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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Schulfragen

sagt: "Einochsen und Einbüffeln. . . hat Halbbildung und Einseitigkeit zur
Folge und züchtet den Bureaukratismus groß, von dem der bekannte Spott¬
vers gilt:

Das ist ja, wird mancher erwidern, für die meisten Sterblichen das er¬
strebte, ersehnte Ziel, mehr will ja selten einer, es reicht aus, "etwas" zu
werden. Ganz richtig, leider Gottes ist es so, aber es glückt nicht immer, nur
diese Tagelöhnerstellung zu erreichen und das geistige Banausentum zu mehren,
viele gehn über Bord oder werden Hauslehrer oder sonst etwas. Das Kapital,
das die Eltern in ihnen angelegt haben, hat sich nicht nur nicht verzinst, es
ist nutzlos dahingeopfert. Das machen die "Lernanstalten" und ihre Leiter
und Oberleiter -- wenig Frende für den Lehrer, der es redlich meint!

Wie schön, wenn auch hier schon das apollinische ?"^rov der Leit¬
stern wäre und nicht der Erfolg; wie herrlich, wenn auch heute noch von jedem
höhern Lehrer verlangt würde, was F. A. Wolf verlangte: "Habe Geist und suche
Geist zu wecken." Heute lautet die Forderung: "Habe Erfolg" -- wir leben
ja in dem Zeitalter des Grundsatzes, daß der Zweck die Mittel heiligt. Die
stille, gründliche, ehrliche Arbeit wird nicht gewertet, wenn nicht ein glänzender
Erfolg zu sehen ist. Wie bescheiden muß hier in der Regel der Lehrer des
Deutschen, der Lehrer der alten Sprachen zurücktreten! Wie oft ist er gerade
allein das Opfer bei Revisionen, bei der Reifeprüfung usw., wie einseitig und
unbillig ist unser Regiment! Was die Behörde nicht versteht, das läßt sie
ungeschoren, geht still vorüber an den Männern, die Erfolge machen und haben,
^soo-^os ja sie läßt sich x für u vormachen und freut sich über den
"flotten Ton." Wo es aber nicht so flott geht, wo es stockt und hapert, wo
nicht bloß Auswendiggelerntes "wiederzugeben," sondern etwas aus eigner
Kraft zu leisten ist -- das sällt den meisten Schülern schwer --, da treffen
die Vorwürfe des Herrn Revisors, mündlich und schriftlich in g-cels, die ver¬
haßten Philologen. Hören wir darüber Matthias selbst, den kompetentesten
Richter:

"Ist es erfreulich, den Tag der Abiturientenprüfung zu einer Art von
"lies iras äiss nig. auszugestalten? An solchen Tagen soll Vertrauen gegen
Vertrauen herrschen und Freude da, wo sie hingehört und verlangt werden
darf, nicht aber Mißtrauen, wo es übel angebracht ist, und keine harte Kritik
an Lehrern und Schülern, die ihre Pflicht getan, aber dem Examen ihren
Schmerzeustribut durch weniger gute Leistungen haben zahlen müssen, wie das
in der Natur der Dinge liegt. Auch mangelhafte Leistungen und schließlich
auch gänzlichen Durchfall eines Schülers kann Wohlwollen begleiten, wenn
kein Betrug oder keine gröbliche Nachlässigkeit erwiesen ist. Das hebt die
Ehrlichkeit der Arbeit! -- Und noch etwas, was die Freude stört. Muß die
Kritik bei Revisionen und Prüfungen immer so öffentlich geübt werden? Gibt
es nicht irgendwo eine stille Stätte, wo man Auge in Auge sagen kann, was
man an Ausstellungen und Tadel auf dem Herzen hat? In solchen zurück¬
gezognen Zwiegesprächen erfährt man oft sehr wichtige Dinge und kann tief


Schulfragen

sagt: „Einochsen und Einbüffeln. . . hat Halbbildung und Einseitigkeit zur
Folge und züchtet den Bureaukratismus groß, von dem der bekannte Spott¬
vers gilt:

Das ist ja, wird mancher erwidern, für die meisten Sterblichen das er¬
strebte, ersehnte Ziel, mehr will ja selten einer, es reicht aus, „etwas" zu
werden. Ganz richtig, leider Gottes ist es so, aber es glückt nicht immer, nur
diese Tagelöhnerstellung zu erreichen und das geistige Banausentum zu mehren,
viele gehn über Bord oder werden Hauslehrer oder sonst etwas. Das Kapital,
das die Eltern in ihnen angelegt haben, hat sich nicht nur nicht verzinst, es
ist nutzlos dahingeopfert. Das machen die „Lernanstalten" und ihre Leiter
und Oberleiter — wenig Frende für den Lehrer, der es redlich meint!

Wie schön, wenn auch hier schon das apollinische ?«^rov der Leit¬
stern wäre und nicht der Erfolg; wie herrlich, wenn auch heute noch von jedem
höhern Lehrer verlangt würde, was F. A. Wolf verlangte: „Habe Geist und suche
Geist zu wecken." Heute lautet die Forderung: „Habe Erfolg" — wir leben
ja in dem Zeitalter des Grundsatzes, daß der Zweck die Mittel heiligt. Die
stille, gründliche, ehrliche Arbeit wird nicht gewertet, wenn nicht ein glänzender
Erfolg zu sehen ist. Wie bescheiden muß hier in der Regel der Lehrer des
Deutschen, der Lehrer der alten Sprachen zurücktreten! Wie oft ist er gerade
allein das Opfer bei Revisionen, bei der Reifeprüfung usw., wie einseitig und
unbillig ist unser Regiment! Was die Behörde nicht versteht, das läßt sie
ungeschoren, geht still vorüber an den Männern, die Erfolge machen und haben,
^soo-^os ja sie läßt sich x für u vormachen und freut sich über den
„flotten Ton." Wo es aber nicht so flott geht, wo es stockt und hapert, wo
nicht bloß Auswendiggelerntes „wiederzugeben," sondern etwas aus eigner
Kraft zu leisten ist — das sällt den meisten Schülern schwer —, da treffen
die Vorwürfe des Herrn Revisors, mündlich und schriftlich in g-cels, die ver¬
haßten Philologen. Hören wir darüber Matthias selbst, den kompetentesten
Richter:

