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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

boote -- 156 Schiffe. Wenn wir uns das leisten könnten, würden wir es viel
dringender für die Heimatflotte nötig haben, denn in unsrer Schlachtflotte
liegt die Entscheidung zur See.

Es gibt aber weder einen Bundesrat noch gar einen Reichstag, der das
neben dem Ausbau der Heimatflotte, oder auch nur für diese selbst, jetzt bewilligen
würde. Auch würde eine solche Flotte für Ostasien wahrscheinlich von allen Mächten
als eine Bedrohung, nicht als eine defensive Friedensbürgschaft angesehen werden.
Denn den Wert hätte Kiautschou auf absehbare Zeit für uns nicht, daß wir neben
allen andern Zuschüssen noch 50 Millionen jährlich für eine Flotte dort aufzuwenden
geneigt sein könnten. Der Herr Verfasser rechnet zwar "nur" 35 Millionen, aber
abgesehen davon, daß er auch diese nie bekommen würde, rechnet er eben viel zu
niedrig. Zu den Schiffen gehören auch die Stäbe und die Besatzungen, die Kosten
der Jndiensthaltung, die sehr hoch sind, die Kosten der Ablösuugstrausvorte, die
Erbauung von noch mindestens zwei großen Docks in Tsingtau (für 15000 Tounen-
schiffe geeignet), ferner die Errichtung einer vollständigen Werft, die Kohlen¬
vorräte, Schiffskammern, Proviant- und Munitionsvorräte, Kasernen, Lazarette,
Dienstwohnungen und Arrestlokale an Land, ein Geschützarsenal usw., sodasz min¬
destens noch 15 Millionen Mark jährlich hinzugerechnet werden müßten. Auch
im Hafen selbst wären noch zahlreiche Vorkehrungen zur Aufnahme einer so großen
Flotte zu treffen, ebenso Forts und Batterien in größerm Umfange anzulegen.
Sodann aber haben wir Stäbe und Besatzungen leider nicht vorrätig, die Offiziere
müßten erst herangezogen, die vielen Spezialisten unter den Besatzungen mühsam
ausgebildet werden. Gelänge es, hierfür die Mittel zu erhalten, so wäre es ein
Leichtsinn ohnegleichen, sie nicht für die heimische Schlachtflotte zu verwenden. Je
stärker wir zuhause sind, desto weniger wird man uns draußen inkommodieren.

Japan hat gar keine Veranlassung, sich um Kiautschous willen mit Deutsch¬
land zu überwerfen, denn unsre dortige Niederlassung würde erst zur Bedrohung,
wenn wir ein zweites Port-Arthur -- absit omsu -- daraus machen wollten.
Das freilich würden die Japaner sich wahrscheinlich nicht ohne weiteres gefallen
lassen. So lange wir das nicht tun und dem Prinzip der "offnen Tür" treu
bleiben, haben sie nicht den geringsten Grund, uns in Kiautschou und Schankung
zu belästigen. Im Gegenteil! Wir bauen ihnen dort die Eisenbahnen, auf denen
ihre Handelspioniere vorwärts dringen, und die jeder europäischen Bemühung
spottenden unverzeihlich billigen Arbeitslöhne der Japaner erobern ihnen
Handelsgebiete weit einfacher und bequemer als Flotten und Heere. Wenigstens
für alle Gegenstände, die sie selbst fabrizieren können. Für die andern sind sie
selbst Käufer und schlagen auch da wieder die europäische und die amerikanische
Konkurrenz durch viel geringere Unkosten und durch großes Maßhalten im Rein¬
gewinn. Sagte doch Balfour jüngst im Unterhause, nachdem er den Rückgang
nicht nur des deutschen, sondern auch des englischen Handels nach China konstatiert
hatte: "Mit jeder Bahn, mit der wir in das Innere Chinas eindringen, werden
wir dort auf die japanische Konkurrenz stoßen; der japanische Handel ist der einzige,
der dort entschieden vorwärts geht." Japan denkt auch gar uicht daran, ohne
Not mit noch mehr europäischen Mächten anzubinden. Es richtet seine gesamten
Schiffahrtslinien nach Europa hin ein, um seine europäischen Bedürfnisse auf
japanischen Schiffen einzuholen, wie wird es also an Krieg mit Europa denken.
Die europäischen Grossisten und Importeure, die in den chinesischen Hafenplätzen
sitzen, bedürfen der Detailverkäufer -- und das sind ihnen die Japaner. Dem
deutschen, englischen und amerikanischen Kaufmann, der ihnen die Bahn bricht,
hängen sie sich als erfolgreiche Zwischenhändler an.

Ganz abgesehen von allen politischen Motiven hat Japan also auch in seinen
wirtschaftlichen Interessen durchaus keinen Grund, einen Konflikt mit Deutschland
zu suchen oder herbeizuführen. Käme es je dazu, und die Japaner wollten sich
Tsingtaus bemächtigen, so würden sie das viel bequemer durch Landangriff als
von der Seeseite her tun. Wir können dort nicht etwa auch noch ein halbes Dutzend


Maßgebliches und Unmaßgebliches

boote — 156 Schiffe. Wenn wir uns das leisten könnten, würden wir es viel
dringender für die Heimatflotte nötig haben, denn in unsrer Schlachtflotte
liegt die Entscheidung zur See.

