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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

und auf meine Frage, was es gebe, wurde mir zugeflüstert, der Königstiger sei
ausgebrochen und sitze unter einem der Wagen. Am Nachmittag hatte eine Hündin
gerade unter dem Käfig des Tigers geworfen, und das Gewinsel der jungen Hunde
mochte den Tiger in Aufregung versetzt haben. Er hatte den Boden seines Käfigs
durchgekratzt und sich durch das Loch auf die Hündin gestürzt, der er sogleich die
Kehle durchgebissen hatte. Das Geschrei des Hundes machte die Leute aufmerksam,
und einer davon, der den Hund zu Pflegen hatte, näherte sich im Dunkeln dessen
Lager und versuchte das Tier durch Streicheln zu beruhigen. Dabei bemerkte er
zu seinem Entsetzen, daß er statt des Hundes den Tiger streichelte, der über diese
Liebkosung mit einem unheimlichen Geknurr quittierte, worauf der Mann sich schleunigst
entfernte und Lärm schlug. Da die Bachschen Leute offenbar völlig den Kopf ver¬
loren hatten, warnte ich sie, sich mit dem Petroleumflambeau dem Tiger zu nähern,
und schlug vor, in der Dunkelheit so schnell wie möglich die Holzschranken des
dritten Platzes zu holen und um den Wagen zu stellen, wo sie dann mit Pfählen
und Stricken befestigt wurden. Wir entwickelten hierbei eine fieberhafte Tätigkeit,
bis wir die Überzeugung hatten, daß die Bestie ihren Schlupfwinkel nicht mehr
verlassen konnte. Dann holten wir den Umsatzkasten, einen schweren hölzernen
Kasten mit zwei Gitterschiebern, den jede größere Menagerie bei sich führt, schoben
ihn an den verbarrikadierten Wagen hinan, stellten eine Öffnung her, machten Licht
und bearbeiteten den Tiger so lange mit dem Kratzeisen, bis er nach vielen ver¬
geblichen Bemühungen das Schlupfloch fand und in den Umsatzkasten hineinging.
Als wir ihn so in Sicherheit wußten, atmeten wir erleichtert auf, und Ehlbeck, der
Schwiegersohn des Prinzipals, lud uns noch um halb ein Uhr in der Nacht ein,
in einer benachbarten Wirtschaft ein Faß Bier zu trinken, verpflichtete uns aber,
über den ungemütlichen Vorgang nichts verlauten zu lassen. Wir blieben bis gegen
drei Uhr beisammen und besprachen noch lebhaft das große Ereignis der Nacht.

Nach einigen Tagen war der Bau der Menagerie annähernd vollendet. Die
Bude war schon mit Leinwand bezogen, und im Innern begann ein großes Reine¬
machen, wobei es galt, den Mist von acht Tagen zu beseitigen. Einer der Wärter,
der erst kurze Zeit bei der Menagerie war und unter anderm auch den Käfig mit
dem schwarzen Panther und dem Jaguar zu besorgen hatte, wollte sich die Arbeit
erleichtern, indem er den Gitterschieber in die Höhe hob, und da dieser natürlich
wieder herunterfiel, mit einem Holzstück feststellte. Als er sich umwandte, um das
Kratzeisen zu ergreifen, sprang der schwarze Panther aus dem Käfig. Die übrigen
Angestellten, die gerade in der Bude waren, ergriffen die Flucht, und ich konnte
bemerken, wie sie sich mit allen Anzeichen des Schreckens in der Nähe der Bude
hielten und durch die Leinwand ängstliche Blicke in das Innere warfen. Sogleich
verbreitete sich das Gerücht, daß bei Bach schon wieder ein Raubtier ausgebrochen
sei. Madame Böhme hatte nichts Eiligeres zu tun. als ihre beiden Möpse in
Sicherheit zu bringen. Der Mann in der Menagerie verlor jedoch seine Geistes¬
