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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Und da kommen Sie nun bei helllichtem Tage hierher, um den Leuten zu
zeigen, wo Sie zu finden sind, und wer mit Ihnen zu tun gehabt hat? Und nun
stehn Sie da und zittern? Madüe, Sie sind ebenso feige, wie Sie dumm sind.

Madüe stand da, ein Bild des Jammers. Meine arme Frau! meine armen
Kinder! stammelte er, die Hände ringend. Was soll aus ihnen werden? Und
ich Schuft bin an allem Unglück schuld, das nun kommt. Nein, Sie sind schuld,
schrie er auf, indem er einen Anlauf von Mut nahm. Sie sind schuld und sollen
es rin aufessen. Ich werde mich der Behörde stellen und werde alles gesteh",
ich werde erzählen, wie Sie mich gefangen, geknechtet und ins Verbrechen hinein¬
gesetzt haben. Ich werde die Gerechtigkeit anrufen gegen Sie! Sie!

Damit knickte er wieder zusammen.

Madüe, sagte Groppoff mit kaltem Hohn, Sie sind ein Esel. Glauben Sie
denn, daß jemand auf Ihr Geschwätz hören würde, wenn Sie keine Beweise haben?
Bringen Sie mir Ihre Beweise. Sie haben keine. Also wird man Ihre Tugend¬
haftigkeit nur für einen Versuch ansehen, Ihre Schuld von sich abzuwälzen. Für
weiter nichts.

Madüe sah es ein. Herr, rief er verzweifelt, helfen Sie mir! und er wollte
sich Grovvoff zu den Füßen werfen.

So, sagte Groppoff, indem er den Fußfall verhinderte, jetzt klingt die Melodie
anders. Helfen will ich Ihnen, schon darum, weil mir nichts daran liegt, in
Ihrer Geschichte eine Rolle zu spielen. Sie müssen weg. Entweder hinüber nach
Schweden oder über die russische Grenze.

Madüe atmete auf.

Halten Sie sich bis heute Abend nach Dunkelwerden verborgen -- nicht hier.
Da oben im Laternenhäuschen. Da sucht Sie niemand. Dort hängt der Schlüssel.
Aber sehen Sie sich vor, daß niemand Sie bemerkt, wenn Sie hineinsteigen. Nach
Dunkelwerden gehn Sie hinab an den Strand und auf dem Stege durchs Rohr,
dort werden Sie ein Boot finden, das mit allem Nötigen ausgerüstet ist. Mit dem
fahren Sie auf See. Wie Sie dann weiterkommen, das ist Ihre Sache.

Madüe verschwand, und Groppoff trat ans Fenster und sah hinaus. Er konnte
von seinem Standpunkt aus zwischen den alten Bäumen, die das Haus umgaben,
nach dem Strande hinabsehen. Der Strand war hier, wo das Wasser flach war,
mit einem breiten Saume von Rohr eingefaßt. Darin hausten Rohrsperlinge, die
den ganzen Tag nicht müde wurden, ihr eintöniges Karre-karre-kik zu singen. Durch
die Breite des Rohrdickichts führte ein schmaler hölzerner Steig, und an seinem
Ende lag -- noch im Rohre verborgen -- ein Boot. Es war außer der Landungs¬
brücke des Hafens die einzige Stelle, an der man trocknen Fußes ans Land kommen
konnte. Dieser Steg war die Ausfallpfvrte von Groppoffs Burg, und er hatte
sie schon manchmal benutzt, um ungesehen zu kommen oder zu gehn.

Als Groppoff sich umdrehte, sah er, daß Madüe einen Brief aus dem Tische
hatte liegen lassen. Er war an den Doktor gerichtet, kam von N. und enthielt
ein Dokumentblatt. Offenbar war Madüe damit beschäftigt gewesen, den Brief zu
öffnen und zu lesen, als er von dem Postinspektor überrascht wurde. Er hatte den
Brief in der Eile nicht los werden können und hatte ihn im Zimmer Groppoffs
von sich geworfen. Das Dokument war eine Abschrift des Grundbuchblattes des
preußischen Schlößchens. Groppoff las es und fand zu seinem maßlosen Erstaunen,
daß als Besitzer der ersten Hypothek nicht Justizrat Stackelberg, sondern Doktor
Ramborn eingetragen war. Das hatte er nicht geahnt. Er hätte es wissen können.
Er hätte nur nötig gehabt, Einblick in das Grundbuch zu nehmen. Jetzt brach
sein ganzer gegen das Schlößchen geschmiedeter Plan zusammen. Denn wenn
Ramborn beabsichtigte, das Schlößchen zu halten, so brauchte er mit seiner Hypothek
nur an zweite Stelle zu treten. Zu erster Stelle bekam er auf das Gut so viel
Geld, als er brauchte, und die Kündigung der spätern Hypotheken konnte ihn nicht
in Verlegenheit bringen. Groppoff ärgerte sich, wie er sich noch nie geärgert hatte.


