Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Schulfragen

Jena, oder sich künstlich eine Fronde zu schaffen, indem man sie mit Nahrungs¬
sorgen ins Leben hinausstößt. Zweitens muß wenigstens dem Oberleutnant
eine Gehaltserhöhung von 600 Mark zugebilligt werden. Damit wird er dem
im Zivildienst stehenden Altersgenossen, wie oben nachgewiesen worden ist,
noch lange nicht gleichgestellt, aber er kann doch eine anständige, obwohl be¬
scheidne Existenz aus dem Eignen führen. Bei 5000 bis 6000 Offizieren
dieses Ranges würde es sich um 3^ Millionen Mark jährlich handeln -- oder
will der Reichstag warten, bis ein unglücklicher Krieg dem deutschen Volke,
von dem unmittelbaren Einsatz abgesehen, 5 Milliarden kostet?

Mit einer "Zulage für bedürftige Offiziere," das muß noch ausdrücklich
bemerkt werden, ist es nicht getan. Die Idee des Fürsten Henckel von Donners-
marck, ein Zehnmillionenkapital mit Hilfe der "Hochfinanz" aufzubringen und
dem Kaiser zur Verfügung zu stellen, ist gewiß gut gemeint, aber glücklich war
sie nicht. Denn die Armut kann sich in jedem Stande mit Ehren behaupten
und die höchste Achtung auch der Wohlhabenden erringen, wenn sie schweigen
darf. Sich vor den Kameraden und vor der Öffentlichkeit dazu bekennen zu
müssen, ist eine Demütigung, die der deutsche Offizier am wenigsten ertragen
wird. Er kann sich nur zwei Dinge gefallen lassen: die Gnade seines Landes¬
herrn oder die Gewährung seines Rechts durch die Volksvertretung. Und es
wird höchste Zeit, daß sich der deutsche Reichstag auf dieses Recht und seine
H- ^- Pflicht besinnt. _




Hchulfragen
^. Die Überbürdung auf den höhern Schulen

arch den Erlaß des deutschen Kaisers vom 26. November 1900,
ferner durch die unterm 29. Mai 1901 veröffentlichten neuen
"Lehrpläne und Lehraufgaben für die höhern Schulen in Preußen,"
endlich durch die verschiednen Erlasse, die sich mit der Gleich-
I berechtigung der Abiturienten der drei höhern Schulgattungen be¬
schäftigen, schien die Schulreform zu einem gewissen Abschluß gekommen zu sein.
Zwar sind auch in Preußen noch nicht alle Wünsche für die Gleichberechtigung
erfüllt, zwar sträuben sich noch einige deutsche Bundesstaaten gegen die Ge¬
währung der in Preußen zu Recht bestehenden Gleichberechtigung, aber das sind
Kleinigkeiten, die den Gang der Dinge nicht aufzuhalten vermögen, und die bald
verschwinden werden. Wenn auch manche Leute, Lehrer wie Laien, mit dem
Inhalt der oben genannten Verfügungen nicht durchweg einverstanden waren,
so hofften sie wenigstens, daß endlich der lange, verderbliche Streit um die
höhern Schulen, insbesondre der Angriff auf das vielgeschmähte Gymnasium mit
seinem Berechtigungsmonopol ein Ende nehmen und den Schulen die ihnen so
nötige Ruhe zu stetiger innerer Arbeit gegeben werden würde. Aber auch diese
Hoffnung ist getäuscht worden, und wenn man die Sache recht betrachtet, konnte
es gar nicht anders kommen. Denn eine große innere Reform der Lehrpläne
und des ganzen Schulbetriebs fehlt uns anch heute noch; dadurch, daß man dem


Schulfragen

Jena, oder sich künstlich eine Fronde zu schaffen, indem man sie mit Nahrungs¬
sorgen ins Leben hinausstößt. Zweitens muß wenigstens dem Oberleutnant
eine Gehaltserhöhung von 600 Mark zugebilligt werden. Damit wird er dem
im Zivildienst stehenden Altersgenossen, wie oben nachgewiesen worden ist,
noch lange nicht gleichgestellt, aber er kann doch eine anständige, obwohl be¬
scheidne Existenz aus dem Eignen führen. Bei 5000 bis 6000 Offizieren
dieses Ranges würde es sich um 3^ Millionen Mark jährlich handeln — oder
will der Reichstag warten, bis ein unglücklicher Krieg dem deutschen Volke,
von dem unmittelbaren Einsatz abgesehen, 5 Milliarden kostet?