gegenwart nicht, sondern sagte sich, daß er die Pflicht habe, sein leichtsinniges Unter¬
fangen wieder gut zu machen. Er stürzte sich auf den Panther, faßte ihn mit der
einen Hand im Genick, mit der andern beim Schwanz und schleuderte unter Auf¬
bietung aller Kräfte das sich windende Tier in den Käfig. In der Eile war es
ihm jedoch nicht möglich, das Sperrholz schnell zu beseitigen, und der Panther ent¬
wischte zum zweitenmal. Der Wärter faßte ihn wieder und hielt ihn auch fest,
obgleich die Bestie ihm den rechten Arm zerfleischte und die Unterlippe mit einer
Kralle zerriß. Diesmal gelang es ihm, nachdem er das Tier wieder in den Käfig
befördert hatte, das Sperrholz wegzuziehn, und so war auch dieser zweite Unfall
verhältnismäßig glücklich abgelaufen. Der Mann wurde in das Krankenhaus ge¬
bracht, wo sein Arm mit einem Gipsverband versehen wurde. Ehlbeck entließ ihn,
gab ihm aber zwanzig Franken als Entschädigung. Meiner Ansicht nach hätte er
besser getan, den Wärter zu behalten, da dieser höchstwahrscheinlich durch den
Schaden klug geworden war und fernerhin die einfachsten Vorsichtsmaßregeln nicht
außer acht gelassen haben würde.


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

und auf meine Frage, was es gebe, wurde mir zugeflüstert, der Königstiger sei
ausgebrochen und sitze unter einem der Wagen. Am Nachmittag hatte eine Hündin
gerade unter dem Käfig des Tigers geworfen, und das Gewinsel der jungen Hunde
mochte den Tiger in Aufregung versetzt haben. Er hatte den Boden seines Käfigs
durchgekratzt und sich durch das Loch auf die Hündin gestürzt, der er sogleich die
Kehle durchgebissen hatte. Das Geschrei des Hundes machte die Leute aufmerksam,
und einer davon, der den Hund zu Pflegen hatte, näherte sich im Dunkeln dessen
Lager und versuchte das Tier durch Streicheln zu beruhigen. Dabei bemerkte er
zu seinem Entsetzen, daß er statt des Hundes den Tiger streichelte, der über diese
Liebkosung mit einem unheimlichen Geknurr quittierte, worauf der Mann sich schleunigst
entfernte und Lärm schlug. Da die Bachschen Leute offenbar völlig den Kopf ver¬
loren hatten, warnte ich sie, sich mit dem Petroleumflambeau dem Tiger zu nähern,
und schlug vor, in der Dunkelheit so schnell wie möglich die Holzschranken des
dritten Platzes zu holen und um den Wagen zu stellen, wo sie dann mit Pfählen
und Stricken befestigt wurden. Wir entwickelten hierbei eine fieberhafte Tätigkeit,
bis wir die Überzeugung hatten, daß die Bestie ihren Schlupfwinkel nicht mehr
verlassen konnte. Dann holten wir den Umsatzkasten, einen schweren hölzernen
Kasten mit zwei Gitterschiebern, den jede größere Menagerie bei sich führt, schoben
ihn an den verbarrikadierten Wagen hinan, stellten eine Öffnung her, machten Licht
und bearbeiteten den Tiger so lange mit dem Kratzeisen, bis er nach vielen ver¬
geblichen Bemühungen das Schlupfloch fand und in den Umsatzkasten hineinging.
Als wir ihn so in Sicherheit wußten, atmeten wir erleichtert auf, und Ehlbeck, der
Schwiegersohn des Prinzipals, lud uns noch um halb ein Uhr in der Nacht ein,
in einer benachbarten Wirtschaft ein Faß Bier zu trinken, verpflichtete uns aber,
über den ungemütlichen Vorgang nichts verlauten zu lassen. Wir blieben bis gegen
drei Uhr beisammen und besprachen noch lebhaft das große Ereignis der Nacht.

