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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Afghanistan Franz Korton Schilderungen und Skizzen von
(Fortsetzung)

RA
Ä'W^/M^>n Zeiten ernster Gefahr hatte der prahlsüchige Emir nicht den
Mut, in der Mitte seiner Untertanen auszuharren, eine Feig¬
heit, die er mit vielen Gewaltherrschern gemein hatte. Als am
16. Juni 1900 in Kabul die Cholera zum Ausbruche kam, floh
!Abd-ur-NahmSn mit seinem Hofstaate und in Begleitung eines
kleinen Armeekorps schleunigst in sein dreißig Kilometer von der Hauptstadt ent¬
ferntes Schloß im Pagmangebirge, das dreitausend Meter über dem Meere pracht¬
voll liegt, von Maulbeer- und andern Fruchtbäumen umgeben ist, schone Garten¬
anlagen und das beste Gebirgsquellwcisser hat. In der ersten Nacht nach der
Ankunft im Schlosse wurde viel mit Geschützen geschossen, weil in Afghanistan
die Meinung verbreitet ist, die schreckliche Krankheit ließe sich dadurch verscheuchen.
Die Cholera machte jedoch den albernen Aberglauben rasch zuschanden, denn
sie befiel einen Mann der Geleitsmannschaft, der am Tage daraus starb. Dieser
Todesfall veranlaßte den tapfern Emir, sofort tiefer in das Gebirge zu fliehen.
Seinen Hofstaat ließ er zurück. Erst vierzehn Tage hernach getraute er sich in
das Schloß zurückzukehren, da sich dort kein neuer Krankheitsfall ereignet hatte.

Die Cholera raffte jedoch in Kabul täglich fünfzig bis siebzig Menschen,,
groß und klein, alt und jung, hinweg, bis es der englischen Ärztin Mrs. Kate
Daly gelang, eine Arznei herzustellen, die unfehlbar wirkte, wenn sie nur recht¬
zeitig genommen wurde. Von hundert Erkrankten rettete die wackre Frau mit
ihrem vorzüglichen Heilmittel fünfundneunzig. Davon überzeugte ich mich selbst.
Leider gingen die nötigen Medikamente bald auf die Neige, und Mrs. Daly bat,
daß ihr aus den Lagerhäusern Ersatz möge geboten werden. Da erfuhr sie zu
ihrem Staunen, daß der Befehl erteilt worden war, nichts, gar nichts von den
Vorräten auszufolgen, und bei diesem Befehle blieb es. Dieses Verbot unter
solchen Umstünden muß man sich vor Augen halten, wenn man die grenzenlose
Gleichgiltigkeit des Emirs gegen seine Untertanen verstehn will. Zweimal täglich
ließ er sich zwar über den Stand der Krankheit und über Staatsangelegenheiten
vom Bürgermeister und vom Stadtkommandanten berichten, aber diese Maßregel
war nicht der Ausfluß von Fürsorge und Mitleid. Sechs reitende Boten be¬
förderten diese Berichte, indem sie einer dem andern übergab, damit nur der aus
Kabul kommende Bote nicht in die Nähe des Schlosses gelange. Als Mrs. Daly
durch das erwähnte Verbot der Möglichkeit beraubt war, den zahlreichen Kranken
zu helfen, gingen Ingenieur Martin und ich daran, Abhilfe zu schaffen. Außer
uns und der Ärztin weilte damals kein Europäer in Kabul, und wir standen
selbstverständlich treu und eiutrüchtig zusammen. Ingenieur Martin, der auch




Afghanistan Franz Korton Schilderungen und Skizzen von
(Fortsetzung)

RA
Ä'W^/M^>n Zeiten ernster Gefahr hatte der prahlsüchige Emir nicht den
Mut, in der Mitte seiner Untertanen auszuharren, eine Feig¬
heit, die er mit vielen Gewaltherrschern gemein hatte. Als am
16. Juni 1900 in Kabul die Cholera zum Ausbruche kam, floh
!Abd-ur-NahmSn mit seinem Hofstaate und in Begleitung eines
kleinen Armeekorps schleunigst in sein dreißig Kilometer von der Hauptstadt ent¬
ferntes Schloß im Pagmangebirge, das dreitausend Meter über dem Meere pracht¬
voll liegt, von Maulbeer- und andern Fruchtbäumen umgeben ist, schone Garten¬
anlagen und das beste Gebirgsquellwcisser hat. In der ersten Nacht nach der
Ankunft im Schlosse wurde viel mit Geschützen geschossen, weil in Afghanistan
die Meinung verbreitet ist, die schreckliche Krankheit ließe sich dadurch verscheuchen.
Die Cholera machte jedoch den albernen Aberglauben rasch zuschanden, denn
sie befiel einen Mann der Geleitsmannschaft, der am Tage daraus starb. Dieser
Todesfall veranlaßte den tapfern Emir, sofort tiefer in das Gebirge zu fliehen.
Seinen Hofstaat ließ er zurück. Erst vierzehn Tage hernach getraute er sich in
das Schloß zurückzukehren, da sich dort kein neuer Krankheitsfall ereignet hatte.

