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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Der britische Staatshaushalt

Die Liberalen und die Radikalen wollen von ihm nichts wissen, und da sie
alle Aussicht haben, demnächst ans Ruder zu gelangen, wird ein Zolltarif so
bald nicht ins Dasein treten.

Eine liberal-radikale Negierung wird natürlich noch "veniger als eine
konservative den kleinen Mann belasten. Sie würde eher den Einkommen-
stcuerzahlern noch einige Pennies mehr abnehmen, um seine Bürde zu er¬
leichtern. Doch die Einkommensteuer muß ein Rückhalt für außergewöhnliche
Bedürfnisse sein und darf für gewöhnliche Zeiten nicht über Gebühr in An¬
spruch genommen werden. Wenn nötig, werden darum die Liberalen nicht
zögern, das Gleichgewicht im Staatshaushalt durch Verminderung der Aus¬
gaben für Heer und Flotte herzustellen. Der Aufwand der letzten Jahre ist
auch wirklich durch nichts gerechtfertigt, besonders jetzt, wo die russische Macht
auf längere Zeit gelähmt ist.

Gänzlich ausgeschlossen aber ist eine Verminderung der Rüstung auf ein
Maß, das auch nur den geringsten Zweifel zuließe an der Fähigkeit, das
britische Weltreich nach jeder Richtung hin zu schützen. Die Erkenntnis von
der Bedeutung der Seemacht liegt jedem Briten im Blute. Darin besteht
kein Unterschied zwischen den Parteien, und was die Entwicklung des Heer¬
wesens angeht, so können die Liberalen auf bessere Leistungen zurückschauen
als ihre Gegner. Die Abschaffung des Ofsizierstellenschachers hat eine liberale
Regierung durchgeführt, und auf den liberalen Kriegsminister Cardwell geht
die Organisation des Heeres zurück, die dreißig Jahre lang bestanden hat und
erst vor kurzem von den Konservativen durch einander überstürzende Änderungen
in Verwirrung gebracht worden ist.

Also was für die Sicherheit des britischen Reichs nötig ist, werden auch
die Liberalen schwerlich zu tun versäumen. Nur werden sie sich nicht auf
kostspielige Eroberungen einlassen und keine Rüstung unternehmen, die von
andern Staaten bloß als eine Drohung aufgefaßt werden kann. Sie werden
auch neue Anleihen zu vermeiden suchen. Aber wenn es die Sicherheit des
Reichs fordert, werden sie sich nicht scheuen, die Staatsschuld um Hunderte
von Millionen Pfund zu vermehren. Für die Staatsschuld hat sich der Brite
seine Kolonien und seine herrschende Stellung als Handelsmacht eingetauscht,
und wenn deren Erringung eine so große Summe wert war, so ist ihre Er¬
haltung mindestens ebensoviel wert.

Wo es ein großes Ziel zu erreichen galt, da hat das britische Parlament
nie versagt, sondern hat seiner Regierung freigebig alles bewilligt, was sie
verlangte. Manche Million ist dabei in eitel Dunst aufgegangen, um einen
milden Ausdruck zu gebrauchen, und darin braucht Deutschland dem britischen
Vorgange nicht zu folgen. Aber in der rechtzeitigen Opferwilligkeit für ein
großes Ziel könnte sich das deutsche Volk das britische Beispiel zu Herzen
nehmen. Freilich, wenn es große nationale Ziele erkennen will, muß sich
das deutsche Auge erst wieder gewöhnen, ohne eine Parteibrille zu scheu.




Der britische Staatshaushalt

Die Liberalen und die Radikalen wollen von ihm nichts wissen, und da sie
alle Aussicht haben, demnächst ans Ruder zu gelangen, wird ein Zolltarif so
bald nicht ins Dasein treten.

Eine liberal-radikale Negierung wird natürlich noch »veniger als eine
konservative den kleinen Mann belasten. Sie würde eher den Einkommen-
stcuerzahlern noch einige Pennies mehr abnehmen, um seine Bürde zu er¬
leichtern. Doch die Einkommensteuer muß ein Rückhalt für außergewöhnliche
Bedürfnisse sein und darf für gewöhnliche Zeiten nicht über Gebühr in An¬
spruch genommen werden. Wenn nötig, werden darum die Liberalen nicht
zögern, das Gleichgewicht im Staatshaushalt durch Verminderung der Aus¬
gaben für Heer und Flotte herzustellen. Der Aufwand der letzten Jahre ist
auch wirklich durch nichts gerechtfertigt, besonders jetzt, wo die russische Macht
auf längere Zeit gelähmt ist.

Gänzlich ausgeschlossen aber ist eine Verminderung der Rüstung auf ein
Maß, das auch nur den geringsten Zweifel zuließe an der Fähigkeit, das
britische Weltreich nach jeder Richtung hin zu schützen. Die Erkenntnis von
der Bedeutung der Seemacht liegt jedem Briten im Blute. Darin besteht
kein Unterschied zwischen den Parteien, und was die Entwicklung des Heer¬
wesens angeht, so können die Liberalen auf bessere Leistungen zurückschauen
als ihre Gegner. Die Abschaffung des Ofsizierstellenschachers hat eine liberale
Regierung durchgeführt, und auf den liberalen Kriegsminister Cardwell geht
die Organisation des Heeres zurück, die dreißig Jahre lang bestanden hat und
erst vor kurzem von den Konservativen durch einander überstürzende Änderungen
in Verwirrung gebracht worden ist.