Herrenmenschen

Und da kommen Sie nun bei helllichtem Tage hierher, um den Leuten zu
zeigen, wo Sie zu finden sind, und wer mit Ihnen zu tun gehabt hat? Und nun
stehn Sie da und zittern? Madüe, Sie sind ebenso feige, wie Sie dumm sind.

Madüe stand da, ein Bild des Jammers. Meine arme Frau! meine armen
Kinder! stammelte er, die Hände ringend. Was soll aus ihnen werden? Und
ich Schuft bin an allem Unglück schuld, das nun kommt. Nein, Sie sind schuld,
schrie er auf, indem er einen Anlauf von Mut nahm. Sie sind schuld und sollen
es rin aufessen. Ich werde mich der Behörde stellen und werde alles gesteh«,
ich werde erzählen, wie Sie mich gefangen, geknechtet und ins Verbrechen hinein¬
gesetzt haben. Ich werde die Gerechtigkeit anrufen gegen Sie! Sie!

Damit knickte er wieder zusammen.

Madüe, sagte Groppoff mit kaltem Hohn, Sie sind ein Esel. Glauben Sie
denn, daß jemand auf Ihr Geschwätz hören würde, wenn Sie keine Beweise haben?
Bringen Sie mir Ihre Beweise. Sie haben keine. Also wird man Ihre Tugend¬
haftigkeit nur für einen Versuch ansehen, Ihre Schuld von sich abzuwälzen. Für
weiter nichts.

Madüe sah es ein. Herr, rief er verzweifelt, helfen Sie mir! und er wollte
sich Grovvoff zu den Füßen werfen.

So, sagte Groppoff, indem er den Fußfall verhinderte, jetzt klingt die Melodie
anders. Helfen will ich Ihnen, schon darum, weil mir nichts daran liegt, in
Ihrer Geschichte eine Rolle zu spielen. Sie müssen weg. Entweder hinüber nach
Schweden oder über die russische Grenze.

Madüe atmete auf.

Halten Sie sich bis heute Abend nach Dunkelwerden verborgen — nicht hier.
Da oben im Laternenhäuschen. Da sucht Sie niemand. Dort hängt der Schlüssel.
Aber sehen Sie sich vor, daß niemand Sie bemerkt, wenn Sie hineinsteigen. Nach
Dunkelwerden gehn Sie hinab an den Strand und auf dem Stege durchs Rohr,
dort werden Sie ein Boot finden, das mit allem Nötigen ausgerüstet ist. Mit dem
fahren Sie auf See. Wie Sie dann weiterkommen, das ist Ihre Sache.

Madüe verschwand, und Groppoff trat ans Fenster und sah hinaus. Er konnte
von seinem Standpunkt aus zwischen den alten Bäumen, die das Haus umgaben,
nach dem Strande hinabsehen. Der Strand war hier, wo das Wasser flach war,
mit einem breiten Saume von Rohr eingefaßt. Darin hausten Rohrsperlinge, die
den ganzen Tag nicht müde wurden, ihr eintöniges Karre-karre-kik zu singen. Durch
die Breite des Rohrdickichts führte ein schmaler hölzerner Steig, und an seinem
Ende lag — noch im Rohre verborgen — ein Boot. Es war außer der Landungs¬
brücke des Hafens die einzige Stelle, an der man trocknen Fußes ans Land kommen
konnte. Dieser Steg war die Ausfallpfvrte von Groppoffs Burg, und er hatte
sie schon manchmal benutzt, um ungesehen zu kommen oder zu gehn.

Als Groppoff sich umdrehte, sah er, daß Madüe einen Brief aus dem Tische
hatte liegen lassen. Er war an den Doktor gerichtet, kam von N. und enthielt
ein Dokumentblatt. Offenbar war Madüe damit beschäftigt gewesen, den Brief zu
öffnen und zu lesen, als er von dem Postinspektor überrascht wurde. Er hatte den
Brief in der Eile nicht los werden können und hatte ihn im Zimmer Groppoffs
von sich geworfen. Das Dokument war eine Abschrift des Grundbuchblattes des
preußischen Schlößchens. Groppoff las es und fand zu seinem maßlosen Erstaunen,
daß als Besitzer der ersten Hypothek nicht Justizrat Stackelberg, sondern Doktor
Ramborn eingetragen war. Das hatte er nicht geahnt. Er hätte es wissen können.
Er hätte nur nötig gehabt, Einblick in das Grundbuch zu nehmen. Jetzt brach
sein ganzer gegen das Schlößchen geschmiedeter Plan zusammen. Denn wenn
Ramborn beabsichtigte, das Schlößchen zu halten, so brauchte er mit seiner Hypothek
nur an zweite Stelle zu treten. Zu erster Stelle bekam er auf das Gut so viel
Geld, als er brauchte, und die Kündigung der spätern Hypotheken konnte ihn nicht
in Verlegenheit bringen. Groppoff ärgerte sich, wie er sich noch nie geärgert hatte.