Die Cholera raffte jedoch in Kabul täglich fünfzig bis siebzig Menschen,,
groß und klein, alt und jung, hinweg, bis es der englischen Ärztin Mrs. Kate
Daly gelang, eine Arznei herzustellen, die unfehlbar wirkte, wenn sie nur recht¬
zeitig genommen wurde. Von hundert Erkrankten rettete die wackre Frau mit
ihrem vorzüglichen Heilmittel fünfundneunzig. Davon überzeugte ich mich selbst.
Leider gingen die nötigen Medikamente bald auf die Neige, und Mrs. Daly bat,
daß ihr aus den Lagerhäusern Ersatz möge geboten werden. Da erfuhr sie zu
ihrem Staunen, daß der Befehl erteilt worden war, nichts, gar nichts von den
Vorräten auszufolgen, und bei diesem Befehle blieb es. Dieses Verbot unter
solchen Umstünden muß man sich vor Augen halten, wenn man die grenzenlose
Gleichgiltigkeit des Emirs gegen seine Untertanen verstehn will. Zweimal täglich
ließ er sich zwar über den Stand der Krankheit und über Staatsangelegenheiten
vom Bürgermeister und vom Stadtkommandanten berichten, aber diese Maßregel
war nicht der Ausfluß von Fürsorge und Mitleid. Sechs reitende Boten be¬
förderten diese Berichte, indem sie einer dem andern übergab, damit nur der aus
Kabul kommende Bote nicht in die Nähe des Schlosses gelange. Als Mrs. Daly
durch das erwähnte Verbot der Möglichkeit beraubt war, den zahlreichen Kranken
zu helfen, gingen Ingenieur Martin und ich daran, Abhilfe zu schaffen. Außer
uns und der Ärztin weilte damals kein Europäer in Kabul, und wir standen
selbstverständlich treu und eiutrüchtig zusammen. Ingenieur Martin, der auch


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[0358] [Abbildung] Afghanistan Franz Korton Schilderungen und Skizzen von (Fortsetzung) RA Ä'W^/M^>n Zeiten ernster Gefahr hatte der prahlsüchige Emir nicht den Mut, in der Mitte seiner Untertanen auszuharren, eine Feig¬ heit, die er mit vielen Gewaltherrschern gemein hatte. Als am 16. Juni 1900 in Kabul die Cholera zum Ausbruche kam, floh !Abd-ur-NahmSn mit seinem Hofstaate und in Begleitung eines kleinen Armeekorps schleunigst in sein dreißig Kilometer von der Hauptstadt ent¬ ferntes Schloß im Pagmangebirge, das dreitausend Meter über dem Meere pracht¬ voll liegt, von Maulbeer- und andern Fruchtbäumen umgeben ist, schone Garten¬ anlagen und das beste Gebirgsquellwcisser hat. In der ersten Nacht nach der Ankunft im Schlosse wurde viel mit Geschützen geschossen, weil in Afghanistan die Meinung verbreitet ist, die schreckliche Krankheit ließe sich dadurch verscheuchen. Die Cholera machte jedoch den albernen Aberglauben rasch zuschanden, denn sie befiel einen Mann der Geleitsmannschaft, der am Tage daraus starb. Dieser Todesfall veranlaßte den tapfern Emir, sofort tiefer in das Gebirge zu fliehen. Seinen Hofstaat ließ er zurück. Erst vierzehn Tage hernach getraute er sich in das Schloß zurückzukehren, da sich dort kein neuer Krankheitsfall ereignet hatte. Die Cholera raffte jedoch in Kabul täglich fünfzig bis siebzig Menschen,, groß und klein, alt und jung, hinweg, bis es der englischen Ärztin Mrs. Kate Daly gelang, eine Arznei herzustellen, die unfehlbar wirkte, wenn sie nur recht¬ zeitig genommen wurde. Von hundert Erkrankten rettete die wackre Frau mit ihrem vorzüglichen Heilmittel fünfundneunzig. Davon überzeugte ich mich selbst. Leider gingen die nötigen Medikamente bald auf die Neige, und Mrs. Daly bat, daß ihr aus den Lagerhäusern Ersatz möge geboten werden. Da erfuhr sie zu ihrem Staunen, daß der Befehl erteilt worden war, nichts, gar nichts von den Vorräten auszufolgen, und bei diesem Befehle blieb es. Dieses Verbot unter solchen Umstünden muß man sich vor Augen halten, wenn man die grenzenlose Gleichgiltigkeit des Emirs gegen seine Untertanen verstehn will. Zweimal täglich ließ er sich zwar über den Stand der Krankheit und über Staatsangelegenheiten vom Bürgermeister und vom Stadtkommandanten berichten, aber diese Maßregel war nicht der Ausfluß von Fürsorge und Mitleid. Sechs reitende Boten be¬ förderten diese Berichte, indem sie einer dem andern übergab, damit nur der aus Kabul kommende Bote nicht in die Nähe des Schlosses gelange. Als Mrs. Daly durch das erwähnte Verbot der Möglichkeit beraubt war, den zahlreichen Kranken zu helfen, gingen Ingenieur Martin und ich daran, Abhilfe zu schaffen. Außer uns und der Ärztin weilte damals kein Europäer in Kabul, und wir standen selbstverständlich treu und eiutrüchtig zusammen. Ingenieur Martin, der auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/358>, abgerufen am 27.09.2024.