Also was für die Sicherheit des britischen Reichs nötig ist, werden auch
die Liberalen schwerlich zu tun versäumen. Nur werden sie sich nicht auf
kostspielige Eroberungen einlassen und keine Rüstung unternehmen, die von
andern Staaten bloß als eine Drohung aufgefaßt werden kann. Sie werden
auch neue Anleihen zu vermeiden suchen. Aber wenn es die Sicherheit des
Reichs fordert, werden sie sich nicht scheuen, die Staatsschuld um Hunderte
von Millionen Pfund zu vermehren. Für die Staatsschuld hat sich der Brite
seine Kolonien und seine herrschende Stellung als Handelsmacht eingetauscht,
und wenn deren Erringung eine so große Summe wert war, so ist ihre Er¬
haltung mindestens ebensoviel wert.

Wo es ein großes Ziel zu erreichen galt, da hat das britische Parlament
nie versagt, sondern hat seiner Regierung freigebig alles bewilligt, was sie
verlangte. Manche Million ist dabei in eitel Dunst aufgegangen, um einen
milden Ausdruck zu gebrauchen, und darin braucht Deutschland dem britischen
Vorgange nicht zu folgen. Aber in der rechtzeitigen Opferwilligkeit für ein
großes Ziel könnte sich das deutsche Volk das britische Beispiel zu Herzen
nehmen. Freilich, wenn es große nationale Ziele erkennen will, muß sich
das deutsche Auge erst wieder gewöhnen, ohne eine Parteibrille zu scheu.




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[0357] Der britische Staatshaushalt Die Liberalen und die Radikalen wollen von ihm nichts wissen, und da sie alle Aussicht haben, demnächst ans Ruder zu gelangen, wird ein Zolltarif so bald nicht ins Dasein treten. Eine liberal-radikale Negierung wird natürlich noch »veniger als eine konservative den kleinen Mann belasten. Sie würde eher den Einkommen- stcuerzahlern noch einige Pennies mehr abnehmen, um seine Bürde zu er¬ leichtern. Doch die Einkommensteuer muß ein Rückhalt für außergewöhnliche Bedürfnisse sein und darf für gewöhnliche Zeiten nicht über Gebühr in An¬ spruch genommen werden. Wenn nötig, werden darum die Liberalen nicht zögern, das Gleichgewicht im Staatshaushalt durch Verminderung der Aus¬ gaben für Heer und Flotte herzustellen. Der Aufwand der letzten Jahre ist auch wirklich durch nichts gerechtfertigt, besonders jetzt, wo die russische Macht auf längere Zeit gelähmt ist. Gänzlich ausgeschlossen aber ist eine Verminderung der Rüstung auf ein Maß, das auch nur den geringsten Zweifel zuließe an der Fähigkeit, das britische Weltreich nach jeder Richtung hin zu schützen. Die Erkenntnis von der Bedeutung der Seemacht liegt jedem Briten im Blute. Darin besteht kein Unterschied zwischen den Parteien, und was die Entwicklung des Heer¬ wesens angeht, so können die Liberalen auf bessere Leistungen zurückschauen als ihre Gegner. Die Abschaffung des Ofsizierstellenschachers hat eine liberale Regierung durchgeführt, und auf den liberalen Kriegsminister Cardwell geht die Organisation des Heeres zurück, die dreißig Jahre lang bestanden hat und erst vor kurzem von den Konservativen durch einander überstürzende Änderungen in Verwirrung gebracht worden ist. Also was für die Sicherheit des britischen Reichs nötig ist, werden auch die Liberalen schwerlich zu tun versäumen. Nur werden sie sich nicht auf kostspielige Eroberungen einlassen und keine Rüstung unternehmen, die von andern Staaten bloß als eine Drohung aufgefaßt werden kann. Sie werden auch neue Anleihen zu vermeiden suchen. Aber wenn es die Sicherheit des Reichs fordert, werden sie sich nicht scheuen, die Staatsschuld um Hunderte von Millionen Pfund zu vermehren. Für die Staatsschuld hat sich der Brite seine Kolonien und seine herrschende Stellung als Handelsmacht eingetauscht, und wenn deren Erringung eine so große Summe wert war, so ist ihre Er¬ haltung mindestens ebensoviel wert. Wo es ein großes Ziel zu erreichen galt, da hat das britische Parlament nie versagt, sondern hat seiner Regierung freigebig alles bewilligt, was sie verlangte. Manche Million ist dabei in eitel Dunst aufgegangen, um einen milden Ausdruck zu gebrauchen, und darin braucht Deutschland dem britischen Vorgange nicht zu folgen. Aber in der rechtzeitigen Opferwilligkeit für ein großes Ziel könnte sich das deutsche Volk das britische Beispiel zu Herzen nehmen. Freilich, wenn es große nationale Ziele erkennen will, muß sich das deutsche Auge erst wieder gewöhnen, ohne eine Parteibrille zu scheu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/357>, abgerufen am 27.09.2024.