Mit einer „Zulage für bedürftige Offiziere," das muß noch ausdrücklich
bemerkt werden, ist es nicht getan. Die Idee des Fürsten Henckel von Donners-
marck, ein Zehnmillionenkapital mit Hilfe der „Hochfinanz" aufzubringen und
dem Kaiser zur Verfügung zu stellen, ist gewiß gut gemeint, aber glücklich war
sie nicht. Denn die Armut kann sich in jedem Stande mit Ehren behaupten
und die höchste Achtung auch der Wohlhabenden erringen, wenn sie schweigen
darf. Sich vor den Kameraden und vor der Öffentlichkeit dazu bekennen zu
müssen, ist eine Demütigung, die der deutsche Offizier am wenigsten ertragen
wird. Er kann sich nur zwei Dinge gefallen lassen: die Gnade seines Landes¬
herrn oder die Gewährung seines Rechts durch die Volksvertretung. Und es
wird höchste Zeit, daß sich der deutsche Reichstag auf dieses Recht und seine
H- ^- Pflicht besinnt. _




Hchulfragen
^. Die Überbürdung auf den höhern Schulen

arch den Erlaß des deutschen Kaisers vom 26. November 1900,
ferner durch die unterm 29. Mai 1901 veröffentlichten neuen
„Lehrpläne und Lehraufgaben für die höhern Schulen in Preußen,"
endlich durch die verschiednen Erlasse, die sich mit der Gleich-
I berechtigung der Abiturienten der drei höhern Schulgattungen be¬
schäftigen, schien die Schulreform zu einem gewissen Abschluß gekommen zu sein.
Zwar sind auch in Preußen noch nicht alle Wünsche für die Gleichberechtigung
erfüllt, zwar sträuben sich noch einige deutsche Bundesstaaten gegen die Ge¬
währung der in Preußen zu Recht bestehenden Gleichberechtigung, aber das sind
Kleinigkeiten, die den Gang der Dinge nicht aufzuhalten vermögen, und die bald
verschwinden werden. Wenn auch manche Leute, Lehrer wie Laien, mit dem
Inhalt der oben genannten Verfügungen nicht durchweg einverstanden waren,
so hofften sie wenigstens, daß endlich der lange, verderbliche Streit um die
höhern Schulen, insbesondre der Angriff auf das vielgeschmähte Gymnasium mit
seinem Berechtigungsmonopol ein Ende nehmen und den Schulen die ihnen so
nötige Ruhe zu stetiger innerer Arbeit gegeben werden würde. Aber auch diese
Hoffnung ist getäuscht worden, und wenn man die Sache recht betrachtet, konnte
es gar nicht anders kommen. Denn eine große innere Reform der Lehrpläne
und des ganzen Schulbetriebs fehlt uns anch heute noch; dadurch, daß man dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0408" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297927"/>
          <fw type="header" place="top"> Schulfragen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1949" prev="#ID_1948"> Jena, oder sich künstlich eine Fronde zu schaffen, indem man sie mit Nahrungs¬<lb/>
sorgen ins Leben hinausstößt. Zweitens muß wenigstens dem Oberleutnant<lb/>
eine Gehaltserhöhung von 600 Mark zugebilligt werden. Damit wird er dem<lb/>
im Zivildienst stehenden Altersgenossen, wie oben nachgewiesen worden ist,<lb/>
noch lange nicht gleichgestellt, aber er kann doch eine anständige, obwohl be¬<lb/>
scheidne Existenz aus dem Eignen führen. Bei 5000 bis 6000 Offizieren<lb/>
dieses Ranges würde es sich um 3^ Millionen Mark jährlich handeln &#x2014; oder<lb/>
will der Reichstag warten, bis ein unglücklicher Krieg dem deutschen Volke,<lb/>
von dem unmittelbaren Einsatz abgesehen, 5 Milliarden kostet?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1950"> Mit einer &#x201E;Zulage für bedürftige Offiziere," das muß noch ausdrücklich<lb/>
bemerkt werden, ist es nicht getan. Die Idee des Fürsten Henckel von Donners-<lb/>
marck, ein Zehnmillionenkapital mit Hilfe der &#x201E;Hochfinanz" aufzubringen und<lb/>
dem Kaiser zur Verfügung zu stellen, ist gewiß gut gemeint, aber glücklich war<lb/>
sie nicht. Denn die Armut kann sich in jedem Stande mit Ehren behaupten<lb/>
und die höchste Achtung auch der Wohlhabenden erringen, wenn sie schweigen<lb/>
darf. Sich vor den Kameraden und vor der Öffentlichkeit dazu bekennen zu<lb/>
müssen, ist eine Demütigung, die der deutsche Offizier am wenigsten ertragen<lb/>
wird. Er kann sich nur zwei Dinge gefallen lassen: die Gnade seines Landes¬<lb/>
herrn oder die Gewährung seines Rechts durch die Volksvertretung. Und es<lb/>
wird höchste Zeit, daß sich der deutsche Reichstag auf dieses Recht und seine<lb/><note type="byline"> H- ^-</note> Pflicht besinnt. _ </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hchulfragen</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> ^. Die Überbürdung auf den höhern Schulen</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1951" next="#ID_1952"> arch den Erlaß des deutschen Kaisers vom 26. November 1900,<lb/>
