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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft unsers Offizierstandes

er an sich vortreffliche Aufsatz in Nummer 25 dieses Jahrgangs
"Vom Avancement" erschöpft die Frage noch nicht. Mit Rück¬
sicht auf ihre Wichtigkeit für die Zukunft des deutschen Heeres
und damit des Vaterlandes sei es erlaubt, nochmals auf sie
zurückzukommen. Vielleicht gelingt es gemeinsamen Bemühungen,
einer in weiten Kreisen herrschenden Unkenntnis oder Verblendung ein Ende
zu machen.

Ich gehe von einem konkreten Beispiel aus. Der Sohn einer mir be¬
kannten Familie entschied sich als Primaner für die militärische Laufbahn.
Vielmehr: er hatte seinen Wunsch bis dahin unterdrückt, weil er sich infolge
einer schweren im fünfzehnten Lebensjahr überstandnen Krankheit, auch nach
dem Ausspruch des Arztes, für körperlich untüchtig hielt. Das Gefühl wieder
erstarkender Kraft drängte ihm dann das heimliche Verlangen auf die Lippen
zur Überraschung der Seinigen. Aber zunächst mußte das Abiturientenexamen
abgelegt werden, darauf bestanden Vater und Sohn. Den Ausfall der Prüfung
charakterisiert das Wort des königlichen Kommissars: "Ein solches Zeugnis
habe ich doch noch nicht unterschrieben!" Im nächstfolgenden Sommer bestand
der junge Mann sein militärisches Examen mit dem Prädikat "Vorzüglich,"
also mit "Allerhöchster Belobigung," und sein Regimentskommandeur schickte
ihm den Degen vor der Offizierswahl. Gegen Ende des zweiten Leutnants¬
jahres wurde er nach China kommandiert als einer der Jüngsten des gesamten
Expeditionskorps. Mit zwei Schwerterorden dekoriert kehrte er in die Heimat
zurück, körperlich nicht ganz intakt, weshalb er nach vierjähriger Offizierszeit
aus der Front auf einen Adjutantenposten kommandiert wurde, der sonst in
der Regel einem Oberleutnant, ausnahmsweise einem ältern Leutnant zufällt,
diesesmal als der Jüngste in der ganzen Armee.

Ein Blick auf diese Laufbahn beweist, daß der junge Mann alles erfahren
hat, was ihm eine glänzende Zukunft verbürgen sollte: das Wohlwollen seiner
Vorgesetzten, die Gnade seines Kriegsherrn und daneben ein reichliches Teil
Soldatenglück. Nun aber die Kehrseite der Medaille! Um einen vorzeitigen
Abgang zur Universität zu verhindern, hatte ihn sein Vater trotz der erfolgten


Grenzboten III 1905 SO


Die Zukunft unsers Offizierstandes

er an sich vortreffliche Aufsatz in Nummer 25 dieses Jahrgangs
„Vom Avancement" erschöpft die Frage noch nicht. Mit Rück¬
sicht auf ihre Wichtigkeit für die Zukunft des deutschen Heeres
und damit des Vaterlandes sei es erlaubt, nochmals auf sie
zurückzukommen. Vielleicht gelingt es gemeinsamen Bemühungen,
einer in weiten Kreisen herrschenden Unkenntnis oder Verblendung ein Ende
zu machen.