„Ist es erfreulich, den Tag der Abiturientenprüfung zu einer Art von
«lies iras äiss nig. auszugestalten? An solchen Tagen soll Vertrauen gegen
Vertrauen herrschen und Freude da, wo sie hingehört und verlangt werden
darf, nicht aber Mißtrauen, wo es übel angebracht ist, und keine harte Kritik
an Lehrern und Schülern, die ihre Pflicht getan, aber dem Examen ihren
Schmerzeustribut durch weniger gute Leistungen haben zahlen müssen, wie das
in der Natur der Dinge liegt. Auch mangelhafte Leistungen und schließlich
auch gänzlichen Durchfall eines Schülers kann Wohlwollen begleiten, wenn
kein Betrug oder keine gröbliche Nachlässigkeit erwiesen ist. Das hebt die
Ehrlichkeit der Arbeit! — Und noch etwas, was die Freude stört. Muß die
Kritik bei Revisionen und Prüfungen immer so öffentlich geübt werden? Gibt
es nicht irgendwo eine stille Stätte, wo man Auge in Auge sagen kann, was
man an Ausstellungen und Tadel auf dem Herzen hat? In solchen zurück¬
gezognen Zwiegesprächen erfährt man oft sehr wichtige Dinge und kann tief


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[0423] Schulfragen sagt: „Einochsen und Einbüffeln. . . hat Halbbildung und Einseitigkeit zur Folge und züchtet den Bureaukratismus groß, von dem der bekannte Spott¬ vers gilt: Das ist ja, wird mancher erwidern, für die meisten Sterblichen das er¬ strebte, ersehnte Ziel, mehr will ja selten einer, es reicht aus, „etwas" zu werden. Ganz richtig, leider Gottes ist es so, aber es glückt nicht immer, nur diese Tagelöhnerstellung zu erreichen und das geistige Banausentum zu mehren, viele gehn über Bord oder werden Hauslehrer oder sonst etwas. Das Kapital, das die Eltern in ihnen angelegt haben, hat sich nicht nur nicht verzinst, es ist nutzlos dahingeopfert. Das machen die „Lernanstalten" und ihre Leiter und Oberleiter — wenig Frende für den Lehrer, der es redlich meint! Wie schön, wenn auch hier schon das apollinische ?«^rov der Leit¬ stern wäre und nicht der Erfolg; wie herrlich, wenn auch heute noch von jedem höhern Lehrer verlangt würde, was F. A. Wolf verlangte: „Habe Geist und suche Geist zu wecken." Heute lautet die Forderung: „Habe Erfolg" — wir leben ja in dem Zeitalter des Grundsatzes, daß der Zweck die Mittel heiligt. Die stille, gründliche, ehrliche Arbeit wird nicht gewertet, wenn nicht ein glänzender Erfolg zu sehen ist. Wie bescheiden muß hier in der Regel der Lehrer des Deutschen, der Lehrer der alten Sprachen zurücktreten! Wie oft ist er gerade allein das Opfer bei Revisionen, bei der Reifeprüfung usw., wie einseitig und unbillig ist unser Regiment! Was die Behörde nicht versteht, das läßt sie ungeschoren, geht still vorüber an den Männern, die Erfolge machen und haben, ^soo-^os ja sie läßt sich x für u vormachen und freut sich über den „flotten Ton." Wo es aber nicht so flott geht, wo es stockt und hapert, wo nicht bloß Auswendiggelerntes „wiederzugeben," sondern etwas aus eigner Kraft zu leisten ist — das sällt den meisten Schülern schwer —, da treffen die Vorwürfe des Herrn Revisors, mündlich und schriftlich in g-cels, die ver¬ haßten Philologen. Hören wir darüber Matthias selbst, den kompetentesten Richter: „Ist es erfreulich, den Tag der Abiturientenprüfung zu einer Art von «lies iras äiss nig. auszugestalten? An solchen Tagen soll Vertrauen gegen Vertrauen herrschen und Freude da, wo sie hingehört und verlangt werden darf, nicht aber Mißtrauen, wo es übel angebracht ist, und keine harte Kritik an Lehrern und Schülern, die ihre Pflicht getan, aber dem Examen ihren Schmerzeustribut durch weniger gute Leistungen haben zahlen müssen, wie das in der Natur der Dinge liegt. Auch mangelhafte Leistungen und schließlich auch gänzlichen Durchfall eines Schülers kann Wohlwollen begleiten, wenn kein Betrug oder keine gröbliche Nachlässigkeit erwiesen ist. Das hebt die Ehrlichkeit der Arbeit! — Und noch etwas, was die Freude stört. Muß die Kritik bei Revisionen und Prüfungen immer so öffentlich geübt werden? Gibt es nicht irgendwo eine stille Stätte, wo man Auge in Auge sagen kann, was man an Ausstellungen und Tadel auf dem Herzen hat? In solchen zurück¬ gezognen Zwiegesprächen erfährt man oft sehr wichtige Dinge und kann tief

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/423>, abgerufen am 27.09.2024.