Nach einigen Tagen war der Bau der Menagerie annähernd vollendet. Die
Bude war schon mit Leinwand bezogen, und im Innern begann ein großes Reine¬
machen, wobei es galt, den Mist von acht Tagen zu beseitigen. Einer der Wärter,
der erst kurze Zeit bei der Menagerie war und unter anderm auch den Käfig mit
dem schwarzen Panther und dem Jaguar zu besorgen hatte, wollte sich die Arbeit
erleichtern, indem er den Gitterschieber in die Höhe hob, und da dieser natürlich
wieder herunterfiel, mit einem Holzstück feststellte. Als er sich umwandte, um das
Kratzeisen zu ergreifen, sprang der schwarze Panther aus dem Käfig. Die übrigen
Angestellten, die gerade in der Bude waren, ergriffen die Flucht, und ich konnte
bemerken, wie sie sich mit allen Anzeichen des Schreckens in der Nähe der Bude
hielten und durch die Leinwand ängstliche Blicke in das Innere warfen. Sogleich
verbreitete sich das Gerücht, daß bei Bach schon wieder ein Raubtier ausgebrochen
sei. Madame Böhme hatte nichts Eiligeres zu tun. als ihre beiden Möpse in
Sicherheit zu bringen. Der Mann in der Menagerie verlor jedoch seine Geistes¬
gegenwart nicht, sondern sagte sich, daß er die Pflicht habe, sein leichtsinniges Unter¬
fangen wieder gut zu machen. Er stürzte sich auf den Panther, faßte ihn mit der
einen Hand im Genick, mit der andern beim Schwanz und schleuderte unter Auf¬
bietung aller Kräfte das sich windende Tier in den Käfig. In der Eile war es
ihm jedoch nicht möglich, das Sperrholz schnell zu beseitigen, und der Panther ent¬
wischte zum zweitenmal. Der Wärter faßte ihn wieder und hielt ihn auch fest,
obgleich die Bestie ihm den rechten Arm zerfleischte und die Unterlippe mit einer
Kralle zerriß. Diesmal gelang es ihm, nachdem er das Tier wieder in den Käfig
befördert hatte, das Sperrholz wegzuziehn, und so war auch dieser zweite Unfall
verhältnismäßig glücklich abgelaufen. Der Mann wurde in das Krankenhaus ge¬
bracht, wo sein Arm mit einem Gipsverband versehen wurde. Ehlbeck entließ ihn,
gab ihm aber zwanzig Franken als Entschädigung. Meiner Ansicht nach hätte er
besser getan, den Wärter zu behalten, da dieser höchstwahrscheinlich durch den
Schaden klug geworden war und fernerhin die einfachsten Vorsichtsmaßregeln nicht
außer acht gelassen haben würde.


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[0372] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren und auf meine Frage, was es gebe, wurde mir zugeflüstert, der Königstiger sei ausgebrochen und sitze unter einem der Wagen. Am Nachmittag hatte eine Hündin gerade unter dem Käfig des Tigers geworfen, und das Gewinsel der jungen Hunde mochte den Tiger in Aufregung versetzt haben. Er hatte den Boden seines Käfigs durchgekratzt und sich durch das Loch auf die Hündin gestürzt, der er sogleich die Kehle durchgebissen hatte. Das Geschrei des Hundes machte die Leute aufmerksam, und einer davon, der den Hund zu Pflegen hatte, näherte sich im Dunkeln dessen Lager und versuchte das Tier durch Streicheln zu beruhigen. Dabei bemerkte er zu seinem Entsetzen, daß er statt des Hundes den Tiger streichelte, der über diese Liebkosung mit einem unheimlichen Geknurr quittierte, worauf der Mann sich schleunigst entfernte und Lärm schlug. Da die Bachschen Leute offenbar völlig den Kopf ver¬ loren hatten, warnte ich sie, sich mit dem Petroleumflambeau dem Tiger zu nähern, und schlug vor, in der Dunkelheit so schnell wie möglich die