ferner durch die unterm 29. Mai 1901 veröffentlichten neuen<lb/>
&#x201E;Lehrpläne und Lehraufgaben für die höhern Schulen in Preußen,"<lb/>
endlich durch die verschiednen Erlasse, die sich mit der Gleich-<lb/>
I berechtigung der Abiturienten der drei höhern Schulgattungen be¬<lb/>
schäftigen, schien die Schulreform zu einem gewissen Abschluß gekommen zu sein.<lb/>
Zwar sind auch in Preußen noch nicht alle Wünsche für die Gleichberechtigung<lb/>
erfüllt, zwar sträuben sich noch einige deutsche Bundesstaaten gegen die Ge¬<lb/>
währung der in Preußen zu Recht bestehenden Gleichberechtigung, aber das sind<lb/>
Kleinigkeiten, die den Gang der Dinge nicht aufzuhalten vermögen, und die bald<lb/>
verschwinden werden. Wenn auch manche Leute, Lehrer wie Laien, mit dem<lb/>
Inhalt der oben genannten Verfügungen nicht durchweg einverstanden waren,<lb/>
so hofften sie wenigstens, daß endlich der lange, verderbliche Streit um die<lb/>
höhern Schulen, insbesondre der Angriff auf das vielgeschmähte Gymnasium mit<lb/>
seinem Berechtigungsmonopol ein Ende nehmen und den Schulen die ihnen so<lb/>
nötige Ruhe zu stetiger innerer Arbeit gegeben werden würde. Aber auch diese<lb/>
Hoffnung ist getäuscht worden, und wenn man die Sache recht betrachtet, konnte<lb/>
es gar nicht anders kommen. Denn eine große innere Reform der Lehrpläne<lb/>
und des ganzen Schulbetriebs fehlt uns anch heute noch; dadurch, daß man dem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0408] Schulfragen Jena, oder sich künstlich eine Fronde zu schaffen, indem man sie mit Nahrungs¬ sorgen ins Leben hinausstößt. Zweitens muß wenigstens dem Oberleutnant eine Gehaltserhöhung von 600 Mark zugebilligt werden. Damit wird er dem im Zivildienst stehenden Altersgenossen, wie oben nachgewiesen worden ist, noch lange nicht gleichgestellt, aber er kann doch eine anständige, obwohl be¬ scheidne Existenz aus dem Eignen führen. Bei 5000 bis 6000 Offizieren dieses Ranges würde es sich um 3^ Millionen Mark jährlich handeln — oder will der Reichstag warten, bis ein unglücklicher Krieg dem deutschen Volke, von dem unmittelbaren Einsatz abgesehen, 5 Milliarden kostet? Mit einer „Zulage für bedürftige Offiziere," das muß noch ausdrücklich bemerkt werden, ist es nicht getan. Die Idee des Fürsten Henckel von Donners- marck, ein Zehnmillionenkapital mit Hilfe der „Hochfinanz" aufzubringen und dem Kaiser zur Verfügung zu stellen, ist gewiß gut gemeint, aber glücklich war sie nicht. Denn die Armut kann sich in jedem Stande mit Ehren behaupten und die höchste Achtung auch der Wohlhabenden erringen, wenn sie schweigen darf. Sich vor den Kameraden und vor der Öffentlichkeit dazu bekennen zu müssen, ist eine Demütigung, die der deutsche Offizier am wenigsten ertragen wird. Er kann sich nur zwei Dinge gefallen lassen: die Gnade seines Landes¬ herrn oder die Gewährung seines Rechts durch die Volksvertretung. Und es wird höchste Zeit, daß sich der deutsche Reichstag auf dieses Recht und seine H- ^- Pflicht besinnt. _ Hchulfragen ^. Die Überbürdung auf den höhern Schulen arch den Erlaß des deutschen Kaisers vom 26. November 1900, ferner durch die unterm 29. Mai 1901 veröffentlichten neuen „Lehrpläne und Lehraufgaben für die höhern Schulen in Preußen," endlich durch die verschiednen Erlasse, die sich mit der Gleich- I berechtigung der Abiturienten der drei höhern Schulgattungen be¬ schäftigen, schien die Schulreform zu einem gewissen Abschluß gekommen zu sein. Zwar sind auch in Preußen noch nicht alle Wünsche für die Gleichberechtigung erfüllt, zwar sträuben sich noch einige deutsche Bundesstaaten gegen die Ge¬ währung der in Preußen zu Recht bestehenden Gleichberechtigung, aber das sind Kleinigkeiten, die den Gang der Dinge nicht aufzuhalten vermögen, und die bald verschwinden werden. Wenn auch manche Leute, Lehrer wie Laien, mit dem Inhalt der oben genannten Verfügungen nicht durchweg einverstanden waren, so hofften sie wenigstens, daß endlich der lange, verderbliche Streit um die höhern Schulen, insbesondre der Angriff auf das vielgeschmähte Gymnasium mit seinem Berechtigungsmonopol ein Ende nehmen und den Schulen die ihnen so nötige Ruhe zu stetiger innerer Arbeit gegeben werden würde. Aber auch diese Hoffnung ist getäuscht worden, und wenn man die Sache recht betrachtet, konnte es gar nicht anders kommen. Denn eine große innere Reform der Lehrpläne und des ganzen Schulbetriebs fehlt uns anch heute noch; dadurch, daß man dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/408
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/408>, abgerufen am 27.09.2024.