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[0278] Herrenmenschen Und da kommen Sie nun bei helllichtem Tage hierher, um den Leuten zu zeigen, wo Sie zu finden sind, und wer mit Ihnen zu tun gehabt hat? Und nun stehn Sie da und zittern? Madüe, Sie sind ebenso feige, wie Sie dumm sind. Madüe stand da, ein Bild des Jammers. Meine arme Frau! meine armen Kinder! stammelte er, die Hände ringend. Was soll aus ihnen werden? Und ich Schuft bin an allem Unglück schuld, das nun kommt. Nein, Sie sind schuld, schrie er auf, indem er einen Anlauf von Mut nahm. Sie sind schuld und sollen es rin aufessen. Ich werde mich der Behörde stellen und werde alles gesteh«, ich werde erzählen, wie Sie mich gefangen, geknechtet und ins Verbrechen hinein¬ gesetzt haben. Ich werde die Gerechtigkeit anrufen gegen Sie! Sie! Damit knickte er wieder zusammen. Madüe, sagte Groppoff mit kaltem Hohn, Sie sind ein Esel. Glauben Sie denn, daß jemand auf Ihr Geschwätz hören würde, wenn Sie keine Beweise haben? Bringen Sie mir Ihre Beweise. Sie haben keine. Also wird man Ihre Tugend¬ haftigkeit nur für einen Versuch ansehen, Ihre Schuld von sich abzuwälzen. Für weiter nichts. Madüe sah es ein. Herr, rief er verzweifelt, helfen Sie mir! und er wollte sich Grovvoff zu den Füßen werfen. So, sagte Groppoff, indem er den Fußfall verhinderte, jetzt klingt die Melodie anders. Helfen will ich Ihnen, schon darum, weil mir nichts daran liegt, in Ihrer Geschichte eine Rolle zu spielen. Sie müssen weg. Entweder hinüber nach Schweden oder über die russische Grenze. Madüe atmete auf. Halten Sie sich bis heute Abend nach Dunkelwerden verborgen — nicht hier. Da oben im Laternenhäuschen. Da sucht Sie niemand. Dort hängt der Schlüssel. Aber sehen Sie sich vor, daß niemand Sie bemerkt, wenn Sie hineinsteigen. Nach Dunkelwerden gehn Sie hinab an den Strand und auf dem Stege durchs Rohr, dort werden Sie ein Boot finden, das mit allem Nötigen ausgerüstet ist. Mit dem fahren Sie auf See. Wie Sie dann weiterkommen, das ist Ihre Sache. Madüe verschwand, und Groppoff trat ans Fenster und sah hinaus. Er konnte von seinem Standpunkt aus zwischen den alten Bäumen, die das Haus umgaben, nach dem Strande hinabsehen. Der Strand war hier, wo das Wasser flach war, mit einem breiten Saume von Rohr eingefaßt. Darin hausten Rohrsperlinge, die den ganzen Tag nicht müde wurden, ihr eintöniges Karre-karre-kik zu singen. Durch die Breite des Rohrdickichts führte ein schmaler hölzerner Steig, und an seinem Ende lag — noch im Rohre verborgen — ein Boot. Es war außer der Landungs¬ brücke des Hafens die einzige Stelle, an der man trocknen Fußes ans Land kommen konnte. Dieser Steg war die Ausfallpfvrte von Groppoffs Burg, und er hatte sie schon manchmal benutzt, um ungesehen zu kommen oder zu gehn. Als Groppoff sich umdrehte, sah er, daß Madüe einen Brief aus dem Tische hatte liegen lassen. Er war an den Doktor gerichtet, kam von N. und enthielt ein Dokumentblatt. Offenbar war Madüe damit beschäftigt gewesen, den Brief zu öffnen und zu lesen, als er von dem Postinspektor überrascht wurde. Er hatte den Brief in der Eile nicht los werden können und hatte ihn im Zimmer Groppoffs von sich geworfen. Das Dokument war eine Abschrift des Grundbuchblattes des preußischen Schlößchens. Groppoff las es und fand zu seinem maßlosen Erstaunen, daß als Besitzer der ersten Hypothek nicht Justizrat Stackelberg, sondern Doktor Ramborn eingetragen war. Das hatte er nicht geahnt. Er hätte es wissen können. Er hätte nur nötig gehabt, Einblick in das Grundbuch zu nehmen. Jetzt brach sein ganzer gegen das Schlößchen geschmiedeter Plan zusammen. Denn wenn Ramborn beabsichtigte, das Schlößchen zu halten, so brauchte er mit seiner Hypothek nur an zweite Stelle zu treten. Zu erster Stelle bekam er auf das Gut so viel Geld, als er brauchte, und die Kündigung der spätern Hypotheken konnte ihn nicht in Verlegenheit bringen. Groppoff ärgerte sich, wie er sich noch nie geärgert hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/278>, abgerufen am 27.09.2024.