das nur der Beschluß des Bundesrath<lb/>
und des Reichstags verhindert, daß im Reichshaushaltsetat die Matrikular-<lb/>
beitrcige der Einzelstaciten nicht, wie es nach der Reichsverfassung hätte geschehen<lb/>
sollen, entsprechend erhöht sind, daß vielmehr zur Deckung des Fehlbetrags im<lb/>
Reichshaushaltsetat Jahr für Jahr neue Neichsschulden gemacht worden sind<lb/>
und gemacht werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2271"> Die Finanznot der kleinen Staaten wirkt natürlicherweise auf die Ge¬<lb/>
meinden und die Kreise zurück; sie sind durchweg, soweit nämlich nicht das Ein¬<lb/>
kommen aus altüberliefertem Grundbesitz, insbesondre Forsten, die Kommunal¬<lb/>
lasten erleichtert, in derselben Finanznot wie ihre Staaten, die ihnen keine<lb/>
Hilfe gewähren können, sodaß die Kommunallasten schon in sehr vielen Städten<lb/>
eine solche Höhe erreicht haben, daß der Zuzug von Personen, die ihren Aufent¬<lb/>
halt frei wählen können, aufhört, und der Wegzug solcher meist recht leistungs¬<lb/>
fähigen Personen mehr und mehr zunimmt. Es steht nun einmal für alle<lb/>
diese Personen bei der Wahl des Aufenthalts die Frage nach der Höhe der<lb/>
Steuern und die Frage nach den Mietpreisen an der ersten Stelle; daß diese<lb/>
von den Steuern wesentlich beeinflußt werden, liegt ja auf der Hand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2272"> Am schlimmsten scheinen die Verhältnisse für fast alle kleinen Staaten in<lb/>
Thüringen zu liegen; und dasselbe ist der Fall für deren Gemeinden. Die<lb/>
Staatseinkommensteuern beginnen durchweg schon bei einem Einkommen von<lb/>
etwa 2000 Mark mit 3 Prozent und steigen rasch auf 4 Prozent, während<lb/>
in Preußen vom Einkommen erst bei etwa 30000 Mark 3 Prozent und bei<lb/>
etwa 100000 Mark 4 Prozent erhoben werden; die Folge ist, daß 100 Prozent<lb/>
dieser Steuer für den Staat und 100 Prozent einer ebenso hohen Gemeinde¬<lb/>
steuer in den Staaten und den Gemeinden Thüringens etwas ganz andres,<lb/>
weit mehr bedeuten als in Preußen und in den preußischen Gemeinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2273" next="#ID_2274"> Auf diese hohen Einkommensteuern wirkt nun ganz wesentlich ein Um¬<lb/>
stand ein, den wir hier einmal besprechen wollen, nämlich die Unterbindung<lb/>
bestimmter Einkommensteuerquellen durch die mit Preußen abgeschlossenen<lb/>
Staatsverträge wegen der Eisenbahnen in den thüringischen Staaten, in denen<lb/>
unsers Trachtens die preußische Eisenbahnverwaltung von Anfang an den vor-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1905 58</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] [Abbildung] Der preußische Lisenbahnfiskus und die kleinen deutschen Staaten und deren Gemeinden ^"NW?I /Ä^ZU> le kleinen Staaten im Deutschen Reiche sind nahe daran, in eine finanziell unhaltbare und damit auch politisch unhaltbare Lage zu geraten. So ungefähr klang wiederholt die Klage im deutschen Reichstage und ebenso die Klage in der deutschen Presse aller ! Parteien, kürzlich auch in den Grenzboten. Wenn die Frage bis dahin nicht akut geworden ist, so hat das nur der Beschluß des Bundesrath und des Reichstags verhindert, daß im Reichshaushaltsetat die Matrikular- beitrcige der Einzelstaciten nicht, wie es nach der Reichsverfassung hätte geschehen sollen, entsprechend erhöht sind, daß vielmehr zur Deckung des Fehlbetrags im Reichshaushaltsetat Jahr für Jahr neue Neichsschulden gemacht worden sind und gemacht werden. Die Finanznot der kleinen Staaten wirkt natürlicherweise auf die Ge¬ meinden und die Kreise zurück; sie sind durchweg, soweit nämlich nicht das Ein¬ kommen aus altüberliefertem Grundbesitz, insbesondre Forsten, die Kommunal¬ lasten erleichtert, in derselben Finanznot wie ihre Staaten, die ihnen keine Hilfe gewähren können, sodaß die Kommunallasten schon in sehr vielen Städten eine solche Höhe erreicht haben, daß der Zuzug von Personen, die ihren Aufent¬ halt frei wählen können, aufhört, und der Wegzug solcher meist recht leistungs¬ fähigen Personen mehr und mehr zunimmt. Es steht nun einmal für alle diese Personen bei der Wahl des Aufenthalts die Frage nach der Höhe der Steuern und die Frage nach den Mietpreisen an der ersten Stelle; daß diese von den Steuern wesentlich beeinflußt werden, liegt ja auf der Hand. Am schlimmsten scheinen die Verhältnisse für fast alle kleinen Staaten in Thüringen zu liegen; und dasselbe ist der Fall für deren Gemeinden. Die Staatseinkommensteuern beginnen durchweg schon bei einem Einkommen von etwa 2000 Mark mit 3 Prozent und steigen rasch auf 4 Prozent, während in Preußen vom Einkommen erst bei etwa 30000 Mark 3 Prozent und bei etwa 100000 Mark 4 Prozent erhoben werden; die Folge ist, daß 100 Prozent dieser Steuer für den Staat und 100 Prozent einer ebenso hohen Gemeinde¬ steuer in den Staaten und den Gemeinden Thüringens etwas ganz andres, weit mehr bedeuten als in Preußen und in den preußischen Gemeinden. Auf diese hohen Einkommensteuern wirkt nun ganz wesentlich ein Um¬ stand ein, den wir hier einmal besprechen wollen, nämlich die Unterbindung bestimmter Einkommensteuerquellen durch die mit Preußen abgeschlossenen Staatsverträge wegen der Eisenbahnen in den thüringischen Staaten, in denen unsers Trachtens die preußische Eisenbahnverwaltung von Anfang an den vor- Grenzboten III 1905 58

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/465>, abgerufen am 27.09.2024.