Es gibt aber weder einen Bundesrat noch gar einen Reichstag, der das
neben dem Ausbau der Heimatflotte, oder auch nur für diese selbst, jetzt bewilligen
würde. Auch würde eine solche Flotte für Ostasien wahrscheinlich von allen Mächten
als eine Bedrohung, nicht als eine defensive Friedensbürgschaft angesehen werden.
Denn den Wert hätte Kiautschou auf absehbare Zeit für uns nicht, daß wir neben
allen andern Zuschüssen noch 50 Millionen jährlich für eine Flotte dort aufzuwenden
geneigt sein könnten. Der Herr Verfasser rechnet zwar „nur" 35 Millionen, aber
abgesehen davon, daß er auch diese nie bekommen würde, rechnet er eben viel zu
niedrig. Zu den Schiffen gehören auch die Stäbe und die Besatzungen, die Kosten
der Jndiensthaltung, die sehr hoch sind, die Kosten der Ablösuugstrausvorte, die
Erbauung von noch mindestens zwei großen Docks in Tsingtau (für 15000 Tounen-
schiffe geeignet), ferner die Errichtung einer vollständigen Werft, die Kohlen¬
vorräte, Schiffskammern, Proviant- und Munitionsvorräte, Kasernen, Lazarette,
Dienstwohnungen und Arrestlokale an Land, ein Geschützarsenal usw., sodasz min¬
destens noch 15 Millionen Mark jährlich hinzugerechnet werden müßten. Auch
im Hafen selbst wären noch zahlreiche Vorkehrungen zur Aufnahme einer so großen
Flotte zu treffen, ebenso Forts und Batterien in größerm Umfange anzulegen.
Sodann aber haben wir Stäbe und Besatzungen leider nicht vorrätig, die Offiziere
müßten erst herangezogen, die vielen Spezialisten unter den Besatzungen mühsam
ausgebildet werden. Gelänge es, hierfür die Mittel zu erhalten, so wäre es ein
Leichtsinn ohnegleichen, sie nicht für die heimische Schlachtflotte zu verwenden. Je
stärker wir zuhause sind, desto weniger wird man uns draußen inkommodieren.

Japan hat gar keine Veranlassung, sich um Kiautschous willen mit Deutsch¬
land zu überwerfen, denn unsre dortige Niederlassung würde erst zur Bedrohung,
wenn wir ein zweites Port-Arthur — absit omsu — daraus machen wollten.
Das freilich würden die Japaner sich wahrscheinlich nicht ohne weiteres gefallen
lassen. So lange wir das nicht tun und dem Prinzip der „offnen Tür" treu
bleiben, haben sie nicht den geringsten Grund, uns in Kiautschou und Schankung
zu belästigen. Im Gegenteil! Wir bauen ihnen dort die Eisenbahnen, auf denen
ihre Handelspioniere vorwärts dringen, und die jeder europäischen Bemühung
spottenden unverzeihlich billigen Arbeitslöhne der Japaner erobern ihnen
Handelsgebiete weit einfacher und bequemer als Flotten und Heere. Wenigstens
für alle Gegenstände, die sie selbst fabrizieren können. Für die andern sind sie
selbst Käufer und schlagen auch da wieder die europäische und die amerikanische
Konkurrenz durch viel geringere Unkosten und durch großes Maßhalten im Rein¬
gewinn. Sagte doch Balfour jüngst im Unterhause, nachdem er den Rückgang
nicht nur des deutschen, sondern auch des englischen Handels nach China konstatiert
hatte: „Mit jeder Bahn, mit der wir in das Innere Chinas eindringen, werden
wir dort auf die japanische Konkurrenz stoßen; der japanische Handel ist der einzige,
der dort entschieden vorwärts geht." Japan denkt auch gar uicht daran, ohne
Not mit noch mehr europäischen Mächten anzubinden. Es richtet seine gesamten
Schiffahrtslinien nach Europa hin ein, um seine europäischen Bedürfnisse auf
japanischen Schiffen einzuholen, wie wird es also an Krieg mit Europa denken.
Die europäischen Grossisten und Importeure, die in den chinesischen Hafenplätzen
sitzen, bedürfen der Detailverkäufer — und das sind ihnen die Japaner. Dem
deutschen, englischen und amerikanischen Kaufmann, der ihnen die Bahn bricht,
hängen sie sich als erfolgreiche Zwischenhändler an.