Ich gehe von einem konkreten Beispiel aus. Der Sohn einer mir be¬
kannten Familie entschied sich als Primaner für die militärische Laufbahn.
Vielmehr: er hatte seinen Wunsch bis dahin unterdrückt, weil er sich infolge
einer schweren im fünfzehnten Lebensjahr überstandnen Krankheit, auch nach
dem Ausspruch des Arztes, für körperlich untüchtig hielt. Das Gefühl wieder
erstarkender Kraft drängte ihm dann das heimliche Verlangen auf die Lippen
zur Überraschung der Seinigen. Aber zunächst mußte das Abiturientenexamen
abgelegt werden, darauf bestanden Vater und Sohn. Den Ausfall der Prüfung
charakterisiert das Wort des königlichen Kommissars: „Ein solches Zeugnis
habe ich doch noch nicht unterschrieben!" Im nächstfolgenden Sommer bestand
der junge Mann sein militärisches Examen mit dem Prädikat „Vorzüglich,"
also mit „Allerhöchster Belobigung," und sein Regimentskommandeur schickte
ihm den Degen vor der Offizierswahl. Gegen Ende des zweiten Leutnants¬
jahres wurde er nach China kommandiert als einer der Jüngsten des gesamten
Expeditionskorps. Mit zwei Schwerterorden dekoriert kehrte er in die Heimat
zurück, körperlich nicht ganz intakt, weshalb er nach vierjähriger Offizierszeit
aus der Front auf einen Adjutantenposten kommandiert wurde, der sonst in
der Regel einem Oberleutnant, ausnahmsweise einem ältern Leutnant zufällt,
diesesmal als der Jüngste in der ganzen Armee.

Ein Blick auf diese Laufbahn beweist, daß der junge Mann alles erfahren
hat, was ihm eine glänzende Zukunft verbürgen sollte: das Wohlwollen seiner
Vorgesetzten, die Gnade seines Kriegsherrn und daneben ein reichliches Teil
Soldatenglück. Nun aber die Kehrseite der Medaille! Um einen vorzeitigen
Abgang zur Universität zu verhindern, hatte ihn sein Vater trotz der erfolgten


Grenzboten III 1905 SO
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[0401] [Abbildung] Die Zukunft unsers Offizierstandes er an sich vortreffliche Aufsatz in Nummer 25 dieses Jahrgangs „Vom Avancement" erschöpft die Frage noch nicht. Mit Rück¬ sicht auf ihre Wichtigkeit für die Zukunft des deutschen Heeres und damit des Vaterlandes sei es erlaubt, nochmals auf sie zurückzukommen. Vielleicht gelingt es gemeinsamen Bemühungen, einer in weiten Kreisen herrschenden Unkenntnis oder Verblendung ein Ende zu machen. Ich gehe von einem konkreten Beispiel aus. Der Sohn einer mir be¬ kannten Familie entschied sich als Primaner für die militärische Laufbahn. Vielmehr: er hatte seinen Wunsch bis dahin unterdrückt, weil er sich infolge einer schweren im fünfzehnten Lebensjahr überstandnen Krankheit, auch nach dem Ausspruch des Arztes, für körperlich untüchtig hielt. Das Gefühl wieder erstarkender Kraft drängte ihm dann das heimliche Verlangen auf die Lippen zur Überraschung der Seinigen. Aber zunächst mußte das Abiturientenexamen abgelegt werden, darauf bestanden Vater und Sohn. Den Ausfall der Prüfung charakterisiert das Wort des königlichen Kommissars: „Ein solches Zeugnis habe ich doch noch nicht unterschrieben!" Im nächstfolgenden Sommer bestand der junge Mann sein militärisches Examen mit dem Prädikat „Vorzüglich," also mit „Allerhöchster Belobigung," und sein Regimentskommandeur schickte ihm den Degen vor der Offizierswahl. Gegen Ende des zweiten Leutnants¬ jahres wurde er nach China kommandiert als einer der Jüngsten des gesamten Expeditionskorps. Mit zwei Schwerterorden dekoriert kehrte er in die Heimat zurück, körperlich nicht ganz intakt, weshalb er nach vierjähriger Offizierszeit aus der Front auf einen Adjutantenposten kommandiert wurde, der sonst in der Regel einem Oberleutnant, ausnahmsweise einem ältern Leutnant zufällt, diesesmal als der Jüngste in der ganzen Armee. Ein Blick auf diese Laufbahn beweist, daß der junge Mann alles erfahren hat, was ihm eine glänzende Zukunft verbürgen sollte: das Wohlwollen seiner Vorgesetzten, die Gnade seines Kriegsherrn und daneben ein reichliches Teil Soldatenglück. Nun aber die Kehrseite der Medaille! Um einen vorzeitigen Abgang zur Universität zu verhindern, hatte ihn sein Vater trotz der erfolgten Grenzboten III 1905 SO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/401>, abgerufen am 27.09.2024.