Holzschranken des dritten Platzes zu holen und um den Wagen zu stellen, wo sie dann mit Pfählen und Stricken befestigt wurden. Wir entwickelten hierbei eine fieberhafte Tätigkeit, bis wir die Überzeugung hatten, daß die Bestie ihren Schlupfwinkel nicht mehr verlassen konnte. Dann holten wir den Umsatzkasten, einen schweren hölzernen Kasten mit zwei Gitterschiebern, den jede größere Menagerie bei sich führt, schoben ihn an den verbarrikadierten Wagen hinan, stellten eine Öffnung her, machten Licht und bearbeiteten den Tiger so lange mit dem Kratzeisen, bis er nach vielen ver¬ geblichen Bemühungen das Schlupfloch fand und in den Umsatzkasten hineinging. Als wir ihn so in Sicherheit wußten, atmeten wir erleichtert auf, und Ehlbeck, der Schwiegersohn des Prinzipals, lud uns noch um halb ein Uhr in der Nacht ein, in einer benachbarten Wirtschaft ein Faß Bier zu trinken, verpflichtete uns aber, über den ungemütlichen Vorgang nichts verlauten zu lassen. Wir blieben bis gegen drei Uhr beisammen und besprachen noch lebhaft das große Ereignis der Nacht. Nach einigen Tagen war der Bau der Menagerie annähernd vollendet. Die Bude war schon mit Leinwand bezogen, und im Innern begann ein großes Reine¬ machen, wobei es galt, den Mist von acht Tagen zu beseitigen. Einer der Wärter, der erst kurze Zeit bei der Menagerie war und unter anderm auch den Käfig mit dem schwarzen Panther und dem Jaguar zu besorgen hatte, wollte sich die Arbeit erleichtern, indem er den Gitterschieber in die Höhe hob, und da dieser natürlich wieder herunterfiel, mit einem Holzstück feststellte. Als er sich umwandte, um das Kratzeisen zu ergreifen, sprang der schwarze Panther aus dem Käfig. Die übrigen Angestellten, die gerade in der Bude waren, ergriffen die Flucht, und ich konnte bemerken, wie sie sich mit allen Anzeichen des Schreckens in der Nähe der Bude hielten und durch die Leinwand ängstliche Blicke in das Innere warfen. Sogleich verbreitete sich das Gerücht, daß bei Bach schon wieder ein Raubtier ausgebrochen sei. Madame Böhme hatte nichts Eiligeres zu tun. als ihre beiden Möpse in Sicherheit zu bringen. Der Mann in der Menagerie verlor jedoch seine Geistes¬ gegenwart nicht, sondern sagte sich, daß er die Pflicht habe, sein leichtsinniges Unter¬ fangen wieder gut zu machen. Er stürzte sich auf den Panther, faßte ihn mit der einen Hand im Genick, mit der andern beim Schwanz und schleuderte unter Auf¬ bietung aller Kräfte das sich windende Tier in den Käfig. In der Eile war es ihm jedoch nicht möglich, das Sperrholz schnell zu beseitigen, und der Panther ent¬ wischte zum zweitenmal. Der Wärter faßte ihn wieder und hielt ihn auch fest, obgleich die Bestie ihm den rechten Arm zerfleischte und die Unterlippe mit einer Kralle zerriß. Diesmal gelang es ihm, nachdem er das Tier wieder in den Käfig befördert hatte, das Sperrholz wegzuziehn, und so war auch dieser zweite Unfall verhältnismäßig glücklich abgelaufen. Der Mann wurde in das Krankenhaus ge¬ bracht, wo sein Arm mit einem Gipsverband versehen wurde. Ehlbeck entließ ihn, gab ihm aber zwanzig Franken als Entschädigung. Meiner Ansicht nach hätte er besser getan, den Wärter zu behalten, da dieser höchstwahrscheinlich durch den Schaden klug geworden war und fernerhin die einfachsten Vorsichtsmaßregeln nicht außer acht gelassen haben würde.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/372>, abgerufen am 20.10.2024.