Ganz abgesehen von allen politischen Motiven hat Japan also auch in seinen
wirtschaftlichen Interessen durchaus keinen Grund, einen Konflikt mit Deutschland
zu suchen oder herbeizuführen. Käme es je dazu, und die Japaner wollten sich
Tsingtaus bemächtigen, so würden sie das viel bequemer durch Landangriff als
von der Seeseite her tun. Wir können dort nicht etwa auch noch ein halbes Dutzend


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[0396] Maßgebliches und Unmaßgebliches boote — 156 Schiffe. Wenn wir uns das leisten könnten, würden wir es viel dringender für die Heimatflotte nötig haben, denn in unsrer Schlachtflotte liegt die Entscheidung zur See. Es gibt aber weder einen Bundesrat noch gar einen Reichstag, der das neben dem Ausbau der Heimatflotte, oder auch nur für diese selbst, jetzt bewilligen würde. Auch würde eine solche Flotte für Ostasien wahrscheinlich von allen Mächten als eine Bedrohung, nicht als eine defensive Friedensbürgschaft angesehen werden. Denn den Wert hätte Kiautschou auf absehbare Zeit für uns nicht, daß wir neben allen andern Zuschüssen noch 50 Millionen jährlich für eine Flotte dort aufzuwenden geneigt sein könnten. Der Herr Verfasser rechnet zwar „nur" 35 Millionen, aber abgesehen davon, daß er auch diese nie bekommen würde, rechnet er eben viel zu niedrig. Zu den Schiffen gehören auch die Stäbe und die Besatzungen, die Kosten der Jndiensthaltung, die sehr hoch sind, die Kosten der Ablösuugstrausvorte, die Erbauung von noch mindestens zwei großen Docks in Tsingtau (für 15000 Tounen- schiffe geeignet), ferner die Errichtung einer vollständigen Werft, die Kohlen¬ vorräte, Schiffskammern, Proviant- und Munitionsvorräte, Kasernen, Lazarette, Dienstwohnungen und Arrestlokale an Land, ein Geschützarsenal usw., sodasz min¬ destens noch 15 Millionen Mark jährlich hinzugerechnet werden müßten. Auch im Hafen selbst wären noch zahlreiche Vorkehrungen zur Aufnahme einer so großen Flotte zu treffen, ebenso Forts und Batterien in größerm Umfange anzulegen. Sodann aber haben wir Stäbe und Besatzungen leider nicht vorrätig, die Offiziere müßten erst herangezogen, die vielen Spezialisten unter den Besatzungen mühsam ausgebildet werden. Gelänge es, hierfür die Mittel zu erhalten, so wäre es ein Leichtsinn ohnegleichen, sie nicht für die heimische Schlachtflotte zu verwenden. Je stärker wir zuhause sind, desto weniger wird man uns draußen inkommodieren. Japan hat gar keine Veranlassung, sich um Kiautschous willen mit Deutsch¬ land zu überwerfen, denn unsre dortige Niederlassung würde erst zur Bedrohung, wenn wir ein zweites Port-Arthur — absit omsu — daraus machen wollten. Das freilich würden die Japaner sich wahrscheinlich nicht ohne weiteres gefallen lassen. So lange wir das nicht tun und dem Prinzip der „offnen Tür" treu bleiben, haben sie nicht den geringsten Grund, uns in Kiautschou und Schankung zu belästigen. Im Gegenteil! Wir bauen ihnen dort die Eisenbahnen, auf denen ihre Handelspioniere vorwärts dringen, und die jeder europäischen Bemühung spottenden unverzeihlich billigen Arbeitslöhne der Japaner erobern ihnen Handelsgebiete weit einfacher und bequemer als Flotten und Heere. Wenigstens für alle Gegenstände, die sie selbst fabrizieren können. Für die andern sind sie selbst Käufer und schlagen auch da wieder die europäische und die amerikanische Konkurrenz durch viel geringere Unkosten und durch großes Maßhalten im Rein¬ gewinn. Sagte doch Balfour jüngst im Unterhause, nachdem er den Rückgang nicht nur des deutschen, sondern auch des englischen Handels nach China konstatiert hatte: „Mit jeder Bahn, mit der wir in das Innere Chinas eindringen, werden wir dort auf die japanische Konkurrenz stoßen; der japanische Handel ist der einzige, der dort entschieden vorwärts geht." Japan denkt auch gar uicht daran, ohne Not mit noch mehr europäischen Mächten anzubinden. Es richtet seine gesamten Schiffahrtslinien nach Europa hin ein, um seine europäischen Bedürfnisse auf japanischen Schiffen einzuholen, wie wird es also an Krieg mit Europa denken. Die europäischen Grossisten und Importeure, die in den chinesischen Hafenplätzen sitzen, bedürfen der Detailverkäufer — und das sind ihnen die Japaner. Dem deutschen, englischen und amerikanischen Kaufmann, der ihnen die Bahn bricht, hängen sie sich als erfolgreiche Zwischenhändler an. Ganz abgesehen von allen politischen Motiven hat Japan also auch in seinen wirtschaftlichen Interessen durchaus keinen Grund, einen Konflikt mit Deutschland zu suchen oder herbeizuführen. Käme es je dazu, und die Japaner wollten sich Tsingtaus bemächtigen, so würden sie das viel bequemer durch Landangriff als von der Seeseite her tun. Wir können dort nicht etwa auch noch ein halbes Dutzend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/396>, abgerufen am 27.09.2024.